Urteil des VerfG Brandenburg vom 02.04.2017

VerfG Brandenburg: elterliche sorge, wohl des kindes, erlass, verfassungsbeschwerde, wechsel, verfassungsgericht, rechtsschutz, elternrecht, einfluss, kindeswohl

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
25/10 EA
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1696 BGB, § 166 FamFG, Art
27 Verf BB, § 30 VerfGG BB, § 48
VerfGG BB
Tenor
1. Dem Beschwerdeführer wird für das einstweilige Anordnungsverfahren
Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. gewährt.
2. Der Äußerungsberechtigten wird für das einstweilige Anordnungsverfahren
Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M. gewährt.
3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
Der Beschwerdeführer ist der Vater des am ... nichtehelich geborenen O. L. A.. Die
elterliche Sorge obliegt der Mutter. Bis zur Trennung der Eltern im Oktober 2008 lebte
das Kind im gemeinsamen Haushalt, sodann teils bei der Mutter, teils – infolge einer
Erkrankung der Mutter – beim Beschwerdeführer. Seit dem 15. Mai 2010 hält sich das
Kind ständig bei der Mutter auf. Am 18. Juni 2010 schlossen die Eltern eine
familiengerichtlich genehmigte Umgangsvereinbarung, danach ist der Beschwerdeführer
an jedem zweiten Wochenende sowie 14tätig an einem Wochentag zum Umgang
berechtigt. Darüber hinaus enthält die Vereinbarung eine Feiertags- sowie eine
Urlaubsregelung.
Die Eltern führen mehrere familienrechtliche Verfahren, vorrangig um das Sorgerecht
und das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Mit Beschluss vom 12. August 2010 – 10 UF
109/10 – wies der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen
Oberlandesgerichts den Antrag des Beschwerdeführers, ihm die elterliche Sorge allein zu
übertragen, zurück. Dieses Verfahren ist Gegenstand der vom Beschwerdeführer zum
Aktenzeichen VfGBbg 56/10 erhobenen Verfassungsbeschwerde.
Der Beschwerdeführer begehrt vorliegend im Wege einstweiliger Anordnung eine
Abänderung der Umgangsvereinbarung. Er hält einen entsprechenden Antrag bei den
Fachgerichten für offensichtlich aussichtslos, da sich die maßgebliche Sach- und
Rechtslage zum Umgangsrecht nicht im Sinne von § 1696 BGB geändert habe. Nur das
Verfassungsgericht könne über den Antrag auf einstweilige Anordnung entscheiden, die
Verfassungsbeschwerde sei auch nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet. Er ist
der Auffassung, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 – 1 BvR
420/09 - habe die rechtliche Grundlage für einen Wechsel des Kindes zum Vater
geschaffen. Allerdings komme der Kontinuitätsgrundsatz, der für ihn als bisherige
Hauptbetreuungsperson des Kindes streite, mit fortschreitender Zeit in einem künftigen
fachgerichtlichen Verfahren nicht mehr zum Tragen, vielmehr werde sich die durch den
Wechsel des Kindes zur Mutter herbeigeführte Situation verfestigen. Deshalb bestehe
ein dringendes Bedürfnis, irreversible Nachteile dadurch abzuschwächen bzw.
auszugleichen, dass er seinen Umgang mit dem Kind einstweilen ausweite. Die Folgen,
die durch die Anwendbarkeit des Kontinuitätsgrundsatzes im Falle eines Obsiegens mit
seiner Verfassungsbeschwerde einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht
erlassen werde, seien schwerwiegender als diejenigen, die sich bei Erlass der
einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit der Hauptsache ergäben.
Der Beschwerdeführer beantragt, eine einstweilige Anordnung, insbesondere folgenden
Inhalts zu erlassen:
1. In Abänderung von Ziffer 1.a), b) der vor dem Familiengericht Fürstenwalde
am 18. Juni 2010 (10 F 111/10) geschlossenen, familiengerichtlich genehmigten
Umgangsvereinbarung der Eltern hat der Beschwerdeführer das Recht, sein Kind O. L. A.,
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Umgangsvereinbarung der Eltern hat der Beschwerdeführer das Recht, sein Kind O. L. A.,
geboren am ..., alle zwei Wochen von Freitag 17.30 Uhr bis zum folgenden Freitag 17.30
Uhr zu sich zu nehmen,
2. hilfsweise,
in Abänderung von Ziffer 1. a), b) der vor dem Familiengericht vor dem
Familiengericht Fürstenwalde am 18. Juni 2010 (10 F 111/10) geschlossenen
familiengerichtlich genehmigten Umgangsvereinbarung der Eltern hat der
Beschwerdeführer das Recht, sein Kind O. L. A., geboren am ..., an jeden Freitag von
15.30 Uhr bis zum unmittelbar darauf folgenden Montag 08.00 Uhr zu sich zu nehmen.
3. weiterhin hilfsweise,
in Abänderung von Ziffer 1. a), b) der vor dem Familiengericht vor dem
Familiengericht Fürstenwalde am 18. Juni 2010 (10 F 111/10) geschlossenen
familiengerichtlich genehmigten Umgangsvereinbarung der Eltern hat der
Beschwerdeführer das Recht, sein Kind O. L. A., geboren am ..., in jeder geraden Woche
von dienstags 16.30 Uhr bis zum unmittelbar darauf folgenden Freitag 17.30 Uhr zu sich
zu nehmen,
4. äußerst hilfsweise,
dem Jugendamt des Landkreises... wird aufgegeben, unter den Eltern hinsichtlich
der Erweiterung der vor dem Familiengericht Fürstenwalde am 18. Juni 2010 (10 F
111/10) geschlossenen, familiengerichtlich genehmigten Umgangsvereinbarung der
Eltern zu Ziffer 1.a) , b) zu vermitteln.
5. dem Beschwerdeführer Verfahrenskostenhilfe für das einstweilige
Anordnungsverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. aus ... zu bewilligen.
Die Äußerungsberechtigte hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Sie beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen sowie, ihr
Verfahrenskostenhilfe für das einstweilige Anordnungsverfahren unter Beiordnung von
Rechtsanwalt M. aus ... zu bewilligen.
B.
Im Hinblick auf die streiterheblichen verfassungsrechtlichen Rechtsfragen ist sowohl dem
Beschwerdeführer gem. § 48 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg), §
114 Zivilprozessordnung (ZPO) als auch der Äußerungsberechtigten gem. § 48
VerfGGBbg analog, § 114 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
C.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zurückzuweisen, weil es an den
Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg)
fehlt. Nach dieser Vorschrift kann das Landesverfassungsgericht einen Zustand durch
eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile,
zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum
gemeinen Wohl dringend geboten ist. Insoweit ist nach der ständigen Rechtsprechung
des Gerichts ein strenger Maßstab anzulegen.
Hiernach bleibt dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung der Erfolg versagt.
Aus Gründen der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes ist bei der
Frage der Gewährung von Umgangskontakten dem fachgerichtlichen
Rechtsschutzverfahren der Vorrang einzuräumen. Hier sind die Umstände des
Einzelfalls, Möglichkeiten und Umfang etwaiger Umgangskontakte unter
Berücksichtigung des Kindeswohls vorrangig zu klären (Bundesverfassungsgericht,
Beschluss vom 24. April 2006 - 1 BvR 547/06 – zitiert nach ). Mit dem Verfahren
nach § 166 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) stellt der Gesetzgeber einen Weg zur Verfügung, auf
dem ein Umgangsberechtigter die Abänderung eines gerichtlich genehmigten Vergleichs
begehren kann. Dieses Verfahren unterliegt dem familienrechtlichen
Beschleunigungsgrundsatz (§ 155 FamFG) und beinhaltet unter anderem eine Anhörung
der Eltern und des Kindes (§§ 159, 160 FamFG). Eine Abänderung der Umgangsregelung
setzt zwar nach § 1696 BGB triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe
voraus. Solche Gründe können allerdings auch in der Änderung einer Rechtsprechung
bestehen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5. April 2005 – 1 BvR 1664/04 –
NJW 2005, 1765, 1766), wie sie mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
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NJW 2005, 1765, 1766), wie sie mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 21. Juli 2010 (Az.: 1 BvR 420/09, NJW 2010, 3008) vorliegt. Die dort unter C. III
getroffenen Übergangsregelung enthält zwar keine Ausführungen zum Umgangsrecht,
sondern ergänzende Regelungen zur Übertragung der elterlichen Sorge auf die Eltern
gemeinsam bzw. auf den Vater eines nichtehelichen Kindes allein, ohne dass die
Zustimmung der Mutter erforderlich wäre. Die auf diesem Wege nunmehr dem
Beschwerdeführer eröffnete Möglichkeit, die Weigerung der Kindesmutter, einer
Übertagung des Sorgerechts auf beide bzw. auf ihn allein zuzustimmen, gerichtlich
überprüfen zu lassen, hat allerdings auch zumindest mittelbar Einfluss auf eine
Entscheidung nach § 1696 BGB. Denn auch diese einfachrechtliche Vorschrift ist im
Lichte der Verfassung auszulegen (Bundesverfassungsgericht, a.a.O.). Bereits vom
Fachgericht sind deshalb neben dem Kindeswohl auch das durch Art. 27 Abs. 2
Verfassung des Landes Brandenburg geschützte Elternrecht des Beschwerdeführers
sowie sein Recht auf effektiven Rechtsschutz zu berücksichtigen. Beide können
beeinträchtigt werden, wenn, ohne dass triftige Gründe des Kindeswohls dafür
anzuführen sind (Coester, in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 2006, § 1696 RZ 96), die
Abänderung einer Umgangsregelung abgelehnt wird, wenn der Beschwerdeführer
dadurch Gefahr läuft, im Sorgerechtsstreit zu unterliegen. Denn dem
Kontinuitätsgrundsatz wird in der Rechtsprechung der Familiengerichte maßgebliche
Bedeutung dann zugemessen, wenn die persönlichen Voraussetzungen beider
Elternteile, die Verantwortung für die Erziehung und Versorgung des Kindes zu tragen,
gleichwertig sind (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Februar
2007 – 10 UF 200/06).
D.
Der Beschluss wurde mangels Beschlussfähigkeit des Verfassungsgerichts gem. § 30
Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg unter Mitwirkung von nur drei Richtern einstimmig gefasst. Eine
besondere Dringlichkeit der Angelegenheit besteht, um dem Beschwerdeführer die
Möglichkeit zu erhalten, unverzüglich sachgerechte Anträge bei dem zuständigen
Familiengericht zu stellen.
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