Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 28.08.2001

VerfG Nordrhein-Westfalen: politische partei, chancengleichheit, beschwerdefrist, sperrklausel, vertretungsmacht, beschwerdeschrift, satzung, einspruch, zustellung, urheber

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
7
Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 32/00
28.08.2001
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Beschluss
VerfGH 32/00
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
G r ü n d e :
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Wahlprüfungsentscheidung des Landtags
vom 7. September 2000. Sie rügt die Verfassungswidrigkeit der nach dem
Landeswahlgesetz fehlenden Möglichkeit zur Abgabe einer Zweitstimme für eine
Landesreserveliste und der 5 v.H.-Sperrklausel.
1.
Wahlkreisen und mit einer Landesreserveliste teil. Sie errang landesweit 22.059 von
7.336.411 gültigen Stimmen und damit 0,3 v.H. der Gesamtstimmenzahl. Ein
Landtagsmandat erzielte sie weder mit ihren Kreiswahlvorschlägen noch mit ihrer
Landesreserveliste.
2.
Landeswahlleiter Einspruch gegen die Gültigkeit der Landtagswahl ein. Die Wahl sei nach
Vorschriften durchgeführt worden, die gegen das Grundgesetz verstießen. Da der Wähler
nur über eine Stimme verfüge, könne er eine Partei lediglich dort wählen, wo sie
Direktkandidaten aufgestellt habe. Diese Konstruktion sei undemokratisch und verletze das
Recht der Parteien auf Chancengleichheit. Kleinere und neue Parteien seien schwerlich in
der Lage, den Anforderungen für die flächendeckende Aufstellung von
Wahlkreisbewerbern zu genügen. Die praktischen Auswirkungen dieses Systems
verstärkten noch die Verletzung der Chancengleichheit. Könne eine Partei nur in einem
Teil der Wahlkreise gewählt werden, so leiteten die Medien daraus die Chancenlosigkeit
dieser Partei ab und ignorierten sie. Der gleiche Eindruck entstehe bei den Wählern.
Die 5 v.H.-Sperrklausel schränke das Recht auf Chancengleichheit ebenfalls massiv ein,
ohne im Interesse der Funktionsfähigkeit des Landtags geboten zu sein. Die gegenteilige
Vermutung könne sich - vergleichbar der Situation in den Kommunen - nicht auf
tatsächliche Erkenntnisse stützen.
Auf Vorschlag des Wahlprüfungsausschusses wies der Landtag Nordrhein-Westfalen den
Einspruch der Beschwerdeführerin durch Beschluss vom 7. September 2000 als
unzulässig zurück: Die Beschwerdeführerin rüge die Verfassungswidrigkeit des
Landeswahlgesetzes. Dieser Vorwurf könne einen Einspruch nicht begründen. Im
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Wahlprüfungsverfahren habe er - der Landtag - zu prüfen, ob bei der Vorbereitung und
Durchführung der Wahl die in § 5 Nr. 3 Wahlprüfungsgesetz (WahlprüfG) genannten
Normen beachtet worden seien. Die Kontrolle darüber, ob die Wahlrechtsvorschriften selbst
verfassungsgemäß seien, bleibe dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten.
In der Sache überzeuge das Vorbringen der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht: Die
Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien im politischen
Wettbewerb verpflichteten den Gesetzgeber nicht zur Einführung eines bestimmten
Wahlsystems und ließen ihm zudem einen Spielraum für Differenzierungen, die aus
sachlich zwingenden Gründen geboten seien. Der Landesgesetzgeber habe nicht dem
Beispiel des Bundesgesetzgebers folgen und eine eigenständige Listenwahl einführen
müssen. Auch das nordrhein-westfälische System entspreche dem Gleichheitssatz. Die 5
v.H.-Sperrklausel, die sowohl im Bundeswahlgesetz als auch in allen Landeswahlgesetzen
verankert sei, stelle eine aus zwingenden sachlichen Gründen gebotene Ausnahme vom
Grundsatz der Chancengleichheit dar. Sie beuge einer übermäßigen Parteienzersplitterung
und den damit verbundenen Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Parlaments vor. Zur
Abwehr dieser Gefahren sei eine Sperrklausel für die Landtagswahl gerechtfertigt, soweit
sie nicht höher als auf 5 v.H. festgesetzt werde.
Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen teilte dem Landesgeschäftsführer der
Beschwerdeführerin die Entscheidung des Landtags durch Bescheid vom 7. September
2000 mit, der diesem am 20. September 2000 zugestellt wurde.
3.
Namen beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde gegen die Entscheidung des Landtags
eingelegt. Auf gerichtliche Anfrage nach der Vertretungsbefugnis des
Landesgeschäftsführers hat der Vorsitzende der Beschwerdeführerin mit einem am 23.
Oktober 2000 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen Schreiben erklärt, er habe den
Landesgeschäftsführer beauftragt, den Schriftwechsel mit dem Verfassungsgerichtshof zu
führen. Außerdem erteile er ihm Vollmacht, die Beschwerdeführerin vor Gericht zu
vertreten. Mit einem am 20. August 2001 eingegangenen Schriftsatz hat der
Landesgeschäftsführer mitgeteilt, der Vorstand der Beschwerdeführerin habe in seiner
Sitzung am 24. Juni 2000 beschlossen, ihn - den Landesgeschäftsführer - zum Betreiben
des Wahlprüfungsverfahrens in allen Instanzen zu bevollmächtigen.
Mit der Beschwerde wird vertiefend geltend gemacht: Der Landtag räume selbst ein, dass
bezogen auf die Chancengleichheit Differenzierungen bestünden. Die Begründung dafür
sei spekulativ. Es fehle jeglicher Hinweis, wo die von ihr - der Beschwerdeführerin -
geforderten Regelungen derzeit eine funktionsfähige Mehrheitsbildung beeinträchtigten.
Der Landtag und der Landeswahlleiter haben Gelegenheit zur Äußerung gehabt.
II.
Die Wahlprüfungsbeschwerde ist unzulässig.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdefrist gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1
WahlPrüfG versäumt.
1.
Zustellung der mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehenen
Einspruchsentscheidung des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 7. September 2000 an
18
19
20
21
22
23
24
25
den Landesgeschäftsführer der Beschwerdeführerin in Lauf gesetzt. Auf Grund der
Bevollmächtigung des Landesgeschäftsführers durch Vorstandsbeschluss vom 24. Juni
2000, gegen dessen Wirksamkeit bezogen auf das Einspruchsverfahren keine Bedenken
bestehen, konnte die Zustellung gemäß § 1 Abs. 1 LZG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Satz 1
VwZG diesem gegenüber bewirkt werden. Die Frist endete mithin am 20. Oktober 2000 (§
13 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs.
2 BGB).
2.
Verfassungsgerichtshof einging, war mangels Vertretungsmacht des
Landesgeschäftsführers nicht geeignet, die Beschwerdefrist zu wahren.
a)
Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeschrift trägt ausschließlich seine Unterschrift, weist
ihn als Absender aus und enthält keinerlei Angaben, die auf einen weiteren Urheber
hindeuten könnten.
b)
Verfahren als Vertreter ohne Vertretungsmacht.
aa)
Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 ParteienG i.V.m. § 26 Abs. 2 BGB wird eine politische Partei
gerichtlich und außergerichtlich durch ihren satzungsmäßigen Vertreter oder, wenn die
Satzung keine Regelung trifft, durch den Vorstand vertreten. § 7 Abs. 2 der Satzung der
Beschwerdeführerin bestimmt, dass die Beschwerdeführerin durch ihren Vorsitzenden oder
einen seiner Stellvertreter vertreten wird. Eine Vertretung durch den Landesgeschäftsführer
sieht die Satzung hingegen nicht vor. Auch durch den Vorstandsbeschluss vom 24. Juni
2000 erhielt der Landesgeschäftsführer nicht die Stellung eines satzungsmäßigen
Vertreters der Beschwerdeführerin, zumal eine derartige Satzungsänderung gar nicht in die
Zuständigkeit des Vorstands fiele.
bb)
der Beschwerdeführerin befugt.
Abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen kann sich ein Beteiligter in einem
Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nur durch einen bei einem deutschen Gericht
zugelassenen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als
Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VerfGHG). Andere
Personen können außerhalb der mündlichen Verhandlung für den Beteiligten als Vertreter
tätig werden, wenn der Verfassungsgerichtshof sie auf Antrag als Beistand zugelassen hat
(§ 17 Abs. 3 VerfGHG).
Der Landesgeschäftsführer gehört nicht zum Kreis möglicher Verfahrensbevollmächtigter.
Seine Bevollmächtigung durch Vorstandsbeschluss vom 24. Juni 2000 war deshalb
unwirksam, soweit sie sich über das Einspruchsverfahren hinaus auch auf ein
anschließendes Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof erstreckte. Aus
demselben Grund vermochten die durch Schriftsatz des Vorsitzenden vom 18. Oktober
2000 mitgeteilte Beauftragung, den Schriftverkehr mit dem Gericht zu führen, und die in
diesem Schriftsatz erteilte Prozessvollmacht dem Landesgeschäftsführer keine
Vertretungsmacht zu verschaffen.
Der Landesgeschäftsführer ist ferner nicht als Beistand zugelassen. Sollte - wofür schon
26
wenig spricht - in seinem Auftreten für die Beschwerdeführerin ein schlüssiger Antrag auf
Zulassung als Beistand gesehen werden, so bleibt dieses Begehren ohne Erfolg. Der
Verfassungsgerichtshof hält eine Zulassung des Landesgeschäftsführers als Beistand aus
den im Organstreitverfahren der Beschwerdeführerin VerfGH 14/00 mit Beschluss vom
heutigen Tage ausgeführten Gründen für nicht sachdienlich. Die mit der Zulassung als
Beistand verbundene Heilung des Vertretungsmangels (vgl. Klein in: Maunz/Schmidt-
Bleibtreu/ Klein/ Ulsamer, BVerfGG, Stand Januar 2001, § 22 Rdnr. 10) tritt folglich nicht
ein.
cc)
Prozessführung durch den Landesgeschäftsführer konkludent zu Eigen gemacht hat, kann
dahingestellt bleiben. Der Schriftsatz ging erst am 23. Oktober 2000 und damit nach Ablauf
der Beschwerdefrist beim Verfassungsgerichtshof ein. Da er nicht auf den Zeitpunkt der
Antragstellung zurückwirkt, vermochte er den Vertretungsmangel nicht mehr zu heilen (vgl.
BVerfGE 8, 92, 94; BGH, NJW 1990, 3085, 3086; Hartmann in:
Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 59. Aufl. 2001, § 78 Rdnr. 34).