Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 14.05.1996

VerfG Nordrhein-Westfalen (erwerb von grundstücken, 1995, erwerb, höhe, bundesrepublik deutschland, verfassung, haushalt, kapitel, zweck, exekutive)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 5/95
Datum:
14.05.1996
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 5/95
Normen:
Art. 71, 75 Nr. 3, 81 und 82 LV NW; § 47 Buchstabe a) VerfGHG NW
Leitsätze:
1.
Die Frage, ob das Haushaltsverfassungsrecht des Landes Nordrhein-
Westfalen das sogenannte Bepackungsverbot (vgl. Art. 110 Abs. 4 Satz
1 GG) als ungeschriebenen Grundsatz enthält, bleibt offen.
2.
Der haushaltsrechtliche Grundsatz der sachlichen Spezialität gebietet in
qualitativer Hinsicht, die Einnahmen nach dem Entstehungsgrund, die
Ausgaben und die Verpflichtungsermächtigungen nach Zwecken
getrennt zu veranschlagen und, soweit erforderlich, zu erläutern. In
quantitativer Hinsicht erfordert er, die Einnahme- und Ausgabeansätze
der Höhe nach hinreichend genau anzugeben.
3.
a)
Die Ausgestaltung eines Grundstock-Sondervermögens in § 6 Abs. 9
Haushaltsgesetz NW 1995 ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
b)
Die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für den Erwerb von unbebauten
und bebauten Grundstücken für den Bau- und Unterbringungsbedarf des
Landes in einem Leertitel des Haushaltsplans NW 1995 ist mit Art. 81 LV
vereinbar.
Tenor:
§ 6 Abs. 9 des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des
Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 1995 vom 21.
Dezember 1994 (GV NW S. 1120) i.V. m. Einzelplan 20 Kapitel 20 630
Titel 821 10, 131 10, 131 20, 356 10 und 916 10 sowie Einzelplan 06
Kapitel 06 110 Titel 331 20 ist mit der Verfassung für das Land
Nordrhein-Westfalen vereinbar.
G r ü n d e :
1
A.
2
Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob es mit der Landesverfassung,
insbesondere Art. 81, vereinbar gewesen ist, daß § 6 Abs. 9 des Gesetzes über die
Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das
Haushaltsjahr 1995 vom 21. Dezember 1994 (GV NW 1994 S. 1120) - Haushaltsgesetz
1995 - i. V. m. dem Einzelplan 20 Kapitel 20 630 Titel 821 10, 131 10, 131 20, 356 10
und 916 10 sowie dem Einzelplan 06 Kapitel 06 110 Titel 331 20 Haushaltsmittel in
unbestimmter Höhe für den Erwerb von unbebauten und bebauten Grundstücken für den
Bau- und Unterbringungsbedarf aller Geschäftsbereiche des Landes Nordrhein-
Westfalen bereitstellte.
3
I.
4
§ 6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 sieht folgende Regelung vor:
5
"Einnahmen aus der Veräußerung von Grundstücken und grundstücksgleichen
Rechten sind einem Sondervermögen (Grundstock) zuzuführen, das vom
Finanzministerium verwaltet wird. Die Mittel des Grundstocks dürfen nur zum
Erwerb von Vermögensgegenständen der in Satz 1 genannten Art verwendet
werden."
6
Eine Regelung über den Grundstock als Sondervermögen ist erstmals in das
Haushaltsgesetz 1992 aufgenommen und von den Haushaltsgesetzen der Folgejahre
übernommen worden. Bereits vorher dienten die Erlöse aus dem Verkauf von
Grundstücken der Verstärkung der für den Grunderwerb ausgewiesenen
Haushaltsmittel, um den Grundbesitz des Landes in seinem Bestand zu erhalten. Der
Liegenschaftsbedarf wurde über einen Ausgabetitel 821 10 des Kapitels 20 630
gedeckt, der einerseits einen festen Ansatz hatte und andererseits durch die
Einnahmetitel 131 10 und 131 20 des Kapitels 20 630, in die die Erlöse aus dem
Verkauf unbeweglichen Vermögens flossen, verstärkt wurde. Zweckbestimmung des
Ausgabetitels 821 10 war der "Erwerb von unbebauten und bebauten Grundstücken für
den Bau- und Unterbringungsbedarf des Landes". Mit Einführung des Grundstocks
wurden neben den bisherigen Einnahme- und Ausgabetiteln (821 10, 131 10 und 131
20 des Kapitels 20 630 - bis 1990: Kapitel 14 630 -) ein weiterer Titel 916 10 für die
Zuführungen an den Grundstock und ein Titel 356 10 für die Entnahmen aus dem
Grundstock eingerichtet.
7
Im Haushaltsjahr 1995 wurden dem Grundstock aus folgenden Titeln Haushaltsmittel
zugeführt:
8
1.
9
Ansatz 1995: 28 Mio. DM
10
Zweck: Zuführung an den Grundstock
11
Vermerk:
12
1.
13
2.
Hochschulbau bei Kapi- tel 06 110 Titel 331 20 für den Erwerb von aus dem
Grundstock finanzierten Liegen- schaften fließen dem Grundstock zu.
14
1. Titel 131 10 des Kapitels 20 630:
15
16
Ansatz 1995: - DM
17
Zweck: Erlöse aus dem Verkauf unweglichen Ver- mögens
18
Vermerk:
19
1.
20
3.
21
Ansatz 1995: - DM
22
Zweck: Erlöse aus dem Verkauf unweglichen frü- heren NS-Vermögens, das auf
das Land Nordrhein-Westfalen übertragen worden ist
23
Vermerk:
24
S. Haushaltsvermerk bei Titel 916 10.
25
4.
26
Ansatz 1995: 245,6 Mio. DM
27
Zweck: Zweckgebundene Zuweisungen des Bundes im Rahmen der
Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau.
28
Vermerk:
29
Die Erstattungen des Bundes für den Erwerb von aus dem Grundstock
finanzierten Liegenschaften fließen dem Grundstock bei Kapitel 20 630 Titel
916 10 zu.
30
Die Entnahme aus dem Grundstock und die Verwendung der entnommenen Mittel sind
im Haushaltsplan 1995 in folgenden Titeln vorgesehen:
31
1.
32
Ansatz 1995: - DM
33
Zweck: Entnahme aus dem Grundstock für den Er- werb von unbebauten und
bebauten Grund- stücken für den Bau- und Unterbrin- gungsbedarf des Landes.
34
Vermerk:
35
Die erforderlichen Mittel dürfen aus dem Grundstock entnommen werden.
36
2.
37
Ansatz 1995: - DM
38
Zweck: Erwerb von unbebauten und bebauten Grundstücken für den Bau- und
Unter- bringungsbedarf des Landes.
39
Vermerk:
40
1.
wer- den.
41
42
Nach § 15 Abs. 1 LHO wird zugelassen, daß bei einem Grundstückstausch die
Ein- nahmen auf die Ausgaben angerechnet wer- den. Verbleibende
Spitzenbeträge sind beim Einnahmetitel 131 10 bzw. Ausgabe- titel
nachzuweisen.
43
3.
Grund- stücksgeschäften, die dem Grundstück zu- geflossen sind, bei diesem
Ausgabetitel nachgewiesen werden.
44
Erläuterungen:
45
Zentrale Veranschlagung von Ausgabemitteln zur Deckung des
Liegenschaftsbedarfs aller Ge- schäftsbereiche. Ausnahmen s. Einzelplan 10.
46
II.
47
Am 7. März 1995 haben die Antragsteller das vorliegende Normenkontrollverfahren
eingeleitet.
48
Zur Begründung führen sie aus: Die Veranschlagung der Grunderwerbsmittel im
Haushaltsplan und -gesetz 1995 sei mit Art. 81 LV nicht vereinbar und deshalb nichtig.
Die Landesregierung werde ermächtigt, jedes Grundstück unabhängig von Wert und
49
Bedeutung zu erwerben, sofern es nur dem Bau- und Unterbringungsbedarf des Landes
diene. Der Sache nach handele es sich um einen Globalfonds, der den
ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen der sachlichen Spezialität, der
Haushaltsklarkeit und -wahrheit sowie der Budgetöffentlichkeit widerspreche, die mit
den in Art. 81 Abs. 2 LV niedergelegten Grundsätzen der Vollständigkeit, der
Budgeteinheit und des Haushaltsausgleichs verwandt seien. Bei den Beratungen über
den Haushalt 1995 sei dem Parlament weder bekannt gewesen, welche einzelnen
Grundstücke für welche Geschäftsbereiche zu welchen Preisen aus Mitteln des Kapitel
20 630 Titel 821 10 erworben werden sollten, noch in welcher exakten Höhe hierfür
Mittel zur Verfügung stehen würden. Die Landesregierung könne - wie bei anderen
Haushaltspositionen auch - den Verkaufs- und Ankaufsbedarf schätzen und diese
Beträge in den Haushaltsplan einstellen. Die angegriffene globale
Ausgabeermächtigung ermögliche es der Landesregierung, am Parlament vorbei
Strukturpolitik zu betreiben. Durch den gezielten Ankauf von Grundstücken könnten
ohne Zustimmung des Parlaments Verwaltungskapazitäten zusammengezogen und
verlagert werden. Dies berge die Gefahr einer Entmachtung des Haushaltsgesetzgebers
in sich.
Gewichtige Gründe für eine Durchbrechung der genannten Verfassungsgrundsätze
seien nicht ersichtlich. Die mit der Neuregelung angestrebten Ziele bei der
Bewirtschaftung der Ausgaben für den Liegenschaftsbedarf - größere Flexibilität, Ankauf
größerer Objekte - ließen sich auch auf andere Weise verwirklichen. So könne der
betreffende Titel um den Haushaltsvermerk ergänzt werden, daß Grundstücke, die einen
Wert von mehr als 3 Mio. DM oder besondere Bedeutung hätten, nur mit Einwilligung
des Landtags erworben werden dürften. Es sei nicht einzusehen, warum das Parlament
zwar nach § 64 LHO an Grundstücksverkäufen beteiligt werde, nicht jedoch an
Grundstückskäufen, die unter Umständen erhebliche Folgekosten auslösen könnten.
50
Der Grundstock sei auch nicht als Sondervermögen im Sinne des Art. 81 Abs. 2 Satz 1,
2. Halbsatz LV, sondern als Rücklage zu qualifizieren. Hierfür spreche, daß der
Grundstock in der Beilage 3 zum Einzelplan 20 ausdrücklich als besondere Rücklage
gemäß § 62 Abs. 3 LHO bezeichnet werde. Die Vorschrift des § 6 Abs. 9
Haushaltsgesetz 1995 werde nicht in § 13 Haushaltsgesetz 1995 erwähnt, wonach
bestimmte Vorschriften bis zur Verkündung des Haushaltsgesetzes 1996 weiter gälten;
der von der Landesregierung angeführte angebliche Hauptzweck der Regelung, eine
Dauerregelung für den im Bestand zu erhaltenden Grundbesitz des Landes zu schaffen,
werde daher verfehlt. Einer Dauerregelung stünde das verfassungsrechtliche
Bepackungsverbot entgegen. In Nordrhein-Westfalen existiere auch keine gesetzliche
Bestimmung, daß das gesamte Grundvermögen des Landes Sondervermögen darstelle
und als solches im Bestand zu erhalten sei. Schließlich genüge die dem Haushaltsplan
1995 beigefügte Übersicht über den Grundstock nicht den Anforderungen des § 26 Abs.
2 LHO, weil nicht ersichtlich sei, welche Mittel dem Grundstock zufließen oder von ihm
abfließen sollten. Als Rücklage unterliege der Grundstock uneingeschränkt den
verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätzen. Alle Bewegungen innerhalb des
Grundstocks seien über den Haushalt und nicht neben dem Haushalt abzuwickeln.
51
Die Antragsteller beantragen
52
festzustellen, daß § 1 und § 6 Abs. 9 des Gesetzes über die Feststellung des
Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 1995
vom 21. Dezember 1994 (GV NW 1994 S. 1120) insoweit gegen Art. 81 der
53
Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen verstoßen und nichtig sind, als
durch diese Bestimmungen im Einzelplan 20 Kapitel 20 630 Titel 821 10 über
die Titel 131 10, 131 20, 356 10 und 916 10 desselben Kapitels sowie über
Einzelplan 06 Kapitel 06 110 Titel 331 20 Haushaltsmittel in unbestimmter Höhe
für den Erwerb von unbebauten und bebauten Grundstücken für den Bau- und
Unterbringungsbedarf aller Geschäftsbereiche des Landes bereitgestellt
werden.
Die Landesregierung tritt dem Begehren der Antragsteller entgegen. Zur Begründung
macht sie geltend: Die Bildung eines Grundstocks als Sondervermögen gemäß § 6 Abs.
9 Haushaltsgesetz 1995 sei verfassungsrechtlich zulässig. Art. 81 Abs. 2 LV sehe
ausdrücklich die Bildung von Sondervermögen als Durchbrechung des Grundsatzes der
Haushaltseinheit vor. Anlaß für die Einführung des Grundstocks in Nordrhein-Westfalen
sei die Ergänzung von § 45 Abs. 3 LHO durch das Gesetz zur Änderung der
Landeshaushaltsordnung vom 18. Dezember 1987 (GV NW S. 490) gewesen, das die
Übertragung von Ausgaberesten in das folgende Haushaltsjahr eingeschränkt habe. Die
dadurch bedingten Schwierigkeiten, Veräußerungserlöse jeweils in demselben
Haushaltsjahr zu reinvestieren, hätten durch die Bildung eines Grundstocks, dessen
Mittel nicht am Ende des Haushaltsjahres verfielen, vermieden werden sollen. Der
Grundstock als Sondervermögen habe eine lange Tradition und sei heute in vielen
Bundesländern gesetzlich vorgesehen. Er sei eine reine Geldrechnung, in der Erlöse
aus der Veräußerung finanzwirtschaftlich besonders wichtiger Arten von
Vermögensgegenständen solange gesondert nachgewiesen würden, bis sie wieder in
Sachwerte umgesetzt würden. Hauptzweck des Grundstocks sei es, das
Landesvermögen zu erhalten.
54
Da der Grundstock als Sondervermögen getrennt vom Haushalt verwaltet werde,
unterliege die Führung des Grundstocks keinen haushaltsverfassungsrechtlichen
Vorgaben. Die Landesverfassung bestimme in Art. 81 Abs. 2 lediglich, daß die
Zuführungen des Haushalts an den Grundstock und die Ablieferungen des Grundstocks
an den Haushalt in den Haushaltsplan einzustellen seien. Dem sei im Haushaltsplan
1995 Genüge getan. Die Zuführungen vom Haushalt an den Grundstock seien in Titel
916 10 des Kapitels 20 630 veranschlagt, die Ablieferungen vom Grundstock an den
Haushalt würden über den Titel 356 10 des Kapitels 20 630 als Leertitel abgewickelt.
55
Auch die der Höhe nach unbestimmte Ausstattung des Grunderwerbstitels 821 10 sei
verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Grundsatz der sachlichen Bindung sei nicht
verletzt. Es könne im voraus nur sehr ungenau bestimmt werden, welche Grundstücke
für den Bedarf des Landes im laufenden Haushaltsjahr zu kaufen bzw. zu verkaufen
seien. Dies hänge weniger mit den Schwierigkeiten zusammen, den Grundstücksbedarf
im voraus zu definieren, als vielmehr mit den kurzen Fristen, in denen über Kauf oder
Verkauf von Grundstücken entschieden werden müsse. Die Finanzierungsinstrumente
des Haushalts müßten geeignet sein, der notwendigen Flexibilität und den
wirtschaftlichen Gegebenheiten des Grundstücksmarktes Rechnung zu tragen, mit
denen die Landesregierung kurzfristig konfrontiert werden könne. Die Mittelausstattung
für die Verwaltung des Liegenschaftsvermögens des Landes könne daher nur mit einer
abstrakten Zweckbestimmung versehen sein. Die im Haushaltsplan 1995 getroffene
Zweckbestimmung, den Bau- und Unterbringungsbedarf des Landes an unbebauten
und bebauten Grundstücken zu decken, spezifiziere den Ausgabetitel, soweit es der
Sache nach möglich sei. Sie enthalte keine Globalermächtigung, die es erlaube, Mittel
für beliebige Aufgaben zu verwenden, sondern lege eine fest umrissene
56
Mittelverwendung fest. Auch unter quantitativem Aspekt sei der Grundsatz der
sachlichen Bindung nicht verletzt. Mit der Dotierung des Haushaltstitels 916 10
(Zuführung an den Grundstock) in Höhe von 28 Mio. DM sei eine Entscheidung über die
untere Grenze des Titelansatzes im Titel 821 10 getroffen worden. Offen sei lediglich, in
welcher Höhe weitere Zuflüsse aus Grundstücksverkäufen erfolgten. Insoweit sei die
haushaltsrechtliche Konstruktion dadurch privilegiert, daß es sich um reine
Vermögensverschiebungen handele; denn es gehe darum, das Landesvermögen in
seinem Bestand zu erhalten. Aus diesem Grunde werde auch das Bedürfnis verneint,
diese Vermögensverschiebungen über den Haushalt abzuwickeln. Möglich und
verfassungsrechtlich zulässig wäre es auch gewesen, den Grundstückserwerb im
Rahmen der in § 6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 beschriebenen Zweckbestimmung
(Erwerb von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten) allein innerhalb des
Grundstocks durchzuführen. Im Haushaltsplan wären dann lediglich - wie in Art. 81 Abs.
2 Satz 1, 2. Halbsatz LV vorgesehen - die Zuführungen an den Grundstock und ggf. die
Ablieferungen an den Haushalt erschienen.
Der Landtag hat Gelegenheit zur Äußerung erhalten und von einer Stellungnahme
abgesehen.
57
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
58
B.
59
Der Normenkontrollantrag ist gemäß Art. 75 Nr. 3 LV, § 47 Buchstabe a) VerfGHG
zulässig.
60
I.
61
§ 6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 i. V. m. den Haushaltstiteln 821 10, 131 10, 131 20,
356 10 und 916 10 des Kapitels 20 630 sowie dem Haushaltstitel 331 20 des Kapitels
06 110 kann im Normenkontrollverfahren auf seine Vereinbarkeit mit der
Landesverfassung geprüft werden, da er als Ermächtigungsvorschrift im
organschaftlichen Rechtskreis Landesrecht im Sinne von Art. 75 Nr. 3 LV, § 47
Buchstabe a) VerfGHG darstellt (vgl. BVerfGE 20, 56, 89 ff.; 79, 311, 326). Dies gilt auch
für die Einzelpläne des Haushaltsplans, obwohl sie entsprechend der
gewohnheitsrechtlichen Tradition nicht dem im Gesetz- und Verordnungsblatt NW
veröffentlichten Haushaltsgesetz 1995 beigefügt waren. Haushaltsgesetz und
Gesamtplan verweisen und nehmen Bezug auf die Einzelpläne, die außerhalb des
Verkündungsblattes der Öffentlichkeit zugänglich sind. Hierin liegt eine dem Art. 71 LV
genügende Verkündung auch der Einzelpläne. Zudem werden die gesamten
Einzelpläne seit jeher in die Kraft des Gesetzes einbezogen (vgl. BVerfGE 20, 56, 92 f.
m. w. N.).
62
II.
63
Der Antrag ist rechtzeitig, nämlich während des Haushaltsjahres 1995 zu einem
Zeitpunkt gestellt worden, als von § 6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 und den genannten
Haushaltstiteln noch Rechtswirkungen ausgingen. Der Gesetzgeber hat den Antrag
nach Art. 75 Nr. 3 LV, § 47 Buchstabe a) VerfGHG nicht an eine Frist gebunden. Dies
entspricht dem Zweck der abstrakten Normenkontrolle, durch Klärung der
verfassungsrechtlichen Lage dem Rechtsfrieden zu dienen. Zur Erreichung dieses
64
verfassungsrechtlichen Lage dem Rechtsfrieden zu dienen. Zur Erreichung dieses
Zwecks kann eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs solange erforderlich sein,
als die betreffende Norm in Geltung steht oder darüber hinaus noch weitere
Rechtswirkungen zu äußern vermag (BVerfGE 79, 311, 327 m. w. N.). Im Hinblick auf
diese Zielsetzung ist der Antrag rechtzeitig erhoben worden.
III.
65
Der Antrag ist nicht deshalb unzulässig geworden, weil den Regelungen, auf die er sich
bezieht, keine Rechtswirkung mehr zukommt.
66
Das Haushaltsgesetz 1995 verliert spätestens mit der Verkündung des
Haushaltsgesetzes 1996 seine Geltung. Ungeachtet dessen besteht für zulässig
erhobene Normenkontrollanträge, die sich auf Bestimmungen eines Haushaltsgesetzes
beziehen, im Hinblick auf den objektiven Charakter des Normenkontrollverfahrens ein
Entscheidungsinteresse über den Zeitraum der rechtlichen Wirkung jener
Bestimmungen hinaus. Der begrenzten zeitlichen Geltung des Haushaltsgesetzes
entspricht die jährliche Wiederkehr eines Gesetzes gleicher Art, die aus der
Budgetpflicht des Parlaments folgt. Es besteht daher, wie auch der vorliegende Fall
zeigt, die Möglichkeit, daß die mit einem Normenkontrollantrag zur Prüfung gestellte
Normsetzung des Haushaltsgesetzgebers von Jahr zu Jahr wiederholt wird. Sie könnte,
würde mit dem Ende der rechtlichen Wirkung der Regelungen des Haushaltsgesetzes
auch die Entscheidungsmöglichkeit des Verfassungsgerichtshofs entfallen, kaum je
überprüft werden. Das Haushaltsgesetz wäre damit einer verfassungsrechtlichen
Kontrolle praktisch entzogen. Dies würde Sinn und Zweck des
Normenkontrollverfahrens widersprechen (vgl. BVerfGE 79, 311, 328).
67
IV.
68
Der Antrag ist auch nicht dadurch unzulässig geworden, daß der 11. Landtag nicht mehr
besteht. Die einmal gegebene Zulässigkeit eines Normenkontrollantrages eines Drittels
der Mitglieder des Landtags besteht unabhängig davon fort, daß Antragsteller ihre
Stellung als Mitglieder des Landtags verlieren (vgl. BVerfGE 79, 311, 327).
69
C.
70
§ 6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 i. V. m. dem Einzelplan 20 Kapitel 20 630 Titel 821 10,
131 10, 131 20, 356 10 und 916 10 sowie dem Einzelplan 06 Kapitel 06 110 Titel 331
20 ist mit der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vereinbar.
71
I.
72
§ 6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 verstößt nicht gegen Art. 81 LV.
73
1.
Sondervermögen eigener Art. Der Haushaltsgesetzgeber hat in dieser Norm den
Grundstock ausdrücklich als "Sondervermögen" qualifiziert. Dem steht nicht entgegen,
daß der Grundstock in der Beilage 3 zum Einzelplan 20 als besondere Rücklage gemäß
§ 62 Abs. 3 LHO bezeichnet wird; denn derartige Rücklagen gelten als
Sondervermögen (vgl. Giesen/Fricke, Das Haushaltsrecht des Landes Nordrhein-
Westfalen, Kommentar, 1972, § 62 Rdnr. 6). Der Grundstock ist allerdings nicht derart
74
verselbständigt und vom Haushaltsplan abgesondert, daß die Veräußerung und der
Erwerb von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten innerhalb des Grundstocks
vorgenommen würde. Veräußerung und Erwerb der Grundstücke und
grundstücksgleichen Rechte werden vielmehr über den Haushaltsplan in den Titeln 131
10, 131 20 und 821 10 des Kapitels 20 630 abgewickelt. Die
Sondervermögenseigenschaft des Grundstocks beschränkt sich daher auf eine reine
Geldrechnung, in der die Erlöse aus der Veräußerung von Grundstücken solange
gesondert nachgewiesen werden, bis sie wieder in entsprechende Erwerbungen
umgesetzt werden.
Die Qualifizierung des Grundstocks als Sondervermögen eigener Art würde entgegen
der Auffassung der Antragsteller auch dann nicht in Frage gestellt, wenn § 6 Abs. 9
Haushaltsgesetz 1995 mit Ablauf des Haushaltsjahres 1995 außer Kraft getreten wäre
und dem Grundstock bis zum Inkrafttreten des neuen Haushaltsgesetzes 1996 keine
Mittel entnommen werden könnten. Der Grundstock verlöre nicht seinen Charakter als
Sondervermögen, wenn ihm für eine begrenzte Zeit keine Mittel entnommen werden
könnten; weder ginge der Grundstockbestand zwischenzeitlich unter noch wäre
Voraussetzung für ein Sondervermögen, daß ihm jederzeit Mittel entnommen werden
können. Unabhängig hiervon stünde der Exekutive für den Fall, daß bis zum Ende eines
Haushaltsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr noch nicht durch Gesetz
festgestellt worden ist, nach Art. 82 LV eine Nothaushaltskompetenz zu.
75
2.
Haushaltsgesetz 1995 verstößt nicht gegen die Grundsätze der Vollständigkeit des
Haushalts und der Budgeteinheit (Art. 81 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz LV), wonach alle
Einnahmen und Ausgaben des Landes in einem einzigen Haushaltsplan einzustellen
sind. Von diesen Grundsätzen läßt Art. 81 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz LV eine Ausnahme
für Sondervermögen zu. Ihre voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben müssen nicht
notwendig in den Haushaltsplan eingestellt werden. Mit dem Grundsatz der
Vollständigkeit ist es vereinbar, wenn der Landeshaushalt die Zuführungen des Landes
an das Sondervermögen oder die Ablieferungen des Sondervermögens an das Land in
Leertiteln ausweist. Dem ist für den Grundstock in den Haushaltstiteln 916 10, 131 10,
131 20, 356 10 und 821 10 des Kapitels 20 630 sowie dem Titel 331 20 des Kapitels 06
110 Genüge getan.
76
3.
gebildet werden darf. Er verlangt nicht, daß ein Sondervermögen nur durch ein
Sondergesetz oder eine Regelung in der Landeshaushaltsordnung, nicht jedoch durch
ein periodisches Haushaltsgesetz geschaffen werden könnte.
77
II.
78
Die Vorschrift des § 6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 verstößt auch nicht gegen das
sogenannte haushaltsrechtliche Bepackungsverbot.
79
1.
Vorschrift, wonach in das Haushaltsgesetz keine Vorschriften aufgenommen werden
dürfen, die sich nicht auf Einnahmen und Ausgaben und auf den Zeitraum beziehen, für
den das Haushaltsgesetz beschlossen wird (sog. Bepackungsverbot). Ob dem
Bepackungsverbot gleichwohl als ungeschriebener Grundsatz des Haushaltsrechts
80
Verfassungsrang zukommt (so Giesen/Fricke, aaO, Art. 81 LV Rdnr. 38; anderer Ansicht:
Geller/Kleinrahm, Die Verfassung des Landes NRW, 3. Auflage, Loseblatt, Art. 81 Anm.
5; von Portatius, Das haushaltsrechtliche Bepackungsverbot, 1975, S. 52 f.; für die
bayerische Verfassung: BayVerfGH, NVWZ 1985, 481, 484;
Nawiasky/Gerner/Knöpfle/Leusser/Schweiger/ Zacher, Die Verfassung des Freistaates
Bayern, Art. 78 Rdnr. 4; Meder, Handkommentar zur Verfassung des Freistaates Bayern,
4. Auflage 1992, Art. 78 Rdnr. 6), kann der Verfassungsgerichtshof offenlassen.
Einerseits knüpft die Regelung des Art. 110 Abs. 4 GG an eine alte haushaltsrechtliche
Tradition an (vgl. ausführlich von Portatius, aaO, S. 17 ff.), die auch dem nordrhein-
westfälischen Haushaltsverfassungsrecht als ungeschriebene Regel immanent sein
könnte. Andererseits hat sich der nordrhein-westfälische Verfassunggeber im Bereich
des Haushaltsverfassungsrechts überwiegend nahezu wörtlich an die Art. 63 bis 69 der
Verfassung des Freistaates Preußen vom 30. November 1920 (GS S. 543) angelehnt,
aber das Bepackungsverbot (Art. 63 Abs. 3 Satz 2) als einzige Vorschrift nicht in die
Landesverfassung aufgenommen. Das Verfassungsrecht der Länder kennt auch keine
vergleichbare einheitliche Tradition des haushaltsrechtlichen Bepackungsverbots. Von
den Ländern der Weimarer Republik enthielten lediglich Preußen und Sachsen (Art. 42
Abs. 3 Satz 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen vom 1. November 1920) diesen
Haushaltsgrundsatz, während das Bepackungsverbot z. B. in den Verfassungen von
Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Thüringen und Braunschweig fehlte (vgl. von
Portatius, aaO, S. 38 m. w. N.). Auch nach 1945 hat lediglich ein Teil der alten Länder
der Bundesrepublik Deutschland das Bepackungsverbot ausdrücklich in die
Landesverfassung aufgenommen. Gleiches gilt für die Verfassungen der neuen Länder
(vgl. Art. 61 Abs. 4 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern; Art. 93 Abs. 3
der Verfassung des Freistaates Sachsen; Art. 93 Abs. 4 der Verfassung des Landes
Sachsen-Anhalt; Art. 99 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Thüringen). Gegen eine
ungebrochene Verfassungstradition spricht auch, daß das Bepackungsverbot in der
parlamentarischen Demokratie einen Bedeutungswandel erfahren hat. War sein Zweck
früher, der monarchischen Regierung keine "Bedingungen" aufzuerlegen, die mit der
Bewilligung von Ausgaben verbunden waren, so soll heute das
Haushaltsgesetzgebungsverfahren von allen Bestimmungen freigehalten werden, die
nicht unmittelbar die zur Entscheidung anstehende Haushaltswirtschaft betreffen (Stern,
Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, § 50 III 12, S. 1252 f.
m. w. N.).
2.
jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil jedenfalls § 6 Abs. 9
Haushaltsgesetz 1995 weder dem sachlichen noch dem zeitlichen Bepackungsverbot
widerspricht.
81
Das sachliche Bepackungsverbot will die Aufnahme von Vorschriften in das
Haushaltsgesetz verhindern, die sich nicht auf Einnahmen und Ausgaben beziehen.
Dem wird die Regelung des § 6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 dadurch gerecht, daß sie
vorsieht, daß die Einnahmen aus Grundstücksveräußerungen einem Sondervermögen
(Grundstock) zugeführt werden und nur zum Grundstückserwerb verwendet werden
dürfen.
82
Das zeitliche Bepackungsverbot untersagt die Aufnahme von Vorschriften in das
Haushaltsgesetz, die über den Zeitraum hinauswirken, für den das Haushaltsgesetz
beschlossen wird. Unzulässig sind daher Vorschriften, die länger als die vom
Haushaltsgesetz erfaßte Zeit gelten sollen, sowie Vorschriften mit rückwirkender Kraft. §
83
6 Abs. 9 Haushaltsgesetz 1995 wirkt nicht über die Geltungsdauer des
Haushaltsgesetzes hinaus. Allerdings ist der Grundstock als Sondervermögen seiner
Zweckbestimmung nach nicht eine auf das Haushaltsjahr 1995 beschränkte
Einrichtung. Nach Darstellung der Landesregierung ist Anlaß für die Einführung des
Grundstocks die Änderung des § 45 Abs. 3 LHO gewesen, mit der die Übertragung von
Ausgaberesten in das folgende Haushaltsjahr eingeschränkt worden ist. Soll der
Grundstock mithin verhindern, daß Veräußerungserlöse aus Grundstücksverkäufen am
Ende des Haushaltsjahres verfallen, muß er als Einrichtung von gewisser Dauer
verwirklicht werden. Dementsprechend ist die Regelung über den Grundstock seit 1992
auch stets erneut zeitabschnittsweise in das jeweilige Haushaltsgesetz aufgenommen
und faktisch als Dauerregelung geschaffen worden. Darin liegt jedoch noch keine
verfassungswidrige Umgehung des zeitlichen Bepackungsverbots. Seine heutige
Bedeutung ist darin zu sehen, daß sich das Parlament allein auf den Haushaltsplan
konzentrieren soll, insbesondere nicht in diesem unter Zeitdruck stehenden Verfahren
durch in das Haushaltsgesetz eingepackte Regelungen seitens der Regierung
überrascht wird (Stern, aaO). Dieser Schutzzweck des zeitlichen Bepackungsverbots
wird durch die sich wiederholende jährliche Aufnahme der Regelung über den
Grundstock in das Haushaltsgesetz gewahrt (vgl. auch OVG Lüneburg, DÖV 1989, 316
f.). Der Haushaltsgesetzgeber steht jährlich neu vor der Entscheidung, ob er die
Grundstockregelung beibehalten oder ob er von ihr abgehen will.
III.
84
Die Ermächtigung der Exekutive zum Erwerb von unbebauten und bebauten
Grundstücken für den Bau- und Unterbringungsbedarf des Landes bis zur Höhe der
Entnahme aus dem Grundstock im Ausgabetitel 821 10 des Kapitels 20 630 verstößt
nicht gegen die Grundsätze der sachlichen Spezialität und der Haushaltsklarheit und -
wahrheit.
85
1.
Haushaltsgrundsätze auf Sondervermögen Anwendung finden; denn die von den
Antragstellern angegriffene Bereitstellung von Haushaltsmitteln in unbestimmter Höhe
für den Erwerb von Grundstücken für den Bau- und Unterbringungsbedarf des Landes
erfolgt nicht über den Grundstock, sondern über den vorgenannten Haushaltstitel 821
10. Wird aber der Grundstückserwerb nicht außerhalb des Haushalts in der
Grundstocksrechnung, sondern über den Haushalt abgewickelt, finden die
verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätze ohne weiteres Anwendung.
86
2.
für die Deckung des Landesbedarfs. Die Bewilligung wird mit der Verabschiedung des
Haushaltsgesetzes ausgesprochen, durch das nach Art. 81 Abs. 3 Satz 1 LV der
Haushaltsplan festgestellt wird (vgl. Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG). Mit diesen Vorschriften
weist die Verfassung dem Landtag die prinzipiell ausschließliche Befugnis zu, über die
Ausgaben zu entscheiden, die in Durchführung des für die nachfolgende
Haushaltsperiode in Aussicht genommenen Regierungsprogramms getätigt werden
dürfen. Nach Art. 81 Abs. 2 Satz 1 LV sind alle Einnahmen und Ausgaben des Landes
in den Haushaltsplan einzustellen (vgl. Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG). Dieser
verfassungsrechtliche Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans schließt die
Befugnis und die Pflicht des Haushaltsgesetzgebers ein, alle voraussehbaren
Ausgaben des Landes zu erfassen und zugleich auf bestimmte Zwecke zu
spezialisieren (VerfGH, NWVBl. 1994, 292, 293). Nur unter dieser Voraussetzung kann
87
spezialisieren (VerfGH, NWVBl. 1994, 292, 293). Nur unter dieser Voraussetzung kann
der Landtag seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe gerecht werden, durch den
Haushaltsplan das Finanzgebaren der Regierung wirksam zu steuern. Haushaltsgesetz
und Haushaltsplan haben vor diesem Hintergrund die Funktion eines staatsleitenden
Hoheitsaktes, der eine wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für die zentralen Bereiche
der Politik während des Planungszeitraums enthält (BVerfGE 45, 1, 32; 70, 324, 355; 79,
311, 328 f.).
Das Prinzip der sachlichen Spezialität ist mit den Grundsätzen der Haushaltsklarheit
und -wahrheit eng verbunden. Es ist nicht nur ein bloßes Ordnungsprinzip bei der
Aufstellung des Haushaltsplans, sondern ihm kommt eine das parlamentarische
Budgetrecht sichernde Funktion und damit Verfassungsrang zu (vgl. VerfGH, NWVBl.
1994, 292, 293; VerfGH, NWVBl. 1992, 129, 130).
88
Sachliche Spezialität gebietet in qualitativer Hinsicht, die Einnahmen nach dem
Entstehungsgrund, die Ausgaben und die Verpflichtungsermächtigungen nach Zwecken
getrennt zu veranschlagen und, soweit erforderlich, zu erläutern. In quantitativer Hinsicht
erfordert der Grundsatz der sachlichen Spezialität, die Einnahme- und Ausgabeansätze
der Höhe nach hinreichend genau anzugeben. Die Ermächtigungen des
Haushaltsplans müssen so genau gefaßt sein, daß sie das Finanzgebaren der
Exekutive durchsichtig machen, nicht verschleiern und wirksam zu steuern vermögen
(VerfGH, NWVBl. 1992, 129, 130).
89
Was danach in den Haushaltsplan einzustellen ist, läßt sich nicht generell und abstrakt
bestimmen, sondern hängt von der sachlogischen Struktur des jeweiligen
Geschäftsbereichs, nicht zuletzt auch der Vorhersehbarkeit und Bestimmbarkeit der
Ausgaben nach Entstehungsgrund und Höhe ab.
90
3.
20 630 keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
91
a)
Die Zweckbestimmung "Erwerb von unbebauten und bebauten Grundstücken für den
Bau- und Unterbringungsbedarf des Landes" enthält eine im hier vorliegenden
Zusammenhang hinreichend konkrete Ausgabenermächtigung. Es ist
verfassungsrechtlich gerechtfertigt, von der Ausweisung genau bezeichneter
Grundstücke abzusehen, um der Exekutive eine notwendige und hinreichende
Reaktionsfähigkeit beim Erwerb von Grundstücken zu sichern. Die Möglichkeit,
bestimmte Grundstücke zur Deckung des Bau- und Unterbringungsbedarfs zu erwerben,
kann sich erst kurzfristig auf dem Grundstücksmarkt ergeben und dann eine zügige
Entscheidung erfordern.
92
Entgegen der Ansicht der Antragsteller handelt es sich bei dem Ausgabetitel 821 10
auch nicht um einen verfassungsrechtlich bedenklichen Globalfonds, wie er der
Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 28. Januar 1992 - VerfGH 1/91 -
(NWVBl. 1992, 129) zugrundelag. Während der Verfassungsgerichtshof in dieser
Entscheidung über einen Verstärkungstitel zu befinden hatte, der pauschal die Deckung
von Mehrausgaben bei den sächlichen Verwaltungsaufgaben aller Einzeltitel
bezweckte, ermächtigt der hier in Rede stehende Titel 821 10 nicht zu Ausgaben für
Zwecke aller Art, sondern legt als Einzeltitel einen konkreten Ausgabenzweck, den
Grundstückserwerb für den landeseigenen Verwaltungsbedarf, fest (vgl. VerfGH,
NWVBl. 1994, 292, 293). Der Titel für den Bau- und Unterbringungsbedarf des Landes
93
ist auch nicht vergleichbar stark von politischen Wertungen geprägt wie etwa ein Titel für
Öffentlichkeitsarbeit (vgl. VerfGH, NWVBl. 1992, 129).
Die Zweckbestimmung des Ausgabetitels 821 10 unterliegt ferner nicht deshalb
verfassungsrechtlichen Bedenken, weil die Exekutive, wie die Antragsteller befürchten,
in unzulässiger Weise am Parlament vorbei "Strukturpolitik" betreiben könnte, indem
Verwaltungskapazitäten zusammengezogen oder verlagert werden. Dieser Einwand
übersieht zunächst, daß der Sitz einer Behörde oder eines Organs nicht durch den
Haushaltsplan bzw. das Haushaltsgesetz bestimmt wird. Während die Kompetenz zur
(abstrakten) Bildung von Behörden und Organen in der Regel dem Gesetzgeber
vorbehalten ist, steht die Kompetenz zur (konkreten) Errichtung von Behörden und
Organen einschließlich der Bestimmung ihres Sitzes in der Regel der Regierung zu,
sofern kein Gesetzesvorbehalt besteht (vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Auflage
1976, § 78 I a, III a 2 et passim). Dieser Organisationsgewalt der Exekutive tragen z. B. §
7 Abs. 4 und § 9 Abs. 3 des Gesetzes über die Organisation der Landesverwaltung -
Landesorganisationsgesetz (LOG NW) - Rechnung, wenn sie die Bestimmung von Sitz
und Bezirk der Landesmittelbehörden und der unteren Landesbehörden der
Landesregierung oder - aufgrund einer von ihr erteilten Ermächtigung - dem zuständigen
Landesministerium überantworten. Vereinzelt wird der Sitz von Organen unmittelbar
durch Gesetz festgelegt, wie z. B. für Organe der Rechtspflege (vgl. § 1 AG VwGO) oder
den Landesrechnungshof (vgl. § 1 Abs. 2 des Gesetzes über den Landesrechnungshof
NW). Soweit die Exekutive demnach bei der (konkreten) Errichtung von Behörden und
Organen nicht ohnehin lediglich von der ihr regelmäßig zustehenden
Organisationsgewalt Gebrauch macht, ist sie in den übrigen Fällen durch die
gesetzliche Bestimmung des Behörden- und Organsitzes gebunden.
94
Die Furcht vor einer Aushöhlung parlamentarischer Rechte durch eine gezielte
Strukturpolitik über den Grunderwerbstitel 821 10 erscheint auch nicht deshalb
begründet, weil die Grundstückskäufe der Exekutive Folgeentscheidungen des
Haushaltsgesetzgebers zugunsten von Unterhaltungs- und
Instandsetzungsmaßnahmen oder sonstigen Investitionen bedingen können. Diese
faktische Bindung des Haushaltsgesetzgebers ist keine Besonderheit des hier in Rede
stehenden Grundstücksausgabetitels, sondern zwangsläufige Folge des Umstands, daß
Haushaltsbewilligung und Haushaltsvollzug nicht in einer Hand liegen. Solche
"Zwangspunkte" für den Haushaltsgesetzgeber sind als Ausdruck der Verschränkung
der Haushaltsbefugnisse von Exekutive und Legislative verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Dem Haushaltsgesetzgeber bleibt es unbenommen, im Einzelfall weitere
Haushaltsmittel für Folgekosten zu verweigern und damit möglicherweise zuvor
gesetzte "Zwangspunkte" zu revidieren.
95
b)
Grundsatz der sachlichen Bindung. Für den Erwerb von Grundstücken oder
grundstücksgleichen Rechten ist kein Mittelansatz der Höhe nach veranschlagt; der als
sogenannter Leertitel geführte Titel 821 10 wird vielmehr aus den Mitteln des
Grundstocks gespeist. Die Höhe dieser Grundstockmittel ist insofern unbestimmt, als
dem Grundstock neben einer festen Zuweisung in Höhe von 28 Mio. DM (Titel 916 10
des Kapitels 20 630) weitere Mittel aus möglichen Grundstücksverkäufen zufließen oder
bereits zugeflossen sind. Leertitel unterliegen als Ausnahme von der grundsätzlichen
Pflicht, Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen mit möglichst
genauen Beträgen zu veranschlagen, engen verfassungsrechtlichen Grenzen und
bedürfen im Einzelfall einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Die quantitative
96
Unbestimmtheit des aus Grundstockmitteln gespeisten Titels 821 10 ist im Hinblick auf
den besonderen Zweck des Grundstocks und der mit ihm sachlich verbundenen
Haushaltstitel, das Landesvermögen in Form von Grundstücken tunlichst zu erhalten
(vgl. bereits Nr. 66 der Ersten Anweisung zum Vollzug des Reichshaushaltsrechts in
den Ländern (1. VAHL) vom 5. Mai 1939, abgedruckt bei Vialon, Haushaltsrecht, 2.
Auflage 1959, S. 1136 ff.), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Zielsetzung,
die Erlöse aus dem Verkauf von Grundstücken nicht allgemein dem Haushalt
zukommen zu lassen, sondern sie in Grundstücke zu reinvestieren, um das
Landesvermögen nicht zu schmälern, rechtfertigt, auf die nähere Bestimmung der Höhe
der für den Grundstückserwerb einzusetzenden Mittel zu verzichten. Eine möglichst
baldige Reinvestierung der Erlöse sowie die bei Grundstückskäufen erforderliche
Flexibilität (s. o. C II 3 a) wären bei festen Haushaltsansätzen nicht vergleichbar
gewährleistet. Der Sache nach handelt es sich bei der Vereinnahmung von
Veräußerungserlösen und ihrer Wiederverwendung zu entsprechenden Erwerbungen
lediglich um "Vermögensverschiebungen" (vgl. Nr. 66 der 1. VAHL, aaO). Die Exekutive
ist bei diesen "Vermögensverschiebungen" in ihrer Entscheidungsbefugnis auch nicht
völlig frei. Grundstücke von erheblichem Wert oder besonderer Bedeutung dürfen nur
mit Einwilligung des Landtags veräußert werden, sofern nicht aus zwingenden Gründen
eine Ausnahme hiervon geboten ist (§ 64 Abs. 2 LHO). Der Erwerb von Grundstücken ist
andererseits nur zulässig, wenn er der Erfüllung der Aufgaben des Landes dient und zu
diesem Zweck erforderlich ist (§ 63 Abs. 1 LHO).