Urteil des VerfGH Berlin vom 13.03.2017

VerfGH Berlin: anspruch auf rechtliches gehör, wohnung, verbürgung, gewährleistung, verfassungsbeschwerde, rückzahlung, ausstattung, dusche, bad, klageänderung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
35/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 15 Abs 1 Verf BE, Art 15
Abs 5 S 2 Verf BE, § 5 WiStrG
(VerfGH Berlin: Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs und
des Rechts auf den gesetzlichen Richter durch fachgerichtliche
Verurteilung des Vermieters zur Rückzahlung überhöhter
Wohnraummiete nach WiStrG § 5 - Ermittlung der ortsüblichen
Vergleichsmiete durch Berliner Mietspiegel - Einholung eines
Rechtsentscheids)
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer sind Vermieter einer ca. 125 qm. großen Wohnung in Berlin-
Tiergarten. Diese Wohnung war in der Zeit vom 1. April 1995 bis zum 31. Mai 1996 unter
Vereinbarung einer Staffelmiete an die Beteiligten zu 3. u. 4. vermietet. Die Wohnung ist
vor dem Jahre 1919 bezugsfertig geworden und wurde wie das gesamte Haus
grundlegend instandgesetzt und modernisiert. Zu Beginn des Mietverhältnisses betrug
die Nettokaltmiete 1.730, DM und erhöhte sich gemäß der
Staffel-Mietvereinbarung am 1. April 1996 auf DM 1.780,- netto/kalt.
Nach Auszug verklagten die Beteiligten zu 3. u. 4. die Beschwerdeführer vor dem
Amtsgericht Tiergarten auf Rückzahlung angeblich überhöhten Mietzinses in Höhe von
insgesamt 8.220,45 DM nebst Zinsen. Sie waren der Auffassung, die zwischen den
Vertragsparteien vereinbarte Miete sei überhöht im Sinne von § 5 WiStG, wobei sie sich
am Mietspiegel des Jahres 1994 orientierten und bezüglich der Beschreibungsmerkmale
für die Wohnung die obere Grenze der vorgesehenen Spanne auswählten.
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte die Beschwerdeführer am 18. Januar 2000 zur
Zahlung von 8.215,12 DM nebst .4 % Zinsen seitdem 15. Januar 1999 unter Abweisung
der Klage im Übrigen.
Auf die Berufung der Beschwerdeführer änderte das Landgericht Berlin unter
Klageabweisung im Übrigen das amtsgerichtliche Urteil dahingehend ab, dass die
Beschwerdeführer verurteilt wurden, an die Kläger 4.920,65 DM nebst 4 % Zinsen seit
dem 15. Januar 1999 zu zahlen. Von den Kosten des Rechtsstreits erlegte das
Landgericht den Beschwerdeführern 60 % der ersten Instanz auf, die Kosten der
Berufungsinstanz vollständig.
Die Beschwerdeführer waren und sind der Auffassung, ihre Mietpreisforderung sei
angemessen und zutreffend gewesen und verstoße nicht gegen § 5 WiStG. So weise die
vermietete Wohnung erhebliche Qualitätsmerkmale auf wie ein Bad mit Dusche/Wanne,
WC und Waschtisch sowie ein separates Gäste-WC mit Waschtisch. Für die Warm- und
Kaltwasserversorgung seien Einhandmischer als Batterien eingebaut. Die Dusche
verfüge über eine Duschabtrennung. Im Flur sei die Decke mit Rigips abgehangen und
mit eingebauten Niedervoltstrahlern ausgestattet. Die Küche sei mit einer Bosch-
Einbauküche mit Kühl- und Gefrierkombination, Einbauherd und Kochmulde hochwertig
ausgestattet. Bad und Gäste-WC seien türhoch gefliest, ebenfalls der Boden. Die
Wohnung verfüge zudem über eine eingebaute Loggia von ca. 6 qm. Alle Fassaden seien
neu verputzt, der Giebel sei mit Wärmedämmung versehen und malermäßig
instandgesetzt worden. Insgesamt handele es sich um Luxuswohnraum, der überdies
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instandgesetzt worden. Insgesamt handele es sich um Luxuswohnraum, der überdies
vollständig mit neuem Teppichboden ausgestattet sei. Diesen letztgenannten Umstand
trugen die Beschwerdeführer zunächst nicht vor. Lediglich der Prozessbevollmächtigte
der anfangs fälschlich in Anspruch genommenen Hausverwaltung erwähnte diesen
Umstand in seinen Schriftsätzen. Die Beschwerdeführer thematisierten diesen Aspekt
erst im Berufungsverfahren.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde greifen die Beschwerdeführer beide zivilrechtlichen
Entscheidungen an. Sie sind nach wie vor der Auffassung, keine überhöhte Miete
gefordert zu haben. Mit seiner Berufungsentscheidung verstoße das Landgericht gegen
Art. 15 Abs. 1 VvB, wenn es davon ausgehe, dass bei Abschluss des Mietvertrages der
Parteien die Voraussetzungen des § 5 WiStG und insbesondere die Ausnutzung eines
geringen Angebots an vergleichbaren Wohnungen vorgelegen hätte. Wenn das
Landgericht ausführe, die pauschale Behauptung, seit 1994 habe in Berlin keine
Mangellage für Wohnraum mit guter Ausstattung mehr bestanden und solcher sei für
Mietinteressenten problemlos anzumieten gewesen, reiche zum Nachweis hierfür nicht
aus, so verstoße es gegen das Gebot, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu
nehmen und in Erwägung zu ziehen. Sie, die Beschwerdeführer, hätten
Sachverständigengutachten dafür angeboten, dass zum Zeitpunkt der Anmietung der
besagten Wohnung im April 1995 für Wohnraum von 110 bis 150 qm keine das
tatsächlich bestehende Angebot erheblich übersteigende Nachfrage bestanden habe,
ebenso dafür, dass es zu diesem Zeitpunkt etwa 120 freie Wohnungen im Bezirk
Tiergarten gegeben habe, die eine Wohnfläche von 100 bis 150 qm gehabt hätten, und
schließlich dafür, dass es eine Vermutung für eine höhere Nachfrage nach Wohnraum
zumindest bis Ende 1995 nicht gebe, dies insbesondere nicht für den vorliegenden
außergewöhnlichen Wohnraum.
Dieser Vortrag sei nicht zur Kenntnis genommen worden.
Des weiteren habe das Landgericht gegen Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB, also gegen die
verbürgte Gewährleistung des gesetzlichen Richters verstoßen, indem es die Auffassung
vertreten habe, dass der Berliner Mietspiegel nicht nur ein Begründungsmittel für
Mieterhöhungserklärungen sei, sondern auch die tatsächliche ortsübliche Miete
widerspiegele. Es weiche damit von der Rechtsprechung anderer Kammern des
Landgerichts ab, wonach für derartige Feststellungen ein Sachverständigengutachten
vorzuziehen sei. Diese Rechtsfrage hätte demnach dem Kammergericht zur
Entscheidung vorgelegt werden müssen.
Schließlich rügen die Beschwerdeführer, das Landgericht habe durch seine
Kostenentscheidung gegen Art. 15 Abs. 1 VvB verstoßen, denn es treffe nicht zu, dass
von der Ausstattung der streitgegenständlichen Wohnung mit Teppichboden erstmals in
der Berufungsinstanz die Rede gewesen sei. Vielmehr habe bereits der frühere
Prozessbevollmächtigte der (beklagten) Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz erster
Instanz vom 27. Mai 1999 auf diesen Umstand hingewiesen. Da also entsprechender
Vortrag hinsichtlich des Teppichbodens seitens der Beschwerdeführer von Anfang an
vorgelegen habe, hätte das Landgericht eine entsprechende Kostenquotelung auch
hinsichtlich der zweiten Instanz vornehmen müssen.
Dem Präsidenten des Landgerichts und dem Präsidenten des Amtsgerichts ist gemäß §
53 Abs. 1 VerfGHG, den ehemaligen Klägern gemäß § 53 Abs. 2 VerfGHG Gelegenheit
zur Stellungnahme gegeben worden.
II.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Landgericht Berlin hat im angefochtenen Urteil nicht gegen die Gewährleistung
des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 15 Abs. 1 VvB verstoßen. Aus der in Art. 15
Abs.1 VvB enthaltenen verfassungsrechtlichen Verbürgung des rechtlichen Gehörs folgt
zunächst, dass ein Gericht die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu
nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen hat (vgl. Beschluss vom 16.
November 1995 - VerfGH 48/94 - LVerfGE 3, 113 <117>). Das heißt jedoch nicht, dass
das Gericht sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen mit jedem Einzelvorbringen
auseinandersetzen muss. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein
Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis
genommen und in Erwägung gezogen hat. Der Verfassungsgerichtshof kann nur dann
feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu
nehmen und zu erwägen, verletzt hat, wenn sich dies aus den Umständen des einzelnen
Falles eindeutig ergibt (vgl. Beschluss vom 22. Mai 1997 - VerfGH 34/97 -LVerfGE 6; 80
<82>; st. Rspr.). Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Sein Vorliegen folgt
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<82>; st. Rspr.). Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Sein Vorliegen folgt
insbesondere nicht daraus, dass das Landgericht trotz der Ausführungen der
Beschwerdeführer zur nach ihrer Auffassung fehlenden Mangellage an vergleichbarem
Wohnraum in Berlin kein Sachverständigengutachten hierüber eingeholt hat. Aus der
verfassungsrechtlichen Verbürgung des rechtlichen Gehörs ergibt sich eine Verpflichtung
zur Berücksichtigung solcher Beweisanträge, die auf der Grundlage der jeweils
einschlägigen Verfahrensordnung und der materiellrechtlichen Beurteilung des Falles
durch das Gericht als erheblich anzusehen sind. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist
jedoch dann nicht verletzt, wenn ein Gericht aus Gründen des formellen oder des
materiellen Rechts das Vorbringen eines Beteiligten unberücksichtigt lässt (vgl.
Beschluss vom 17. Dezember 1997 - VerfGH 112/96 - LVerfGE 7, 49 <56> m.w.N.). So
liegt es hier.
Das Landgericht hat seine Entscheidung auf die Annahme gestützt, in dem nach seiner
materiellen Rechtsauffassung allein maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des
Mietvertrages am 1. April 1995 habe ein geringes Angebot an vergleichbaren
Wohnungen vorgelegen, weil die Nachfrage höher als das Angebot gewesen sei. Diese
Annahme hat es aus einer widerlegbaren Vermutung hergeleitet, die es mit der Geltung
bestimmter Schutzverordnungen im Ballungsgebiet Berlin begründet hat. Den Vortrag
der Beschwerdeführer zum Fehlen einer Wohnraummangellage hat es deshalb nicht zum
Anlass einer Beweiserhebung genommen, weil die Beschwerdeführer der Vermutung für
den Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses entgegenstehende Anhaltspunkte nicht
konkret dargetan hätten. Zwar hat es in diesem Zusammenhang nur die pauschale
Behauptung der Beschwerdeführer erwähnt, zur fraglichen Mietzeit habe keine
Mangellage mehr an Wohnraum bestanden, mit dem Argument, in Tiergarten wären
über 120 vergleichbare Wohnungen vorhanden gewesen, hat es sich nicht im Einzelnen
auseinandergesetzt. Da die Beschwerdeführer jedoch nicht hatten erkennen lassen,
woher sie Erkenntnisse über diese Zahlen gewonnen haben wollten, konnte das
Landgericht auch insoweit davon ausgehen, dass es sich um pauschale Behauptungen
handelte, für die tatsächliche Unterlagen ganz fehlten. Der Antrag, über eine derartig
unsubstantiierte Behauptung, Beweis durch Sachverständigengutachten zu erheben,
kann jedoch nach dem Prozessrecht als unzulässig behandelt werden, weil er auf einen
Ausforschungsbeweis hinausläuft (vgl. Baumbach/Hartmann, ZPO, 59. Aufl. 2001, Einf. §
284, Rn. 27).
Das Landgericht hat auch nicht gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters im
Sinne von Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB verstoßen. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits
mehrfach entschieden hat, gebietet die unterschiedliche Auffassung verschiedener
Kammern des Landgerichts Berlin zu der Frage, ob zur Feststellung angemessenen
Mietzinses der jeweilige Mietspiegel herangezogen werden könne oder aber die
Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sei, keine Vorlage an das
Kammergericht.
Zwar kann nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs die Unterlassung
einer gesetzlich gebotenen Vorlage an ein übergeordnetes Gericht einen Verstoß gegen
den Grundsatz des gesetzlichen Richters darstellen (vgl. Beschluss vom 19. Oktober
1995 - VerfGH 23/95 - LVerfGE 3, 99 <103>). Die Nichtvorlage verletzt die Verbürgung
des gesetzlichen Richter aber nur, wenn sich dem entscheidenden Gericht die - hier ggf.
aus § 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO folgende - Notwendigkeit einer Vorlage aufdrängen musste
bzw. sich deren Unterlassung als unvertretbar und damit objektiv willkürlich darstellt (vgl.
Beschluss vom 17. Dezember 1997, a.a.0. S. 54 m. w. N.). Das war hier schon deshalb
nicht der Fall, weil das Kammergericht; an das die Vorlage zu richten wäre, einen
Rechtsentscheid zu der genannten Frage für unzulässig hält, weil sie allein die
richterliche Überzeugungsbildung betrifft (vgl. KG WuM 1991, S. 425 <426>; GE 1994, S.
991 <995>).
3. Auch aus der Kostenentscheidung des Landgerichts Berlin kann kein
Verfassungsverstoß hergeleitet werden.
Vorliegend hatten die Beschwerdeführer - wie die beigezogenen Sachakten ergeben -
den Teppichboden erst in der Berufungsinstanz erwähnt. Die Beschwerdeführer
verkennen insoweit, dass der Rechtsstreit zunächst gegen die Hausverwaltung gerichtet
war. Nachdem sie im Wege der Klageänderung als Beklagte in Anspruch genommen
worden waren, mussten sie ihrerseits alles vortragen, was ihre begehrte Klageabweisung
begründen konnte. Die vorsorgliche Bezugnahme auf den bisherigen Vortrag der
ehemaligen Beklagten reichte dafür nicht aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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