Urteil des VerfG Brandenburg vom 21.02.2003

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
226/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 6 Abs 1 VerfGG BB, § 72a
ArbGG
(VerfG Potsdam: Verletzung der Rechtsweggarantie iSv Verf BB
Art 6 Abs 1 wegen verspäteter Absetzung der Urteilsgründe
durch LAG)
Tenor
1. Das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Brandenburg vom 21. Februar 2003 verletzt
den Beschwerdeführer wegen der verspäteten Absetzung der Urteilsgründe in seinem
Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg zurückverwiesen.
2. …
Gründe
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich wegen verspäteter Absetzung der Urteilsgründe
gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Brandenburg vom 21. Februar 2003. Seine
gegen das klageabweisende Urteil eingelegte Berufung wurde nach mündlicher
Verhandlung am 21. Februar 2003 durch Urteil vom selben Tag unter Nichtzulassung der
Revision zurückgewiesen. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung nebst Tenor der
Entscheidung wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 26. Februar 2003
zugestellt. Die mit Tatbestand und Urteilsgründen abgefaßte Entscheidung ging bei der
Geschäftsstelle der Kammer am 06. Oktober 2003 ein und wurde den Beteiligten des
Ausgangsverfahrens anschließend zugestellt.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am 11. September 2003 erhobenen
Verfassungsbeschwerde die Verletzung seiner Rechte aus Art. 10 Verfassung des
Landes Brandenburg - LV - (freie Entfaltung der Persönlichkeit) i.V. m. dem
Rechtsstaatsprinzip und Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 LV (zügiges Verfahren vor Gericht).
Ein nach über fünf Monaten nicht in vollständig abgefaßter Form vorliegendes Urteil
beeinträchtige ihn unzumutbar in seinen Rechtsschutzmöglichkeiten. Die Begründung
der Nichtzulassungsbeschwerde sei ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht möglich. Eine
Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine nicht vollständig mit Tatbestand und
Urteilsgründen abgefaßte Entscheidung sei unzulässig.
Das Landesarbeitsgericht Brandenburg hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig,
da der Beschwerdeführer Nichtzulassungsbeschwerde und - isoliert oder ergänzend
Gegenvorstellung hätte erheben können. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden.
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
1. Die Beschwerdebefugnis ergibt sich aus dem - der Sache nach mitgerügten - Art. 6
Abs. 1 LV. Die Rechtsweggarantie nach dieser Verfassungsbestimmung schließt ein, daß
der Zugang zu einer dem Rechtssuchenden durch die einschlägige Verfahrensordnung
offenstehenden weiteren Instanz nicht unzumutbar erschwert werden darf (vgl.
Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. September 1998 -
VfGBbg 17/98 - LVerfGE 9, 88, 93 f.). Art. 6 Abs. 1 LV gewährleistet - ebenso wie der
allgemeine Justizgewährungsanspruch des Grundgesetzes (vgl. hierzu BVerfG Plenum
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allgemeine Justizgewährungsanspruch des Grundgesetzes (vgl. hierzu BVerfG Plenum
NJW 2003, 1924, 1926 ff.) - den Rechtsschutz auch gegen die Verletzung von
Verfahrensgrundrechten durch ein Gericht. Ob hier die Beschwerdebefugnis zugleich
unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf ein faires und
zügiges Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 LV) gegeben ist, kann dahinstehen.
2. Der Rechtsweg ist erschöpft (§ 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz
Brandenburg - VerfGGBbg -). Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht
zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a Arbeitsgerichtsgesetz) steht dem
Beschwerdeführer nicht offen. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichtes ist eine auf einen Verfahrensmangel auch eine auf die
Verletzung eines Verfahrensgrundrechts gestützte Nichtzulassungsbeschwerde nicht
zulässig (BAG NJW 2001, 3142), wie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist
(BVerfG NJW 2001, 2161, 2163). Der Beschwerdeführer kann auch nicht darauf verwiesen
werden, daß er zwischenzeitlich bei dem Landesarbeitsgericht hätte vorstellig werden
müssen.
3. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, daß hier die
Verletzung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bundesrechtlich - hier durch das
Arbeitsgerichtsgesetz - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen
Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, st. Rspr. seit
Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f. unter Bezugnahme auf
BVerfGE 96, 345, 371 ff.; zuletzt Beschluß vom 20. März 2003 VfGBbg 108/02 -) sind
gegeben. Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 LV stimmt mit dem des vom
Bundesverfassungsgericht in vergleichbaren Fällen als entscheidungserheblich
erachteten Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG NJW 2001,
2161, 2162 m. w. N.; NJW 1996, 245; NJW 1994, 719) bzw. des
Justizgewährungsanspruchs (vgl. BVerfG Plenum NJW 2003, 1924, 1926 ff.) überein.
4. Die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde (§ 47 Abs. 1 VerfGGBbg) ist
hier - gleich wie man hier rechnet -, gewahrt.
II.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichtes verletzt den Beschwerdeführer wegen der
verspäteten Absetzung der Entscheidungsgründe in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs.
1 LV.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem ähnlich gelagerten Fall - aufgreifend, daß
nach einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes vom 27. April 1993 (NJW
1993, 2603) ein nicht innerhalb von fünf, Monaten seit der Verkündung in vollständiger
Form der Geschäftsstelle übergebenes Urteil als nicht mit Gründen versehen gilt -
ausgeführt:
„Eine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung, in der die Revision nicht zugelassen wurde
und deren vollständige Gründe erst mehr als fünf Monate nach Verkündung
unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden sind ..., kann keine geeignete
Grundlage mehr für das Revisionsgericht sein, um das Vorliegen von
Revisionszulassungsgründen in rechtsstaatlicher Weise zu überprüfen. Ein
Landesarbeitsgericht, das ein Urteil in vollständiger Fassung erst so spät absetzt,
erschwert damit für die unterlegene Partei den Zugang zu einer in der
Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht
mehr zu rechtfertigender Weise." (NJW 2001, 2161, 2162).
Das erkennende Gericht schließt sich dem an und sieht den Beschwerdeführer
dementsprechend in dem Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 LV verletzt. Darauf, ob zugleich
der Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren vor Gericht verletzt ist, kommt es für
die hier zu treffende Entscheidung nicht an.
III.
Gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg ist das angegriffene Urteil aufzuheben und das Verfahren
an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Für die von dem Beschwerdeführer
angeregte Verweisung an einen anderen Spruchkörper sieht das Verfassungsgericht
keine hinreichende Veranlassung.
C.
16 Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers
beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.
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