Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 12.10.2010

VerfG Nordrhein-Westfalen: jugendhilfe, konstitutive wirkung, wohl des kindes, rechtsverordnung, ausführung, unterlassen, tagespflege, geldleistung, kostendeckung, erfüllung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 12/09
12.10.2010
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land NRW
Urteil
VerfGH 12/09
Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 7., 9., 13.
und 17. werden verworfen.
Auf die übrigen Verfassungsbeschwerden wird festgestellt, dass § 1a
Abs. 1 des Ersten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und
Jugendhilfegesetzes - AG-KJHG - vom 12. Dezember 1990 (GV. NRW. S.
664) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des AG-KJHG vom 28. Oktober
2008 (GV. NRW. S. 644) mit Art. 78 Abs. 3 der Landesverfassung NRW
insoweit unvereinbar ist, als dabei nicht gleichzeitig Bestimmungen über
die Deckung der Kosten getroffen worden sind.
Die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer - ausgenommen der
Beschwerdeführerinnen zu 7., 9., 13. und 17. - sind vom Land Nordrhein-
Westfalen zu erstatten.
G r ü n d e :
A.
Die Beschwerdeführer – 17 kreisfreie Städte, vier kreisangehörige Städte sowie zwei
Kreise – wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen § 1a Abs. 1 des Ersten
Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AG-KJHG) vom 12.
Dezember 1990 (GV. NRW. S. 664) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Ersten Gesetzes
zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
– AG-KJHG – vom 28. Oktober 2008 (GV. NRW. S. 644). Sie machen geltend, die
angegriffene Norm sei mit den Vorschriften der Landesverfassung (LV NRW) über das
Recht der kommunalen Selbstverwaltung unvereinbar, weil sie das Konnexitätsgebot des
Art. 78 Abs. 3 LV NRW verletze.
I.
1.
1163) wurde in § 24 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) geregelt, dass alle
Kinder, für deren Wohl eine Förderung in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege
erforderlich ist, eine entsprechende Hilfe erhalten sollten. Den Ländern wurde die Aufgabe
übertragen, die Verwirklichung dieses Grundsatzes zu regeln und für einen
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bedarfsgerechten Ausbau Sorge zu tragen. § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII 1991 bestimmte die
Kreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
Mit der Nachfolgeregelung des § 24 SGB VIII 1992 (BGBl. I S. 1398) wurde für Kinder vom
vollendeten dritten Lebensjahr an ein Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens nach
Maßgabe des Landesrechts geschaffen. Für Kinder im Alter unter drei Jahren und Kinder
im schulpflichtigen Alter waren nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen und, soweit für
das Wohl des Kindes erforderlich, Tagespflegeplätze vorzuhalten (§ 24 Abs. 1 SGB VIII
1992). Gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII 1992 hatten die Träger der öffentlichen Jugendhilfe
darauf hinzuwirken, dass für jedes Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum
Schuleintritt ein Kindergartenplatz zur Verfügung steht (Nr. 1), das Betreuungsangebot
nach § 24 Abs. 1 Satz 2 bedarfsgerecht ausgebaut (Nr. 2) und ein bedarfsgerechtes
Angebot an Ganztagsplätzen vorgehalten wird (Nr. 3). Eine im Kern inhaltsgleiche
Regelung enthielt § 24 SGB VIII 1996 (BGBl. 1995 I S. 1775).
Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene "Gesetz zum qualitätsorientierten und
bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz
– TAG)" vom 27. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3852) ergänzte § 24 SGB VIII dahingehend,
dass für Kinder unter drei Jahren unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. im Fall von
erwerbstätigen Erziehungsberechtigten) Plätze in Tageseinrichtungen und in
Kindertagespflege vorzuhalten waren (vgl. § 24 Abs. 3 SGB VIII 2005). Der Begriff der
Bedarfsgerechtigkeit als Maßstab für das Betreuungsangebot wurde durch Mindestkriterien
definiert. Der Bundesgesetzgeber verstand diese Ergänzung als Konkretisierung der seit
1992 bestehenden (objektiv-rechtlichen) Verpflichtung der Träger der öffentlichen
Jugendhilfe, für Kinder unter drei Jahren nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen
vorzuhalten (Bundestag – BT, Drs. 15/3676, S. 2, 24, 33 f.; Drs. 15/3986, S. 3).
2.
und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG)" vom 10. Dezember 2008
(BGBl. I S. 2403) ist § 24 Abs. 3 SGB VIII erweitert worden. Zu den Fallgruppen von
Kindern unter drei Jahren, die in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege zu
fördern sind, gehören nunmehr auch Kinder, deren Erziehungsberechtigte Arbeit suchend
sind (§ 24 Abs. 3 Nr. 2. lit. a) 3. Alt. SGB VIII 2008). Die Regelung ist am 16. Dezember
2008 in Kraft getreten (Art. 10 Abs. 1 KiföG).
Die Übergangsregelung in § 24a SGB VIII 2008 sieht vor, dass ein Träger der öffentlichen
Jugendhilfe zum stufenweisen Ausbau des Förderangebots für Kinder unter drei Jahren
verpflichtet ist, wenn er das zur Erfüllung der Verpflichtung nach § 24 Abs. 3 erforderliche
Angebot noch nicht vorhalten kann (§ 24a Abs. 1). Ab dem 1. Oktober 2010 sind die Träger
verpflichtet, ein bestimmtes Mindestangebot vorzuhalten (§ 24a Abs. 3).
Des Weiteren ist mit Art. 1 Nr. 5 KiföG die Entlohnung der Tagespflegepersonen verbessert
worden. Die nach § 23 SGB VIII vorgesehene Geldleistung umfasst nunmehr auch die
hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Kranken- und
Pflegeversicherung (§ 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII 2008). Zudem ist der Betrag zur
Anerkennung der Förderleistung leistungsgerecht auszugestalten (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m.
Abs. 2a SGB VIII 2008).
Schließlich regelt Art. 1 Nr. 7 (i.V.m. Art. 10 Abs. 3) KiföG, dass ab dem 1. August 2013 für
Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, ein Rechtsanspruch auf frühkindliche
Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege besteht (§ 24 Abs. 2 SGB VIII
2013).
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Darüber hinaus ist § 69 SGB VIII geändert worden (Art. 1 Nr. 13 KiföG). Die Träger der
öffentlichen Jugendhilfe werden mit Wirkung vom 16. Dezember 2008 nicht mehr wie
bislang durch eine bundesrechtliche Zuständigkeitsregelung bestimmt. Gemäß § 69 Abs. 1
SGB VIII 2008 obliegt die Zuständigkeitsbestimmung nunmehr dem Landesrecht.
b)
VIII, damit werde eine verfassungsrechtliche Vorgabe der Föderalismusreform I umgesetzt.
Gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG dürfe der Bundesgesetzgeber Aufgaben nicht mehr direkt
an Gemeinden und Gemeindeverbände übertragen. Eine Zuweisung neuer oder erweiterter
Aufgaben im Rahmen der Novellierung des SGB VIII würde gegen dieses Verbot
verstoßen. Um dem Bund weiterhin die Befugnis zur Regelung neuer Aufgaben zu
erhalten, sei die Bestimmung der örtlichen Träger in § 69 SGB VIII zu streichen (BT, Drs.
16/9299, S. 2, 11; Drs. 16/10173, S. 16). Dies sei nun Aufgabe der Länder. Würden sie die
Gemeinden und Gemeindeverbände zu Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bestimmen,
entscheide das jeweilige Landesverfassungsrecht darüber, welche
Kostendeckungspflichten gegebenenfalls im Verhältnis zwischen Land und Kommune
entstünden (BT, Drs. 16/9299, S. 17).
Zu den Neufassungen von § 24 SGB VIII verweist die Gesetzesbegründung darauf, der
Entwurf beinhalte einen quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung. In einer ersten
Stufe (2008 bis 2013) sehe der Entwurf eine an erweiterte Kriterien geknüpfte Verpflichtung
zur Vorhaltung von Plätzen in Tageseinrichtungen und Tagespflege vor. In einer zweiten
Stufe (ab dem Kindergartenjahr 2013/2014) werde ein Rechtsanspruch auf frühkindliche
Förderung geschaffen (BT, Drs. 16/9299, S. 2, 10, 15 f.).
3.
Entwurf für ein "Gesetz zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und
Jugendhilfegesetzes – AG-KJHG" in den Landtag eingebracht (Landtag – LT NRW, Drs.
14/7432). Es sollte die bislang bundesgesetzlich formulierte Zuständigkeit für Aufgaben
nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz durch Landesgesetz geregelt werden. Der
Landesgesetzgeber sah sich zum Tätigwerden veranlasst, weil die bisherige Regelung in §
69 Abs. 1 SGB VIII 1991 mit der erwarteten Verabschiedung und dem Inkrafttreten des
KiföG wegfallen würde. Vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes sollten daher im Wege
einer landesgesetzlichen Zuständigkeitsregelung die Kreise und kreisfreien Städte als
örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt werden. In der Begründung des
Gesetzentwurfs heißt es dazu, die Regelung habe keine Auswirkungen auf die kommunale
Selbstverwaltung, weil sie keine neuen Zuständigkeiten betreffe. Die bisher bewährte
Struktur von örtlichen und überörtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe werde ohne
Änderungen beibehalten. Was bisher durch Bundesgesetz geregelt gewesen sei, werde
nunmehr lediglich landesgesetzlich normiert (LT NRW, Drs. 14/7432, S. 2, 5).
Am 22. Oktober 2008 verabschiedete der Landtag in zweiter Lesung das Gesetz zur
Änderung des AG-KJHG (LT NRW, Plenarprotokoll 14/102, S. 12099).
Das Gesetz zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und
Jugendhilfegesetzes – AG-KJHG vom 28. Oktober 2008 ist am 10. November 2008
verkündet worden (GV. NRW. S. 644) und am 11. November 2008 in Kraft getreten (Art. 2
des Gesetzes).
Die einschlägigen Vorschriften lauten:
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§ 1
Träger der öffentlichen Jugendhilfe
Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind die örtlichen und überörtlichen
Träger.
§ 1a
Örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe
(1) Örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind die Kreise und die kreisfreien
Städte.
(2) Die Aufgaben des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe werden durch das
Jugendamt wahrgenommen.
II.
1.
Beschwerdeführer geltend, § 1a Abs. 1 AG-KJHG verletze Art. 78 Abs. 3 LV NRW und
damit zugleich ihr landesverfassungsrechtlich garantiertes Recht auf kommunale
Selbstverwaltung.
Sie beantragen,
festzustellen, dass die durch § 1a Abs. 1 AG-KJHG, in Kraft getreten am 11. November
2008, vorgenommene Übertragung der Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe nach
Maßgabe des Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in
Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG) vom 10.
Dezember 2008 (BGBl. I S. 2403) das Konnexitätsgebot des Art. 78 Abs. 3 VerfNW verletzt,
weil eine gleichzeitige Regelung über den finanziellen Belastungsausgleich nicht getroffen
worden ist; sie ist insoweit mit den Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der
kommunalen Selbstverwaltung unvereinbar.
Zur Begründung tragen sie vor:
a)
Beschwerdegegenstand. Es sei nicht ein schlichtes Unterlassen des Gesetzgebers zur
verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt, sondern ein unter Verletzung der spezifischen
Anforderungen des Art. 78 Abs. 3 LV NRW ergangener Aufgabenübertragungsakt.
Auch die Beschwerdeführerinnen zu 7., 9., 13. und 17. seien beschwerdebefugt. § 1a Abs.
1 AG-KJHG nenne zwar ausdrücklich nur die Kreise und kreisfreien Städte. Die Regelung
sei jedoch in voller Kenntnis der normativen Situation erfolgt, dass nach Maßgabe von § 2
AG-KJHG i.V.m. § 1a Abs. 2 AG-KJHG kreisangehörige Gemeinden die Aufgaben der
öffentlichen Jugendhilfe ebenfalls weiterhin wahrnehmen würden.
b)
Art. 78 Abs. 3 LV NRW umfassend auf eine Einbindung aller landesrechtlichen
Aufgabenzuweisungen, soweit den kommunalen Gebietskörperschaften damit wesentliche
Belastungen aufgebürdet würden. Es sei systemimmanent, dass der Landesgesetzgeber
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im Falle der Entscheidung, eine (neue) Aufgabe den Kommunen zu übertragen, den
entscheidenden Verursachungsbeitrag für finanzielle Mehrbelastungen setze und die
Rechtsfolge des Art. 78 Abs. 3 LV NRW auslöse.
Bei der Einführung eines flächendeckenden Betreuungsanspruchs für Kinder zwischen
einem und drei Jahren durch das KiföG handele es sich um eine neue Aufgabe. Das KiföG
führe zu einer substantiellen Strukturveränderung in der Betreuung und Förderung von
Kindern. Die nach der Gesetzesbegründung beabsichtigte Schaffung eines hochwertigen
Betreuungsangebots sei nur mit erheblichen finanziellen Anstrengungen zu realisieren. Der
Bund beziffere die Mehrkosten mit ca. 12 Mrd. Euro, an denen er sich mit rund 4 Mrd. Euro
beteilige. Ab 2014 sei eine Bundesbeteiligung von jährlich 770 Mio. Euro vorgesehen.
Bereits in formeller Hinsicht sei die Aufgabe als "neu" zu qualifizieren, was sich daran
zeige, dass der Bundesgesetzgeber die alte Zuständigkeitsregelung in § 69 Abs. 1 SGB
VIII aufgehoben habe. Darüber hinaus erreiche die quantitative Dimension der Aufgabe in
Kombination mit der thematischen Erweiterung eine neue Qualitätsstufe, die auch in
materieller Hinsicht die Qualifizierung als "neue" Aufgabe rechtfertige.
Demgegenüber knüpften die erhebliche Erweiterung der Bedarfskriterien in § 24 SGB VIII
2008 sowie die Einbeziehung der hälftigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
nach § 23 SGB VIII 2008 an einen bereits übertragenen Aufgabenbestand an. Daher
handele es sich insoweit zwar nicht um eine als Aufgabenübertragung zu bewertende
Erweiterung bisheriger Aufgaben um neue Themenfelder. Jedoch könne derartigen
indirekten Aufgabenänderungen gleichwohl die Konnexitätsrelevanz nicht abgesprochen
werden. Art. 78 Abs. 3 LV NRW erstrecke die Pflicht zum Konnexitätsausgleich nicht nur
auf die Übertragung neuer, sondern auch auf die Veränderung bestehender und
übertragbarer Aufgaben.
c)
Abs. 1 AG-KJHG auf einem landesrechtlichen Verursachungsakt. Seien nach Änderung
des § 69 Abs. 1 SGB VIII nunmehr die Länder verpflichtet, den Aufgabenträger zu
bestimmen, seien sie nach den landesrechtlichen Konnexitätsregelungen gegenüber den
Kommunen auch für die Lasten verantwortlich, die infolge des Bundesrechts auf jene
zukämen. Mit der Neuregelung des § 69 Abs. 1 SGB VIII sei es dem Landesgesetzgeber
unter Einräumung eines Gestaltungsspielraums an die Hand gegeben, festzulegen,
welcher staatlichen Ebene er die Aufgaben nach § 24 SGB VIII 2008 übertrage. Setze er
dies um, sei ihm die getroffene Zuständigkeitsbestimmung auch zuzurechnen.
d)
einer konnexitätsrelevanten Belastung. Die Aufgabenübertragung sei mit Mehrkosten
verbunden, die über eine bloße Bagatellbelastung weit hinausgingen. Wesentliche
finanzielle Belastungen seien sowohl mit der Einbeziehung der hälftigen Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge in die laufende Geldleistung (§ 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII 2008)
verbunden, als auch mit der Erweiterung der Bedarfskriterien (§ 24 Abs. 3 SGB VIII 2008),
als auch mit dem Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung ab 1. August 2013. Bereits
in der bis zum 31. Juli 2013 laufenden Aufbauphase entstünden den Kommunen
erhebliche Kosten. Dies dokumentiere sich auch darin, dass der Bund den Ländern zur
Finanzierung des Ausbaus in der Aufbauphase einen Gesamtbetrag von 4 Mrd. Euro zur
Verfügung stelle.
e)
die Aufgaben bei den Kommunen kostenwirksam wahrgenommen würden. Ein knappes
Jahr nach Inkrafttreten des KiföG und der Aufgabenzuweisungsnorm in § 1a Abs. 1 AG-
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Jahr nach Inkrafttreten des KiföG und der Aufgabenzuweisungsnorm in § 1a Abs. 1 AG-
KJHG sei der Zeitrahmen eindeutig überschritten, innerhalb dessen der
Belastungsausgleich "gleichzeitig" i.S.v. Art. 78 Abs. 3 LV NRW hätte erfolgen können. Der
Landesgesetzgeber habe schon keine Kostenfolgeabschätzung vorgenommen und damit
eklatant gegen das Konnexitätsgebot verstoßen. Der Verfassungsverstoß habe zwar nicht
die Verfassungswidrigkeit der Aufgabenübertragungsnorm zur Folge. Er bedeute aber eine
Verletzung der Selbstverwaltungsgarantie der Beschwerdeführer mit der Folge, dass der
Gesetzgeber die bislang unterlassene Kostendeckungsregelung unverzüglich nachzuholen
habe.
2.
3.
Sie trägt im Wesentlichen vor:
a)
Antragsgegenstand. Die mit dem Antrag begehrte Feststellung könne offensichtlich nicht
beansprucht werden. Konkrete Rechtsfolge eines (unterstellt) konnexitätsrelevanten
Sachverhalts sei zunächst die Verpflichtung des Gesetzgebers, den im
Konnexitätsausführungsgesetz (KonnexAG NRW) enthaltenen Grundsatz der
Kostenfolgeabschätzung einzuhalten. Erst wenn sich anhand der Kostenfolgeabschätzung
ergebe, dass die Aufgabenübertragung zu einer wesentlichen Mehrbelastung führe, sei der
Landesgesetzgeber zur Regelung eines Belastungsausgleichs verpflichtet.
Darüber hinaus führe eine (unterstellte) Konnexitätsrelevanz des § 1a Abs. 1 AG-KJHG
nicht zur Verfassungswidrigkeit gerade dieser Vorschrift. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts habe ein Verstoß gegen das Konnexitätsgebot infolge
fehlender oder unzureichender Ausgleichsbestimmungen nicht die Verfassungswidrigkeit
der Aufgabenübertragungsnorm zur Folge, sondern begründe lediglich entsprechende
Regelungs- und Ausgleichspflichten des Landes.
b)
dass sie an eine Untätigkeit des Gesetzgebers anknüpften. Eine gesetzgeberische
Untätigkeit könne jedoch mit der Kommunalverfassungsbeschwerde nicht angegriffen
werden. Art. 78 Abs. 3 LV NRW gebiete kein striktes Junktim dahingehend, dass ein
Belastungsausgleich in der Aufgabenübertragungsnorm selbst getroffen werden müsse.
Die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Verknüpfung von
Belastungsausgleichs- und Aufgabenübertragungsnorm sei daher ausgeschlossen.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass § 1a Abs. 1 AG-KJHG zeitlich vor dem KiföG in Kraft
getreten sei. Eine (unterstellte) Aufgabenübertragung bzw. -erweiterung sei erst zu einem
Zeitpunkt wirksam geworden, zu dem die Zuständigkeitsregelung nach § 1a Abs. 1 AG-
KJHG bereits Gültigkeit gehabt habe. Verfassungswidrig könne daher allenfalls das
spätere Unterlassen des Gesetzgebers sein, die mit dem AG-KJHG getroffene
Zuständigkeitsregelung wieder zurückzuholen.
Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 7., 9., 13. und 17. seien
unzulässig, weil sie durch die angegriffene Regelung in § 1a Abs. 1 AG-KJHG nicht
beschwert seien. Die Bestimmung von kreisangehörigen Gemeinden zu Trägern der
öffentlichen Jugendhilfe erfolge vielmehr nach § 2 AG-KJHG auf Antrag der jeweiligen
Gemeinde durch Rechtsverordnung der obersten Landesjugendbehörde. Weder § 2 AG-
KJHG noch die betreffende Rechtsverordnung würden von den Beschwerdeführerinnen
angegriffen und könnten wegen Fristablaufs auch nicht angegriffen werden.
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c)
nicht gegen Art. 78 Abs. 3 LV NRW. Es fehle schon an einem konnexitätsrelevanten
Sachverhalt. Eine Aufgabe sei neu, wenn sie – nach dem Vergleich der Rechtslage vor und
nach der in den Blick zu nehmenden gesetzlichen Regelung – erstmals geschaffen oder
zuvor von einem anderen Verwaltungsträger erfüllt worden sei und nunmehr den
Gemeinden oder Gemeindeverbänden zusätzlich zugewiesen werde. Eine Veränderung
bestehender Aufgaben liege gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 KonnexAG NRW vor, wenn den
Vollzug prägende besondere Anforderungen an die Aufgabenerfüllung geändert würden.
Durch das KiföG würden den Gemeinden und Gemeindeverbänden des Landes Nordrhein-
Westfalen weder neue Aufgaben übertragen noch würden bestehende Aufgaben erweitert.
§ 24 SGB VIII i.d.F. des KiföG konkretisiere lediglich die schon nach den Vorläuferfas-
sungen bestehenden Verpflichtungen der Kommunen durch Vorgabe weiterer
Mindestkriterien.
Bereits seit 1991 bestehe die objektive Rechtspflicht der Kommunen als Träger der
öffentlichen Jugendhilfe, für Kinder im Alter unter drei Jahren nach Bedarf Plätze in
Tageseinrichtungen vorzuhalten. Durch die nunmehrige Einführung eines subjektiven
Betreuungsanspruchs ändere sich der Umfang der kommunalen Pflichten ebenso wenig
wie die hiermit verbundene finanzielle Belastung. Für Art. 78 Abs. 3 LV NRW komme es
allein auf den Umfang der objektiven Pflichten der Kommunen an. "Öffentliche" Aufgaben
im Sinne der Norm meine den Kommunen übertragene Zuständigkeiten und Pflichten.
Auch löse bereits die objektive Rechtspflicht die finanziellen Belastungen aus, vor denen
die Kommunen durch die Konnexitätsregel geschützt werden sollten. Die von den
Beschwerdeführern geltend gemachten finanziellen Mehrbelastungen, die mit dem
Übergang von einer objektiven Pflicht zu einem subjektiven Rechtsanspruch verbunden
sein sollen, seien verfassungsrechtlich nicht erheblich. Sie fänden ihre Ursache nicht in der
Aufgabenübertragung, sondern in dem Umsetzungsdefizit der Gemeinden bei der Erfüllung
der ihnen als objektive Pflichtaufgabe zugewiesenen Aufgabe.
d)
2008 habe nicht zu einer Änderung bestehender Aufgaben geführt. Durch die Vorgabe
gesetzlich formulierter Mindestbedarfskriterien seien den Kommunen weder neue Pflichten
auferlegt noch bestehende Pflichten erweitert worden. Die mit der gesetzlichen
Konkretisierung verbundenen finanziellen Belastungen begründeten ebenfalls keine
Erweiterung der materiellen Aufgabe. Eine finanzielle Mehrbelastung werde vielfach auch
bei unverändertem Normtext der Aufgabennorm vorliegen, z. B. durch verstärkte
Inanspruchnahme der Leistung. Diese Bewertung entspreche der Einschätzung der
Bundesregierung in der Gesetzesbegründung zum TAG (BT, Drs. 15/3986, S. 3). Für das
KiföG könne nichts anderes gelten. Zudem seien die Kommunen im Lichte von Art. 6 Abs. 1
GG ohnehin verpflichtet, für Kinder von Arbeit suchenden Eltern Tagesbetreuungsplätze
vorzuhalten.
Für die Einbeziehung der hälftigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in die
laufende Geldleistung nach § 23 Abs. 2 SGB VIII 2008 ergebe sich keine andere rechtliche
Beurteilung. Der Gesetzgeber habe hiermit lediglich auf die veränderte
einkommensteuerrechtliche Behandlung der aus öffentlichen Kassen finanzierten
Kindertagespflege reagiert (BT, Drs. 16/9299, S.14). § 23 Abs. 2 SGB VIII 2008 sei damit
nicht Ausdruck einer Erweiterung der materiellen Aufgabe, sondern einer Veränderung der
allgemeinen Rahmenbedingungen für die Erfüllung der – rechtlich unveränderten –
Aufgabe.
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e)
Zuständigkeitsregelung in § 1a Abs. 1 AG-KJHG aus. Art. 78 Abs. 3 LV NRW komme schon
deshalb nicht zur Anwendung, weil durch § 1a Abs. 1 AG-KJHG eine gesetzliche
Zuständigkeitsregelung wiederholt worden sei, die bereits vor Inkrafttreten des strikten
Konnexitätsgebots Geltung gehabt hätte. Die Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien
Städte als Träger der öffentlichen Jugendhilfe sei bereits im Jahr 1990 in das SGB VIII
eingefügt worden. Die strikte Konnexitätsregel des Art. 78 Abs. 3 LV NRW sei erstmals mit
verfassungsänderndem Gesetz vom 22. Juni 2004 eingeführt worden. Auch unabhängig
davon gelte, dass eine landesgesetzliche Zuständigkeitsregelung nicht konnexitätsrelevant
sei, wenn sie bei unveränderter materieller Aufgabengestaltung eine bis dato geltende
bundesgesetzliche Zuständigkeitsregelung wiederhole. Art. 78 Abs. 3 LV NRW verlange
nach seinem Wortlaut die Übertragung einer neuen oder die Erweiterung einer
bestehenden Aufgabe. Diese Voraussetzungen würden durch eine wiederholende
Zuständigkeitsregelung wie in § 1a Abs. 1 AG-KJHG nicht erfüllt. Sinn und Zweck der
Konnexitätsregelung rechtfertigten ihre Anwendung in einem solchen Fall nicht. Die Kom-
munen sollten vor Aufgabenübertragungen oder -veränderungen ohne konkreten Ausgleich
der zusätzlichen finanziellen Belastungen geschützt werden. Ein der-artiger Schutz sei
aber nicht erforderlich, wenn ein bereits zuvor bundesgesetzlich übertragener
Aufgabenbestand ohne materielle Änderung durch spätere landesgesetzliche Regelung
den Kommunen erneut übertragen werde. Die finanziellen Grundlagen würden durch die
erneute, verlängernde Zuständigkeitsübertragung nicht in Frage gestellt.
f)
erweiterung durch das KiföG ein konnexitätsrelevanter Sachverhalt gleichwohl nicht
vorliege. Es fehle an dem erforderlichen Verursachungsbeitrag durch das Land. Eine
solche Aufgabenübertragung/-erweiterung sei durch das KiföG, also ein Bundesgesetz
verursacht und nicht dem Land zuzurechnen. Zu berücksichtigen sei zudem, dass § 1a
Abs. 1 AG-KJHG zeitlich vor dem KiföG in Kraft getreten sei. Die verfassungsrechtliche
Konnexitätsregel könne allenfalls dann zur Anwendung kommen, wenn es ausreiche, dass
das Land nachträglich – bei Inkrafttreten der bundesgesetzlichen Regelung – eine
Rückholung der Aufgabe in den Zuständigkeitsbereich des Landes unterlassen habe. Ein
"Verpflichten" im Sinne von Art. 78 Abs. 3 LV NRW verlange aber ein positives
Tätigwerden des Landes. Es gelte nichts anderes als für den Begriff des Landesrechts in
Art. 52 Abs. 1 des Verfassungsgerichtshofgesetzes (VerfGHG NRW). Schließlich sei die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grenzen einer "Hochzonung"
örtlicher Aufgaben zu beachten. Bei einer wie hier pflichtigen Selbstverwaltungsaufgabe
komme eine "Hochzonung" auf das Land nur in Betracht, wenn die ordnungsgemäße
Aufgabenerfüllung anders nicht sicherzustellen wäre. Davon könne bei der öffentlichen
Kinder- und Jugendhilfe keine Rede sein.
Selbst wenn man zugunsten der Beschwerdeführer davon ausgehe, dass die
landesgesetzliche Zuständigkeitsregelung mit der – unterstellten – bundesgesetzlichen
Aufgabenerweiterung zeitlich zusammentreffe, fehle es an dem für Art. 78 Abs. 3 LV NRW
erforderlichen eigenständigen Ursachenbeitrag des Landes. Eine solche Verursachung
könne allenfalls angenommen werden, wenn das Land das mit der Aufgabenerweiterung
verbundene "Aufgabenplus" isoliert auf die Landesebene "hochzonen" könnte. Eine solche
Abtrennnung komme aber speziell für die im KiföG angesprochenen Aufgaben nicht in
Betracht. Schon aus fachlich-pädagogischen Erwägungen sei eine von den übrigen
Kindertageseinrichtungen abgesonderte Bereitstellung von Betreuungsplätzen nicht
umsetzbar.
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B.
Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 7., 9., 13. und 17. sind
mangels Beschwerdebefugnis unzulässig. Die von ihnen geltend gemachte Verletzung in
dem Recht auf Selbstverwaltung nach Art. 78 Abs. 1 LV NRW in seiner Ausprägung durch
die Konnexitätsbestimmungen in Art. 78 Abs. 3 LV NRW kommt nicht in Betracht. Eine an
dieser Verfassungsnorm zu messende Aufgabenübertragung vom Land auf die
Beschwerdeführerinnen steht nicht in Rede. Die allein angegriffene Zuständigkeitsregelung
in § 1a Abs. 1 AG-KJHG bezieht sich ausschließlich auf Kreise und kreisfreie Städte, nicht
hingegen auf kreisangehörige Gemeinden wie die Beschwerdeführerinnen. Deren
Bestimmung zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe beruht vielmehr auf § 2 Satz
1 AG-KJHG. Danach bestimmt die oberste Landesjugendbehörde auf Antrag Große und
Mittlere kreisangehörige Städte durch Rechtsverordnung zu örtlichen Trägern der
öffentlichen Jugendhilfe. Gegen § 2 Satz 1 AG-KJHG und die betreffenden
Rechtsverordnungen richten sich die Verfassungsbeschwerden nicht.
C.
Die Verfassungsbeschwerden der übrigen Beschwerdeführer sind zulässig.
I.
NRW statthaft, weil sich die Beschwerdeführer gegen eine landesrechtliche
Gesetzesvorschrift wenden, die sie für unvereinbar mit Art. 78 Abs. 1 und Abs. 3 LV NRW
halten.
Die Verfassungsbeschwerden richten sich nicht gegen ein legislatives Unterlassen. Ein
solches liegt vor im Falle eines gänzlichen Untätigbleibens des Gesetzgebers und ist
mangels (Landes-)Rechtsqualität mit der Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar (vgl.
VerfGH NRW, NWVBl. 2000, 335, 338; OVGE 49, 271, 272 = NWVBl. 2003, 261, 263
m.w.N.). Zu unterscheiden ist das legislative Unterlassen von der unvollständigen
Regelung eines Sachverhalts, bei der der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Erlass
einer gesetzlichen Regelung entgegen einer landesverfassungsrechtlich verankerten
Handlungspflicht eine gebotene begleitende gesetzliche Normierung nicht vornimmt. Eine
solche Regelung ist als Landesrecht tauglicher Gegenstand einer kommunalen
Verfassungsbeschwerde.
Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer sind auf eine solche Regelung
gerichtet. Angriffsziel ihrer Rüge ist, dass mit § 1a Abs. 1 AG-KJHG der Sachverhalt
unvollständig geregelt sei, weil entgegen Art. 78 Abs. 3 LV NRW eine Bestimmung über
den finanziellen Belastungsausgleich nicht getroffen worden sei. Art. 78 Abs. 3 Satz 1 LV
NRW verlangt, dass im Falle einer konnexitätsrelevanten Aufgabenübertragung "dabei
gleichzeitig" Bestimmungen über die Kostendeckung getroffen werden. Dies bewirkt eine
enge rechtliche Verklammerung von Aufgabenübertragungsakt und
Kostendeckungsregelung. Zwar müssen die Bestimmungen über die Kostendeckung nicht
in demselben Gesetz oder derselben Rechtsverordnung wie die Aufgabenübertragung
normiert sein. Erforderlich ist aber, dass die Regelung durch Gesetz oder Verordnung in
unmittelbarem zeitlichen Zusam-menhang mit der Aufgabenübertragung getroffen wird (vgl.
LT NRW, Drs. 13/5515, S. 21; § 4 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 3 KonnexAG; siehe auch StGH
BW, DÖV 1999, 73, 75 f.; LVerfG LSA, NVwZ-RR 2000, 1, 3; DVBl. 2004, 434, 436).
Insoweit unterscheidet sich der Normgehalt des Art. 78 Abs. 3 LV NRW von der schleswig-
holsteinischen Verfassungsbestimmung, die der von der Landesregierung angeführten
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2001 (BVerfGE 103, 332, 364 f.)
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zugrunde lag.
II.
angegriffene Norm in ihrem Recht auf Selbstverwaltung nach Art. 78 Abs. 1 LV NRW in
seiner Ausprägung durch die Konnexitätsbestimmungen in Art. 78 Abs. 3 LV NRW verletzt
zu sein. Eine Verletzung des landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzips erscheint
möglich. Die Beschwerdeführer gehören zum Kreis jener Kommunen, die nach § 1a Abs. 1
AG-KJHG für Aufgaben im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe einschließlich der
Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege nach § 24 SGB VIII
zuständig sind. Sie können auch geltend machen, § 1a Abs. 1 AG-KJHG genüge infolge
Fehlens einer entsprechenden Ausgleichsregelung nicht dem Konnexitätsgebot. Nach dem
Beschwerdevorbringen kommt in Betracht, dass es sich bei der angegriffenen Norm um
eine Aufgabenübertragung im Sinne von Art. 78 Abs. 3 LV NRW handelt.
III.
VerfGHG NRW erhoben worden.
D.
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind begründet.
§ 1a Abs. 1 des Ersten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes –
AG-KJHG – vom 12. Dezember 1990 (GV. NRW. S. 664) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung
des AG-KJHG vom 28. Oktober 2008 (GV. NRW. S. 644) verletzt das Recht der
Beschwerdeführer auf Selbstverwaltung aus Art. 78 Abs. 1 LV NRW in seiner Ausprägung
durch das Konnexitätsprinzip in Art. 78 Abs. 3 LV NRW. Die Regelung ist mit Art. 78 Abs. 3
LV NRW insoweit unvereinbar, als dabei nicht gleichzeitig Bestimmungen über die
Deckung der Kosten getroffen worden sind.
I.
1.
Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung. Dieses Recht erstreckt sich
grundsätzlich auf alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und umfasst die
Befugnis zur grundsätzlich eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte (vgl. VerfGH
NRW, OVGE 46, 295, 303; Urteil vom 23. März 2010 – VerfGH 21/08 –, juris, Rn. 54,
jeweils m.w.N.). Das Selbstverwaltungsrecht schließt einen gegen das Land Nordrhein-
Westfalen gerichteten Anspruch auf angemessene Finanzausstattung ein; denn
eigenverantwortliches Handeln setzt eine entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit der
Selbstverwaltungskörperschaften voraus (VerfGH NRW, OVGE 49, 271, 274 = NWVBl.
2003, 261, 263; OVGE 51, 272, 277 = NWVBl. 2008, 223, 224, jeweils m.w.N.).
2. a)
Anforderungen entsprechenden Kostenausgleich bei Übertragung neuer Aufgaben auf die
Gemeinden oder Gemeindeverbände (VerfGH NRW, Urteil vom 23. März 2010, a.a.O.).
Nach Art. 78 Abs. 3 Satz 1 LV NRW i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 22. Juni 2004 (GV.
NRW. S. 360) kann das Land die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch Gesetz oder
Rechtsverordnung zur Übernahme und Durchführung bestimmter öffentlicher Aufgaben
verpflichten, wenn dabei gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten getroffen
werden. Führt die Übertragung neuer oder die Veränderung bestehender und übertragbarer
Aufgaben zu einer wesentlichen Belastung der davon betroffenen Gemeinden oder
Gemeindeverbände, ist dafür gemäß Satz 2 durch Gesetz oder Rechtsverordnung auf
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Grund einer Kostenfolgeabschätzung ein entsprechender finanzieller Ausgleich für die
entstehenden notwendigen, durchschnittlichen Aufwendungen zu schaffen. Art. 78 Abs. 3
Sätze 3 und 4 LV NRW enthalten weitere Einzelheiten. Gemäß Satz 5 regelt das Nähere zu
den Sätzen 2 bis 4 ein Gesetz, das die Grundsätze der Kostenfolgeabschätzung festlegt
und Bestimmungen über eine Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände trifft (siehe
Gesetz zur Regelung eines Kostenfolgeabschätzungs- und eines Beteiligungsverfahrens
gemäß Art. 78 Abs. 3 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen –
Konnexitätsausführungsgesetz (KonnexAG) vom 22. Juni 2004, GV. NRW. S. 360).
b)
Finanzausgleichs, die finanzielle Grundlage der gemeindlichen Selbstverwaltung zu
sichern, zu unterscheiden. Es ist eine von der Finanzkraft der Kommune unabhängige
Ausgleichsregelung, die neben die allgemeinen Bestimmungen zur Absicherung einer
finanziellen Mindestausstattung durch originäre kommunale Einnahmen und den
kommunalen Finanzausgleich tritt (VerfGH NRW, Urteil vom 23. März 2010, a.a.O., Rn. 73;
vgl. auch Landtag – LT NRW, Drs. 13/5515, S. 21; BVerfGE 103, 332, 360; BayVerfGH,
BayVBl. 2007, 364, 365). Mit dem Erfordernis eines "entsprechenden" finanziellen
Ausgleichs hat sich der Verfassungsgeber bewusst für das sogenannte strikte
Konnexitätsprinzip entschieden. Ein bloß "angemessener" Ausgleich im Sinne eines
relativen Konnexitätsprinzips genügt nicht (VerfGH NRW, Urteil vom 23. März 2010, a.a.O.).
c)
dass die Verpflichtung der Gemeinden oder Gemeindeverbände zur Übernahme und
Durchführung bestimmter öffentlicher Aufgaben auf einem Landesgesetz oder einer
Landesrechtsverordnung beruht (Satz 1). Die Aufgabenübertragung muss auf eine
Entscheidung des Landesgesetzgebers zurückgehen, also ihm ursächlich zuzurechnen
sein (konnexitätsrelevante Verpflichtung). Des Weiteren muss eine konnexitätsrelevante
Aufgabenübertragung vorliegen. Dies ist der Fall, wenn den Gemeinden oder
Gemeindeverbänden neue Aufgaben übertragen werden oder wenn bestehende Aufgaben
verändert werden (Satz 2). Schließlich bedarf es einer konnexitätsrelevanten finanziellen
Belastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände. Art. 78 Abs. 3 Satz 2 LV NRW
schränkt die Verpflichtung zu einer Kostenausgleichsregelung dahingehend ein, dass sie
nur bei einer wesentlichen Belastung der von der Aufgabenübertragung betroffenen
Kommunen ausgelöst wird. Nach dem Willen des Verfassungsgebers liegt eine
wesentliche Belastung vor, wenn eine Bagatellschwelle überschritten ist (vgl. LT NRW,
Drs. 13/5515, S. 21 und 23).
d)
über die Kostendeckung nach dem strikten Konnexitätsprinzip setzt voraus, dass sich der
Gesetzgeber über die finanziellen Auswirkungen der gesetzlichen Regelung auf die
Kommunen klar wird und seine Entscheidungsgrundlagen, insbesondere zum Schutz der
Kommunen, transparent macht. Deshalb verpflichtet die Verfassung den Gesetzgeber im
Falle eines konnexitätsrelevanten Sachverhalts zur Aufstellung einer
Kostenfolgeabschätzung. Dabei hat er die im Konnexitätsausführungsgesetz enthaltenen
Grundsätze der Kostenfolgeabschätzung und Bestimmungen über eine Beteiligung der
kommunalen Spitzenverbände einzuhalten (VerfGH NRW, Urteil vom 23. März 2010,
a.a.O., Rn. 74 f.).
II.
Nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben verstößt § 1a Abs. 1 AG-KJHG gegen Art.
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78 Abs. 3 LV NRW. Mit der angegriffenen Zuständigkeitsnorm hat der Landesgesetzgeber
einen konnexitätsrelevanten Sachverhalt geregelt, ohne die nach Art. 78 Abs. 3 Sätze 1
und 2 LV NRW erforderliche Bestimmung über die Kostendeckung einschließlich einer
Kostenfolgeabschätzung zu treffen. Bei § 1a Abs. 1 AG-KJHG handelt es sich um eine
normative Übertragung neuer Aufgaben (Art. 78 Abs. 3 Satz 2, 1. Alt. LV NRW). Zugleich
bewirkt die Regelung eine Veränderung bestehender Aufgaben im Sinne von Art. 78 Abs. 3
Satz 2, 2. Alt. LV NRW.
1.
Vorschrift bestimmt die Kreise und kreisfreien Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen
Jugendhilfe und verpflichtet sie damit zur Übernahme und Durchführung öffentlicher
Aufgaben aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Als örtliche Träger der öffentlichen
Jugendhilfe sind die Kreise und kreisfreien Städte für die aus dem SGB VIII resultierenden
Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe zuständig (vgl. § 2 i.V.m. § 85 Abs. 1 SGB VIII),
soweit die Aufgaben nicht nach Maßgabe von § 3 SGB VIII von Trägern der freien
Jugendhilfe wahrgenommen werden und soweit nicht nach § 85 Abs. 2 SGB VIII der
überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe zuständig ist. Zu den Aufgaben, die den
Kreisen und kreisfreien Städten obliegen, gehört unter anderem die Bereitstellung von
Angeboten zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege gemäß
§§ 22 ff. SGB VIII (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII).
Bei der Zuständigkeitsregelung in § 1a Abs. 1 AG-KJHG handelt es sich um eine originäre,
eigene Entscheidung des Landesgesetzgebers. Während nach § 69 Abs. 1 SGB VIII a.F.
die Bestimmung der Kreise und kreisfreien Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen
Jugendhilfe unmittelbar auf einer bundesgesetzlichen Regelung beruhte, ist mit § 1a Abs. 1
AG-KJHG nunmehr eine landesgesetzliche Normierung ursächlich dafür, dass die Kreise
und kreisfreien Städte zur Übernahme und Durchführung von Aufgaben aus dem Bereich
der Kinder- und Jugendhilfe verpflichtet sind. § 69 Abs. 1 SGB VIII 2008 sieht ausdrücklich
vor, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also auch die örtlichen Träger, durch
Landesrecht bestimmt werden. Inhaltliche Vorgaben für die Zuständigkeitsbestimmung
werden dem Landesgesetzgeber nicht gemacht. Dieser verfügt mithin über einen
Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung über die Trägerschaft. Es besteht kein
Automatismus, dass entsprechend der früheren bundesgesetzlichen Normierung die Kreise
und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt werden. Der
Landesgesetzgeber kann die Zuständigkeit auch anderweitig regeln. Aus den
Gesetzesmaterialien geht hervor, dass sich der Gesetzgeber seiner Handlungskompetenz
bei der Bestimmung der Jugendhilfebehörden auch bewusst gewesen ist (vgl. LT NRW,
Plenarprotokoll 14/99, S. 11826 f.; Ausschuss für Generationen, Familie und Integration,
Ausschussprotokoll – APr – 14/742, S. 22).
Aus § 2 Abs. 1 Satz 2 KonnexAG ergibt sich nichts Abweichendes. Die Vorschrift stellt klar,
dass das Konnexitätsprinzip keine Anwendung findet, wenn auf Grund europa- oder
bundesrechtlicher Regelungen eine Aufgabe unmittelbar den Gemeinden oder
Gemeindeverbänden übertragen wird, ohne dass dem Land zur Umsetzung ein eigener
Gestaltungsspielraum bleibt und genutzt wird. Diese Voraussetzungen liegen, wie sich aus
den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht vor.
Unerheblich ist, dass § 1a Abs. 1 AG-KJHG in Kraft getreten ist, bevor § 69 Abs. 1 SGB VIII
a.F. durch § 69 Abs. 1 SGB VIII 2008 ersetzt worden ist. Dieser Umstand ändert nichts
daran, dass mit Inkrafttreten von § 69 Abs. 1 SGB VIII 2008 die Zuweisung der Aufgaben
der Kinder- und Jugendhilfe an die Kreise und kreisfreien Städte unmittelbar durch § 1a
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Abs. 1 AG-KJHG bewirkt wird und auf einer originären Entscheidung des
Landesgesetzgebers beruht. Der Erlass von § 1a Abs. 1 AG-KJHG und das Inkrafttreten
von § 69 Abs. 1 SGB VIII 2008 stehen in unmittelbarem zeitlichen und rechtlichen
Zusammenhang. Die mit Inkrafttreten von § 69 Abs. 1 SGB VIII 2008 eintretende
konstitutive Wirkung der landesgesetzlichen Zuständigkeitsregelung war bei
Verabschiedung des § 1a Abs. 1 AG-KJHG absehbar. Zu diesem Zeitpunkt stand die
Aufhebung von § 69 Abs. 1 SGB VIII a.F. und dessen Ersetzung durch § 69 Abs. 1 SGB VIII
2008 unmittelbar bevor. Die Änderung der bundesgesetzlichen Zuständigkeitsregelung war
Anlass und Begründung für die Einführung von § 1a Abs. 1 AG-KJHG (vgl. LT NRW, Drs.
14/7432; APr 14/742, S. 23). Allein das ist maßgeblich. Aus der Reihenfolge der
Änderungen Rechtsfolgen ableiten zu wollen, ist fernliegend.
2.
Nicht entgegen steht, dass § 1a Abs. 1 AG-KJHG an die Stelle einer bundesgesetzlichen
Zuständigkeitsbestimmung tritt und deren Regelungsgehalt wiederholt. Zwar sind die
Kreise und kreisfreien Städte bereits vor Inkrafttreten der Aufgabenübertragungsnorm des
§ 1a Abs. 1 AG-KJHG für die Aufgaben aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe,
namentlich für die Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in
Tagespflege, zuständig gewesen. Jedoch fällt auch diese neuerliche, die bisherige
bundesgesetzliche Aufgabenzuweisung ablösende Aufgabenübertragung in den
Anwendungsbereich des Konnexitätsprinzips.
a)
zu bejahen, weil mit § 1a Abs. 1 AG-KJHG erstmals nach Maßgabe einer
landesgesetzlichen Regelung die Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte
festgelegt worden ist. Im Verhältnis von Land und Kommunen – das Art. 78 Abs. 3 LV NRW
allein in den Blick nimmt – handelt es sich um die erstmalige Zuweisung von Aufgaben in
Kinder- und Jugendhilfeangelegenheiten. Ausgehend davon lässt sich die durch § 1a Abs.
1 AG-KJHG bewirkte Aufgabenzuweisung als "Übertragung neuer Aufgaben" im Sinne von
Art. 78 Abs. 3 Satz 2, 1. Alt. LV NRW begreifen (ähnlich LVerfG Bbg, Urteil vom 15.
Dezember 2008 – 68/07 –, juris, Rn. 27, wonach von einer Übertragung neuer Aufgaben
auch dann auszugehen ist, wenn eine neue Rechtsgrundlage für eine schon vorher
wahrgenommene Aufgabe geschaffen wird). Diese Auslegung wird durch eine
vergleichende Betrachtung der Situation gestützt, die sich ergibt, wenn § 1a Abs. 1 AG-
KJHG zeitlich nach § 69 Abs. 1 SGB VIII 2008 in Kraft getreten wäre. Mit Auslaufen der
bundesgesetzlichen Zuständigkeitsbestimmung wären dann zunächst nach den
allgemeinen Regelungen (vgl. § 8 Abs. 3 des Landesorganisationsgesetzes)
Landesbehörden für die Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB VIII zuständig
gewesen (vgl. auch LT NRW, Drs. 14/7432, S. 1), bevor mit Wirksamwerden von § 1a Abs.
1 AG-KJHG die Kreise und kreisfreien Städte zuständig geworden wären. Es bestehen
keine Bedenken, diesen Sachverhalt als Übertragung neuer Aufgaben zu qualifizieren.
Gemessen daran ist es nicht überzeugend, den Streitfall anders zu bewerten. Denn die
zeitliche Abfolge von auslaufernder Bundesregelung und neuer Landesregelung ist
beliebig regelbar.
Die Einordnung als Übertragung neuer Aufgaben entspricht auch dem Normzweck des Art.
78 Abs. 3 LV NRW. Das strikte Konnexitätsprinzip soll sicherstellen, dass die Kommunen
vor Aufgabenübertragungen oder -veränderungen ohne konkreten Ausgleich der
zusätzlichen finanziellen Belastungen geschützt sind. Art. 78 Abs. 3 LV NRW will
verhindern, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände infolge einer finanziellen
Überbelastung mit Pflichtaufgaben die Wahrnehmung von freiwilligen
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Selbstverwaltungsaufgaben vernachlässigen müssen. In diesem Rahmen bezweckt das
Konnexitätsprinzip den Schutz der kommunalen Selbstverwaltung vor finanzieller
Aushöhlung (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 23. März 2010, a.a.O., Rn. 72; zu Art. 78 Abs. 3
LV NRW a.F. bereits OVGE 38, 301, 302 f.; OVGE 46, 262, 265; OVGE 47, 249, 258). Des
Weiteren entfaltet es eine Warnfunktion für den Landesgesetzgeber, der sich über die
entstehenden Kosten einer Aufgabenerfüllung bewusst werden muss (VerfGH NRW,
OVGE 47, 249, 258). Schließlich gewährleistet Art. 78 Abs. 3 LV NRW mehr Transparenz
und zielt auf eine Schärfung des Kostenbewusstseins, weil die mit einer
Aufgabenübertragung verbundenen Kosten offen gelegt werden müssen (VerfGH NRW,
Urteil vom 23. März 2010, a.a.O., Rn. 74; vgl. zum Normzweck z.B. auch Kemmler, DÖV
2008, 983). Bei Ablösung einer bundesgesetzlichen Aufgabenübertragungsnorm durch
eine landesrechtliche Zuständigkeitsregelung ist in den Blick zu nehmen, dass das
Konnexitätsprinzip bei der vorhergehenden unmittelbaren Inpflichtnahme der Kommunen
durch Bundesgesetz keine Anwendung gefunden hat. Es entspricht daher dem
Schutzgedanken des Art. 78 Abs. 3 LV NRW, die Regelung eingreifen zu lassen, wenn
nunmehr der Landesgesetzgeber die Aufgabenübertragung originär verantwortet.
b)
vor, weil mit der neuen Zuständigkeitsregelung des § 1a Abs. 1 AG-KJHG zugleich eine
konnexitätsrelevante Veränderung bestehender Aufgaben einhergeht.
Nach dem Normzweck des Art. 78 Abs. 3 LV NRW ist die Neuregelung einer
Aufgabenübertragungsnorm konnexitätsrelevant, wenn sich die übertragenen Aufgaben auf
Grund der neuen gesetzlichen Grundlage inhaltlich ändern. Ob diese Voraussetzung
vorliegt, ist durch einen Vergleich der Rechtslage vor und nach Erlass der Neuregelung zu
ermitteln. Maßgeblich ist, ob für die betroffenen Kommunen eine entsprechende rechtliche
Verpflichtung zur Aufgabenwahrnehmung bereits in diesem Umfang bestanden hat (vgl.
BayVerfGH, BayVBl. 2007, 364, 366). Allerdings kommt nicht jeder inhaltlichen
Modifizierung der übertragenen Aufgaben eine konnexitätsrelevante Bedeutung zu. Es
muss sich vielmehr um eine wesentliche Aufgabenänderung handeln. Nach der
Erläuterung, die der Verfassungsgeber in § 2 Abs. 4 KonnexAG vorgenommen hat, ist von
einer Aufgabenveränderung auszugehen, wenn den Vollzug prägende besondere
Anforderungen an die Aufgabenerfüllung geändert werden (vgl. auch LT NRW, Drs.
13/5515, S. 21 und 23).
Dies ist hier der Fall. Ab dem Zeitpunkt, ab dem § 1a Abs. 1 AG-KJHG konstitutive Wirkung
zukommt, haben sich auch die Modalitäten der den Kommunen nach § 24 SGB VIII 2008
obliegenden Aufgabenerfüllung wesentlich verändert. Mit Inkrafttreten des KiföG ist nicht
allein die bundesgesetzliche Zuständigkeitsregelung in § 69 Abs. 1 SGB VIII a.F. durch die
landesrechtliche Aufgabenzuweisungsnorm des § 1a Abs. 1 AG-KJHG abgelöst worden.
Daneben haben sich für die Kreise und kreisfreien Städte signifikante inhaltliche
Änderungen bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben nach § 24 SGB VIII
ergeben. Offen bleiben kann, ob eine wesentliche Aufgabenänderung bereits darin zu
sehen ist, dass sich die objektivrechtliche Verpflichtung zur Förderung von Kindern unter
drei Jahren gemäß Art. 1 Nr. 7, Art. 10 Abs. 3 KiföG mit Wirkung vom 1. August 2013 in
einen Rechtsanspruch für alle Kinder ab dem vollendeten ersten bis zur Vollendung des
dritten Lebensjahres wandelt. Die Anforderungen an die Aufgabenerfüllung haben sich
jedenfalls dadurch geändert, dass sich mit dem KiföG die Maßgaben für den quan-titativen
Ausbau der Kindertagesbetreuung im Vergleich zu dem am 1. Januar 2005 in Kraft
getretenen Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) erheblich erhöht haben (vgl. BT, Drs.
16/9299, S. 2, 10). Während mit dem TAG eine Betreuungsquote von bundesweit
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durchschnittlich 21 Prozent für unter Dreijährige erreicht werden sollte, liegt dem KiföG eine
Versorgungsquote von bundesweit durchschnittlich 35 Prozent zugrunde. Die Quote soll
schrittweise bis 2013 realisiert werden. § 24 SGB VIII 2008 sieht deshalb für den Zeitraum
bis zum 31. Juli 2013 die Verpflichtung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor, für
Kinder im Alter unter drei Jahren Plätze in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
nach erweiterten Kriterien vorzuhalten. Die erweiterten Kriterien betreffen zum einen die
Unterstützung der individuellen und sozialen Kompetenzen des Kindes (§ 24 Abs. 3 Nr. 1
SGB VIII 2008), zum anderen die Erstreckung auf Arbeit suchende Erziehungsberechtigte
(§ 24 Abs. 3 Nr. 2 lit. a) 3. Alt. SGB VIII 2008). Diese Vorhalteverpflichtung wird in § 24a
SGB VIII 2008 durch eine stufenweise Ausbauverpflichtung für solche Träger der
öffentlichen Jugendhilfe ergänzt, die diese Kriterien bei Inkrafttreten des KiföG noch nicht
erfüllen können.
Außer durch den quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung ändern sich die
Anforderungen an die Aufgabenerfüllung durch das KiföG dadurch, dass
Tagespflegepersonen ein höheres Entgelt erhalten. Die einer Tagespflegeperson zu
gewährende Geldleistung umfasst nunmehr auch die hälftige Erstattung nachgewiesener
Aufwendungen zu einer angemessenen Kranken- und Pflegeversicherung (§ 23 Abs. 2 Nr.
4 SGB VIII 2008). Des Weiteren ist der Betrag zur Anerken-nung der Förderleistung der
Tagespflegeperson leistungsgerecht auszugestalten, wobei der zeitliche Umfang der
Leistung und die Anzahl sowie der Förderbedarf der betreuten Kinder zu berücksichtigen
ist (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2a Sätze 2 und 3 SGB VIII 2008).
Es kann dahinstehen, ob jede dieser Veränderungen für sich genommen bereits als
konnexitätsrelevant einzustufen ist. Jedenfalls in ihrer Gesamtheit stellen die veränderten
Rahmenbedingungen eine wesentliche Aufgabenänderung dar.
3.
konnexitätsrelevanten finanziellen Belastung der betroffenen Kommunen. In der
Gesetzesbegründung zum KiföG sind in Bezug auf den mit der angestrebten
Versorgungsquote von bundesweit durchschnittlich 35 Prozent verbundenen erhöhten
Ausbaubedarf Mehrkosten (Investitions- und Betriebskosten) in beträchtlicher Höhe
veranschlagt worden. Die Kostenschätzung für den Ausbau der Betreuungsangebote liegt
bei jährlich 1,035 Mrd. Euro ab dem Jahr 2008 bis zu 2,983 Mrd. Euro zum Abschluss der
Ausbauphase im Jahr 2013, der Betriebskostenansatz bei 2,323 Mrd. Euro jährlich ab dem
Jahr 2014. Der Bund beteiligt sich mit einem Gesamtbetrag von bis zu 4 Mrd. Euro. Die den
Ländern entstehenden Kosten entsprechen den Gesamtkosten abzüglich der durch den
Bund bereit gestellten Mittel. Den Ländern entstehen damit in der Ausbauphase geschätzte
Kosten in Höhe von 8 Mrd. Euro und ab dem Jahr 2014 Kosten in Höhe von 1,553 Mrd.
Euro pro Jahr (vgl. BT, Drs. 16/9299, S. 21 ff.).
E.
Die Feststellung der Unvereinbarkeit von § 1a Abs. 1 AG-KJHG mit Art. 78 Abs. 3 LV NRW
beruht auf § 52 Abs. 3 i.V.m. § 49 Satz 1, 1. Alt. VerfGHG NRW. Der Landesgesetzgeber ist
von Verfassungs wegen verpflichtet, alsbald eine Regelung zu treffen, die den
Anforderungen des Art. 78 Abs. 3 LV NRW gerecht wird. Dabei werden auch die Belange
der kreisangehörigen Gemeinden zu berücksichtigen sein.
F.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs. 4 VerfGHG NRW.