Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 08.04.2003

VerfG Nordrhein-Westfalen: verfassungsbeschwerde, finanzausgleich, zahl, gleichbehandlungsgebot, mehrbelastung, gestaltungsspielraum, unterlassen, rechtsstaatsprinzip, leistungsfähigkeit, meldepflicht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 2/02
08.04.2003
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil
VerfGH 2/02
Die Nichtberücksichtigung der Mitglieder ausländischer
Stationierungsstreitkräfte und ihrer Angehörigen bei der Bestimmung der
für den Finanzausgleich maßgeblichen Einwohnerzahl gemäß § 43 Abs.
1 GFG 2001/2002 verstößt nicht gegen das interkommunale
Gleichbehandlungsgebot.
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
A.
Die Beschwerdeführerin, eine kreisangehörige Stadt, wendet sich mit ihrer
Verfassungsbeschwerde gegen § 43 Abs. 1 GFG 2001 und § 43 Abs. 1 GFG 2002, soweit
hiernach - anders als in früheren Gemeindefinanzierungsgesetzen - die Mitglieder der
Stationierungsstreitkräfte sowie ihre Angehörigen nicht als Einwohner im kommunalen
Finanzausgleich berücksichtigt werden.
I.
1.
Wege des Finanzausgleichs nach den Regelungen der jährlich neu erlassenen
Gemeindefinanzierungsgesetze allgemeine und zweckgebundene Zuweisungen, die zur
Ergänzung ihrer eigenen Einnahmen bestimmt sind. Im Rahmen der allgemeinen
Zuweisungen werden den Gemeinden Schlüsselzuweisungen gewährt. Ihre Höhe richtet
sich unter anderem nach der Einwohnerzahl (§ 8 Abs. 3 GFG 2001/2002). Diese ist darüber
hinaus bedeutsam für die pauschale Förderung investiver kommunaler Maßnahmen (§ 17
GFG 2001/2002) sowie für verschiedene Bedarfszuweisungen (§ 20 GFG 2001/2002).
Der Begriff der "Einwohnerzahl" wird in § 43 Abs. 1 GFG 2001 definiert. Die Vorschrift
lautet:
"Als Einwohnerzahl im Sinne dieses Gesetzes gilt die vom Landesamt für
Datenverarbeitung und Statistik auf den 31. Dezember 1999 fortgeschriebene
Bevölkerung."
Eine entsprechende, auf den 31. Dezember 2000 als Fortschreibungszeitpunkt bezogene
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Regelung trifft § 43 Abs. 1 GFG 2002.
In den vorausgegangenen Haushaltsjahren seit 1970 waren der so definierten
Einwohnerzahl nach Maßgabe der jeweiligen Finanzausgleichs- bzw.
Gemeindefinanzierungsgesetze die so genannten A- und D-Einwohner hinzugerechnet
worden. Diesbezüglich bestimmte zuletzt § 40 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung
der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und
Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2000 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 2000)
vom 17. Dezember 1999 (GV. NRW. 718):
"Der nach Absatz 1 maßgeblichen Einwohnerzahl wird in allen Fällen mit Ausnahme
der Aufteilung der Investitionspauschale nach § 17 Abs. 3 und der Bedarfszuweisungen
nach § 20 die Zahl der nicht kasernierten Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte und deren
Angehörige sowie der Diplomaten und Mitglieder der fremden Missionen und Konsulate
und deren Angehörige hinzugerechnet, soweit diese Personen nicht bereits berücksichtigt
sind."
Der Verzicht auf eine derartige Regelung wird im Entwurf der Landesregierung zum GFG
2001 mit der landesweit rückläufigen Zahl der A- und D-Einwohner begründet. Angesichts
dieser Entwicklung stehe der Ermittlungsaufwand aller Gemeinden inzwischen in keinem
Verhältnis mehr zur Relevanz dieses Personenkreises für die fiktive Bedarfsermittlung der
Gesamtheit der Gemeinden (LT NRW-Drs. 13/402, S. 74). Die Gesamtzahl der A- und D-
Einwohner war vom Finanzausgleichsjahr 1989 (Stichtag: 31. Dezember 1987) bis zum
Finanzausgleichsjahr 2000 (Stichtag: 31. Dezember 1998) von 152.067 auf 63.804, das
entspricht 0,355 v.H. der Gesamtbevölkerung, zurückgegangen. Zu dem letztgenannten
Stichtag waren in 104 der 396 nordrhein-westfälischen Gemeinden A- oder/und D-
Einwohner zu verzeichnen, wobei in 22 Gemeinden ihr prozentualer Anteil an der
Bevölkerung über 1 v.H. lag.
Zur Überbrückung der Einnahmeverluste von Gemeinden, die im Zusammenhang mit dem
Fortfall der Berücksichtigung von A- und D-Einwohnern im Schlüsselzuweisungssystem
besonders betroffen sind, werden gemäß § 10 GFG 2001/2002 Mittel für pauschale
Zuweisungen in Höhe von bis zu 28.650.000 DM (2001) bzw. 9.766.000 EUR (2002) zur
Verfügung gestellt. Dem liegt die gesetzgeberische Planung zugrunde, die Verluste in drei
Jahren absteigend um 75, 50 und 25 v.H. abzumildern (LT NRW - Drs. 13/402, S. 74 f.).
2.
Stationierungsstreitkräfte. Die Zahl ihrer A-Einwohner entwickelte sich während der letzten
vier Jahre ihrer Berücksichtigung im System der Schlüsselzuweisungsberechnung von
7.280 im Finanzausgleichsjahr 1997 über 8.958 (1998), 8.555 (1999) bis 8.416 (2000). Die
für den Finanzausgleich 2001 maßgebliche Einwohnerzahl der Beschwerdeführerin zum
31. Dezember 1999 betrug 137.647, die Zahl ihrer A-Einwohner 8.318. Durch die
Nichtberücksichtigung dieses Personenkreises ist der Beschwerdeführerin nach eigenen
Berechnungen im Haushaltsjahr 2001 ein um ersparte Kreisumlage bereinigter
Schlüsselzuweisungsverlust in Höhe von etwa 8,5 Millionen DM entstanden. Dem steht
eine Überbrückungshilfe in Höhe von 5.612.348 DM gegenüber (Anlage 4 zu § 10 GFG
2001). Die ihr für das Haushaltsjahr 2002 gewährte Überbrückungshilfe beläuft sich auf
1.913.032 EUR (Anlage 5 zu § 10 GFG 2002).
II.
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Beschwerdeführerin geltend, § 43 Abs. 1 GFG 2001 und § 43 Abs. 1 GFG 2002 verletzten
die Vorschriften der Landesverfassung (LV) über das Recht der gemeindlichen
Selbstverwaltung.
Sie beantragt
festzustellen, dass § 43 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des
Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr
2001 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 2001) vom 3. April 2001 (GV. NRW. 172) und §
43 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen
an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2002
(Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 2002) vom 19. Dezember 2001 (GV. NRW. 887) mit
dem Recht der Beschwerdeführerin auf Selbstverwaltung aus Art. 78 Abs. 1, 79 Satz 2 LV
insoweit unvereinbar sind, als die nicht kasernierten Mitglieder der
Stationierungsstreitkräfte und deren Angehörige nicht als Einwohner berücksichtigt werden.
Sie macht geltend:
Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Sie richte sich nicht gegen ein
gesetzgeberisches Unterlassen, sondern gegen eine positive gesetzliche Regelung, die
den relevanten Sachverhalt unvollständig erfasse.
Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Die angegriffenen Regelungen verletzten
das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerin unter mehreren Gesichtspunkten.
a)
gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot. Standorte von
Stationierungsstreitkräften stünden im kommunalen Finanzausgleich trotz vergleichbarer
Mehrbelastung schlechter da als Bundeswehrstandorte. Diese Ungleichbehandlung sei
sachlich nicht gerechtfertigt. Die rückläufige Entwicklung der Zahl der A-Einwohner
rechtfertige nicht deren völlige Vernachlässigung. Der zu ihrer Feststellung erforderliche
Ermittlungsaufwand lasse sich durch eine Vereinfachung des Verfahrens reduzieren und
stehe nicht außer Verhältnis zu den finanziellen Belangen der betroffenen Gemeinden.
b)
Systemgerechtigkeit. Im Regelungssystem der Gemeindefinanzierungsgesetze werde der
kommunale Finanzbedarf in erster Linie nach der Einwohnerzahl bemessen. Ihre
Ermittlung anhand der Melderegister führe wegen der Befreiungen von der Meldepflicht zu
systembedingten Ungenauigkeiten. Die Einbeziehung der A-Einwohner diene der
Korrektur dieser Ungenauigkeiten und damit der konsequenten Durchführung der für die
Bedarfsermittlung gewählten Methode.
c)
angegriffenen Regelungen ergebe sich schließlich auch daraus, dass diese gegen Art. 39,
12 Satz 1 und 10 Satz 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
(EGV) verstießen und damit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG normierten
Staatszielbestimmung zuwider liefen, die bei der Anwendung von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG,
Art. 78 LV zu beachten sei.
2.
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unzulässig und im Übrigen für unbegründet. Sie trägt im Wesentlichen vor:
Die Nichtberücksichtigung der A-Einwohner im Rahmen der Legaldefinition des § 43 Abs.
1 GFG 2001/2002 stelle ein legislatives Unterlassen dar, das als solches kein zulässiger
Beschwerdegegenstand sei.
Wenn und soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig sei, sei sie jedenfalls nicht
begründet. Denn die angegriffenen Vorschriften hielten sich innerhalb der Grenzen des
dem Finanzausgleichsgesetzgeber durch Art. 79 Satz 2 LV eingeräumten
Gestaltungsspielraums.
a)
allgemeinen Zuweisungen führe nicht zu einer Aushöhlung der Finanzkraft der
Beschwerdeführerin und stelle auch landesweit die Angemessenheit der kommunalen
Finanzausstattung nicht in Frage.
b)
bisherige A-Einwohnerklausel stehe nicht im Widerspruch zu den das System der
Schlüsselzuweisungen strukturierenden Regeln. Die Klausel habe im Laufe ihrer
geschichtlichen Entwicklung nicht die Funktion eines systembestimmenden Leitmaßstabes
gehabt, sondern einen nur zeitweise und gruppenspezifisch systemergänzenden Beitrag
zum Belastungsausgleich einer Minderheit der nordrhein-westfälischen Gemeinden
geleistet.
c)
Vertrauensschutzes. Die den Gemeinden im alljährlich neu geregelten Finanzausgleich
eingeräumten Rechtsstellungen stünden stets unter dem Vorbehalt künftiger Änderungen.
Im übrigen habe der Gesetzgeber in § 10 GFG 2001/2002 eine Übergangslösung
vorgesehen.
d)
interkommunalen Gleichbehandlung seien ebenfalls nicht verletzt. Dem
Finanzausgleichsgesetzgeber stehe eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die
gemeindlichen Belastungen zu, die ihn zur sach- und zeitnahen Typisierung berechtige.
Hierbei habe er berücksichtigen dürfen, dass die stationierungsbedingten Belastungen
nicht auf alle Einwohner des Landes gleichermaßen rückführbar seien, sondern regionale
und lokale Strukturprobleme beträfen und dass diesen Belastungen verschiedene Vorteile -
fremdfinanzierte Infrastrukturmaßnahmen, Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze,
Kaufkraftvermehrung - gegenüber stünden. Gegen eine Berücksichtigung der A-Einwohner
spreche zudem, dass ihre Wohnsitznahme nur vorübergehender Natur sei. Im übrigen
erfordere ihre Ermittlung einen Verwaltungsaufwand, der in keinem angemessenen
Verhältnis zu seinem Ertrag stehe. Schon in der Vergangenheit sei die Aussagekraft der
von den ausländischen Streitkräften getätigten Mitteilungen aus strukturbedingten Gründen
ungewiss gewesen. Seit dem Abzug der Verbindungsoffiziere sei zudem mit
verfahrensbedingten Unschärfen zu rechnen.
e)
Bestimmungen kämen auch unter Berücksichtigung von Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG als
Prüfungsmaßstab einer kommunalen Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht. Die in
dieser Vorschrift normierte Zielvorgabe richte sich zwar auch an die Gemeinden, forme
aber nicht deren Selbstverwaltungsrecht aus, sondern begrenze es.
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B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Sie ist gemäß Art. 75 Nr. 4 LV, § 52 Abs. 1 VerfGHG statthaft. Hiernach können Gemeinden
und Gemeindeverbände die Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, dass
Landesrecht die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der Selbstverwaltung
verletze.
Entgegen der Ansicht der Landesregierung richtet sich die Verfassungsbeschwerde nicht
gegen ein legislatives Unterlassen. Ein solches liegt vor im Falle eines gänzlichen
Untätigbleibens des Gesetzgebers und ist mangels (Landes-) Rechtsqualität mit der
Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar (VerfGH NRW, OVGE 14, 369, 370; OVGE 19,
308, 313; NWVBl. 2000, 335, 338). Zu unterscheiden ist das legislative Unterlassen von
der indirekten, negativ-ausgrenzenden Regelung eines Sachverhalts durch den
Gesetzgeber; sie ist als Landesrecht tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde
(VerfGH NRW, NWVBl. 2000, 335, 338). Die von der Beschwerdeführerin beanstandete
Nichtberücksichtigung der A-Einwohner im Rahmen der Legaldefinition des § 43 Abs. 1
GFG 2001/2002 stellt eine negativ-ausgrenzende Regelung in Bezug auf diesen
Personenkreis dar.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.
Die in § 43 Abs. 1 GFG 2001 und § 43 Abs. 1 GFG 2002 getroffenen Regelungen verletzen
nicht das Recht der Beschwerdeführerin auf Selbstverwaltung aus Art. 78, 79 Satz 2 LV.
Sie verstoßen nicht gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot oder gegen
sonstige Verfassungsgrundsätze, die im Verfassungsbeschwerdeverfahren als
Prüfungsmaßstab zu berücksichtigen sind.
I.
1.
umfasst auch einen gegen das Land gerichteten Anspruch auf angemessene
Finanzausstattung; denn eigenverantwortliches Handeln setzt eine entsprechende
finanzielle Leistungsfähigkeit der Selbstverwaltungskörperschaften voraus (VerfGH NRW,
OVGE 38, 312, 314; 40, 300, 302 = NWVBl. 1989, 85, 86; OVGE 43, 252, 254 = NWVBl.
1993, 381, 382; OVGE 47, 249, 251 = NWVBl. 1998, 390, 391).
Den Finanzausstattungsanspruch absichernd und konkretisierend verpflichtet Art. 79 Satz 2
LV das Land, im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einen übergemeindlichen
Finanzausgleich zu gewährleisten (vgl. Art. 106 Abs. 7 GG). Dabei ist dem Gesetzgeber ein
weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, in welchem Umfang und auf welche Art er diese
Gewährleistung erfüllt und nach welchem System er die Finanzmittel auf die Gemeinden
verteilt (VerfGH NRW, OVGE 43, 252, 254 = NWVBl. 1993, 381, 382; OVGE 47, 249, 253 f.
= NWVBl. 1998, 390, 392). Im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit obliegt es dem
Gesetzgeber, den Finanzbedarf von Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden zu
gewichten, Unterschiede hinsichtlich des Finanzbedarfs und hinsichtlich der vorhandenen
Finanzausstattung auszumachen und festzulegen, wie die Differenzlagen auszugleichen
sind.
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2.
Grenzen ergeben sich aus dem Schutzzweck der Finanzausstattungsgarantie
(a)
aus solchen Grundsätzen des Landesverfassungsrechts, die geeignet sind, das
verfassungsrechtliche Bild der kommunalen Selbstverwaltung mitzubestimmen
(b,c,d)
a)
Selbstverwaltung zu sichern, folgt, dass die für eine eigenverantwortliche
Aufgabenwahrnehmung durch die Kommunen erforderliche finanzielle Mindestausstattung
gewährleistet sein muss. Dementsprechend ist die Finanzausstattungsgarantie verletzt,
wenn einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung die finanzielle Grundlage entzogen
und dadurch das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt wird (VerfGH NRW, OVGE 40, 300,
302 = NWVBl. 1989, 85, 86; OVGE 47, 249, 251 f. = NWVBl. 1998, 390, 391). Im übrigen
legen Art. 78 und 79 LV den Umfang der Mittel nicht fest, die den Gemeinden aufgrund des
Finanzausgleichs zur freien Disposition gestellt werden müssen; weder sind zahlenmäßig
festgelegte Beträge noch bestimmte Quoten vorgeschrieben (VerfGH NRW, OVGE 40, 300,
303 = NWVBl. 1989, 85, 86; OVGE 43, 252, 255 = NWVBl. 1993, 381, 382; OVGE 47, 249,
252 = NWVBl. 1998, 390, 391)
b)
rechtsstaatlich determinierte Willkürverbot, das als Element des objektiven
Gerechtigkeitsprinzips auch kraft Landesverfassungsrechts verbürgt ist. Als
interkommunales Gleichbehandlungsgebot verbietet es, bei der Ausgestaltung des
kommunalen Finanzausgleichs bestimmte Gemeinden oder Gemeindeverbände aufgrund
sachlich nicht vertretbarer Differenzierungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Es ist
verletzt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlicher Grund fehlt (VerfGH NRW, OVGE
38, 312, 315 f.; 40, 300, 302 = NWVBl. 1989, 85, 86; OVGE 43, 252, 254 = NWVBl. 1993,
381, 382; OVGE 47, 249, 253 = NWVBl. 1998, 390, 391).
Nach welchem System der Gesetzgeber eine bestimmte Materie ordnen will, obliegt seiner
Entscheidung. Weicht er vom selbst bestimmten System ab, kann das einen
Gleichheitsverstoß indizieren (BVerfGE 61, 138, 148 f; 68, 237, 253; 81, 156, 207). Ein
solcher liegt nicht vor, wenn es für die Abweichung plausible Gründe gibt (VerfGH NRW,
OVGE 46, 262, 270 f. = NWVBl. 1997, 129, 132).
c)
ferner dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
genügen. Belastungen oder Beeinträchtigungen der gemeindlichen Finanzausstattung sind
abzuwägen mit den dafür maßgebenden, dem öffentlichen Wohl verpflichteten, sachlichen
Gründen. Unterschiedliche Finanzausgleichsbelange kommunaler Aufgabenträger sind
zum angemessenen Ausgleich zu bringen (VerfGH NRW, OVGE 47, 249, 254 = NWVBl.
1998, 390, 392).
d)
Vertrauensschutzes zu beachten (VerfGH NRW, OVGE 38, 301, 311). Zwar besteht
grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen in den unveränderten Fortbestand einer
einmal erreichten Struktur oder eines einmal erreichten Standards des Finanzausgleichs.
Vielmehr steht es dem Gesetzgeber frei, veränderte Rahmenbedingungen, neue
Erkenntnisse oder gewandelte Präferenzen bei der jährlichen Regelung des kommunalen
Finanzausgleichs zu berücksichtigen (VerfGH NRW, OVGE 38, 301, 311 f.; 47, 249, 252 =
NWVBl. 1998, 390, 392). Ausnahmsweise können indes die besonderen Umstände des
Einzelfalles die Gewährung von Vertrauensschutz gebieten (vgl. VerfGH NRW, OVGE 43,
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252, 263 = NWVBl. 1993, 381, 385).
II.
Die angegriffenen Vorschriften genügen den dargelegten verfassungsrechtlichen
Anforderungen.
1.
Einwohner im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs die durch Art. 78 und 79 Satz 2
LV garantierte finanzielle Mindestausstattung berührt. Die Beschwerdeführerin macht
demgemäß auch nicht geltend, dass infolge der hierdurch bedingten Zuweisungseinbußen
einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung die finanzielle Grundlage entzogen wäre.
2.
interkommunale Gleichbehandlungsgebot.
Im Rahmen seines Gestaltungsspielraums durfte der Gesetzgeber anordnen, dass sich die
für den kommunalen Finanzausgleich maßgebliche Einwohnerzahl ausschließlich nach
der Bevölkerungsfortschreibung durch das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik
richtet, also nur an dem melderechtlichen Einwohnerbegriff orientiert. Dadurch hat er den
Anknüpfungspunkt des Einwohneransatzes in zulässiger Weise typisiert (zur Zulässigkeit
von Typisierungen vgl. VerfGH NRW, OVGE 46, 262, 270 = NWVBl. 1997, 129, 131).
Dabei durfte er auch praktische Erfordernisse der Verwaltung berücksichtigen (BVerfGE 63,
119, 128 m.w.N.). Die gegenwärtige Regelung macht im Rahmen des
Finanzausgleichsverfahrens zusätzliche Ermittlungen entbehrlich. Die zugrunde gelegte
amtliche Bevölkerungsstatistik weist ein hohes Maß an Zuverlässigkeit auf, da sie von
einem mit besonderer Sachkunde ausgestatteten Landesamt nach landeseinheitlich
festgelegten Kriterien geführt wird.
Der Rückgriff auf die amtliche Bevölkerungsstatistik hat, da sie auf der Meldepflicht aufbaut,
zur Konsequenz, dass die - meldepflichtigen - Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen
mit Blick auf den Finanzausgleich Einwohner ihrer Standortgemeinde sind, Angehörige
ausländischer Stationierungsstreitkräfte sowie deren Familienmitglieder hingegen nicht, da
sie mangels einer entsprechenden Pflicht in der Regel nicht gemeldet und
dementsprechend nicht berücksichtigt werden. Diese Folge zwingt den Gesetzgeber nicht,
sie als A-Einwohner zu der nach § 43 Abs. 1 GFG 2001/2002 maßgeblichen
Einwohnerzahl hinzuzurechnen.
Zwar mag eine Gemeinde, die Standort ausländischer Stationierungsstreitkräfte ist, ebenso
wie eine Standortgemeinde der Bundeswehr, eine besondere Belastung zu tragen haben.
Dies kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Jedenfalls war der Gesetzgeber nicht
gehalten, einer solchen Mehrbelastung weiterhin gerade durch eine Hinzurechnung der A-
Einwohner Rechnung zu tragen. Vielmehr konnte er einer etwaigen Mehrbelastung auch
auf andere Weise, zum Beispiel durch einen besonderen Stationierungsansatz, begegnen.
So hat er vorliegend eine Überbrückungshilfe gewährt (vgl. § 10 GFG 2001/2002). Dass
diese Überbrückungshilfe etwaige Mehrbelastungen nicht hinreichend ausgleicht, ist nicht
ersichtlich. Ob der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum überschreiten würde, falls er
von jedweder Berücksichtigung einer Mehrbelastung absieht, kann hier offen bleiben.
3.
Finanzausgleich maßgeblichen Einwohnerzahl verstößt auch nicht gegen den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit. Die hierdurch bedingte Verringerung der Finanzzuweisungen an
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die besonders betroffenen Gemeinden wird in den hier maßgeblichen Haushaltsjahren
2001/2002 durch eine Überbrückungshilfe abgemildert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür,
dass die derart abgemilderte Verringerung der Zuweisungen außer Verhältnis zur
Bedeutung der vom Gesetzgeber bezweckten Verwaltungsvereinfachung steht.
4.
Vertrauensschutzes. Die Standortgemeinden ausländischer Stationierungsstreitkräfte
hatten keinen Anlass darauf zu vertrauen, dass die bisherige A-Einwoh-nerklausel
unverändert fortbestehen würde.
5.
Abs. 1 GFG 2002 im vorliegenden Verfahren zu messen wären, sind nicht ersichtlich.
Namentlich kommt - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - eine Prüfung der
Vorschriften am Maßstab des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Betracht. Für eine derartige
Prüfung ist schon deshalb kein Raum, weil der Verfassungsgerichtshof ausschließlich die
Einhaltung des Landesverfassungsrechts kontrolliert. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG ist indes
eine Norm des Bundesverfassungsrechts. Ihr Inhalt beansprucht auch nicht - wie etwa das
Rechtsstaatsprinzip - zugleich kraft Landesverfassungsrechts Verbindlichkeit. Zudem ist
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG kein tauglicher Prüfungsmaßstab im Verfahren der kommunalen
Verfassungsbeschwerde, weil die Vorschrift ihrem Inhalt nach nicht das
verfassungsrechtliche Bild der kommunalen Selbstverwaltung mitbestimmt (vgl. hierzu
allgemein: VerfGH NRW, OVGE 39, 292, 293; entsprechend zu Art. 28 Abs. 2 GG: BVerfGE
1, 167, 181; 56, 298, 310; 71, 25, 37).