Urteil des VerfGH Berlin vom 22.12.2003

VerfGH Berlin: miteigentümer, anspruch auf rechtliches gehör, meinungsfreiheit, üble nachrede, verfassungsbeschwerde, grundrecht, beschwerdeschrift, vollmacht, strafverfahren, verleumdung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
37/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 14 Abs 1 Verf BE, § 186
StGB, § 20 Abs 4 VGHG BE, §
20 Abs 1 VGHG BE, § 21 Abs 1
S 1 VGHG BE
Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Annahme einer
verdeckten Aussage bei Verurteilung wegen übler Nachrede
Tenor
Der Beschwerdeführer zu 1. wird gemäß § 20 Abs. 4 VerfGHG nicht als Beistand des
Beschwerdeführers zu 2. zugelassen.
Die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 22. Dezember 2003 und 13. Juni 2003 - 570
- 93/03 - und das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 7. April 2003 - 248 Ds 30/02 -
verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 14 Abs.
1 der Verfassung von Berlin). Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird
an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Das Land Berlin hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer erwarben zusammen mit weiteren Familien ein Grundstück in
Berlin-Weißensee, auf dem sie zusammen mit den Miteigentümern im Wege einer
organisierten Gruppenselbsthilfe eine Reihenhaussiedlung errichteten. Das Bauvorhaben
wurde von einer GmbH organisiert, deren Geschäftsführer die Beschwerdeführer sind.
Zum Jahreswechsel 1999/2000 erfolgte die Übergabe der Wohnhäuser an die
Eigentümer. Während der gesamten Bauzeit hatten die Miteigentümer Baukostenraten
an die Organisatorin des Bauvorhabens zu zahlen. Die Zahlung der letzten Rate wurde
von nahezu sämtlichen Miteigentümern unter Hinweis auf Baumängel, insbesondere im
gemeinsamen Heizungskeller der Wohnanlage, verweigert.
Unter dem Datum des 17. März 2000 verfassten die Beschwerdeführer folgendes
Schreiben, das sie an sämtliche Miteigentümer übersandten:
„An alle Miteigentümer der Wohnanlage (...)
Information über bösartige Manipulationen im Heizungskeller
Sehr geehrte Miteigentümer/innen,
wir sehen uns leider veranlasst, Sie über folgende Vorkommnisse zu informieren:
1. Am Sonntag, den 23.01.00 um 21.23 Uhr schickte uns Herr (...) R(...) ein Fax, dass er
eine „Notreparatur“ innerhalb eines Heizungskessels ausgeführt hat, weil angeblich das
Kabel des Temperaturaußenfühlers abgerissen war.
Der von uns bestellte Monteur der Heizkesselfirma (...) und der Heizungsinstallateur (...)
haben den Schaden begutachtet und fanden nur eine Erklärung dafür: Jemand hatte den
Heizkesseldeckel abgenommen und dieses Kabel mutwillig getrennt. Bekanntlich lief die
Heizung schon 1 Jahr fast störungsfrei.
Nach der Reparatur haben wir beide Kesseldeckel fest verschrauben lassen und
versiegelt. Dagegen hat Herr R(...) u. a. mit der Begründung protestiert, er wolle die
Reparatur „begutachten“.
Außerdem haben wir Herrn R(...) u. a. schriftlich darauf hingewiesen, dass er keine
Arbeiten usw. an Gemeinschaftseigentum ausführen darf, wenn kein gültiger Beschluss
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Arbeiten usw. an Gemeinschaftseigentum ausführen darf, wenn kein gültiger Beschluss
der Eigentümergemeinschaft dafür erfolgt ist.
2. Am Donnerstag, den 16.03.00, ca. 9 Uhr wurde festgestellt, dass offenbar ein
Fachmann die im Heizungskeller befindliche Steckdose für die Wassertauchpumpe so
raffiniert manipuliert hatte (es wurde der blaue Draht in der Steckdose aus der
Klemmung herausgezogen und oberhalb eingeklemmt), dass die Tauchpumpe nicht lief.
Dadurch sollte offensichtlich eine Überschwemmung des Kellers herbeigeführt werden,
weil nach den sehr starken kürzlichen Regenfällen immer noch viel Wasser in die
Rohrgrube strömt.
Wir haben die festgestellte Manipulation mehrfach fotografiert.
3. Am gleichen Tag, Donnerstag, den 16.03.00 überraschte (der Beschwerdeführer zu 2.)
die Herren R(...) und W(...) kurz nach 20 Uhr im Heizungskeller, die dort eigentlich nichts
zu suchen hatten.
Sie fühlten sich ertappt, als sie vor der ohne Grund geöffneten elektrischen
Unterverteilung für den Heizungskeller und die Außenbeleuchtung und der Steuerung
der Klingelanlage standen.
Auch dies haben wir übrigens fotografiert.
Danach sagte Herr R(...) u. a. zu (dem Beschwerdeführer zu 2.), dass er weiter dafür
sorgen wird, dass wir an dieser Wohnanlage keine Freude mehr und hier noch viele
Kosten haben werden.
Da irrt Herr R(...) aber, denn mutwillige Schäden müssen von allen Miteigentümern
getragen werden, wenn der Verursacher nicht überführt werden kann.
Auch wenn die bisherigen mutwilligen Schäden glücklicherweise nicht hoch sind,
möchten wir alle Miteigentümer dringend bitten, darauf hinzuwirken, dass die kriminelle
„Mängel-Schaffung“ ab sofort verhindert wird.
Mit freundlichen Grüßen“.
Ende März 2000 erstattete der Miteigentümer R. unter Hinweis auf das Schreiben vom
17. März 2000 Strafanzeige gegen die Beschwerdeführer wegen Verleumdung. Dabei
gab er ferner an, die Beschwerdeführer hätten gegenüber dem Zeugen L. behauptet, er
habe noch weitere Manipulationen vorgenommen. Im April 2000 stellte R. einen
entsprechenden Strafantrag.
Im Januar 2002 erhob die Staatsanwaltschaft Berlin Anklage gegen die Beschwerdeführer
(u. a.) wegen Verleumdung. Die Beschwerdeführer hätten in dem Schreiben vom 17.
März 2000 unzutreffende Behauptungen aufgestellt, um auf diese Weise den
Miteigentümer R. für Mängel in der Wohnanlage verantwortlich zu machen.
In der vor dem Amtsgericht Tiergarten durchgeführten Hauptverhandlung wurden die
Beschwerdeführer durch das Gericht darauf hingewiesen, dass auch eine Bestrafung
wegen übler Nachrede erfolgen könne.
Am 7. April 2003 verurteilte das Amtsgericht die Beschwerdeführer wegen
gemeinschaftlicher übler Nachrede zu einer Geldstrafe von jeweils 15 Tagessätzen zu je
100 EUR. Sie hätten durch das Schreiben vom 17. März 2000 die ehrenrührige
Behauptung aufgestellt, der Miteigentümer R. sei für die mutwillige Herbeiführung von
Schäden im Heizungskeller der Wohnungseigentumsanlage verantwortlich. Diese
Behauptung ergebe sich zweifelsfrei aus der Auslegung des Schreibens. Insbesondere
die Tatsache, dass dieses Schreiben an sämtliche Miteigentümer gesandt worden und
diesen auch nach der Einlassung der Beschwerdeführer bekannt gewesen sei, dass
zwischen dem Miteigentümer R. und den Beschwerdeführern erheblicher Streit
bestanden habe, lasse nur die genannte Schlussfolgerung zu. Dies belege auch die
Aussage des Zeugen L. Dieser habe bekundet, in der Wohnanlage die Klingelanlage
installiert zu haben. Dabei hätten ihm die Beschwerdeführer erklärt, dass es durch den
Miteigentümer R. zu Manipulationen gekommen sei.
Den Beschwerdeführern sei es schon nach ihrer eigenen Einlassung nicht gelungen, für
die in Frage stehende Tatsachenbehauptung den Wahrheitsbeweis zu erbringen. Sie
hätten übereinstimmend erklärt, sie seien der Überzeugung, dass die zu Ziffer 1 und 2
des Schreibens genannten Vorfälle auf Manipulationen zurückzuführen seien. Auch seien
sie der Meinung, dass der Miteigentümer R. hierfür verantwortlich sei. Da sie dies jedoch
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sie der Meinung, dass der Miteigentümer R. hierfür verantwortlich sei. Da sie dies jedoch
nicht beweisen könnten, hätten sie eine solche Behauptung nie aufgestellt und würden
dies bis zum Vorliegen entsprechender Beweise auch nicht tun.
Weiter führte das Amtsgericht aus, es läge keine Wahrnehmung berechtigter Interessen
vor. Die in Frage stehende Tatsachenbehauptung greife erheblich in das
Persönlichkeitsrecht des Miteigentümers R. ein. Eine solche ehrverletzende
Tatsachenbehauptung sei im Hinblick auf den angestrebten Zweck unverhältnismäßig.
Dies gelte um so mehr, als offensichtlich ein Streit zwischen den Beschwerdeführern
nicht mit dem Miteigentümer R., sondern auch mit den übrigen Miteigentümern wegen
einer Vielzahl von Baumängeln bestanden habe.
Mit Schreiben vom 12. bzw. 13. April 2003 fochten die Beschwerdeführer das Urteil an,
wobei sie angaben, sie teilten nach Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung mit, ob sie
Berufung oder Revision einlegten.
Die schriftliche Ausfertigung des Urteils wurde den Beschwerdeführern jeweils am 15. Mai
2003 zugestellt.
Mit Beschluss vom 13. Juni 2003 verwarf das Landgericht Berlin die Berufung der
Beschwerdeführer. Zur Begründung führte das Gericht an, unter Berücksichtigung des
gesamten Akteninhalts überzeugten die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen
des Urteils.
Am Montag, dem 16. Juni 2003, teilten die Beschwerdeführer dem Landgericht mit, dass
sie gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung einlegten.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2003 beantragten die Beschwerdeführer, wegen der
Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör das Verfahren gemäß § 33a StPO
durchzuführen.
Mit Beschluss vom 22. Dezember 2003 verwarf das Landgericht den Antrag der
Beschwerdeführer vom 18. Juli 2003 als unbegründet. Zur Begründung führte das
Gericht an, die Berufung sei aus objektiver und unvoreingenommener Sicht offensichtlich
unbegründet, und daher komme nicht in Betracht, sie anzunehmen. Das Gericht habe
sich - völlig unabhängig vom Zeitaufwand und der Arbeitsbelastung - noch einmal mit
allen Argumenten der Beschwerdeführer befasst. Ihre Ausführungen zeigten jedoch
weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Mängel des amtsgerichtlichen Urteils
auf. Der Beschluss wurde nach dem 4. Januar 2004 zur Post gegeben.
Am Montag, dem 8. März 2004, ist eine vom 6. März 2004 datierende Beschwerdeschrift
bei dem Verfassungsgerichtshof eingegangen, die in ihrem Kopf die Namen beider
Beschwerdeführer sowie die Anschrift des Beschwerdeführers zu 1. aufführt und die
sowohl im Einleitungssatz, der „...erheben wir Verfassungsbeschwerde“ lautet, als auch
in den weiteren Ausführungen durchgängig in der ersten Person Plural abgefasst ist. Die
Beschwerdeschrift ist von dem Beschwerdeführer zu 1. handschriftlich unterzeichnet.
Neben dessen Unterschrift steht in Druckbuchstaben - versehen mit dem Zusatz
„Vollmacht anbei“ - „gez. M. H.“. Dem Schreiben lag eine von dem Beschwerdeführer zu
2. handschriftlich unterzeichnete, mit dem Datum vom 7. März 2004 versehene
Vollmacht bei, in der der Beschwerdeführer zu 2. den Beschwerdeführer zu 1. „für die
Verfassungsbeschwerde zum Strafverfahren Az. - 579 - 93/03 - Landgericht Berlin, AG -
248 Ds 30/02 - (bevollmächtigt)“.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 15
Abs. 1 und 4 Satz 1 der Verfassung von Berlin - VvB -.
Ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit sei durch die Gerichtsentscheidungen verletzt, da sie
nur dafür verurteilt worden seien, dass sie die übrigen Miteigentümer der Anlage über
Manipulationen und Sachbeschädigungen im gemeinschaftlichen Heizungskeller
informiert hätten. Die in Frage stehende Behauptung hätten sie nie geäußert oder
verbreitet. Sie hätten nicht die Absicht gehabt, andere Personen in ihrer Ehre zu
verletzen und deswegen noch nicht einmal den Verdacht gegen eine Person geäußert.
Ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil das Amtsgericht sie überraschend
wegen einer Behauptung verurteilt habe, die sie nie geäußert hätten. Der Amtsrichter
habe eine üble Nachrede willkürlich angenommen. Er habe es außerdem pflichtwidrig
unterlassen, sie vor dem Urteil von diesem Tatvorwurf in Kenntnis zu setzen. Das
Landgericht habe alle wesentlichen Punkte ihres Berufungsvorbringens nicht zur
Kenntnis genommen und nicht gewürdigt.
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Das Landgericht habe zudem ihren Anspruch auf den Rechtsweg verletzt, weil es eine
Überprüfung und die auf Grund der Sach- und Rechtslage notwendige Abänderung des
rechtswidrigen Urteils habe verhindern wollen.
Die Beteiligten zu 1. und 2. haben gemäß § 53 Abs. 1 VerfGHG Gelegenheit zur
Stellungnahme erhalten.
II.
1. Der Beschwerdeführer zu 1. kann nicht als Beistand des Beschwerdeführers zu 2.
zugelassen werden. Gemäß § 20 Abs. 1 VerfGHG kann sich ein Beschwerdeführer
regelmäßig nur durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt
oder durch einen Lehrer des Rechts an einer deutschen Universität vertreten lassen. Der
von dem Beschwerdeführer zu 2. bevollmächtigte Beschwerdeführer zu 1. ist jedoch
weder zugelassener Rechtsanwalt noch Lehrer des Rechts.
Der Verfassungsgerichtshof kann gemäß § 20 Abs. 4 VerfGHG auch eine andere Person
als Beistand zulassen. Im Rahmen des insoweit dem Verfassungsgerichtshof eröffneten
Ermessens ist zu berücksichtigen, ob eine sachliche Förderung des Verfahrens und eine
Konzentration auf die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu erwarten ist und
ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Abweichung vom Grundsatz des § 20
Abs. 1 VerfGHG erforderlich machen (Beschluss vom 14. März 2006 - VerfGH 172/05 -;
st. Rspr.). Derartige Gründe sind vorliegend jedoch weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Dies gilt auch hinsichtlich des
Beschwerdeführers zu 2. Dessen Verfassungsbeschwerde wird dem
Schriftformerfordernis des - mit § 23 Abs.1 Satz 1 BVerfGG inhaltsgleichen - § 21 Abs. 1
Satz 1 VerfGHG gerecht. Nach dieser Vorschrift sind Anträge, die das Verfahren
einleiten, schriftlich beim Verfassungsgerichtshof einzureichen. Die hier geforderte
Schriftlichkeit verlangt nur, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die
abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig
entnommen werden können. Nicht unbedingt notwendig ist die handschriftliche
Unterzeichnung; der Urheber der Erklärung kann auch auf andere Weise angegeben
werden (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 15, 288 (291); Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/
Bethge, BVerfGG, Stand: Januar 2005, § 23 Rn. 1; Puttler, in: Umbach/Clemens/ Dollinger
(Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 23 Rn. 5).
Deshalb kommt es hier letztlich nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer zu 2. die
Beschwerdeschrift vom 6. März 2004 eigenhändig unterschrieben hat, wovon allerdings
angesichts des in Druckbuchstaben geschriebenen Zusatzes „gez. M. H.“ nicht
ausgegangen werden kann. Denn jedenfalls ist der Beschwerdeführer zu 2. im Briefkopf
des Schreibens aufgeführt, ist die Beschwerdeschrift durchgängig in der ersten Person
Plural abgefasst und ist ihr eine erst nach ihrer Erstellung verfasste, von dem
Beschwerdeführer zu 2. eigenhändig unterzeichnete Vollmacht beigefügt, die
ausdrücklich auf „die Verfassungsbeschwerde zum Strafverfahren...“ Bezug nimmt.
Diese Umstände bieten in der Gesamtschau hinreichende Gewähr dafür, dass die
Beschwerdeschrift vom 6. März 2004 nicht nur von dem Beschwerdeführer zu 1.,
sondern auch von dem Beschwerdeführer zu 2. herrührt und auch von dessen Willen
getragen wird.
3. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Das Urteil des
Amtsgerichts ist unter Verletzung von Art. 14 Abs. 1 VvB zustande gekommen; deshalb
sind auch die die Berufung der Beschwerdeführer gegen das Urteil verwerfenden
Beschlüsse des Landgerichts mit Art. 14 Abs. 1 VvB nicht vereinbar.
a) Nach Art. 14 Abs. 1 VvB hat jedermann das Recht, innerhalb der Gesetze seine
Meinung frei und öffentlich zu äußern, solange er die durch die Verfassung
gewährleistete Freiheit nicht bedroht oder verletzt.
Art. 14 Abs. 1 VvB garantiert die Meinungsäußerungsfreiheit zwar - anders als Art. 5 Abs.
1 und 2 GG - nur "innerhalb der Gesetze", das Grundrecht ist mithin in stärkerem Maße
eingeschränkt als nach Bundesrecht (Beschluss vom 8. September 1993 - VerfGH 53/93
- LVerfGE 1, 145 (148)). Eine derartige schrankendivergente Parallelverbürgung von
Grundrechten auf Bundes- und Landesebene steht jedoch, da das stärker
eingeschränkte Landesgrundrecht im Sinne einer (zusätzlichen) Mindestgarantie auf der
Ebene der Landesverfassung zu verstehen ist, der Annahme einer Übereinstimmung mit
dem entsprechenden Bundesgrundrecht und damit der Anwendung durch den
Verfassungsgerichtshof nicht entgegen (Beschluss vom 20. Dezember 1999 - VerfGH 56
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Verfassungsgerichtshof nicht entgegen (Beschluss vom 20. Dezember 1999 - VerfGH 56
A/99, 56/99 - LVerfGE 10, 129 (134), m. w. N.).
Gegenstand des grundrechtlichen Schutzes aus Art. 14 Abs. 1 VvB sind Meinungen. Der
Begriff der Meinung in Art. 14 Abs. 1 VvB ist - in Übereinstimmung mit der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 1 GG - grundsätzlich weit
zu verstehen (Beschluss vom 20. Dezember 1999, a. a. O.). Meinungen sind durch die
subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt (vgl. BVerfGE 33,
1 (14); 90, 241 (247)). Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens
kennzeichnend (vgl. BVerfGE 7, 198 (210); 61, 1 (8); 90, 241 (247)). Insofern lassen sie
sich auch nicht als wahr oder unwahr erweisen. Sie genießen den Schutz des
Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos,
emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos
eingeschätzt wird (vgl. BVerfGE 33, 1 (14 f.); 90, 241 (247)). Der Schutz des Grundrechts
erstreckt sich auch auf die Form der Aussage. Eine Meinungsäußerung verliert den
grundrechtlichen Schutz nicht dadurch, dass sie scharf oder verletzend formuliert ist
(vgl. BVerfGE 54, 129 (136 ff.); 61, 1 (7); 90, 241 (247)). In dieser Hinsicht kann die Frage
nur sein, ob und inwieweit sich nach Maßgabe von Art. 14 Abs. 1 VvB Grenzen der
Meinungsfreiheit ergeben.
Tatsachenbehauptungen sind dagegen im strengen Sinn keine Meinungsäußerungen. Im
Unterschied zu diesen steht bei ihnen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung
und der Realität im Vordergrund. Insofern sind sie auch einer Überprüfung auf ihren
Wahrheitsgehalt zugänglich. Tatsachenbehauptungen fallen deswegen aber nicht von
vornherein aus dem Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 VvB heraus. Da sich Meinungen in
der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen
Stellung beziehen, sind sie durch das Grundrecht jedenfalls insoweit geschützt, als sie
Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, welche Art. 14 Abs. 1 VvB in seiner
Gesamtheit gewährleistet (vgl. BVerfGE 61, 1 (8); 90, 241 (247)).
Infolgedessen endet der Schutz von Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der
verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter
diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein schützenswertes Gut. Die bewusst
oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung wird daher nicht vom Schutz der
Meinungsfreiheit umfasst (vgl. BVerfGE 54, 208 (219); 61, 1 (8); 90, 241 (247)).
Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden,
dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet und auch zulässige Äußerungen
aus Furcht vor Sanktionen unterlassen werden (vgl. BVerfGE 54, 208 (219 f.); 61, 1 (8);
85, 1 (22); 90, 241 (248)).
Die Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen kann schwierig
sein, weil beide häufig miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn
einer Äußerung ausmachen. In diesem Fall ist eine Trennung der tatsächlichen und der
wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht
verfälscht wird. Wo das nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines
wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen und in
den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden, weil andernfalls eine
wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 61, 1 (9); 85, 1
(15 f.); 90, 241 (248))
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt nicht vorbehaltlos. Es findet in Art. 14 Abs. 1
VvB unter anderem eine Schranke in den Gesetzen, zu denen auch die ehrschützenden
Bestimmungen der §§ 185 ff. StGB gehören.
Dabei sind auch im Strafverfahren die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes
sowie die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts grundsätzlich Sache der
Fachgerichte. Der Verfassungsgerichtshof hat im Rahmen der Verfassungsbeschwerde
nur zu prüfen, ob gegen Grundrechte des Beschwerdeführers verstoßen wurde. Ein
Verstoß gegen Verfassungsrecht, den der Verfassungsgerichtshof zu korrigieren hat,
liegt erst vor, wenn eine gerichtliche Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die
auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von Bedeutung und Tragweite eines
Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (BVerfGE 18,
85 (93); 42, 143 (149)).
Handelt es sich um Eingriffe in die Meinungsfreiheit, kann das allerdings schon bei
unzutreffender Erfassung oder Würdigung einer Äußerung der Fall sein. Der Einfluss der
Grundrechte wird verkannt, wenn die Gerichte ihrer Beurteilung eine Äußerung zugrunde
legen, die so nicht gefallen ist, wenn sie dieser einen Sinn geben, den sie nach dem
festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat, oder wenn sie sich unter mehreren objektiv
möglichen Deutungen für die zur Verurteilung führende entscheiden, ohne die anderen
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möglichen Deutungen für die zur Verurteilung führende entscheiden, ohne die anderen
unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen (vgl. BVerfGE 43, 130 (136 f.); 82,
43 (50 f.); 82, 272 (280 f.); BVerfG, NJW 1993, 1845; 1994 2943). Bedeutung und
Tragweite der Meinungsfreiheit werden ferner verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung
unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik einstufen
mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt
wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter
anzusehen sind (vgl. BVerfGE 60, 234 (242); 61, 1 (10); 82, 43 (51); 82, 272 (281);
BVerfG, NJW 1993, 1845; 1994 2943).
Wird einem Beschwerdeführer beispielsweise mit der Feststellung einer "versteckten"
Tatsachenbehauptung eine Äußerung in den Mund gelegt, die er nicht getan hat, und ist
er gleichwohl bestraft worden, so wäre dies ein Eingriff von hoher Intensität, der den Kern
der grundrechtlich geschützten Persönlichkeitssphäre treffen muss. Über die
Beeinträchtigung der individuellen Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers hinaus
würden die negativen Wirkungen auf die generelle Ausübung des Grundrechts der
Meinungsfreiheit von erheblicher Tragweite sein. Denn ein solches Vorgehen staatlicher
Gewalt würde, nicht zuletzt wegen seiner einschüchternden Wirkung, freie Rede, freie
Information und freie Meinungsbildung empfindlich berühren und damit die
Meinungsfreiheit in ihrer Substanz treffen (BVerfGE 43, 130 (136)).
Sachverhaltsfeststellungen und Rechtsanwendungen des beschriebenen Inhalts könnten
den Zugang zu dem grundrechtlich geschützten Bereich von vornherein verstellen.
Daher müssen sie vom Verfassungsgerichtshof in vollem Umfang überprüfbar sein,
wenn der Schutz der Meinungsfreiheit nicht unzuträglich verkürzt werden soll (vgl.
BVerfGE 43, 130 (136 f.); 54, 208 (215); 82, 272 (281)).
Demgemäß hat der Verfassungsgerichtshof das tatsächliche Verständnis und die
rechtliche Bewertung der beanstandeten Äußerung hier vollständig zu überprüfen. Die
Verurteilung der Beschwerdeführer wegen übler Nachrede beruht darauf, dass ihnen das
Amtsgericht eine Aussage zugeschrieben hat, die so nicht ausdrücklich in dem
Schreiben vom 17. März 2000 enthalten, nach Auffassung des Gerichts in ihm aber
verdeckt erfolgt ist, sowie auf der Einordnung dieser verdeckten Äußerung als
Tatsachenbehauptung mit der Folge, dass zugleich Reichweite und Gewicht des
Grundrechtsschutzes präjudiziert worden sind.
b) Den vorgenannten Grundsätzen hält das Urteil des Amtsgerichts nicht stand. Das
Gericht hat die Beschwerdeführer verurteilt, ohne Deutungen des Schreibens vom 13.
März 2000 in Betracht zu ziehen und unter Angabe überzeugender Gründe
auszuschließen, die nicht zu einer Verurteilung wegen übler Nachrede geführt hätten.
aa) Das Amtsgericht ist ohne weiteres davon ausgegangen, das besagte Schreiben
enthalte die Tatsachenbehauptung, der Miteigentümer R. sei für die mutwillige
Herbeiführung von Schäden im Heizungskeller der Wohnungseigentumsanlage
verantwortlich. Es geht hierbei nicht um eine von den Beschwerdeführern im Schreiben
vom 17. März 2000 „offen“ aufgestellte Behauptung. Vielmehr handelt es sich um eine
nach Auffassung des Amtsgerichts „zwischen den Zeilen stehende“, „verdeckte“
Behauptung, die sich erst im Wege der Auslegung des Textes ergibt.
Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gebietet bei der Annahme einer verdeckten
Behauptung besondere Zurückhaltung. Ehrenschutz und Meinungsfreiheit stehen
grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander. Dies verbietet eine weite
Sinninterpretation, die auf die bloße Möglichkeit abhebt, dass Leser Zusammenhänge
für „verdeckte“ Behauptungen herstellen (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 43, 130 (136
ff.); BGHZ 78, 9 (14)). Auch darf bei der Auslegung eines Textes nicht schon aus dem
allgemeinen negativen Eindruck, der sich aus mehreren nachteiligen Einzelaussagen
ergibt, auf eine zusätzliche Aussage mit einem eigenständigen Tatsacheninhalt
geschlossen werden (BGHZ 78, 9 (15)). Vielmehr ist bei der Ermittlung „verdeckter“
Aussagen deutlich zwischen der Mitteilung einzelner Fakten zu unterscheiden, aus denen
der Leser eigene Schlüsse ziehen kann und soll, und der erst eigentlich „verdeckten“
Aussage des Autors, mit der dieser durch das Zusammenspiel der offenen Äußerungen
eine zusätzliche Sachaussage macht bzw. sie dem Leser als unabweisliche
Schlussfolgerung nahelegt. Nur im zweiten Fall kann die „verdeckte“ Aussage einer
„offenen“ Behauptung des Äußernden gleichgestellt werden. Denn der Betroffene kann
sich in aller Regel nicht dagegen wehren, dass der Leser aus den ihm „offen“
mitgeteilten Fakten eigene Schlüsse auf einen Sachverhalt zieht, für den die offenen
Aussagen Anhaltspunkte bieten, der von dem Äußernden so aber weder offen noch
verdeckt behauptet worden ist, etwa weil er sich so nicht zugetragen hat oder nicht
verifiziert werden kann. Auch insofern kann der Autor nämlich verlangen, an seinem Text
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verifiziert werden kann. Auch insofern kann der Autor nämlich verlangen, an seinem Text
gemessen zu werden. Andernfalls würden in vielen Fällen Information und
Kommunikation unmöglich gemacht. Deshalb bedarf es im Einzelfall genauer Prüfung,
ob der Äußernde mit den „offenen“ Fakten dem Leser Schlussfolgerungen aufzwingt, die
einen „verdeckten“ Sachverhalt ergeben (vgl. BGHZ 78, 9 (15 f.); BGH, AfP 1994, 295
(297); 299 (301); NJW 2000, 656 (657); OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. Mai 1988 - 15 U
183/ 87 -; vgl. auch BVerfGE 43, 130 (136 ff.); BVerfG, NJW 2004, 1942).
Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts gibt nicht zu erkennen, dass es diesen
Maßstab seiner Prüfung zugrunde gelegt hat. Es finden sich keine Erwägungen zu der
Frage, ob die offenen Aussagen der Beschwerdeführer auch als Mitteilung von Fakten
aufzufassen sein könnten, die den Lesern, d. h. den übrigen Miteigentümern, lediglich
einen Denkanstoß vermitteln sollten, ohne ihnen bereits eine fertige Schlussfolgerung -
und zwar der Beschwerdeführer - aufzuzwingen. Soweit das Amtsgericht für seine
Auffassung auf Umstände verweist, die außerhalb des Schreibens vom 17. März 2000
liegen, ist die Argumentation zudem teilweise mit dem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1
VvB nicht vereinbar und vermag die vorgenommene Auslegung schon deshalb nicht eine
für die Beschwerdeführer günstige Deutung ihres Schreibens in überzeugender Weise
auszuschließen. Zwar ist es verfassungsrechtlich im Grundsatz nicht zu beanstanden,
dass das Strafgericht die Auslegung des Schreibens vom 17. März 2000 auf Gründe
gestützt hat, die nicht allein dem Wortlaut zu entnehmen sind. Gründe dieser Art können
sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Äußerung gefallen ist. Da Art.
14 Abs. 1 VvB jedem ein individuelles Recht verleiht, seine Meinung frei zu äußern, muss
es sich dabei aber um Umstände handeln, die demjenigen, der von diesem Recht
Gebrauch macht, zurechenbar sind. Daran fehlt es bei Umständen, die der sich
Äußernde gar nicht kennt. Aber auch Umstände, die er kennt, können ihm ohne
Verkürzung seiner Meinungsfreiheit nur zugerechnet werden, wenn sie im konkreten Fall
erkennbar zum Inhalt seiner Äußerung werden. Hieran fehlt es jedoch, soweit das
Amtsgericht darauf abgestellt hat, dass zwischen den Beschwerdeführern und dem
Miteigentümer R. „erheblicher Streit“ bestanden habe, was den übrigen Miteigentümern
bekannt gewesen sei. Zu diesem - in dem Urteil nicht spezifizierten - „erheblichen
Streit“ wird in dem Schreiben vom 17. März 2000 kein eindeutiger Bezug hergestellt.
Entsprechendes gilt hinsichtlich der Äußerungen, die die Beschwerdeführer gegenüber
dem Zeugen L. über Manipulationen an der Klingelanlage der Wohnanlage gemacht
haben sollen.
Das Abstellen auf die nach Angabe des Zeugen L. erfolgten Äußerungen vermag auch
deswegen die Auslegung des Amtsgerichts nicht in überzeugender Weise zu stützen,
weil die Argumentation mit einfachem Recht nicht vereinbar ist. Gemäß § 186 StGB
muss die Tatsache in Beziehung auf einen anderen behauptet werden; der Beleidigte
und der Empfänger der Mitteilung dürfen also nicht personengleich sein (Tröndle/Fischer,
StGB, 53. Aufl. 2006, § 186 Rn. 10). Demzufolge darf im Rahmen des § 186 StGB für die
Auslegung der in Frage stehenden Äußerung nicht auf solche Umstände zurückgegriffen
werden, die nur dem Beleidigten, nicht aber dem Empfänger bekannt sind. Das
Amtsgericht hat jedoch seine Auffassung durch die Aussage des Zeugen L. belegt
gesehen, der von dem Miteigentümer R. benannt worden war. Das Urteil des
Amtsgerichts enthält keine Feststellungen dazu, und es ist auch nicht sonst ersichtlich,
dass die Äußerungen, die die Beschwerdeführer gegenüber dem Zeugen L. gemacht
haben sollen, auch den Empfängern des Schreibens vom 17. März 2000, d. h. den
übrigen Miteigentümern, bekannt waren.
bb) Ebenso wenig geht das Urteil darauf ein, ob und inwieweit es sich bei der
angenommenen verdeckten Aussage um eine Meinungsäußerung handelt, die durch die
Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist. Eine derartige
Deutung einer womöglich verdeckten eigenen Äußerung der Beschwerdeführer wäre
nicht fernliegend. Denn die Wiedergabe bestimmter Vorkommnisse, die den
Miteigentümer R. in einen Zusammenhang mit den von den Beschwerdeführern
behaupteten Manipulationen stellen, lässt sich als eine Verdachtsmitteilung deuten.
Hierfür ließe sich etwa anführen, dass die Beschwerdeführer mit der Formulierung
„...wenn der Verursacher nicht überführt werden kann“ zum Ausdruck gebracht haben,
sie erachteten die von ihnen angeführten Tatsachen selbst nicht als ausreichend, um
dem R. die behaupteten Manipulationen nachzuweisen, und sie ihn demnach nur als
möglichen Täter bezeichneten.
Zwar kann eine Tatsachenbehauptung auch in Form von Verdachtsäußerungen erfolgen
(vgl. RGSt 60, 373 ff.; 67, 268 ff.; BGH, NJW 1951, 352; OLG Braunschweig, NJW 1956,
194; OLG Celle, NdsRpfl. 1960, 234; OLG Köln, NJW 1963, 1634; OLG Hamm, NJW 1971,
853; OLG Koblenz, OLGSt, § 185 StGB, S. 31 f.). Zwingend ist dies jedoch nicht. Vielmehr
kann es sich bei einer Verdachtsmitteilung um eine Meinungsäußerung handeln, weil
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kann es sich bei einer Verdachtsmitteilung um eine Meinungsäußerung handeln, weil
dem Kundgabeempfänger nicht eine für den Betroffenen ehrenrührige Tatsache als ein
bestehendes Faktum vermittelt wird, sondern die subjektiven Elemente des Dafürhaltens
bzw. des Fürmöglichhaltens im Vordergrund stehen und die Aussage prägen (vgl. OLG
Köln, NJW 1962, 1121 ff. ; OLG Celle, OLGR 2000, 160; ff.; Herdegen, in: Leipziger
Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 5, 10. Aufl. 1989, § 186 Rn. 7; Lenckner, in:
Schönke-Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 186 Rn. 7; Regge, in: Münchener Kommentar
zum Strafgesetzbuch, Bd. 3, 2003, § 186 Rn. 16; Zaczyk, in:
Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), StGB, Bd. 2, 2. Aufl. 2005, § 186 Rn. 8).
c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den dargelegten Verstößen gegen Art.
14 Abs. 1 VvB , da nicht auszuschließen ist, dass die Strafgerichte bei hinreichender
Berücksichtigung der für die Deutung der beanstandeten Äußerung geltenden
grundrechtlichen Maßstäbe zu einer anderen Beurteilung der Strafbarkeit nach
§ 186 StGB gelangt wären. Die übrigen Rügen der Beschwerdeführer können deshalb auf
sich beruhen.
d) Gemäß § 53 Abs. 3 VerfGHG sind die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben und
die Sache in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Amtsgericht
Tiergarten zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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