Urteil des VerfGH Berlin vom 13.03.2017

VerfGH Berlin: öffentliche gewalt, darlehen, willkürverbot, vermieter, verfassungsbeschwerde, wohnfläche, mietzins, kapital, rechtsgrundlage, umbau

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21/94
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 10 Abs 1 Verf BE, § 5
MietHöReglG, § 17 WoBauG 2
(VerfGH Berlin: Mieterhöhungserklärung wegen gestiegener
Kapitalkosten durch Umlage der Darlehenszinserhöhung auf
Mietzins gem MHG § 5 ) verstößt nicht
gegen das Willkürverbot)
Gründe
Die Beschwerdeführerin ist Mieterin einer von der Beteiligten gemieteten, ca. 75 qm
großen 2-Zimmer-Wohnung.
In den Jahren 1990/1991 erklärte die Beteiligte und Vermieterin vier Mieterhöhungen, die
sie im wesentlichen mit gestiegenen Kapitalkosten für Finanzierungsmittel begründete,
die sie für die Sanierung des Hauses aufgenommen habe und die anteilig, und zwar in
dem Verhältnis, in dem die Wohnfläche der Wohnung der Beschwerdeführerin zur
Gesamtnutzfläche des Hauses stehe, für die Wohnung der Beschwerdeführerin verwandt
worden seien. Die Beschwerdeführerin trat den Mieterhöhungserklärungen entgegen; sie
seien unwirksam, da sie nicht entsprechend den Vorschriften für ehemals
preisgebundenen Altbauwohnraum abgegeben worden seien. Durch Urteil vom 12.
Januar 1993 hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg die Klage der Vermieterin auf
Zahlung rückständigen Mietzinses mit der Begründung abgewiesen, die
Mieterhöhungserklärungen seien unwirksam, weil sie zu Unrecht auf die für
preisgebundenen Neubauwohnraum geltenden Vorschriften gestützt seien. Auf die
Berufung der Vermieterin hat das Landgericht Berlin durch Urteil vom 6. Dezember 1993
die erstinstanzliche Entscheidung geändert und der Klage im wesentlichen stattgegeben.
Die Mieterhöhungserklärungen seien gemäß §§ 5 MHG, 2 GVW wirksam, ohne daß es
darauf ankomme, welche Rechtsgrundlage die Vermieterin für sie angegeben habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Verfassungsbeschwerde; zugleich
beantragt die Beschwerdeführerin die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe. Mit ihrer
Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, die Auffassung des
Landgerichts Berlin sei unvertretbar. Sie stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung und
Literatur, wonach § 5 MHG als Ausnahmevorschrift und Durchbrechung des
Vergleichsmietenprinzips zu begreifen und eng auszulegen sei. Überdies verletze sie
den grundrechtlich durch Art. 14 GG und Art. 15 der Berliner Verfassung geschützten
Mieterbesitz. Wenn sich die Ansicht des Landgerichts durchsetzen sollte, könnten
Kostensteigerungen bei Darlehen, die vom Vermieter aufgenommen werden, um
Gebäudeteile (z. B. Dachgeschosse, Nebengebäude, Anbauten, Freiflächen und
Grundstücke) aufwendig zu sanieren, im Falle der Erhöhung der Kapitalkosten auf dem
Umweg über § 5 MHG immer dann auf die Gesamtheit der Mieter umgelegt werden,
wenn der Vermieter dabei lediglich beachte, daß die Kosten entsprechend dem
Verhältnis der Fläche der betroffenen Wohnung zur Gesamtfläche des Hauses verteilt
werden.
Die Beteiligte sowie die Senatsverwaltung für Justiz haben gemäß § 53 Abs. 2 VerfGHG
Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Der Vortrag der Beschwerdeführerin gibt Veranlassung, eingangs darauf hinzuweisen,
daß der Verfassungsgerichtshof kein Rechtsmittelgericht ist und er daher nicht die
Aufgabe hat, allgemein die Entscheidungen der Gerichte des Landes Berlin auf jegliche
Rechtsfehler zu kontrollieren. Er hat vielmehr nur zu überprüfen, ob die in der Verfassung
von Berlin gewährten subjektiven Rechte grundsätzlich in Existenz und Tragweite
hinreichend für die Einzelfallentscheidung berücksichtigt worden sind (vgl. u.a. Beschluß
vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93 - LVerfGE 1, 169 <184>). Bei Beachtung dieses
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vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93 - LVerfGE 1, 169 <184>). Bei Beachtung dieses
Prüfungsmaßstabs verletzt das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. Dezember 1993
keine Grundrechte der Beschwerdeführerin.
1. Richtig ist, daß sich aus dem in Art. 6 Abs. 1 der hier noch maßgebenden Verfassung
von Berlin vom 1. September 1950 (VOBl.
S. 433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 1995 (GVBl.
S. 339), - VvB a.F. - gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung auch ein zugunsten der
Beschwerdeführerin wirkendes Willkürverbot ergibt (vgl. etwa Beschluß vom 17. Februar
1993 - VerfGH 53/92
- LVerfGE 1, 65 <67>). Richtig ist ferner, daß dieses Grundrecht inhaltsgleich mit der in
Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen bundes-rechtlichen Verbürgung und daher nach der
ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. u. a. Beschluß vom
2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93 - a.a.O., S. 169) durch die öffentliche Gewalt des
Landes Berlin zu beachten sowie in Verfassungsbeschwerdeverfahren beim
Verfassungsgerichtshof selbst dann rügefähig ist, wenn die angegriffene Maßnahme -
wie hier - in Anwendung von Bundesrecht ergangen ist. Nicht gefolgt werden kann indes
der sinngemäß geäußerten Ansicht der Beschwerdeführerin, die angegriffene
Entscheidung des Landgerichts verstoße gegen das landesverfassungsrechtliche
Willkürverbot.
Ein Richterspruch verletzt das verfassungsrechtliche Willkürverbot ausschließlich, wenn er
"unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluß
aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht" (so zum Bundesrecht u. a.
Beschluß vom 26. Mai 1993 - 1 BvR 208/93 - BVerfGE 89, 1 <14>). Eine fehlerhafte
Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich.
Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt
worden ist, d. h. wenn bei objektiver Würdigung der Gesamtumstände die Annahme
geboten ist, die vom Gericht vertretene Rechtsauffassung sei im Bereich des schlechthin
Abwegigen anzusiedeln (vgl. u. a. Beschluß vom 25. April 1994 - VerfGH 34/94
- LVerfGE 2, 16 <18>). Davon kann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit
der Rechtslage auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen
Grundes entbehrt. So liegen die Dinge im vorliegenden Fall. Das Landgericht hat - wie
gesagt - angenommen, die Mieterhöhungserklärungen der Vermieterin seien wirksam.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, zwar sei die Auffassung der
Vermieterin unzutreffend, bei den an die Beschwerdeführerin vermieteten
Räumlichkeiten handele es sich um Neubauwohnungen im Sinne des § 17 2.
Wohnungsbaugesetz. Doch komme es nach seiner Rechtsprechung (62 S 218/91; 62 S
119/91
- MM 1992, Heft 5, S. 27) für die Wirksamkeit der Mieterhöhungserklärungen nicht
entscheidend auf die Qualität des Wohnraums an, wenn diese Erklärungen jedenfalls
auch den Anforderungen der
§§ 5 MHG, 2 GVW entsprächen. Das sei hier der Fall.
Zutreffend gehe die Beschwerdeführerin davon aus, Wirksamkeitsvoraussetzungen einer
Mieterhöhungserklärung nach § 5 MHG sei, daß sich die Berechnung auf die jeweilige
Einzelwohnung beziehe. Dieser Voraussetzung sei hier dadurch genügt, daß durch die
Berechnung des Erhöhungsbetrags in der Anlage zu den Mieterhöhungserklärungen auf
die Wohnfläche der jeweiligen Wohnung abgestellt und nachvollziehbar der jeweilige
Erhöhungsbetrag dargelegt werde. Durch die Beifügung der Schreiben der
kreditgebenden ...... AG sei auch die weitere Wirksamkeitsvoraussetzung für eine
Erhöhung nach § 5 MHG erfüllt, daß das zugrundeliegende Darlehen identifizierbar zu
bezeichnen und der Zweck anzugeben sei. Durch derartige Angaben solle dem Mieter
nachvollziehbar erläutert werden, daß ein gerade auch für seine Wohnung verwandtes
Darlehen höher zu verzinsen sei und diese höhere Belastung des Vermieters auf seinen
Mietzins umgelegt werde. Dieses Ziel werde dadurch erreicht, daß der Mieter dem
Schreiben der kreditgebenden Bank entnehmen könne, gerade für das Grundstück, auf
dem sich seine Wohnung befinde, sei von dieser ein mit dem Nominalwert bezeichnetes
Darlehen gewährt worden; die Einzelbelastung seiner eigenen Wohnung könne der Mieter
der jeweiligen Mieterhöhungserklärung selbst entnehmen.
Da die hier in Rede stehenden Mieterhöhungserklärungen sämtlich den damit
bezeichneten Zweck erfüllten, komme es für ihre Wirksamkeit nicht darauf an, welche
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bezeichneten Zweck erfüllten, komme es für ihre Wirksamkeit nicht darauf an, welche
Rechtsgrundlage die Vermieterin angegeben habe. Daß die falsche Bezeichnung der
entsprechenden Vorschriften zur Kapitalkostenerhöhung für den Mieter keine
nachteiligen Auswirkungen habe, ergebe sich daraus, daß es sich insoweit um
tatsächlich entstandene Kosten handele, die unabhängig von der Qualität des
Wohnraums vom Vermieter auf ihn umgelegt werden dürften.
Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Ausführungen im einzelnen mehr oder weniger
zu überzeugen vermögen. Darauf kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, weil
das eine Frage des einfachen Rechts ist, die sich der Beurteilung des
Verfassungsgerichtshofs entzieht. Jedenfalls kann keine Rede davon sein, die Auffassung
des Landgerichts entbehre jeder sachlichen Grundlage, sei unter keinem denkbaren
Aspekt rechtlich vertretbar und müsse deshalb als willkürlich qualifiziert werden.
Insoweit ist die Entscheidung mit fünf zu vier Stimmen ergangen.
2. Soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, "das Landgericht verkennt die
eigentumsähnliche Bedeutung des Mieterbesitzes" (Beschwerdeschrift S. 3), dürfte die
Beschwerde mangels Erfüllung der Anforderungen des durch die §§ 49 Abs. 1, 50
VerfGHG begründeten Darlegungsgebots unzulässig sein. Doch mag das auf sich
beruhen. Ebenfalls mag offenbleiben, ob - wovon die Beschwerdeführerin ausgeht - der
Auslegung, die das Bundesverfassungsgericht dem Eigentumsgrundrecht mit Blick auf
den Schutz des Besitzrechts des Mieters gegeben hat (BVerfG, Beschluß vom 26. Mai
1993 - 1 BvR 208/93 - BVerfGE 89, 1 <14>), auch für Art. 15 Abs. 1 VvB a. F. zu folgen
ist. Denn jedenfalls lassen sich den Überlegungen des Landgerichts keine Hinweise
darauf entnehmen, das Gericht könnte ein etwa aus dem Eigentumsschutz
herzuleitendes Besitzrecht des Mieters an seiner Mietwohnung in seiner
Ausstrahlungswirkung in verfassungsrechtlich relevanter Weise verkannt haben.
Mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde war zugleich der
Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gemäß § 52 Satz 1
VerfGHG i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 33 f. VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
S o n d e r v o t u m
zu VerfGH 21/94
Die Entscheidung verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 6 VvB a. F. in seiner
Bedeutung als Willkürverbot.
Nach der Auffassung des Landgerichts in der angegriffenen Entscheidung soll der
Vermieter nach § 5 MHG berechtigt sein, eine Erhöhung der Kapitalkosten aus einem
dinglich gesicherten Darlehen auch dann auf den Mieter umzulegen, wenn kein
wohnungs-bezogener Mittelverwendungsnachweis geführt wird. Vielmehr soll es
ausreichend sein, wenn das zugrundeliegende Darlehen identifizierbar bezeichnet ist und
die Berechnung des Erhöhungsbetrags nachvollziehbar auf die Wohnfläche der jeweiligen
Wohnung abstellt. Diese Rechtsauffassung ist im vorliegenden Fall in sich widersprüchlich
und unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar.
Während in der Entscheidung die Voraussetzungen des § 17 Zweites
Wohnungsbaugesetz unter Hinweis auf die fehlende konkrete Berechnung des für den
Umbau getätigten Aufwandes gerade für die streitbefangene Wohnung verneint werden,
wird die fehlende wohnungsbezogene Konkretisierung der Kostenberechnung bei der
Anwendung von § 5 MHG für unbeachtlich gehalten. Eine Erläuterung, warum für § 17
Zweites Wohnungsbaugesetz andere Erwägungen gelten sollen als für § 5 MHG, kann
der Entscheidung nicht entnommen werden. Im Gegensatz hierzu heißt es in der
späteren Entscheidung derselben Kammer vom 20. Oktober 1994, welche ebenfalls die
streitbefangene Wohnung betrifft, daß bei der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 MHG
dieselben Erwägungen gelten würden wie zu § 17 Zweites Wohnungsbaugesetz.
Kapitalkosten könnten nur dann weitergegeben werden, wenn es sich um dinglich
gesicherte Darlehen zu den in § 5 Abs. 1 Nr. 3 genannten Zwecken gehandelt habe.
Demgegenüber findet die in der angegriffenen Entscheidung vertretene
Rechtsauffassung weder im Gesetz noch in Rechtsprechung und Literatur irgendeine
Stütze. Zwar beruft sich das Landgericht auf die Kommentierung zu § 5 MHG bei Sternel
III Rdnr. 842. Die zitierte Fundstelle stützt die vom Landgericht vertretene Auffassung
aber gerade nicht. Vielmehr geht Sternel in Übereinstimmung mit den übrigen
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aber gerade nicht. Vielmehr geht Sternel in Übereinstimmung mit den übrigen
Kommentierungen zu § 5 MHG davon aus, daß die Mieter nur dann mit den erhöhten
Kapitalkosten belastet werden können, wenn das Kapital für Maßnahmen verwendet
wurde, welche den Mietern auch tatsächlich zugute gekommen sind. Wurde das Kapital
für Maßnahmen verwendet, die nur einem Teil der Mieter zugute gekommen sind,
können auch nur diese Mieter damit belastet werden (siehe auch Gramlich, § 5 MHG Ziff.
4; Barthelmess, § 5 Rdnr. 17 MHG; Bevermann, § 5 MHG).
Angesichts dieser Lage der Dinge ist die insoweit nicht mit einer aussagefähigen
Begründung versehene Entscheidung des Landgerichts bei verständiger Würdigung der
die Verfassung von Berlin beherrschenden Gedanken nicht nachvollziehbar und damit
objektiv willkürlich (vgl. zum Grundgesetz BVerfGE 71, 122 <136> und BVerfGE 58, 163
<168>; weiter BVerfG NJW 1990, 3191 und NJW 1990, 3193). Ohne daß es auf subjektive
Umstände oder auf ein Verschulden des Landgerichts ankäme, stellt eine derartige
Entscheidung einen Verstoß gegen Art. 6 VvB a. F. dar.
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