Urteil des VerfGH Berlin vom 10.04.1986

VerfGH Berlin: verfassungsbeschwerde, anspruch auf rechtliches gehör, sexuelle nötigung, befangenheit, öffentliche gewalt, fluchtgefahr, vergewaltigung, grundrecht, haftgrund, untersuchungshaft

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
106/02, 106 A/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 15 Abs 1 Verf BE, Art 15
Abs 4 S 1 Verf BE, Art 15 Abs 5
Verf BE
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde am 10. April 1986 von der 11. Strafkammer des
Landgerichts Berlin wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und
vorsätzlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller
Nötigung in zwei Fällen, Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung
in zwei Fällen, Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung sowie versuchter sexueller Nötigung rechtskräftig zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Seine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung wurde angeordnet. Nach Verbüßung von etwa 10 Jahren der
erkannten Strafe wurde er am 21. August 1995 im offenen Strafvollzug zum Freigang
zugelassen. Durch rechtskräftigen Beschluß vom 28. Mai 1997 setzte die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin den Strafrest und die Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung mit Wirkung ab dem 27. Juni 1997 zur Bewährung aus. Die
Bewährungszeit dauerte bis zum 26. Juni 2002.
Am 12. Februar 2002 erließ das Amtsgericht Tiergarten – 350 Gs 419/02 – gegen den
Beschwerdeführer einen Haftbefehl wegen des dringenden Verdachtes, am 14. Oktober
1995 während eines Freiganges gegenüber einer damals 17-jährigen Frau eine sexuelle
Nötigung begangen zu haben (Verbrechen, strafbar gemäß § 178 Abs. 1 StGB a.F.). Als
Haftgrund wurde Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO bejaht. Aufgrund dieses
Haftbefehls befindet sich der Beschwerdeführer seit dem 23. Februar 2002 in
Untersuchungshaft.
Die am 2. April 2002 gegen den Haftbefehl eingelegte Beschwerde wurde von der 11.
Strafkammer des Landgerichts Berlin durch Beschluß vom 29. April 2002 (511 Qs 35/02)
als unbegründet verworfen.
Der dringende Tatverdacht ergebe sich aus den Angaben der Geschädigten sowie
daraus, daß auf deren Jacke durch eine DNA-Analyse vom 14. März 2002 Spermaspuren
des Beschwerdeführers festgestellt wurden. Das Gericht bestätigte auch den Haftgrund
der Fluchtgefahr. Der Beschwerdeführer müsse im Falle der Verurteilung mit dem
Widerruf der Strafaussetzung und der Vollstreckung der etwa dreijährigen Reststrafe
sowie der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung sowie mit einer zusätzlichen,
empfindlichen Freiheitsstrafe in dem neuen Verfahren rechnen. Seine familiäre Situation,
die eigene Wohnung und der Umstand, daß er einer regelmäßigen Arbeit nachgehe,
wirkten sich zwar mildernd auf die Beurteilung der Fluchtgefahr aus, jedoch nicht in
einem solchen Maße, daß sie, gemessen an der hohen Straferwartung, die bestehende
Fluchtgefahr beseitigten.
Weiter stellte das Gericht fest, daß subsidiär auch der Haftgrund der
Wiederholungsgefahr gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 1 StPO bestehe. Der Beschwerdeführer
sei in der Vergangenheit wegen diverser Sexualstraftaten bestraft worden. Die neue Tat
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sei in der Vergangenheit wegen diverser Sexualstraftaten bestraft worden. Die neue Tat
sei ebenfalls ein Sexualverbrechen, das nur wenige Wochen nach der Gewährung des
Freigangs begangen worden sei.
Es müsse daher davon ausgegangen werden, daß bei dem Beschwerdeführer nach wie
vor der bereits 1986 festgestellte Hang zu solchen Taten bestehe und er auch künftig
solche Straftaten begehen werde.
Der Vollzug der Untersuchungshaft sei auch nicht unverhältnismäßig, da mildere Mittel
als der Vollzug den Zweck der Untersuchungshaft nicht gewährleisten könnten.
Am 12. Mai 2002 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsanwalt erneut,
den Haftbefehl aufzuheben bzw. außer Vollzug zu setzen. Grundlage war die Aussage
des Ehepaars K. vom 9. Mai 2002, mit dem Beschwerdeführer am 14. Oktober 1995 in
einem Lokal am Kurfürstendamm gefeiert zu haben, zu einem Zeitpunkt, zu dem dieser
am selben Tag die sexuelle Nötigung begangen haben soll. Daher könne von einem
dringenden Tatverdacht nicht ausgegangen werden. Weiter wurde, wie schon in der
Haftbeschwerde vom 2. April 2002, erneut vorgetragen, daß der Haftgrund der
Fluchtgefahr nicht bestehe. Auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr liege
angesichts des Zeitablaufes und der aktuellen tatsächlichen Umstände nicht vor.
Durch Beschluß vom 22. Mai 2002 wies die 11. Strafkammer des Landgerichts Berlin den
Antrag zurück. Das Gericht verwies auf seinen Beschluß vom 29. April 2002. Weiter
führte es aus: Die Aussage des Ehepaars K. werde in der Hauptverhandlung zu würdigen
sein. Aus den Urteilsgründen der früheren Verurteilungen ergebe sich, daß der
Beschwerdeführer schon damals versucht habe, sich durch Gefälligkeits- und
Falschaussagen von Bekannten und Familienangehörigen Alibis für die Tatzeit zu
verschaffen. Auch im vorliegenden Verfahren sei ein behauptetes Alibi widerlegt worden.
Vor diesem Hintergrund könne die Erklärung der Eheleute K. den dringenden
Tatverdacht, der sich auf eine DNA-Analyse stütze, nicht beseitigen.
Daraufhin lehnte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 31. Mai 2002 die drei
Richter, die den oben genannten Beschluß der 11. Strafkammer des Landgerichts Berlin
vom 22. Mai 2002 erlassen hatten, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Besorgnis
der Befangenheit ergebe sich daraus, daß der genannte Beschluß erging, ohne daß das
Ehepaar K. vorher gehört worden war. Weiter indiziere bereits die Kürze der Entscheidung
die Befangenheit. Weiter enthielten die Urteilsgründe der früheren Verurteilungen keine
Feststellungen darüber, daß der Beschwerdeführer versucht habe, sich von Bekannten
und Familienangehörigen Gefälligkeits- oder Falschaussagen zu verschaffen. Schließlich
habe er im vorliegenden Verfahren kein Alibi für die Tatzeit behauptet, sondern nur
beantragt, einer solchen Möglichkeit nachzugehen.
Mit Beschluß vom 24. Juni 2002 wies die 11. Strafkammer des Landgerichts Berlin in der
Besetzung der drei wegen Befangenheit abgelehnten Richter das Ablehnungsgesuch
gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zurück, da ein Grund zur Ablehnung nicht
angegeben sei. Ein Ablehnungsgrund sei auch dann nicht angegeben, wenn die
Tatsachenbehauptungen, die den Ablehnungsantrag stützen sollen, völlig ungeeignet
seien, eine Besorgnis der Befangenheit beim Ablehnenden zu begründen, oder wenn die
Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines
Ablehnungsgesuches völlig ungeeignet sei. Schon der Ansatz, aus der Länge der
Entscheidungsgründe schließen zu wollen, wie intensiv und sorgfältig sich die Kammer
mit dem Akteninhalt auseinandergesetzt habe, sei verfehlt. Auch die Behauptung, die
Kammer habe die Feststellungen eines früheren gegen den Beschwerdeführer
ergangenen Urteils unzutreffend dargestellt, könne eine Besorgnis der Befangenheit
nicht begründen. Es könne dahinstehen, ob diese Behauptung überhaupt zutreffend sei;
denn selbst eine unrichtige Rechtsansicht oder das Unterlaufen eines Irrtums in
tatsächlicher Hinsicht seien nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit
hervorzurufen. Solche Fehler könnten durch die Rechtsmittel der StPO korrigiert werden,
der Versuch, über den „Umweg“ der Ablehnung eine nach Auffassung des
Beschwerdeführers unrichtige Entscheidung zu korrigieren, sei jedoch unzulässig.
Gegen diesen Beschluß erhob der Beschwerdeführer durch seinen Anwalt am 5. Juli 2002
sofortige Beschwerde nach § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO mit der Begründung, der Vortrag in
seinem Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit sei nicht „völlig ungeeignet“. Die
Ablehnung mit dieser Begründung sei in keiner Weise nachvollziehbar und stelle einen
neuen Grund für die Besorgnis der Befangenheit dar.
Das Kammergericht verwarf durch Beschluß vom 18. Juli 2002 die sofortige Beschwerde
„aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch das
Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden“.
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Durch Beschluß vom 29. Juli 2002 ließ die 11. Strafkammer des Landgerichts Berlin die
Anklage der Staatsanwaltschaft vom 10. Mai 2002 gegen den Beschwerdeführer wegen
der Tat vom 14. Oktober 1995 unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor der 11. Großen
Strafkammer des Landgerichts Berlin zur Hauptverhandlung zu, da sie einen
hinreichenden Tatverdacht bejahte. Im gleichen Beschluß wurden die Anträge, den
Haftbefehl aufzuheben, „aus den weiter fortbestehenden Gründen des Beschlusses der
Kammer vom 22. Mai 2002 zurückgewiesen.“
Mit der Verfassungsbeschwerde vom 12. August 2002 wendet sich der Beschwerdeführer
gegen den Beschluß des Kammergerichts vom 18. Juli 2002 und gegen die Beschlüsse
des Landgerichts vom 24. Juni 2002 und vom 29. Juli 2002. Er rügt die Verletzung des
Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB; Art. 103 Abs. 1 GG), des
Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 15 Abs. 5 VvB; Art. 101 Abs. 1 GG) und der
Rechtsweggarantie (Art. 15 Abs. 4 Satz 1 VvB; Art. 19 Abs. 4 GG).
Das Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB und Art. 103 Abs. 1 GG sei
dadurch verletzt, daß das Kammergericht in seinem Beschluß vom 18. Juli 2002, wie
schon das Landgericht Berlin in seinem Beschluß vom 24. Juni 2002, den
Befangenheitsantrag zu Unrecht als unzulässig verworfen bzw. zurückgewiesen habe.
Bei unzutreffender Ablehnung eines Antrages als unzulässig finde naturgemäß keine
ausreichende Auseinandersetzung mit dem materiellen Vortrag des Rechtsuchenden
statt. Die erfolgte Ablehnung wegen Unzulässigkeit entspreche schon nicht dem
wörtlichen Regelungsgehalt des § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO. Die vom Landgericht
behaupteten verfahrensfremden Zwecke seien nicht erkennbar. Es sei auch nichts
verschleppt worden.
Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB und Art. 101
Abs. 1 GG sei verletzt, wenn befangene Richter entschieden. Da die oben genannten
Beschlüsse des Kammergerichts vom 18. Juli 2002 und des Landgerichts vom 24. Juni
2002 den Befangenheitsantrag zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen hätten, sei der
Beschluß des Landgerichts vom 29. Juli 2002 über die Eröffnung des Hauptverfahrens
und die Fortdauer der Untersuchungshaft von befangenen Richtern erlassen worden. Sie
seien daher aufzuheben.
Das Grundrecht der Rechtsweggarantie aus Art. 15 Abs. 4 VvB und Art. 19 Abs. 4 GG sei
dadurch verletzt, daß dieses Grundrecht nicht nur den Rechtsweg zum Gericht
überhaupt, sondern zum „gesetzlich bestimmten Richter“ garantiere. Auch dieses
Grundrecht sei daher durch die Zurückweisung des Befangenheitsantrags verletzt.
Da eine Hauptsacheentscheidung in angemessener Zeit nicht zu erreichen sei,
beantragt der Beschwerdeführer, durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 31
Abs. 1 VerfGHG, die Hauptverhandlung auszusetzen, um schwere Nachteile des
Beschwerdeführers abzuwenden. Weiter beantragt er, für das Verfahren
Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren.
II.
Die Verfassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben. Sie ist zum überwiegenden Teil
unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet.
1. a) Sie ist unzulässig, soweit sie die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 101 Abs. 1
GG und Art. 19 Abs. 4 GG rügt.
Nach Art. 84 Abs. 2 Ziffer 5 und Abs. 3 VvB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 VerfGHG kann
mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden, daß man durch die öffentliche Gewalt
des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte
verletzt sei. Nur die in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte des Individuums
sind daher Prüfungsmaßstab im Verfassungsbeschwerdeverfahren. Soweit Verletzungen
des GG gerügt werden, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da die Grundrechte
des Grundgesetzes nicht Prüfungsmaßstab sind (vgl. Beschlüsse vom 25. April 1996 –
VerfGH 21/95 – LVerfGE 4, 46 <48 ff.> und vom 26. Juni 1997 – VerfGH 8/97 – LVerfGE 6,
83 <86 f.>; st. Rspr.).
b) Sie ist auch unzulässig, soweit sie sich gegen den Eröffnungsbeschluß des
Landgerichts vom 29. Juli 2002 richtet. Zwar sind auch die Entscheidungen von Berliner
Gerichten Akte der öffentlichen Gewalt im Sinne des § 49 Abs. 1 VerfGHG und können
daher grundsätzlich mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Wegen des aus
§ 49 Abs. 2 VerfGHG folgenden Gebots der Rechtswegerschöpfung gilt dies grundsätzlich
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§ 49 Abs. 2 VerfGHG folgenden Gebots der Rechtswegerschöpfung gilt dies grundsätzlich
aber nur für letztinstanzliche Gerichtsentscheidungen. Unabhängig vom Gebot der
Rechtswegerschöpfung ist wegen des Grundsatzes der allgemeinen Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde deren Zulässigkeit auch beschränkt, soweit es sich um
Zwischenentscheidungen des erkennenden Gerichts handelt, d.h. um Entscheidungen,
die der Urteilsfällung vorangehen. Diese Beschränkung hat das
Bundesverfassungsgericht für die Verfassungsbeschwerde und das
Verfassungsbeschwerdeverfahren nach Bundesrecht, das insofern inhaltsgleich ist mit
dem entsprechenden Berliner Recht, von Anfang an in seiner Rechtsprechung entwickelt.
Für Entscheidungen im Strafverfahren hat es sich dabei zunächst an § 305 StPO
orientiert und entschieden, daß Zwischenentscheidungen eines erkennenden Gerichts,
die nach § 305 StPO nicht der Beschwerde unterliegen, auch nicht mit der
Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können (siehe BVerfGE 1, 9 <10>). Von
diesem Grundsatz läßt das Bundesverfassungsgericht nur Ausnahmen zu, wenn durch
die Zwischenentscheidung für den Betroffenen ein bleibender rechtlicher Nachteil
entsteht, der durch das Rechtsmittel gegen die Endentscheidung nicht mehr behoben
werden kann (siehe BVerfGE 1, 322 <325>; 53, 109 <112 f.>; 58, 1, <23>). Das ist bei
sog. selbständigen Zwischenentscheidungen der Fall, die ein besonderes
Zwischenverfahren abschließen, dessen Mängel bei der Entscheidung über das
Hauptverfahren nicht mehr korrigiert werden können. So liegt es beim
Eröffnungsbeschluß nicht. Er schließt kein besonderes Zwischenverfahren ab. Er ist
gemäß §§ 210 Abs. 1, 304 Abs. 1 StPO nicht selbständig anfechtbar, und daher sind
Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Eröffnungsbeschlüsse grundsätzlich
unzulässig (siehe BVerfGE 25, 336 <343>; zustimmend Schmidt-Bleibtreu, in:
Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz –
Kommentar, Rdnr. 137 zu § 90,
S. 105, FN. 4; Zuck, in: Lechner/Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 4. Aufl. 1996,
Rdnr. 103 zu § 90). Ausnahmen von diesem Grundsatz nimmt die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts in den Fällen an, in denen das Gericht zunächst die
Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat, die Staatsanwaltschaft dagegen
Beschwerde bzw. sofortige Beschwerde eingelegt und das Beschwerdegericht daraufhin
die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen hat, und die Beschwerde der
Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten nicht mitgeteilt wurde (siehe BVerfGE 7, 109
<110>; 17, 197 <198>). In diesem Fall läßt das Bundesverfassungsgericht die
Verfassungsbeschwerde zu, um die Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen fehlender
Mitteilung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft rügen zu können. Eine solche
Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Wegen der Gleichheit der bundesrechtlichen und der
berlinischen Rechtslage hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin sich der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angeschlossen und die Zulässigkeit der
Verfassungsbeschwerde gegen einen erstinstanzlichen Eröffnungsbeschluß verneint
(siehe Beschluß vom 22. März 2001 – VerfGH 63/00). Der vorliegende Fall gibt keinen
Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
c) Weiter ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, soweit sie die Verletzung der
Rechtsweggarantie (Art. 15 Abs. 4 Satz 1 VvB) rügt. Zur öffentlichen Gewalt im Sinne
dieser Vorschrift gehören wie beim inhaltsgleichen Art. 19 Abs. 4 GG nicht Akte der
Rechtsprechung (siehe Beschluß vom 13. Dezember 2001 – VerfGH 138/01 –; Driehaus,
in: Driehaus (Hrsg.), Verfassung von Berlin – Taschenkommentar, 2002, Rdnr. 19 zu Art.
15; Stöhr, in: Pfennig/Neumann (Hrsg.), Verfassung von Berlin – Kommentar, 3. Aufl.
2000, Rdnr. 26 zu Art. 15. Zum inhaltsgleichen Art. 19 Abs. 4 GG siehe BVerfGE 11,
263<265>; 15, 275<280>; 22, 106<110>; 25, 352<365>; 31, 87<93 f.>; 49,
329<340>; 58, 208<231 f.>; 76, 93<98>. Dieser st. Rspr. folgt die ganz h. M., siehe die
Nachweise bei Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5.
Aufl., 2000, Rdnr. 57 zu Art. 19, der sich selbst jedoch dagegen ausspricht; dort auch
Nachweise für weitere ablehnende Stimmen).
2. a) Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Beschlüsse des Kammergerichts
vom 18. Juli 2002 und des Landgerichts vom 24. Juni 2002 richtet, durch die das
Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen wurde, und eine
Verletzung der Grundrechte auf rechtliches Gehör und auf den gesetzlichen Richter rügt,
ist sie zwar zulässig, da eine Überprüfung dieser Beschlüsse im Revisionsverfahren nach
§ 336 Satz 2 StPO ausgeschlossen ist. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde jedoch
unbegründet.
Ob ein Grund zur Ablehnung nicht angegeben und die Ablehnung eines Richters deshalb
gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen ist, ist eine Frage der
Anwendung des einfachen Rechts auf den Einzelfall, die der Nachprüfung durch den
Verfassungsgerichtshof grundsätzlich entzogen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des
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Verfassungsgerichtshof grundsätzlich entzogen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, der inhaltsgleich mit Art. 15
Abs. 5 Satz 2 VvB den Anspruch auf den gesetzlichen Richter gewährleistet, kann eine
Entscheidung eines Gerichts über ein Ablehnungsgesuch nur dann gegen diesen
Anspruch verstoßen, wenn sie von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist (vgl. BVerfGE
29, 45 <48>; 31, 145 <164>). Davon kann vorliegend keine Rede sein. Die das
Ablehnungsgesuch verwerfenden Beschlüsse sind tragend darauf gestützt, daß die
Tatsachenbehauptungen, die die Ablehnung stützen sollten, völlig ungeeignet seien,
eine Besorgnis der Befangenheit beim Beschwerdeführer zu begründen. Dies gelte
sowohl für die insoweit angeführte Mitwirkung der abgelehnten Richter an einer
vorangegangenen Zwischenentscheidung als auch für deren vom Beschwerdeführer
beanstandete Kürze und etwaige in der Zwischenentscheidung enthaltene rechtliche
oder tatsächliche Irrtümer. Auch einem gewissenhaften und unvoreingenommenen
Richter könnten Fehler unterlaufen, die mit den dafür vorgesehenen Rechtsmitteln oder
im Wege der Gegenvorstellung korrigiert werden könnten, jedoch nicht die Ablehnung
rechtfertigten. Diese Auffassung ist bei verständiger Würdigung des
verfassungsrechtlichen Grundsatzes des gesetzlichen Richters weder unverständlich
noch offensichtlich unhaltbar, sondern befindet sich in Einklang mit der überwiegenden
Ansicht in Rechtsprechung und Rechtslehre (vgl. Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 45.
Aufl. 2001, Rdnr. 14 zu § 24 m. w. N.). Sie rechtfertigt auch nicht die Annahme des
Beschwerdeführers, Landgericht und Kammergericht hätten unter Verstoß gegen seinen
in Art. 15 Abs. 1 VvB verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör die Begründung seines
Befangenheitsantrags nicht zur Kenntnis genommen und erwogen.
b) Ist hiernach die Verwerfung der Ablehnung als unzulässig verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden, so ist die Verfassungsbeschwerde auch insoweit unbegründet, als sie
sich gegen die im Beschluß des Landgerichts vom 29. Juli 2002 enthaltene Entscheidung,
die Untersuchungshaft fortdauern zu lassen, mit dem Vortrag wendet, sein
Ablehnungsgesuch gegen die an diesem Beschluß mitwirkenden Richter sei unter
Verstoß gegen Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB verworfen worden und dieser Verstoß wirke in
dem von den abgelehnten Richtern erlassenen Beschluß fort.
3. Da die Verfassungsbeschwerde hiernach keinen Erfolg haben kann, kommt auch die
Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gemäß § 52 VerfGHG i. V. mit§ 114 ZPO nicht in
Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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