Urteil des VerfGH Berlin vom 29.10.1997

VerfGH Berlin: lebensgemeinschaft, aufschiebende wirkung, verfassungsbeschwerde, faires verfahren, gesetzesänderung, rüge, abschiebung, aufenthaltserlaubnis, gewalt, freizügigkeit

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 19 Abs 4 GG, Art 3 Abs 1
GG, § 19 Abs 1 AuslG 1990
vom 29.10.1997, § 19 Abs 1
AuslG 1990 vom 25.05.2000,
Art 10 Abs 1 Verf BE
VerfGH Berlin: Im Hinblick auf die Rüge der Verletzung des
Rechts auf ein faires Verfahren iSv Art 15 Abs 4 Verf BE
unzulässige, bezüglich der behaupteten Verletzung des
Willkürverbots iSv Art 10 Abs 1 Verf BE und des Rechts auf
Freizügigkeit iSv Art 17 Verf BE unbegründete
Verfassungsbeschwerde gegen fachgerichtliche Verweigerung
einer Aufenthaltserlaubnis und Androhung der Abschiebung
Gründe
I. Der Beschwerdeführer, türkischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im Jahr 1994 in
das Bundesgebiet ein, heiratete am 31. März 1995 eine deutsche Staatsangehörige und
erhielt daraufhin vom Beteiligten zu 1. am 15. August 1995 eine zunächst auf drei Jahre
befristete Aufenthaltserlaubnis. Seit dem 22. Juni 1998 war die Ehefrau des
Beschwerdeführers nicht mehr mit Hauptwohnsitz in Berlin, sondern in Essen gemeldet.
Im August 1998 beantragte der Beschwerdeführer beim Beteiligten zu 1. die Erteilung
einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Diesen Antrag lehnte der Beteiligte zu 1. mit
Bescheid vom 21. März 2001 ab, wies den Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet aus
und drohte ihm die Abschiebung an, da es sich nach seinen Erkenntnissen bei der Ehe
von Anfang an um eine Scheinehe gehandelt habe. Hiergegen legte der
Beschwerdeführer Widerspruch ein mit der Begründung, die Ehe sei keine Scheinehe,
sondern habe, bevor sich die Eheleute getrennt hätten, länger als zwei Jahre bestanden,
so dass er nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG n. F. einen Anspruch auf Erteilung eines
eigenständigen Aufenthaltsrechts habe. Ferner beantragte er beim Verwaltungsgericht
Berlin, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ausweisung
wiederherzustellen, hilfsweise den Beteiligten zu 1. im Wege des vorläufigen
Rechtsschutzes zu verpflichten, seine Abschiebung zu unterlassen.
Mit Beschluss vom 3. Juli 2001 wies das Verwaltungsgericht den Antrag zurück.
Hinsichtlich des Hauptantrages fehle es am Rechtsschutzbedürfnis, da der gegen die -
nicht für sofort vollziehbar erklärte - Ausweisung gerichtete Widerspruch des
Beschwerdeführers nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung habe. Der Hilfsantrag
habe keinen Erfolg, da der Beschwerdeführer aufgrund der versagten Verlängerung der
Aufenthaltsgenehmigung vollziehbar ausreisepflichtig sei, so dass ihm die Abschiebung
habe angedroht werden dürfen. Der Antrag hätte im Übrigen selbst dann keinen Erfolg,
wenn die Kammer den Antrag des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers
dahingehend umdeuten würde, dass sinngemäß die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs gegen die Versagung der Verlängerung der
Aufenthaltsgenehmigung begehrt würde. Denn bei summarischer Prüfung bestünden
keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides, da dem
Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG zustehe. Dabei
könne offen bleiben, ob für die Vergangenheit überhaupt von einer schutzwürdigen
ehelichen Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit seiner deutschen Ehefrau
auszugehen sei. Denn ein eigenständiges Aufenthaltsrecht käme diesem nur dann zu,
wenn die - nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführer mittlerweile aufgelöste -
eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau vier Jahre legal im Bundesgebiet
bestanden hätte (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der bis zum 31. Mai 2000 gültigen Fassung).
Nach der Neufassung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aufgrund des Gesetzes vom 25. Mai
2000 genüge zwar eine Mindestehebestandszeit von zwei Jahren. Diese Neufassung sei
jedoch erst am 1. Juni 2000 in Kraft getreten und gelte mangels Rückwirkung nicht für
Fälle, in denen - wie vorliegend - die eheliche Lebensgemeinschaft bereits vor diesem
Zeitpunkt aufgehoben worden sei. Weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte
der Novelle vom Mai 2000 könne ein Anhalt dafür entnommen werden, dass die zum 1.
Juni 2000 eingeführten Erleichterungen auch Ehegatten zugute kommen sollten, deren
Ehe schon früher aufgehoben oder über deren Aufenthaltsrecht möglicherweise schon
seit langem bestandskräftig entschieden worden sei. Der Gesetzgeber habe weder eine
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seit langem bestandskräftig entschieden worden sei. Der Gesetzgeber habe weder eine
dahingehende Überleitung laufender oder abgeschlossener Verfahren vorgesehen noch
angenommen, alle früher abgeschlossenen Fälle könnten nunmehr aufgegriffen werden.
Die danach an den Erwerb eines eigenständigen Aufenthaltsrechts zu stellenden
Anforderungen erfülle der Beschwerdeführer - wie das Verwaltungsgericht im einzelnen
näher ausführt - nicht, da er weder glaubhaft gemacht habe, dass eine eheliche
Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau noch vor dem 1. Juni 2000 bestanden noch dass
eine mindestens vierjährige Ehebestandszeit vorgelegen habe.
In seinem hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Beschwerde führte der
Beschwerdeführer aus, die Auffassung des Verwaltungsgerichts über die
Unanwendbarkeit der Neuregelung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG sei eine Auslegung
contra legem, da es Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, die bisherige Vierjahresfrist
des § 19 AuslG in eine Zweijahresfrist umzuwandeln. Dies gelte auch für Altverfahren.
Zudem handele es sich bei seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
um einen Verpflichtungsantrag, da er als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs gegen die Versagung der Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis zu verstehen gewesen sei. Maßgeblicher Zeitpunkt für
Verpflichtungsanträge sei der Zeitpunkt der Entscheidung im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren.
Durch Beschluss vom 14. November 2001, dem Verfahrensbevollmächtigten des
Beschwerdeführers am 21. November 2001 zugegangen, lehnte das
Oberverwaltungsgericht Berlin den Zulassungsantrag des Beschwerdeführers ab. Die
Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die ab dem 1. Juni 2000 geltende
Neufassung des § 19 Abs. 1 AuslG nicht auf Fälle anwendbar sei, in denen die eheliche
Lebensgemeinschaft vor diesem Zeitpunkt aufgelöst worden sei, sei zutreffend und
stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des beschließenden Senats. Der erklärte
Zweck der einschlägigen Gesetzesänderung, es insbesondere ausländischen Ehefrauen
zu ersparen, eine unzumutbar gewordene Lebensgemeinschaft bis zum Ablauf von vier
Jahren weiterhin durchzustehen, um nicht auf Grund vorzeitiger Beendigung der
Lebensgemeinschaft in das Heimatland zurückkehren zu müssen, könne durch die
Neuregelung schlechterdings nicht erreicht werden, wenn die Trennung bereits vor deren
In-Kraft-Treten stattgefunden habe. Die Richtigkeit der tatsächlichen Annahme des
Verwaltungsgerichts, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft wenn überhaupt, dann
weniger als vier Jahre im Bundesgebiet bestanden habe und vor In-Kraft-Treten der
Neufassung beendet gewesen sei, habe der Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogen.
Mit seiner am 21. Januar 2002 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der
Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 10, Art. 15 Abs. 4 und
Art. 17 i. V. m. Art. 59 Abs. 1 VvB durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts.
Die Entscheidung verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 10 VvB. Es seien
sachfremde Erwägungen des Gerichts Motiv für eine Auslegung des § 19 Abs. 1 Nr. 1
AuslG über seinen Wortlaut hinaus. Es sei Absicht des Gerichts, eine Personengruppe
und somit den Beschwerdeführer von der Anwendung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG n. F.
auszuschließen, die gerade Zielgruppe der gesetzlichen Regelung gewesen sei, nämlich
Ehefrauen und Ehemänner, die sich vor der Gesetzesänderung bereits getrennt hätten.
So würden contra legem und ohne Grund Ausländer, die sich vor der Gesetzesänderung
schon getrennt hätten, nicht gleichbehandelt mit Ausländern, die sich erst nach der
Gesetzesänderung getrennt hätten. Demgegenüber sollte nach dem Willen des
Gesetzgebers die Änderung so früh wie möglich umgesetzt werden, und es sollten alle
noch erfassbaren - weil noch im Verfahren befindlichen - Fallgestaltungen hierbei
einbezogen werden. Dies habe auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Beschluss
vom 28. Februar 2001, InfAuslR 2001, 214) so gesehen. Im Übrigen stelle es eine nicht
zu rechtfertigende Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers dar, dass er bei seiner
Ehefrau in Essen - aufgrund der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen -
ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhielte, in Berlin hingegen nicht.
Die obergerichtliche Entscheidung verstoße des Weiteren gegen Art. 17 VvB i. V. m. Art.
59 Abs. 1 VvB. Das Recht auf Freizügigkeit verlange die Einhaltung des
Gesetzesvorbehalts in Art. 59 Abs. 1 VvB. Folglich dürfe auch die Ausweisung eines
Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland und somit aus Berlin nur auf Grund
eines Gesetzes betrieben werden. Ein Gesetz, in dem das Bestehen einer vierjährigen
Lebensgemeinschaft bestimmt sei, existiere jedoch nicht, und es existiere auch kein
Gesetz, nach dem die alte Vierjahresregelung auf Fälle anwendbar sein solle, in denen
die Lebensgemeinschaft zwar vor der Gesetzesänderung aufgelöst worden, eine
Entscheidung der Verwaltungsbehörde jedoch erst nach Geltung des neuen Rechts
ergangen sei. Sein Recht auf Freizügigkeit werde ferner dadurch beeinträchtigt, dass er
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ergangen sei. Sein Recht auf Freizügigkeit werde ferner dadurch beeinträchtigt, dass er
sich zwar in Essen aufhalten könnte und dort ein eigenständiges Aufenthaltsrechts
erhalten würde, bei einem weiteren Aufenthalt in Berlin jedoch eine Abschiebung zu
befürchten sei.
Außerdem werde durch die gesetzeswidrige Auslegung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in
sein Grundrecht aus Art. 15 Abs. 4 VvB, insbesondere in das Recht auf Gewährung eines
fairen Verfahrens eingegriffen.
Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG ist den Beteiligten Gelegenheit gegeben worden, sich
zu der Verfassungsbeschwerde zu äußern.
II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, soweit der
Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 15 Abs. 4 VvB rügt, da diese Rüge nicht den
Begründungsanforderungen der §§ 49 Abs. 1, 50 VerfGHG entspricht (1.). Im Übrigen ist
die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet (2.).
1. Dem Begründungserfordernis der §§ 49 Abs. 1, 50 VerfGHG ist nur dann Genüge
getan, wenn der Beschwerdeführer den Sachverhalt darstellt und eine ursächliche
Verknüpfung zwischen dem beanstandeten Verhalten der öffentlichen Gewalt und der
geltend gemachten Rechtsverletzung nachvollziehbar darlegt.
Hieran fehlt es in Bezug auf die Rüge einer Verletzung des Art. 15 Abs. 4 VvB. Der
Beschwerdeführer führt insoweit lediglich aus, durch die obergerichtliche Auslegung des
§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG "contra legem" werde in sein "Grundrecht […] gemäß Art.
15 Abs. 4 VvB, insbesondere betreffend der Gewährung eines fairen Verfahrens
eingegriffen". Damit hat er eine Rechtsverletzung des Art. 15 Abs. 4 VvB nicht
ausreichend dargelegt. Denn Art. 15 Abs. 4 VvB beinhaltet mit seinem Satz 1 ein
Individualgrundrecht auf gerichtlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt
sowie eine institutionelle Garantie in dem Sinne, dass eine Gerichtsbarkeit vorzuhalten
ist, gilt jedoch nicht für Akte der Rechtsprechung (Beschlüsse vom 13. Dezember 2001 -
VerfGH 138/01 - und vom 30. August 2002 - VerfGH 106/02 -; Stöhr, in:
Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 3. Aufl. 2000, Art. 15 Rn. 26; zum
inhaltsgleichen Art. 19 Abs. 4 GG vgl. BVerfGE 15, 275 <280>; 49, 329 <340>) und
gewährleistet dementsprechend auch nicht den Grundsatz des fairen gerichtlichen
Verfahrens. Abgesehen davon beinhaltet Art. 15 Abs. 4 VvB kein Grundrecht auf
inhaltlich richtige Rechtsanwendung (Beschlüsse vom 26. Oktober 2000 - VerfGH 116
A/00, 116/00 - und vom 29. Januar 2004 - VerfGH 205 A/03, 205/03 -; Driehaus, in: ders.
[Hrsg.], Verfassung von Berlin, 2002, Art. 15 Rn. 18).
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde - ihre Zulässigkeit dahingestellt - jedenfalls
unbegründet. Dies gilt sowohl für die Rüge einer Verletzung des allgemeinen
Gleichheitssatzes (a.) als auch für die Rüge, Art. 17 i. V. m. Art. 59 Abs. 1 VvB sei
verletzt (b.).
a. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des
Art. 10 VvB rügt, hat die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg.
Der Beschwerdeführer rügt zum einen eine Ungleichbehandlung seiner Person
gegenüber anderen Personen in gleicher Situation im Bundesgebiet. Würde er sich - so
trägt er vor - in Essen bei seiner Ehefrau aufhalten, würde er aufgrund der dortigen
Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht erhalten. Dieser Rüge bleibt bereits deshalb der Erfolg versagt, weil der
Gleichheitssatz, der es der öffentlichen Gewalt verbietet, wesentlich Gleiches willkürlich
ungleich zu behandeln, für jeden Träger öffentlicher Gewalt nur innerhalb seines eigenen
Zuständigkeitsbereiches gilt (Beschluss vom 2. April 2004 - VerfGH 212/03 -; st. Rspr.;
Stöhr, a. a. O., Art. 10 Rn. 5; zum Bundesrecht vgl. BVerfGE 79, 127 <158>). Erst recht
kann sich der Beschwerdeführer nicht auf eine Ungleichbehandlung im Rahmen der
Beurteilung von Sachverhalten in verschiedenen Bundesländern berufen, da die
Verfassung von Berlin nur Wirkung für das Land Berlin entfaltet.
Auch die Rüge des Beschwerdeführers, die oberverwaltungsgerichtliche Entscheidung
verletze das Willkürverbot, da Ausländer, die sich vor der Änderung des § 19 AuslG von
ihren Ehepartnern getrennt hätten, aufgrund sachfremder Erwägungen mit Ausländern,
die sich erst nach der Gesetzesänderung getrennt hätten, nicht gleichbehandelt würden,
führt nicht zum Erfolg.
Eine Verletzung des Willkürverbots durch eine fachgerichtliche Entscheidung liegt nur
dann vor, wenn diese die Rechtslage in unvertretbarer Weise verkennt, d. h. wenn sie bei
verständiger Würdigung nicht mehr nachvollziehbar ist und die Rechtsauffassung des
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verständiger Würdigung nicht mehr nachvollziehbar ist und die Rechtsauffassung des
Gerichts schlechthin abwegig erscheint (Beschlüsse vom 11. Januar 1995 - VerfGH 81/94
- LVerfGE 3, 3 <6 f.> und vom 20. August 1997 - VerfGH 46/97 - LVerfGE 7, 19 <24>).
Davon kann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage
eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes
entbehrt. So liegen die Dinge im vorliegenden Fall.
Das Oberverwaltungsgericht vertritt in der angegriffenen Entscheidung die Ansicht, § 19
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG in der am 1. Juni 2000 in Kraft getretenen Fassung (vgl. Gesetz
zur Änderung des Ausländergesetzes vom 25. Mai 2000, BGBl. I S. 742) sei nicht auf
Fälle anwendbar, in denen die eheliche Lebensgemeinschaft vor diesem Zeitpunkt
aufgelöst worden sei. Es stützt seine Auffassung auf den erklärten Zweck der
Gesetzesänderung, es insbesondere ausländischen Ehefrauen zu ersparen, eine
unzumutbar gewordene Lebensgemeinschaft bis zum Ablauf von vier Jahren weiterhin
durchzustehen, um nicht auf Grund vorzeitiger Beendigung der Lebensgemeinschaft in
das Heimatland zurückkehren zu müssen. Dieser Zweck könne durch die Neuregelung
nicht erreicht werden, wenn die Trennung bereits vor deren Inkrafttreten stattgefunden
habe.
Diese Argumentation ist nicht schlechthin abwegig. Denn ausweislich insbesondere der
Begründung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages (vgl.
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 14. März 2000, Drs.
14/2902, S. 5 f., unter Hinweis auf die Begründung zum Gesetzentwurf vom 14.
Dezember 1999, Drs. 14/2368) sollte die Neuregelung des § 19 AuslG dazu dienen, "[…]
den Betroffenen, in der Regel Frauen, die sich in untragbaren Lebensgemeinschaften
befinden, zu helfen." Nach Auffassung der Fraktion der SPD sei die geltende Regelung
des § 19 AuslG so gestaltet gewesen, dass sich der Staat gleichsam zum Kerkermeister
mancher Frauen gemacht habe, weil gegen Frauen und Kinder zum einen Gewalt
ausgeübt werde, auf der anderen Seite verschiedene Frauen in ihrem Kulturkreis nicht
mehr geachtet würden und deshalb nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren könnten.
Entscheidend für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sei, dass die bisherige Regelung
von Männern ausgenutzt werde, um Frauen zu quälen. Dem gehe man mit der
Neuregelung zu Leibe, indem man den Frauen ein Stück mehr Autonomie gebe (vgl.
Drs. 14/2902, S. 5 f.).
Mithin erscheint es vertretbar, wie das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss
ausgeführt hat, dass Zweck der Änderung des § 19 Abs. 1 AuslG gewesen sei, es
insbesondere ausländischen Ehefrauen zu ersparen, eine unzumutbar gewordene
Lebensgemeinschaft bis zum Ablauf von vier Jahren weiterhin durchzustehen, um nicht
auf Grund vorzeitiger Beendigung der Lebensgemeinschaft in das Heimatland
zurückkehren zu müssen. Die hieran anknüpfende Argumentation des
Oberverwaltungsgerichts, dieser Zweck könne durch die Neuregelung nicht erreicht
werden, wenn die Trennung bereits vor deren Inkrafttreten stattgefunden habe, ist
nachvollziehbar und noch vertretbar.
Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin entsprach im Ergebnis der
Rechtsprechung einiger anderer Verwaltungsgerichte im Bundesgebiet (vgl. etwa
Hess.VGH, InfAuslR 2000, 497 <498 f.>; Nieders.OVG, InfAuslR 2001, 281 <282>; VG
Gera, Urteil vom 27. August 2001 - 1 K 1632/99 GE - juris). Demgegenüber vertrat die
überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung die Auffassung, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AuslG n. F. sei auf Fallkonstellationen, in denen die eheliche Lebensgemeinschaft vor In-
Kraft-Treten der Neufassung zum 1. Juni 2000 bereits aufgelöst war, ohne dass die bis
dahin grundsätzlich geltende Anforderung einer vierjährigen Ehebestandszeit erreicht
worden wäre, anwendbar (vgl. etwa Bayr.VGH, InfAuslR 2001, 274 <275> und 279; OVG
Frankfurt (Oder), NVwZ-Beilage I 1/2002, 5 <6 f.>; OVG Münster, NVwZ-Beilage I 7/2001,
83 <84 f.>; VGH Bad-Württ., InfAuslR 2003, 190 <191 f.>; VG Düsseldorf, InfAuslR 2001,
131 <131 f.>; VG Frankfurt a. M., NVwZ-Beilage I 10/2000, 120; vgl. auch VG
Gelsenkirchen, InfAuslR 2001, 214 <214 f.> zu § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG n. F.; so
nunmehr auch das Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 20/03 -,
BVerwGE 121, 86 ff.).
b. Auch soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 17 i. V. m. Art. 59 Abs. 1
VvB rügt, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.
Das Recht auf Freizügigkeit verlangt unter anderem die Einhaltung des allgemeinen
Gesetzesvorbehalts in Art. 59 Abs. 1 VvB (Stöhr, a. a. O., Art. 17 Rn. 7). Art. 59 Abs. 1
VvB wiederum verpflichtet den Gesetzgeber, die Ausgestaltung des
Verwaltungsverfahrens, soweit sich dies auf grundrechtlich geschützte Positionen
auswirkt, selbst zu regeln (Beschluss vom 25. März 1999 - VerfGH 35/97 - LVerfGE 10,
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auswirkt, selbst zu regeln (Beschluss vom 25. März 1999 - VerfGH 35/97 - LVerfGE 10,
51 <61>). Der Beschwerdeführer rügt allerdings nicht, dass die wesentlichen
Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Falle der Aufhebung der
ehelichen Lebensgemeinschaft vom Gesetzgeber nicht geregelt worden seien. Vielmehr
rügt er, dass das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG a. F.
und nicht § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG n. F. angewendet habe. Dies ist jedoch keine
Frage des Gesetzesvorbehalts, sondern eine Frage der richtigen Rechtsanwendung.
Der weitere Einwand des Beschwerdeführers, sein Recht auf Freizügigkeit werde auch
dadurch beeinträchtigt, dass er sich zwar in Essen aufhalten könnte und dort ein
eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten würde, bei einem weiteren Aufenthalt in Berlin
jedoch eine Abschiebung zu befürchten habe, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Denn der
Freizügigkeitsgrundsatz hindert die Landesrechtsprechung nicht prinzipiell daran,
Einwohner des Landes Berlin im Rahmen der Gesetzesauslegung und -anwendung im
Ergebnis stärker zu belasten oder zu begünstigen als dies bei Bewohnern anderer
Länder der Bundesrepublik aufgrund der dortigen Länderrechtsprechung der Fall sein
mag. Insofern führt das Freizügigkeitsrecht des Art. 17 VvB in der vorliegenden
Fallgestaltung nicht weiter als der allgemeine Gleichheitssatz (vgl. auch Beschluss vom
10. November 1994 - VerfGH 90/94 - LVerfGE 2, 75 <79> hinsichtlich der Reichweite des
Freizügigkeitsgrundrechts in Bezug auf den Landesgesetzgeber sowie Stöhr, a. a. O.,
Art. 17 Rn. 6).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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