Urteil des VerfGH Berlin vom 13.03.2017

VerfGH Berlin: zulässigkeit der auslieferung, rechtshilfe in strafsachen, ukraine, russische föderation, freiheit der person, auslieferungshaft, haftbefehl, ersuchender staat, mittäter

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21/03, 21 A/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 8 Abs 1 Verf BE, § 12
EUAuslÜbk, § 13 EUAuslÜbk, §
16 EUAuslÜbk, § 10 IRG
Tenor
Die Verfahren über die Verfassungsbeschwerden und die Anträge auf Erlaß einer
einstweiligen Anordnung werden unter dem Aktenzeichen VerfGH 21/03, 21 A/03 zur
gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Damit erledigen sich zugleich die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der 46 Jahre alte unbestrafte Beschwerdeführer ist vermutlich ukrainischer
Staatsangehöriger. Er kam 1990 als Kontingentflüchtling nach Deutschland und besitzt
seit 1991 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Ein Einbürgerungsverfahren ist
eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen. In zweiter Ehe verheiratet, lebt er mit seiner
Frau und dem gemeinsamen zweijährigen Kind in Berlin. Seine erste Ehefrau, seine
beiden Kinder aus erster Ehe, seine Mutter und sein Zwillingsbruder leben gleichfalls in
Deutschland. Seit April 2002 betreibt er mehrere chemische Reinigungen in Berlin. Davor
lebte er von Sozialhilfe.
Am 7. August 2002 wurde der Beschwerdeführer aufgrund eines Ersuchens der Interpol
Kiew zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Schmuggels, Steuerhinterziehung und
Urkundenfälschung bzw. dem Gebrauch falscher Urkunden in seiner Berliner Wohnung
nach § 19 Satz 1 des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)
vorläufig festgenommen. Das Kammergericht ordnete durch Beschluß vom 19. August
2002 gegen ihn die vorläufige Auslieferungshaft an. Das Ersuchen der Ukraine
entspreche in Form, Inhalt und Übermittlungsweg den Anforderungen des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens (EAÜ). Laut Mitteilung liege ein Haftbefehl des
Amtsgerichts Babushkin/Dnepropetrowsk vom 9. August 2001 vor, in welchem dem
Beschwerdeführer vorgeworfen werde, zwischen Mai und Juli 1998 – nach Absprache mit
mehreren Fahrern der von ihm im Zeitraum von 1996 bis 1998 gekauften sieben
Kühlwagen – insgesamt 395.746,66 kg Nahrungsmittel im Gesamtwert von 783.360,07
UAH als Transitgüter mit Bestimmungsland Turkmenistan in die Ukraine eingeführt, sie
jedoch unter Umgehung von Zollbestimmungen und Steuervorschriften nicht wieder
ausgeführt, sondern in der Ukraine verkauft zu haben. Die ihm vorgeworfenen strafbaren
Handlungen seien auslieferungsfähige Vergehen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 EAÜ. Die
Inhaftierung sei aus Gründen der Fluchtgefahr geboten.
Nachdem das Kammergericht am 2. September 2002 einen Antrag des
Beschwerdeführers, ihm mit Rücksicht auf seine familiäre, soziale und berufliche
Verwurzelung in Deutschland sowie mit Rücksicht auf eine nur geringe Straferwartung
Haftverschonung zu gewähren, zurückgewiesen hatte, trafen bei dem
Bundesministerium der Justiz am 10. September 2002 89 Blatt Auslieferungsunterlagen
von der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine ein. Die Unterlagen umfaßten neben
dem Auslieferungsersuchen und dem Haftbefehl vom 9. August 2001, der Schilderung
des vermeintlichen Tathergangs, der Darlegung von Strafbarkeit und Strafrahmen der
vorgeworfenen Vergehen und dem auszugsweisen Gesetzeswortlaut auch die Mitteilung,
daß acht vermeintliche Mittäter oder Gehilfen des Beschwerdeführers durch Urteil des
Bezirksgerichts der Stadt Dnepropetrowsk vom 12. März 2002 zu Freiheitsstrafen
zwischen drei und sechs Jahren verurteilt, von dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und
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zwischen drei und sechs Jahren verurteilt, von dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und
der Urkundenfälschung bzw. der Benutzung falscher oder gefälschter Urkunden aber
sämtlichst freigesprochen worden seien. Alle Freiheitsstrafen seien für die Dauer von
einem Jahr zur Bewährung ausgesetzt worden.
Durch Beschluß vom 20. September 2002 wandelte das Kammergericht auf Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft Berlin die vorläufige Auslieferungshaft in Auslieferungshaft
um. Aus den übersandten Unterlagen ergebe sich, daß dem Beschwerdeführer
vorgeworfen werde, in großem Umfang als Transitgüter deklarierte Lebensmittel in die
Ukraine eingeführt, sie aber unter Umgehung von Zoll- und Steuervorschriften nicht
wieder ausgeführt, sondern dort verkauft zu haben, soweit sie nicht beschlagnahmt
worden seien. Bei ordnungsgemäßer Einfuhr wären Zölle und Steuern in Höhe von
1.008.541,36 UAH (etwa 120.000 €) zu zahlen gewesen. Der Beschwerdeführer solle
mittäterschaftlich mit anderen gehandelt haben, von denen einige nicht nur als Fahrer
seiner Lastkraftwagen tätig geworden seien, sondern auch falsche Angaben in den
Frachtpapieren gemacht haben sollen. In der Zeit zwischen dem 31. Mai und dem 30. Juli
1998 solle es sich um 16 LKW-Ladungen gehandelt haben. Das Kammergericht hielt eine
Fluchtgefahr weiterhin für gegeben.
Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2002 beantragte der Beschwerdeführer, den
vorgenannten Beschluß aufzuheben und die Auslieferung für unzulässig zu erklären.
Hilfsweise beantragte er, die Ukraine aufzufordern, ergänzende Beweismittel vorzulegen.
Ein hinreichender Tatverdacht sei nicht gegeben, und wegen besonderer Umstände sei
dies vorliegend nach § 10 Abs. 2 IRG auch zu beachten. Aus seinem Paß lasse sich
entnehmen, daß er „weitestgehend“ nicht in der Ukraine war, als die behaupteten
Lieferungen erfolgt seien. Also habe er entgegen den Behauptungen der ukrainischen
Ermittler keine Frachtpapiere persönlich übernehmen können. Soweit er durch
Zeugenaussagen belastet werde, seien diese unter nicht rechtsstaatskonformen Druck
zustande gekommen, was ein vorgelegtes Fax dieses Inhalts vom 16. Oktober 2002,
welches vier der genannten Zeugen unterzeichnet hätten, bestätige. Hieraus, sowie aus
dem Umstand, daß die ukrainischen Behörden mit der Strafverfolgung drei Jahre
gewartet hätten, ergebe sich die Befürchtung, daß die deutschen Ermittlungsbehörden
gegen den Beschwerdeführer instrumentalisiert würden.
Ausweislich eines Schreibens des ukrainischen Oberermittlers M. vom 10. Oktober 2002
werde dem Beschwerdeführer – ebenso wie den vermeintlichen Mittätern – inzwischen
keine Urkundenfälschung, kein Gebrauchmachen von gefälschten oder falschen
Urkunden und keine Steuerhinterziehung mehr vorgeworfen. Er werde ausschließlich nur
noch wegen Zollvergehens gemäß Art. 201 StGB/Ukraine (n. F.) verfolgt. Die
Übersetzung dieses Artikels in den Akten sei indessen unverständlich. Auch gebe es im
deutschen Recht keine Entsprechung eines solchen „Schmuggels nach ukrainischem
Recht“. Namentlich seien die §§ 369, 370, 371 Abgabenordnung mit dem genannten
Artikel des ukrainischen Strafgesetzbuchs nicht vergleichbar. Auch aus diesem Grunde
sei die Auslieferung unzulässig.
Durch Beschluß vom 18. November 2002 wies das Kammergericht die Anträge des
Beschwerdeführers auf Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls zurück. Zugleich stellte
es die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung bis zum Eingang einer
Stellungnahme der ukrainischen Behörden darüber, ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang die gegen die mutmaßlichen Mittäter des Beschwerdeführers erfolgten
Teilfreisprüche Auswirkungen auf das gegen den Beschwerdeführer geführte
Strafverfahren haben, zurück. Das Kammergericht bezog sich zur Begründung auf seine
vorangegangenen Beschlüsse, insbesondere vom 19. August und 20. September 2002.
Im Auslieferungsverkehr sei nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen eine
Prüfung des Tatverdachts grundsätzlich ausgeschlossen. Besondere Umstände im Sinne
von § 10 Abs. 2 IRG seien nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, daß der ersuchende
Staat seinen Anspruch auf Auslieferung mißbräuchlich geltend machen könnte, lägen
nicht vor. Der Beschwerdeführer sei nicht nur von den von ihm benannten Zeugen
belastet worden, sondern auch durch andere Zeugen und durch Urkunden. Der
Beschwerdeführer sei auch nicht lediglich als Zeuge gegen andere Personen vorgeladen
worden, sondern bereits am 22. Juni 2002, nach der Abtrennung seines Verfahrens,
hätten die ukrainischen Behörden klargestellt, daß er als Angeklagter belangt werde.
Das Gericht könne auch keine sinnentstellenden Übersetzungsfehler hinsichtlich des
Wortlauts des Art. 201 des StGB n. F. der Ukraine erkennen. Solche seien auch im
einzelnen nicht vorgetragen.
Da sich aus der undatierten Auskunft des Oberuntersuchungsrichters der
Untersuchungsabteilung der Verwaltung des Sicherheitsdienstes der Ukraine im Gebiet
von Dnepropetrowsk ergebe, daß die mutmaßlichen Mittäter des Beschwerdeführers von
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von Dnepropetrowsk ergebe, daß die mutmaßlichen Mittäter des Beschwerdeführers von
dem Vorwurf der willentlichen Steuer- und Zahlungshinterziehung bzw. der Fälschung
von Urkunden, Dokumenten, Siegeln und Stempeln bzw. deren Vertrieb und Benutzung
freigesprochen worden seien und die Mitteilung vom 10. Oktober 2002 hinsichtlich des
Beschwerdeführers auch die Bemerkung enthalte, daß dieser „zurzeit auch nach Art.
201, Teil 1 StGB n. F. der Ukraine beschuldigt“ werde, sei es erforderlich aufzuklären, ob
und gegebenenfalls im welchem Umfang die Teilfreisprüche der mutmaßlichen Mittäter
Auswirkungen auf das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer hätten und ob sich
die Strafverfolgung, wie vom Beschwerdeführer behauptet, „nur noch“ auf den
Tatbestand des Art. 201 StGB n. F. Ukraine erstrecke sowie ob die gegen den
Beschwerdeführer erlassene Vorbeugungsmaßnahme der Inhaftierung vom 9. August
2001 noch (unverändert) Bestand habe.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2002 ließ der Beschwerdeführer zu seiner Entlastung
12 Bestätigungen russischer Behörden vorlegen, wonach Lieferungen aus der Ukraine in
die Russische Föderation eingeführt wurden. Diese dokumentierten, daß der zugrunde
liegende Haftbefehl offensichtlich von unzutreffenden Sachverhalten ausgehe. Daraus
ergebe sich, daß das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts von deutscher Seite zu
überprüfen sei.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2002 teilte der Oberuntersuchungsführer der
Verwaltung des Sicherheitsdienstes der Ukraine im Gebiet Dnepropetrowsk, Justizmajor
M., mit, daß die Freisprechung der vermeintlichen Mittäter für den Beschwerdeführer
„Bedeutung“ habe. Seine Tat werde gegenwärtig nur nach Art. 201 des
Kriminalgesetzbuches der Ukraine (Zollvergehen) verfolgt. Die dem
Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Urkunden hätten insoweit wegen der
Abwesenheit des Beschwerdeführers aus der Ukraine noch nicht angepaßt werden
können.
Durch Beschluß vom 16. Januar 2003 erklärte das Kammergericht die Auslieferung des
Beschwerdeführers an die Ukraine zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der im
Haftbefehl vom 9. August 2001 bezeichneten Handlungen für zulässig. Da die in dem
Haftbefehl dargestellten Taten sämtlich, d. h. auch hinsichtlich der Zollstraftaten,
auslieferungsfähige Straftaten seien, sei die Auslieferung des Beschwerdeführers
zulässig. Aufgrund der Mitteilung des Oberuntersuchungsführers von Ende Dezember
2002 stehe nunmehr fest, daß sich das Strafverfahren gegen den Verfolgten nach wie
vor auf sämtliche in dem Haftbefehl vom 9. August 2001 dargestellten Taten erstrecke
und eine Änderung der rechtlichen Bewertung dieser Taten auch nach dem Teilfreispruch
gegen mutmaßliche Mittäter des Beschwerdeführers nicht eingetreten sei.
Soweit der Beschwerdeführer einwende, aus den von ihm vorgelegten Urkunden ergebe
sich, daß die aufgeführten Lieferungen tatsächlich doch durch die Ukraine in die
Russische Föderation durchgeliefert worden seien, richte sich dieses Vorbringen gegen
die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts, welcher im Auslieferungsverkehr nach
dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen aber grundsätzlich nicht zu überprüfen
sei. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergäben sich gerade keine besonderen
Umstände im Sinne des § 10 Abs. 2 IRG. Im übrigen nahm das Kammergericht auf seine
Entscheidungsgründe in den vorausgegangenen Beschlüssen Bezug.
In einem weiteren Schreiben wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß es an
hinreichendem Tatverdacht gegen ihn auch deswegen fehle, weil er einen eineiigen
Zwillingsbruder namens I. habe und daher den Zeugenaussagen kein wesentliches
Gewicht beigemessen werden könne. Außerdem seien alle Unterlagen auf den Namen
eines der Mittäter, nämlich auf den Namen S., ausgestellt. Diese Umstände seien nach
§ 10 Abs. 2 IRG zu würdigen.
Mit seinen am 3. Januar und 3. Februar 2003 eingegangenen Verfassungsbeschwerden
wendet sich der Beschwerdeführer gegen die vorgenannten Beschlüsse des
Kammergerichts vom 18. November 2002 und vom 16. Januar 2003. Er sieht durch diese
sein Verfassungsrecht auf Freiheit der Person verletzt. In dieses Recht dürfe gemäß Art.
8 Abs. 1 Satz 3 VvB von Verfassungs wegen nur unter strenger Beachtung der
einschlägigen Gesetze und der darin vorgeschriebenen Formen, hier also des Gesetzes
über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen und des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens, eingegriffen werden. Das habe das Kammergericht mit
seinen Beschlüssen nicht beachtet. Die Voraussetzungen für die Anordnung von
Auslieferungshaft und für die Zulässigkeitserklärung der Auslieferung seien nicht
gegeben. Die Ukraine als ersuchender Staat habe innerhalb der vorgeschriebenen
Maximalfristen (Art. 16 Abs. 4 Satz 1 EAÜ bzw. § 16 Abs. 1 und 2 IRG) keine aus sich
heraus verständlichen Unterlagen in ausreichender Form vorgelegt, die eine
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heraus verständlichen Unterlagen in ausreichender Form vorgelegt, die eine
umfassende Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung erlaubt hätten.
Bereits den ersten mit dem Auslieferungsersuchen vorgelegten Unterlagen des
ersuchenden Staates sei zu entnehmen, daß die vermeintlichen Mittäter des
Beschwerdeführers hinsichtlich eines Teils der Tatvorwürfe freigesprochen worden seien.
Das hätten spätere Schreiben des Oberuntersuchungsrichters M. bestätigt. Er habe
auch auf die Anfrage des Kammergerichts ausdrücklich erklärt, daß diese Freisprüche
natürlich für das Verfahren gegen den Beschwerdeführer Bedeutung hätten.
Trotz dieses Eingeständnisses habe der ersuchende Staat den ursprünglichen Haftbefehl
vom 9. August 2001, der die Grundlage des Auslieferungsersuchens darstelle, nicht
aktualisiert, sondern bestehen gelassen. Die Ukraine habe damit ihrem Ersuchen
überholte und widersprüchliche Unterlagen zugrundegelegt. Damit fehle es aber an den
gesetzlichen Voraussetzungen für eine Auslieferungshaft. Wenn die
Auslieferungsunterlagen unzulänglich seien, stehe es dem Kammergericht nicht frei,
diese gleichwohl ausreichen zu lassen oder Nachbesserungsmöglichkeiten einzuräumen.
Es habe den Auslieferungshaftbefehl nach Ablauf der Maximalfristen vielmehr
aufzuheben. Die Einhaltung des Fristerfordernisses sei zwingende Folge der
Gewährleistung des Freiheitsgrundrechts. Indem das Kammergericht diese verletzte,
habe es eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von Bedeutung, Umfang und
Schranken dieses Grundrechts erkennen lassen.
II.
Die fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerden sind zulässig, jedoch unbegründet.
Art. 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 VvB wird durch die angefochtenen Entscheidungen nicht
verletzt. Zwar darf in die Freiheit einer Person schon von Verfassungs wegen nur
aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Die Anordnung bzw. Verlängerung der
Auslieferungshaft wie auch die Auslieferung selbst sind nur verfassungsgemäß, wenn
namentlich die dafür im IRG und dem diesem nach § 1 Abs. 3 IRG vorgehenden
Europäischen Auslieferungsübereinkommen enthaltenen Voraussetzungen erfüllt
werden. Das ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers der Fall.
Nachdem das Kammergericht am 19. August 2002 gegen den Beschwerdeführer die
vorläufige Auslieferungshaft angeordnet hatte, lagen ihm die Auslieferungsunterlagen
der Generalstaatsanwaltschaft Kiew spätestens bei seiner weiteren Beschlußfassung
vom 20. September 2002, mit der die vorläufige Auslieferungshaft in Auslieferungshaft
umgewandelt wurde, vor. Damit war die 40-tägige Maximalfrist, die Art. 16 Abs. 4 Satz 1
EAÜ für die Dauer der vorläufigen Auslieferungshaft vorschreibt, eingehalten. Gleiches
gilt für die Zweimonatsfrist des § 16 Abs. 2 Satz 1 IRG. Denn seit der Inhaftierung des
Beschwerdeführers am 7. August 2002 war diese Frist weder bei Eingang der
Auslieferungsunterlagen beim Bundesminister der Justiz am 12. September 2002 noch
bei ihrem Vorliegen beim Kammergericht am 20. September 2002 schon abgelaufen.
Etwas anderes gilt auch nicht deswegen, weil das Kammergericht – nach Anordnung der
nicht nur vorläufigen Auslieferungshaft – um ergänzende Informationen nachsuchte,
denn diese Möglichkeit ist dem Gericht sowohl nach dem IRG (§ 30 Abs. 1) als auch dem
EAÜ (Art. 13) gerade eröffnet.
Die dem Gericht bei seiner Entscheidung vorliegenden Auslieferungsunterlagen waren im
Gegensatz zu der Annahme des Beschwerdeführers auch nicht untauglich. Ohnehin
steht es grundsätzlich im Ermessen des Kammergerichts, welche Unterlagen es im
Einzelfalle als ausreichend ansieht (BGHSt 28, 31 <43>). Vorliegend waren jedenfalls die
Mindestanforderungen des § 10 Abs. 1 IRG, Art. 12 Abs. 2 EAÜ erfüllt, denn die
Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine hatte sowohl den Haftbefehl, eine Schilderung
des vermeintlichen Tathergangs sowie eine Abschrift der anwendbaren
Gesetzesbestimmungen vorgelegt.
Zwar hat der ersuchende Staat auf Anfrage eingeräumt, daß der Beschwerdeführer
schließlich nur noch wegen Zollvergehens, nicht indessen mehr wegen der übrigen ihm
im Haftbefehl vom 9. August 2001 vorgeworfenen Gesetzesverstöße belangt wird. Das
allein macht die Auslieferungsunterlagen indessen weder widersprüchlich noch sonst
unzureichend. Denn die dem Beschwerdeführer unverändert zur Last gelegten
Zollstraftaten sind auch für sich allein genommen auslieferungsfähige Straftaten. Sie
sind sowohl nach deutschem Recht (§§ 369, 370, 373 AO) als auch nach ukrainischem
Strafrecht (Art. 201 StGB n. F./Ukraine) mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von
mindestens einem Jahr bedroht (Art. 2 Abs. 1 EAÜ). Unter diesen Umständen kann
dahinstehen, ob die Zurückstellung der Entscheidung über die Zulässigkeit der
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dahinstehen, ob die Zurückstellung der Entscheidung über die Zulässigkeit der
Auslieferung im Beschluß des Kammergerichts vom 18. November 2002 erforderlich war
und ob das Gericht die Auskunft der ukrainischen Seite vom 20. Dezember 2002
möglicherweise mißverstanden hat, als es bei seinem Beschluß vom 16. Januar 2003
davon ausging, dem Beschwerdeführer würden weiterhin auch Steuerhinterziehung und
Urkundenfälschung bzw. Gebrauchmachen falscher oder gefälschter Urkunden zur Last
gelegt. Da der Vorwurf der Zollstraftaten unverändert aufrechterhalten blieb, war der
Beschluß vom 16. Januar 2003 gesetzeskonform und die damit verbundene
Freiheitsbeschränkung verfassungsgemäß.
Soweit der Beschwerdeführer Einwände gegen die Annahme eines dringenden
Tatverdachts erhebt, verkennt er, daß dieser im Auslieferungsverfahren grundsätzlich
nicht zu prüfen ist (BGHSt 32, 314 <319>). Besondere Umstände im Sinne von § 10
Abs. 2 IRG lägen nur vor, wenn der ersuchende Staat seinen Anspruch auf Auslieferung
mißbräuchlich geltend machen würde oder der Beschwerdeführer nach seiner
Auslieferung einem Verfahren ausgesetzt sein könnte, das gegen allgemein anerkannte
rechtstaatliche Mindeststandards verstieße. Solche Umstände sind hier weder ersichtlich
noch behauptet worden.
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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