Urteil des VerfGH Berlin vom 05.01.2006

VerfGH Berlin: gegendarstellung, verfassungsbeschwerde, meinungsfreiheit, zwangsvollstreckung, vereitelung, eingriff, grundrecht, rechtswegerschöpfung, ausstrahlung, vorrang

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
82 A/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 14 Abs 1 Verf BE, § 31 Abs
1 VGHG BE
Erneute einstweilige Anordnung im Presse- und Rundfunkrecht
Tenor
Im Wege der einstweiligen Anordnung wird die Vollstreckung aus dem Beschluss des
Landgerichts Berlin vom 11. Mai 2006 – 27 O 338/06 – in Verbindung mit dem Beschluss
vom 5. Januar 2006 – 27 O 1191/05 – bis zur Entscheidung über die
Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin ausgesetzt.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Das Land Berlin hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde (VerfGH 82/06) gegen
einen Beschluss des Landgerichts Berlin vom 11. Mai 2006, mit dem ihr Antrag auf
einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Hinblick auf eine von ihr erhobene
und noch nicht entschiedene Vollstreckungsgegenklage vom 29. März 2006
zurückgewiesen wurde. Diesem Verfahren liegt ein rechtskräftiger Beschluss des
Landgerichts vom 5. Januar 2006 zugrunde, womit der Antragstellerin auf Antrag des
Beteiligten zu 2. aufgegeben wurde, im Rahmen der nächsten erreichbaren KLARTEXT-
Sendung folgende Gegendarstellung verlesen zu lassen und auszustrahlen:
„Gegendarstellung
Am 14.12. 2005 wurde in der Sendung KLARTEXT im Rahmen eines Beitrages über
IM-Vorwürfe gegen einen meiner Mandaten u. a. wie folgt berichtet:
‚Leipziger Stasi-Zentrale. Hier liegen auch die Akten über (…). I. H. hat 1990 mit
anderen dafür gesorgt, dass diese Unterlagen nicht vollständig vernichtet wurden –
obwohl P.-M. D., damals I., das verlangte.’
Darüber hinaus wurde ich in dem Beitrag als ‚Aktenvernichter von 1990’ bezeichnet.
Hierzu stelle ich fest:
1990 bestätigte ich ein Verlangen auf Herausgabe von Leipziger Stasi-Unterlagen zu
deren Vernichtung. Das geschah aber aufgrund eines Beschlusses des Zentralen
Runden Tisches. Auf meine Veranlassung wurden 1990 keine Stasi-Unterlagen
vernichtet.
Z., den 3.1. 2006
Dr. P.-M. D.“
Die Antragstellerin strahlte die Gegendarstellung in der KLARTEXT-Sendung vom 22.
März 2006 aus und ließ im Anschluss daran folgenden Text verlesen:
„Hierzu bemerkt die Redaktion:
Dr. D. sagt die Unwahrheit. Den von ihm behaupteten Beschluss des Zentralen
Runden Tisches hat es nie gegeben. Dies ist ihm sogar schon von einem
Oberlandesgericht bescheinigt worden und ergibt sich im Übrigen aus den vollständig
dokumentierten Wortprotokollen des Zentralen Runden Tisches, in denen kein derartiger
Beschluss enthalten ist.“
Mit Schreiben vom 24. März 2006 ließ der Beteiligte zu 2. der Antragstellerin mitteilen,
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Mit Schreiben vom 24. März 2006 ließ der Beteiligte zu 2. der Antragstellerin mitteilen,
dass er die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung vom 5. Januar 2006
weiter betreiben werde, da die verlesene Gegendarstellung durch die redaktionelle
Anmerkung entwertet worden sei. Die Antragstellerin erhob darauf hin unter dem 29.
März 2006 Vollstreckungsgegenklage und beantragte die einstweilige Einstellung der
Zwangsvollstreckung. Das Landgericht wies den Antrag durch Beschluss vom 30. März
2006 mit der Begründung zurück, die Antragstellerin sei ihrer Verpflichtung zum Abdruck
der Gegendarstellung nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Auf die
Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin hin hob der Verfassungsgerichtshof diese
Entscheidung durch Beschluss vom 25. April 2006 – VerfGH 59/06 – wegen Verletzung
des Grundrechts der Meinungsfreiheit der Antragstellerin auf und wies die Sache an das
Landgericht zurück.
Durch Beschluss vom 11. Mai 2006 wies das Landgericht den Antrag der Antragstellerin
erneut zurück und führte zur Begründung aus, die verlesene Glossierung genüge auch in
Ansehung der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit der Antragstellerin nicht dem
Grundsatz der Waffengleichheit. Die Gegendarstellung werde allein durch den
Einleitungssatz, wonach der Beteiligte zu 2. die Unwahrheit sage, „erschlagen“. Es hätte
der Antragstellerin frei gestanden, darauf hinzuweisen, dass die Gegendarstellung
unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt zu veröffentlichen gewesen sei und sodann
entsprechende Tatsachen anzuführen. Die gewählte Formulierung richte das Augenmerk
des Zuschauers nicht auf die genannten Tatsachen, sondern in erster Linie plakativ auf
die Unwahrheit der Gegendarstellung. Eine solche Hervorhebung des
Unwahrheitsgehalts der Gegendarstellung sei nicht mehr zulässig.
Zugleich mit der gegen diesen Beschluss unter Berufung auf eine Verletzung der
Meinungsfreiheit erhobenen Verfassungsbeschwerde hat die Antragstellerin den Erlass
einer einstweiligen Anordnung beantragt. Diese sei erforderlich, da sie die
Gegendarstellung sonst am 17. Mai 2006 erneut ausstrahlen müsse.
Die Beteiligten haben gemäß § 53 Abs. 1 und 2 Gelegenheit zur Stellungnahme
erhalten.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Nach § 31 Abs. 1 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof einen Zustand durch
einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur
Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum
gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung nach § 31 Abs. 1 VerfGHG müssen
die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen
werden, grundsätzlich außer Betracht bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde
erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Stattdessen
sind die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die
Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die
entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der
Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.
Zweifel an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestehen nicht; der
Verfassungsgerichtshof verweist insoweit auf seine Ausführungen zur
Rechtswegerschöpfung und Grundrechtsfähigkeit der Antragstellerin in den Beschlüssen
vom 5. April 2006 (VerfGH 59 A/06) und 25. April 2006 (VerfGH 59/06), die auch im
vorliegenden Verfahren Gültigkeit haben.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet, so dass es auf die
oben beschriebene Folgenabwägung ankommt. Dabei erweisen sich die Nachteile für die
Antragstellerin, die ihr bei Ablehnung des Antrages bei angenommener Begründetheit
der Verfassungsbeschwerde entstünden, als schwerwiegender als die den Beteiligten zu
2. treffenden Nachteile bei Stattgabe des Antrages und angenommener
Unbegründetheit der Verfassungsbeschwerde. Während der Beteiligte zu 2. zwar
nochmals eine gewisse zeitliche Verzögerung bei der Ausstrahlung der Gegendarstellung
hinzunehmen hätte, ohne dass allerdings bereits von einer faktischen Vereitelung seines
Rechts auf Gegendarstellung ausgegangen werden kann, müsste die Antragstellerin
wiederum den irreparablen Eingriff in ihr Grundrecht hinnehmen, wenn sie verpflichtet
würde, die Gegendarstellung erneut und ohne den streitgegenständlichen
Redaktionsschwanz am 17. Mai 2006 auszustrahlen. Ihre Verfassungsbeschwerde würde
sich damit erledigen, effektiver verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz wäre nicht mehr
möglich. Bei Abwägung dieser Interessenlage musste daher dem Aussetzungsinteresse
der Antragstellerin erneut der Vorrang eingeräumt werden.
20 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
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