Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 17.10.2000

VerfG Nordrhein-Westfalen: minderheit, regierung, unternehmen, rundfunk, film, fraktion, streichung, mehrheit, bestimmtheitsgebot, kontrolle

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 16/98
17.10.2000
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil
VerfGH 16/98
1.
Der Landtag ist berechtigt und verpflichtet, vor der Beschlussfassung
über den Antrag einer Minderheit auf Einsetzung eines
Untersuchungsausschusses (Art. 41 Abs. 1 Abs. 1 Satz 1 LV NRW) die
rechtliche Zulässigkeit dieses Antrags zu überprüfen.
2.a)
Hält der Landtag eine von der Minderheit beantragte Untersuchung in
wesentlichen Teilen für verfassungswidrig, so darf er den
Einsetzungsantrag nur insgesamt ablehnen. Er ist nicht befugt, die für
verfassungswidrig gehaltenen Teile aus dem Minderheitsantrag zu
streichen und dem so geänderten Antrag stattzugeben.
b) Ob die für verfassungswidrig gehaltenen Teile von wesentlicher
Bedeutung sind, ist aus der Sicht der Minderheit zu bestimmen, soweit
sie im Einsetzungsantrag zum Ausdruck kommt.
Der Antragsgegner hat das Recht der Antragsteller aus Art. 41 Abs. 1
Satz 1 LV NRW dadurch verletzt, dass er den Untersuchungsauftrag des
von den Antragstellern beantragten Untersuchungsausschusses II (LT-
Drs. ../....) abgeändert und den Untersuchungsausschuss mit dem
abgeänderten Untersuchungsauftrag durch seinen Beschluss vom 24.
September 1998 (Plenarprotokoll ../.., .... B) eingesetzt hat.
G r ü n d e :
A.
Gegenstand des Organstreitverfahrens ist die Frage, ob der Landtag NRW dadurch gegen
Art. 41 Abs. 1 LV NRW verstoßen hat, dass er den von den Antragstellern beantragten
Untersuchungsausschuss II in der 12. Wahlperiode (sog. HDO-Ausschuss) mit einem
geänderten Untersuchungsauftrag eingesetzt hat.
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geänderten Untersuchungsauftrag eingesetzt hat.
I.
Unter dem 21. September 1998 beantragten 88 Abgeordnete der Fraktion der ... im Landtag
NRW die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Art. 41 LV NRW mit
folgendem Untersuchungsauftrag (LT-Drs. ../....):
"II. Der Untersuchungsausschuss erhält anlässlich der Vorgänge um HDO den Auftrag,
die Förderpraxis im Bereich der Rundfunk-, Film- und Medienwirtschaft auf Defizite und
Mängel zu untersuchen, insbesondere alle Vorgänge und Missstände in Bezug auf das
Technologiezentrum Oberhausen HDO zu untersuchen.
1. In Bezug auf die Vorgänge und Missstände im Fall HDO sind insbesondere unter
Berücksichtigung des Verhaltens, Handelns und der gegenseitigen Abstimmung innerhalb
der Landesregierung, vor allem des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand, Technologie und
Verkehr, des Ministerpräsidenten bzw. der Staatskanzlei, der nachgeordneten Behörden
des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt Oberhausen folgende Sachverhalte zu
untersuchen:
a) Das Konzept und die Projektierung des Tech-
nologiezentrums HDO ...
b) Die Entstehung und Entwicklung von HDO ...
c) Die Schlussprüfung des Förderprojektes HDO
...
1. In Bezug auf die Förderpraxis im Bereich der Rundfunk-, Film- und Medienwirtschaft
im Land Nordrhein-Westfalen sind darüber hinaus vor allem folgende Sachverhalte zu
untersuchen:
Wie sich die Förderung seit 1990 in rechtlicher und finanzieller Hinsicht entwickelt hat;
dabei sind die eingebrachten Mittel nach Zahl und Förderdauer sowie Zuwendungsgeber
aufzuschlüsseln,
welche Projekte und Unternehmen mit welchen Beträgen gefördert wurden; ob und
inwieweit jeweils eine Beteiligung der öffentlichen Hand und/oder eine
kommunalwirtschaftliche Beteiligung festzustellen war,
wie viele Arbeitsplätze seit 1990 mit welchem Aufwand geschaffen wurden,
nach welchen Kriterien die Förderfähigkeit von Projekten und Unternehmen
insbesondere im Vergleich zu nichtgeförderten Unternehmen festgelegt wurde,
welche der geförderten Projekte bzw. Unternehmen eine weitere Förderung, auch
durch Gewährung einer Bürgschaft, erhielten, um Liquiditätsprobleme und drohenden
Konkurs abzuwenden,
in welchen Fällen der Konkurs nicht abgewendet werden konnte und wie viele
Fördermittel bzw. Bürgschaften dadurch verloren gegangen sind,
in welchen Fällen und aus welchen Gründen die Bewilligung der Förderung
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zurückgenommen wurde, in welchen Fällen die Fördermittel zweckentfremdet oder
veruntreut worden sind; in welchen Fällen entsprechend ermittelt wird,
wie die Fördervoraussetzungen geprüft und die zweckentsprechende
Mittelverwendung kontrolliert wurden,
welche Konsequenzen im Falle des Verstoßes gegen Förderauflagen gezogen
wurden,
wie sich die Bearbeitungsdauer der Förderanträge in den verantwortlichen Behörden
gestaltet hat."
Zur Begründung führten die Antragsteller im Landtag aus, Anlass für die beantragte
Einsetzung des Untersuchungsausschusses seien die Vorgänge um HDO gewesen. Der
Untersuchungsbedarf sei aber nicht auf das HDO-Projekt beschränkt. HDO sei Teil der
Medienkonzeption des Landes NRW gewesen. Es habe in den vergangenen Monaten
auch Diskussionen um die Finanzierungsunterstützung für andere Medienprojekte
gegeben (Plenarprotokoll ../.., .... ff.).
Die Fraktion der ... und die Fraktion ... hielten den beantragten Untersuchungsauftrag,
soweit er sich über HDO hinaus auf die "Förderpraxis im Bereich der Rundfunk-, Film- und
Medienwirtschaft" erstrecken sollte, wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot für
verfassungswidrig und brachten unter dem 24. September 1998 folgenden
Änderungsantrag ein (LT-Drs. ../....):
1. Ziffer II Satz 1 erhält folgende Fassung:
'Der Untersuchungsausschuss erhält anlässlich der Vorgänge um HDO den
Auftrag, alle Vorgänge und Missstände in Bezug auf das Technologiezentrum ... HDO zu
untersuchen.'
1. In Ziffer II erhält die Nr. 2 folgende Fassung:
'Bei der Förderung von HDO sind im Einzelnen folgende Fragestellungen zu
untersuchen:
- wie sich die Förderung seit 1990 in rechtli-
cher und finanzieller Hinsicht entwickelt hat;
dabei sind die eingebrachten Mittel nach Zahl
und Förderdauer sowie Zuwendungsgebern aufzu-
schlüsseln,
- wie viele Arbeitsplätze seit 1990 mit welchem
Aufwand geschaffen wurden,
- nach welchen Kriterien die Förderfähigkeit des
Projekts insbesondere im Vergleich zu nicht
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geförderten Unternehmen festgelegt wurde,
- welche Bürgschaften erforderlich waren, um Li-
quiditätsprobleme und ein Konkursverfahren
abzuwenden,
- ob Bewilligungen oder Förderungen zurückgenom-
men wurden, ob Fördermittel zweckentfremdet
oder veruntreut worden sind und deshalb
staatsanwaltschaftliche Ermittlungen ein-
geleitet worden sind,
- welche Konsequenzen im Falle des Verstoßes
gegen Förderauflagen gezogen wurden,
- wie sich die Bearbeitungsdauer der Förderan-
träge in den verantwortlichen Behörden ge-
staltet hat.'"
Dieser Änderungsantrag wurde vom Landtag am 24. September 1998 mehrheitlich
angenommen; anschließend beschloss der Landtag gegen die Stimmen der Antragsteller
die Einsetzung des Untersuchungsausschusses entsprechend dem geänderten Antrag
(Plenarprotokoll ../.., .... B).
II.
1.
Organstreitverfahren eingeleitet.
Die Antragsteller beantragen,
festzustellen, dass der Antragsgegner durch seinen Beschluss vom 24. September
1998 (Plenar- protokoll ../.., .... B), den von den Antragstellern mit der LT-Drs. ../....
beantragten Untersuchungsausschuss II mit dem entsprechend dem Änderungsantrag der
Fraktion der ... und der Fraktion ... (LT-Drs. ../....) zu Ziffer II geänderten
Untersuchungsauftrag einzusetzen, das Recht der Antragsteller aus Art. 41 Abs. 1 Satz 1
der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen verletzt hat.
Zur Begründung tragen die Antragsteller vor:
Der Landtag sei zwar grundsätzlich berechtigt zu prüfen, ob der Antrag einer Minderheit auf
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verfassungsrechtlich zulässig sei. Halte er
den Antrag für verfassungswidrig, so dürfe er ihn aber lediglich ablehnen, nicht jedoch
verändern. Dem Schutz der parlamentarischen Minderheit werde eher Rechnung getragen,
wenn ihr die Entscheidung überlassen bleibe, ob sie einen Untersuchungsausschuss mit
beschränktem Untersuchungsauftrag haben wolle oder nicht. Zur Sicherung der
ungehinderten Ausübung des Kontrollrechts der Opposition dürfe der Untersuchungsge-
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genstand grundsätzlich nicht gegen den Willen der Minderheit verändert oder erweitert
werden. Es widerspreche Sinn und Zweck des Anspruchs der oppositionellen Minderheit
auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit einem von ihr bestimmten
Untersuchungsgegenstand, wenn ein als verfassungs- widrig qualifizierter
Einsetzungsantrag nicht insgesamt abgelehnt, sondern in veränderter Form angenommen
werde, sofern die Minderheit nicht selbst mit dieser Änderung einverstanden sei.
Der Landtag habe jedenfalls den von den Antragstellern beantragten Untersuchungsauftrag
deshalb nicht verändern dürfen, weil dieser Untersuchungsauftrag dem Bestimmtheitsgebot
genüge. Durch den Bezug auf die Förderpraxis staatlicher oder kommunaler Stellen sei der
Zielrahmen von vornherein auf Vorgänge eingeengt, die im öffentlichen Bereich wurzelten
und an denen öffentliche Stellen unmittelbar in unterschiedlicher Weise maßgeblich
beteiligt seien. Darüber hinaus sei der Untersuchungsauftrag in den in der
Spiegelstrichliste aufgeführten zehn Einzelfragen präzisiert worden. Alle Fragen zielten
erkennbar darauf ab zu ermitteln, wo es im System der öffentlichen Medienförderung
organisatorische oder verfahrensmäßige Schwachpunkte gebe, deren Behebung eine
Wiederholung oder Häufung von Missständen wie bei dem HDO-Skandal verhindern und
die Bedingungen der Mittelvergabe optimieren könne.
Es liege auch kein unzulässiger Eingriff in die privaten Rechte Dritter vor. Private würden
überhaupt nur insoweit von dem Untersuchungsauftrag erfasst, als sie als Empfänger von
Förderleistungen betroffen seien. Wer staatliche Fördermittel erhalte, müsse die im
Interesse der Steuerzahler unverzichtbaren Kontrollen hinnehmen.
2.
Ablehnung des Einsetzungsantrages der Antragsteller berechtigt gewesen. Der
Einsetzungsantrag habe gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen. Er beruhe nicht auf
tatsachengestützten Anhaltspunkten, die ein konkretes Geschehen der behaupteten Art
indizierten. Ungeachtet der Unterscheidung zwischen Missstands- und Sachstandsenquête
diene das Bestimmtheitsgebot im Interesse betroffener Dritter dazu, für Eingriffs- und
Zugriffsrechte eine verfassungsrechtlich ausreichende Grundlage zu haben. Der Schutz
Dritter sei nicht erst Aufgabe des Ausschusses selbst, sondern bereits des Parlaments bei
der Einsetzung des Untersuchungsausschusses. In der Plenardebatte sei deutlich
geworden, dass es der antragstellenden Minderheit letztlich um eine begleitende
Regierungskontrolle gehe. Der Untersuchungsauftrag würde auch personell und zeitlich
über alle Möglichkeiten eines Untersuchungsausschusses hinausgehen. Zwischen 1989
und 1999 habe es allein über 2.000 Förderfälle im Bereich der Rundfunk-, Film- und
Medienwirtschaft im Land Nordrhein-Westfalen gegeben, an denen die Landesregierung
beteiligt gewesen sei.
Der Landtag habe das Wahlrecht gehabt, entweder den Einsetzungsantrag insgesamt oder
lediglich den verfassungswidrigen Teil abzulehnen. Ein Antrag müsse insgesamt
abgelehnt werden, wenn er unteilbar sei, wenn also eine Beschränkung auf den
verfassungsrechtlich unbedenklichen Teil nur ein Rudiment stehen lasse, mit dem das Ziel
der Einsetzung des Ausschusses nicht erreicht werden könne. Bei einem teilbaren Antrag
komme hingegen auch eine Teilablehnung in Betracht. Sie trage dem Ziel der Minderheit
am ehesten Rechnung. Der Untersuchungsausschuss könne seine Arbeit bereits
hinsichtlich des verfassungsrechtlich zulässigen Teils aufnehmen. Der antragstellenden
Minderheit bleibe es unbenommen, den verfassungsrechtlich umstrittenen Teil durch das
Verfassungsgericht klären zu lassen. Werde demgegenüber der gesamte Antrag abgelehnt,
würde sich die Einsetzung des Ausschusses bis zur verfassungsrechtlichen Klärung nicht
unerheblich verzögern können.
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3.
gemacht.
B.
Der Antrag der Antragsteller ist sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seiner
Begründung auf die Feststellung gerichtet, dass nicht nur der Einsetzungsbeschluss,
sondern auch der ihn erst ermöglichende Änderungsbeschluss der Landtagsmehrheit vom
24. September 1998 das Recht der Antragsteller aus Art. 41 Abs. 1 Satz 1 LV verletzt hat.
Dieser Antrag ist zulässig.
1. a)
Art. 41 LV NRW die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt haben, sind
sie ein mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Landtags und befugt, im
verfassungsprozessualen Organstreit als Beteiligte aufzutreten (vgl. BVerfGE 2, 143, 162;
BVerfGE 49, 70, 77; BVerfGE 67, 100, 124).
b)
Abgeordnete im 12. Landtag mit Ablauf der 12. Wahlperiode erloschen sind. Für die
Zulässigkeit des Organstreits genügt, dass die Antragsteller parteifähig waren, als sie das
Verfahren eingeleitet haben (vgl. VerfGH NRW, NWVBl 1997, 247, 249 m.w.N.; ferner
BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2000 - 2 BvH 3/91).
2.
Untersuchungsausschuss mit einem Auftrag eingesetzt hat, der von dem Antrag der
Antragsteller abweicht (vgl. VerfGH NRW, NWVBl 1999, 411).
3.
NRW verbürgten Minderheitsrecht dadurch verletzt zu sein, dass der nordrhein-
westfälische Landtag den von ihnen beantragten Untersuchungsausschuss mit einem
geänderten Untersuchungsauftrag beschlossen hat.
4.
Antrag entfallen. Die begehrte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs bezieht sich
nicht auf eine Fallgestaltung, die maßgeblich durch die besonderen und deshalb nicht
wiederholbaren Verhältnisse der abgelaufenen Wahlperiode geprägt wird. Es ist vielmehr
von allgemeiner Bedeutung, ob und unter welchen Voraussetzungen die
Parlamentsmehrheit einen von ihr für verfassungswidrig gehaltenen Antrag der Minderheit
auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ändern darf.
C.
Der Antrag ist begründet.
Der Antragsgegner hat die Antragsteller in ihrem Recht aus Art. 41 Abs. 1 Satz 1 LV NRW
verletzt, indem er in der Plenarsitzung am 24. September 1998 den von den Antragstellern
beantragten Untersuchungsausschuss II (LT-Drs. ../....) mit einem - entsprechend dem zuvor
angenommenen Änderungsantrag der Fraktionen der ... und ... (LT-Drs. ../....) - geänderten
Untersuchungsauftrag eingesetzt hat.
Der Landtag war zwar berechtigt und verpflichtet zu prüfen, ob der Antrag der Antragsteller
auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses rechtlich zulässig war (unter 1.). Er war
jedoch nicht befugt, den Minderheitsantrag durch Streichung wesentlicher Teile, die er für
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verfassungswidrig hielt, abzuändern und dem so geänderten Antrag zuzustimmen (unter
2.).
1.
einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
Der Landtag muss allerdings nur einem zulässigen Minderheitsantrag entsprechen, nicht
einem Antrag, der auf eine verfassungs- oder rechtswidrige Untersuchung gerichtet ist. Das
parlamentarische Untersuchungsrecht ist von (verfassungs-)rechtlichen Voraussetzungen
abhängig und auch (verfassungs-)rechtlich begrenzt. Der Landtag hat die Befugnis und die
Pflicht, einen Antrag der Minderheit abzulehnen, wenn die angestrebte Untersuchung im
Ganzen oder in wesentlichen Teilen unzulässig ist.
Der Landtag in seiner Gesamtheit ist Träger des Untersuchungsrechts und damit Herr des
Verfahrens (vgl. BVerfGE 77, 1, 40 f.). Art. 41 Abs. 1 Satz 1 LV NRW räumt nicht der
Landtagsminderheit das Recht ein, selbst einen Untersuchungsausschuss einzusetzen;
vielmehr enthält die Vorschrift die Verpflichtung des Landtags in seiner Gesamtheit, auf
Antrag der qualifizierten Minderheit einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Mit der
Einsetzung des Untersuchungsausschusses macht der Landtag die beantragte
Untersuchung zu seiner Sache, auch wenn er damit nur dem Antrag einer Minderheit folgt
(vgl. BVerfGE 83, 175, 180). Er trägt als entscheidendes Organ die Verantwortung dafür,
dass sein Einsetzungsbeschluss mit der Verfassung im Einklang steht. Bevor er einen
Beschluss über die Einsetzung des Untersuchungsausschusses fasst, ist er berechtigt und
verpflichtet zu prüfen, ob der entsprechende Minderheitsantrag zulässig ist (allgemeine
Auffassung, vgl. etwa StGH, RGZ 104, 423 ff.; HessStGH, DÖV 1967, 51, 53 m.w.N.;
BayVerfGH, VerfGHE 30, 48, 62; BayVerfGH, NVwZ 1995, 681, 682).
2.
den Antrag der Antragsteller auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in
wesentlichen Teilen abzuändern und ihm in der geänderten Fassung zuzustimmen.
a)
Teilen für verfassungswidrig, so kann er den Antrag nur insgesamt ablehnen. Er ist nicht
befugt, die für verfassungswidrig gehaltenen Teile durch ausdrücklichen oder konkludenten
Änderungsbeschluss aus dem Minderheitsantrag zu streichen und dem so geänderten
Antrag stattzugeben; dieses Recht steht allein der Minderheit zu (vgl. zur Unzulässigkeit
von Änderungsanträgen, die den Gegenstand von Entschließungsanträgen auswechseln,
VerfGH NRW, NWVBl 1999, 411).
Dies folgt aus Sinn und Zweck des in Art. 41 LV NRW gewährleisteten Minderheitsrechts
auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Untersuchungsverfahren erfüllen in der
parlamentarischen Demokratie eine wichtige Aufgabe. Sie ermöglichen den Parlamenten,
unabhängig von Regierung, Behörden und Gerichten mit hoheitlichen Mitteln selbständig
die Sachverhalte zu prüfen, die sie in Erfüllung ihres Verfassungsauftrags als Vertretung
des Volkes für aufklärungsbedürftig halten. Schwerpunkt der Untersuchungen ist die
parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung, insbesondere die Aufklärung
von in den Verantwortungsbereich der Regierung fallenden Vorgängen, die auf Mängel
oder Missstände hindeuten. Dieser Kontrolle kommt im Rahmen der Gewaltenteilung
besonderes Gewicht zu (vgl. BVerfGE 49, 70, 85; BVerfGE 77, 1, 43).
Dabei besteht das politische Spannungs- und Kontrollverhältnis in der Regel nicht
zwischen Regierung und Parlament, sondern zwischen der Regierung und der sie
tragenden Parlamentsmehrheit einerseits und der Opposition andererseits. Das durch die
Verfassung garantierte Recht der (qualifizierten) Minderheit auf Einsetzung eines
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Untersuchungsausschusses dient vorrangig dazu, ihr die Kontrolle der Regierung auch
gegen den Willen der diese tragenden Parlamentsmehrheit zu ermöglichen.
Die ungehinderte Ausübung des Kontrollrechts durch die Minderheit ist aber nur
hinreichend gewährleistet, wenn es der Minderheit überlassen bleibt, den Gegenstand der
von ihr beantragten Untersuchung festzulegen. Der Untersuchungsgegenstand darf daher
grundsätzlich nicht von der Parlamentsmehrheit gegen den Willen der Minderheit
verändert, eingeschränkt oder erweitert werden (vgl. BVerfGE 49, 70, 86 f.).
Das Recht der Minderheit, Gegenstand und Ziel der angestrebten Untersuchung
festzulegen, darf auch nicht dadurch angetastet werden, dass die Parlamentsmehrheit
wesentliche Teile des Untersuchungsauftrags, die sie für verfassungswidrig hält, streicht
und den Untersuchungsgegenstand nur in einer Beschränkung zulässt, die die Minderheit
nicht gewollt hat.
Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist die Parlamentsmehrheit nicht
verpflichtet, den Einsetzungsantrag der Minderheit durch erhebliche Streichungen zulässig
zu machen und auf diese Weise einen Untersuchungsausschuss zu ermöglichen. Die
Minderheitsrechte werden dadurch, dass die Mehrheit in wesentlichen Teilen unzulässige
Einsetzungsanträge insgesamt ablehnt, nicht verletzt (vgl. StGH Baden-Württemberg, NJW
1977, 1872, 1873 f.; BayVerfGH, DVBl. 1986, 233, 235 mit Sondervotum, a.a.O., S. 235 f.;
BayVerfGH, NVwZ 1995, 681, 686; vgl. auch die Dokumentation bei Hempfer, Zeitschrift für
Parlamentsfragen 1979, 294, 301 f.).
Die Parlamentsmehrheit ist nicht einmal berechtigt, einen solchen Einsetzungsantrag durch
erhebliche Streichungen zulässig zu machen und so einen Untersuchungsausschuss zu
ermöglichen, dessen Gegenstand wegen des veränderten Umfangs des Prüfungsstoffs
quantitativ und gegebenenfalls auch qualitativ etwas anderes wäre, als die Minderheit
ursprünglich wollte (a.A. BayVerfGH, VerfGHE 30, 48, 62 f.; NVwZ 1995, 681, 686; offen
lassend BayVerfGH, DVBl 1986, 233, 235; StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April
1977 - 2/76 -, Urteilsabdruck, S. 48 f., insoweit in NJW 1977, 1872 ff. nicht abgedruckt).
Aufgabe des Parlaments in seiner Gesamtheit ist es nur, eine verfassungswidrige
Ausübung des parlamentarischen Untersuchungsrechts zu verhindern, nicht jedoch, an
Stelle der antragstellenden Minderheit eine Entscheidung darüber zu treffen, ob und mit
welchem Inhalt das Untersuchungsziel weiter verfolgt werden soll. Ob ein
Untersuchungsausschuss mit eingeschränktem, verändertem oder neu gefasstem
Untersuchungsauftrag eingesetzt werden soll, hat grundsätzlich allein die antragstellende
Minderheit zu entscheiden. Sie muss darüber befinden, ob das mit dem
Untersuchungsausschuss von ihr bezweckte Ziel noch erreicht werden kann. Es liegt bei
ihr, ob sie auf den Untersuchungsausschuss ganz verzichtet, ob sie den rechtlichen
Bedenken der Mehrheit in der Weise Rechnung trägt, dass sie den Untersuchungsauftrag
konkretisiert bzw. mit rechtlich unbedenklichen Fragen ergänzt, oder ob sie das
Untersuchungsziel in verringertem Umfang aufrecht erhält. Es wäre systemwidrig, würde
die Parlamentsmehrheit diese Entscheidung gleichsam in Ausübung des grundsätzlich
gegen sie selbst gerichteten Oppositionsrechts treffen. Die Minderheitsenquête wird in der
Regel Untersuchungsgegenstände thematisieren, die nicht nur die Regierung und die ihr
nachgeordnete Exekutive betreffen, sondern auch der Regierungsmehrheit im Landtag
politisch nicht selten unwillkommen sein werden. Bei einem derartigen
Interessenwiderstreit steht es der Parlamentsmehrheit nicht zu, darüber zu entscheiden, mit
welchem verfassungsrechtlich zulässigen Inhalt ein Antrag der Minderheit auf Einsetzung
eines Untersuchungsausschusses weiterverfolgt werden soll.
b)
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bestimmen, wird allerdings dann nicht unzulässig eingegriffen, wenn die von der Mehrheit
für verfassungswidrig gehaltenen Teile lediglich von untergeordneter Bedeutung sind und
der Einsetzungsantrag durch deren Streichung nicht erheblich geändert wird. Ob die für
verfassungswidrig gehaltenen Teile von wesentlicher Bedeutung sind, ist aus der Sicht der
Minderheit zu bestimmen, soweit sie im Einsetzungsantrag zum Ausdruck kommt.
Maßgebend ist, ob die für verfassungswidrig gehaltenen Teile im Verhältnis zu dem mit
dem Einsetzungsantrag erkennbar verfolgten Anliegen von so geringfügiger Bedeutung
sind, dass ihre Streichung Gegenstand und Ziel der Untersuchung im Wesentlichen
unbeeinträchtigt lassen würde. Auf die Frage der Teilbarkeit des
Untersuchungsgegenstandes kommt es insoweit nicht an.
c)
Parlamentsmehrheit und die anschließende Zustimmung zu dem geänderten Antrag
werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Der von der Parlamentsmehrheit für
verfassungswidrig gehaltene Teil des Einsetzungsantrags war erkennbar für die Minderheit
von so wesentlicher Bedeutung, dass seine Streichung den Einsetzungsantrag in seinem
Gegenstand und Ziel verändert hat. Der Einsetzungsantrag der Antragsteller umfasste zwei
Untersuchungsaufträge, deren je eigene Bedeutung schon äußerlich durch die
Untergliederung in II. 1. und II. 2. kenntlich gemacht worden ist. Dabei bildeten ausweislich
des Einleitungssatzes unter II. die "Vorgänge um HDO" den Anlass zu dem Auftrag, "die
Förderpraxis im Bereich der Rundfunk-, Film- und Medienwirtschaft im Land Nordrhein-
Westfalen" zu untersuchen. Der gestrichene Teil war auf die Untersuchung der gesamten
Subventionspraxis des Landes und der Kommunen im Medienbereich innerhalb eines
Zeitraums von knapp 10 Jahren gerichtet und hätte nach Darstellung des Antragsgegners
allein rund 2.000 Förderfälle unter Beteiligung der Landesregierung betroffen. Angesichts
dieser nicht nur geringfügigen, sondern wesentlichen Bedeutung des für verfassungswidrig
gehaltenen Teils durfte der Einsetzungsantrag nicht lediglich teilweise, sondern nur
insgesamt abgelehnt werden.
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit der Einsetzungsantrag
in der Minderheitsfassung verfassungs- oder rechtswidrig war. Einer Entscheidung hierüber
bedurfte es nicht.