Urteil des VerfG Brandenburg vom 28.07.2008

VerfG Brandenburg: recht auf zutritt, herausgabe von akten, verfassungsgericht, öffentliche gewalt, gespräch, akteneinsicht, gewährleistung, abgeordneter, kontrolle, besuchsrecht

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
53/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 25 StVollzG, § 12 Nr 1 VerfGG
BB, § 36 Abs 3 VerfGG BB, § 36
Abs 1 VerfGG BB, Art 82 Verf BB
Organstreitverfahren - Recht der Landtagsabgeordneten, mit
Gefangenen einer Justizvollzugsanstalt des Landes
zusammenzutreffen, und weitere Informationsrechte
Tenor
Die Antragsgegnerin hat gegen Art. 56 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Art. 56 Abs. 1 Verfassung
des Landes Brandenburg verstoßen, indem sie das Verlangen des Antragstellers, mit
Gefangenen einer Justizvollzugsanstalt des Landes zusammenzutreffen, nicht nach den
von der Landesverfassung vorgezeichneten Kriterien geprüft, sondern eine
Verwaltungspraxis gebilligt hat, nach der unter Berufung auf die Bestimmungen des
Strafvollzugsgesetzes die Genehmigung davon abhängig gemacht wird, ob und inwieweit
sich der Antragsteller für die Belange der Gefangenen einsetzt.
Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Gründe
A.
Der Antragsteller wendet sich dagegen, daß ihm der Zutritt zu einer Justizvollzugsanstalt
(JVA) des Landes Brandenburg und das Gespräch mit Inhaftierten nicht ohne weiteres,
sondern nur nach einer kritischen Prüfung gestattet worden sei. Außerdem rügt er, durch
die Landesregierung nicht vollständig und nach bestem Wissen über das Verfahren bei
der Prüfung der Besuchsanträge informiert worden zu sein.
I.
Der Antragsteller ist Mitglied des Landtages und besucht in dieser Funktion die
Justizvollzugsanstalten des Landes sowie dort Inhaftierte. Nachdem Besuchswünsche
des Antragstellers für Justizvollzugsanstalten zunächst an das Ministerium der Justiz
gerichtet und dort auch bearbeitet worden waren, ist dem Antragsteller im
Zusammenhang mit einem für August 2004 in der JVA ... vorgesehenen
Gefangenenbesuch durch Staatssekretärsschreiben vom 04. August 2004 mitgeteilt
worden, daß über Besuchswünsche der Anstaltsleiter auf der Grundlage des
Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) zu entscheiden habe. Diese geänderte
Entscheidungspraxis ist seitdem beibehalten worden.
Im Juni 2005 informierte der Antragsteller den Anstaltsleiter der JVA ..., daß er
beabsichtige, zur Aufklärung behaupteter Mißstände in der JVA mit Inhaftierten
zusammenzutreffen. In dem Schreiben heißt es:
„[Z]ur Erforschung des Wahrheitsgehaltes von Vorwürfen gegen Bedienstete der JVA
... hatten wir im Jahre 2004 einen umfangreichen Briefkontakt zu Inhaftierten der JVA ...
begonnen, der bis heute anhält, sich thematisch gewandelt hat und sich nunmehr auf
solche Umstände bezieht, die im Jahre 2004 noch nicht gegenständlich waren.
Zur Behandlung behaupteter Missstände und zum Zwecke der Nachbereitung der
Gespräche des letzten Jahres besteht erneut die Notwendigkeit von Einzelgesprächen
mit den unten genannten inhaftierten Personen.
[...]
Der Abgeordnete des Landtages Herr Stefan Sarrach, MdL möchte diese Gespräche
gemeinsam mit Frau Margitta Mächtig, MdL während eines ganztägigen Besuches der
JVA am 18. August 2005 ab 9.00 Uhr gerne durchführen.
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Die Genannten werden von uns angeschrieben, über die prinzipielle Möglichkeit eines
Gesprächstermines informiert und um ihre Teilnahme gebeten.“
Dieses Schreiben des Antragstellers wurde vom Anstaltsleiter der JVA mit einem
Begleitschreiben vom 28. Juni 2005 an das Ministerium der Justiz (MdJ) weitergeleitet.
Der Anstaltsleiter äußerte Bedenken gegen einen Besuch des Antragstellers und führte
aus, daß ein Teil der Inhaftierten durch einen Besuch des Abgeordneten in ihrer
Abwehrhaltung gegenüber den strafvollzuglichen Maßnahmen bestätigt werden könnten.
Die Fachabteilung im MdJ (Abteilung III.) konnte keine Gründe für ein Besuchsverbot nach
§ 25 StVollzG sehen. In dem dazu gefertigten Aktenvermerk (Az.: 4438.E-IV.16/05) des
MdJ heißt es:
„Nach einem heute zur Klarstellung zwischen dem Unterzeichner und dem
Anstaltsleiter geführten Ferngespräch stimmt dieser zuständigkeitshalber den Besuchen
der ... Gefangenen gemäß § 24 StVollzG zu, nachdem Ausschlussgründe gemäß § 25
StVollzG nicht erkennbar sind. ... Gespräche u. a. mit den Gefangenen G., W. und P.
hatte MdL Sarrach in Zusammenhang mit den gegen Bedienstete der JVA ... erhobenen
Misshandlungsvorwürfen bereits im Jahre 2004 bei der hiesigen Behörde beantragt. Mit
ST-Schreiben vom 4. August 2004 ist ihm daraufhin u. a. mitgeteilt worden, dass über
derartige Besuchsanträge der Anstaltsleiter zu entscheiden hat. ... Dieser hat den
beantragten Besuchen der Abgeordneten und des Mitarbeiters von MdL Sarrach
zugestimmt. Die Gespräche der Abgeordneten mit den Gefangenen haben dann wie
beantragt stattgefunden; über ihren Inhalt ist jedenfalls bezogen auf die einzelnen
Gefangenen nichts bekannt geworden. Schon im Hinblick auf diese ‚Vorgeschichte’
besteht nach Auffassung der Fachabteilung bezüglich der nunmehr beantragten
Besuche kein Anlass zu einer abweichenden Entscheidung. ...
Weil es das einzige, unter Einschaltung und Instrumentalisierung aller nur denkbaren
Behörden, sonstigen Institutionen und Einzelpersonen verfolgte Ziel dieses Gefangenen
ist, auch zukünftig mit dem Gefangenen ... gemeinsam in einem Haftraum
untergebracht zu bleiben, durfte schon das im Jahre 2004 mit dem Abgeordneten
Sarrach geführte Gespräch dieses Thema beinhaltet haben.
...
MdL Sarrach hat sich dagegen nach seinem im Jahr 2004 mit ... geführten Gespräch
nicht für das Ziel des Gefangenen verwendet. Ob er seine Auffassung hierzu nach dem
nunmehr beabsichtigten weiteren Gespräch ändert ..., bleibt abzuwarten. Ggf. ist aber
nicht damit zu rechnen, dass diese zwar dem Vollzug, aber auch den Inhaftierten nicht
unkritisch gegenüberstehenden Abgeordneten dem Gefangenen ... zu dem Forum der
Öffentlichkeit verhelfen werden, um dessen Vorstellungen über seine weitere
Vollzugsgestaltung Nachdruck zu verleihen. Ihr Besuch bei dem Gefangenen ist daher
anders zu bewerten als jener der Redakteurin ..., die schon von Berufs wegen und nach
ihrem eigenen Selbstverständnis die möglichst sensationsträchtige
Medienberichterstattung anstrebt. Der Besuch von MdL Sarrach ... bei dem Gefangenen
begegnet nach Auffassung der Fachabteilung daher keinen Bedenken“.
Dem Staatssekretär und der Justizministerin wurde der Vermerk am 08. Juli 2005 bzw.
am 10. Juli 2005 zur Kenntnisnahme vorgelegt und von ihnen abgezeichnet.
Der Antragsteller konnte seiner Absicht entsprechend am 18. August 2005 die JVA
besuchen und mit den Inhaftierten zusammentreffen.
Der Antragsteller richtete am 17. Januar 2006 folgende mündliche Anfrage an die
Landesregierung (LT-Drs. 4/2387):
„Gelegentlich besuchen Mitglieder des Landtages auf Wunsch Gefangene in
Justizvollzugsanstalten, ohne dort Mitglied eines Anstaltsbeirates zu sein. Ich frage die
Landesregierung: Lässt sie sich von den Leitern der Justizvollzugsanstalten berichten,
welcher Abgeordnete wann und mit welchen Gefangenen Gespräche führt bzw.
Schriftverkehr hat?“
Die Ministerin der Justiz antwortete darauf mit Schreiben vom 25. Januar 2006:
„Die Leiter der brandenburgischen Justizvollzugsanstalten informieren die
Fachabteilung, wenn ein Mitglied des brandenburgischen Landtages die Behörde
aufzusuchen beabsichtigt. Dient das Aufsuchen der Anstalt dem Besuch Gefangener,
beschränkt sich die Berichtspflicht darauf, das Mitglied des Landtages und die
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beschränkt sich die Berichtspflicht darauf, das Mitglied des Landtages und die
betroffenen Gefangenen – d. h. den Besucher und den Zweck des Besuchs – zu
benennen sowie den Zeitpunkt des Besuchs mitzuteilen. Der Grund für diese Regelung
besteht darin, dass das Justizministerium als Aufsichtsbehörde ein grundsätzliches
Interesse daran hat, frühzeitig informiert zu sein, wenn in einer Justizvollzugsanstalt
öffentlichkeitswirksame Besuche stattfinden. Rechte von Abgeordneten oder
Gefangenen werden durch diese interne Unterrichtung nicht berührt. Zum Schriftverkehr
von Abgeordneten mit Gefangenen besteht keine Berichtspflicht der Leiter der
Justizvollzugsanstalten“.
Mit Schreiben vom 3., 6., 7. Februar 2006 richtete der Antragsteller
Akteneinsichtsanträge an die Ministerin. Er beantragte darin Einsicht in die im MdJ bzw.
der JVA ... gefertigten Vermerke über seine Besuche in der JVA und insbesondere
Einsicht in die Vermerke über seine Gespräche mit dem Gefangenen W. In dem
Schreiben vom 03. Februar 2006 heißt es u. a.:
„Diesbezüglich bitte ich um eine rasche und unmissverständliche Auskunft, zu
welchem Zweck und in welchem Umfang das Ministerium bei dem Gefangenen W.
Informationen zu meinen Gesprächen mit ihm ermittelt hat und welche Vergünstigungen
Herrn W. in Aussicht gestellt wurden, wenn er Inhalte von Gesprächen mit mir offenbart.
Ich beantrage zusätzlich Akteneinsicht in folgende Unterlagen:
1. gefertigte Vermerke im MdJ bzw. der JVA ... über die Gespräche mit dem
Gefangenen Detlef W. am 30.09.2004 und 14.02.2005 sowie zu sonstigen Gesprächen
an anderen Terminen, die auf mich Bezug nehmen“.
Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 wiederholte der Antragsteller u. a. sein
Akteneinsichtsbegehren und führte weiter aus:
„Sehr geehrte Frau Ministerin Blechinger, Sie werden verstehen, dass ich auf meine
Schreiben und Fragen rasche Antwort erwarte, insbesondere auch die Akteneinsicht
betreffend.
So war der MOZ am 11.02.2006 zu entnehmen, dass das MdJ jede Form von
Ausforschung bestreite und es sich allenfalls um Zufälle handeln könne, dass eine
Mitarbeiterin im Anschluss an Gespräche von mir die gleichen Gefangenen kontaktierte.
Wenn dies so wäre, was mich zufriedenstellen und beruhigen würde, bitte ich Sie, mir bis
zum Freitag, 17. 02.2006, 10.00 Uhr ... mitzuteilen, dass es im MdJ keine gefertigten
Vermerke über Gespräche mit Herrn W. am 30.09.2004 bzw. am 14.02.2005 bzw. an
anderen Terminen gibt, die in Akteneinsicht vorgelegt werden können. ...“.
Am 16. Februar 2006 befaßte sich der Rechtsausschuß des Landtages mit der
Angelegenheit. Laut eines Schreibens der Ministerin an den Antragsteller äußerte diese
sich in der Rechtsausschußsitzung wie folgt:
„In der Zeit vom 30.09.2004 bis 14.02.2005 hat eine Mitarbeiterin insgesamt vier
Gespräche mit dem Gefangenen geführt. Diese Gespräche sind jeweils auf Ersuchen des
Gefangenen zustande gekommen. Gegenstand waren in erster Linie dessen vollzugliche
und persönliche Belange. ...
Am Rande der Gespräche wurde auch über den von dem Gefangenen beabsichtigten
Umgang mit Informationen über Unregelmäßigkeiten in der JVA ... gesprochen,
insbesondere warum er diese nicht an die Staatsanwaltschaft weitergebe. In diesem
Zusammenhang brachte der Gefangene - ohne entsprechende Nachfrage seitens der
Vertreterin des Justizministeriums - auch den Besuch des Abgeordneten Sarrach bei ihm
zur Sprache. Gesprächsinhalte wurden dabei nicht mitgeteilt und auch nicht erfragt“.
Die Ministerin schloß ihre Ausführungen vor dem Rechtsausschuß folgendermaßen ab:
„Das Vorgehen des Abgeordneten, sich mit schwerwiegenden Beschuldigungen an
die Öffentlichkeit zu wenden, ohne den Wahrheitsgehalt der Mitteilungen seines »auf
Kriegsfuß mit dem Justizvollzug« befindlichen Informanten zu hinterfragen, erweckt den
Eindruck, dass er sich in seiner Kontrollfunktion als Abgeordneter von den Gefangenen
instrumentalisieren lässt“.
Mit Schreiben vom 11. März 2006 nahm der Staatssekretär des MdJ zu entsprechenden
Anfragen des Antragstellers Stellung und stellte ergänzend klar:
„In tatsächlicher Hinsicht teile ich Ihnen dazu mit, dass eine Mitarbeiterin der
Strafvollzugsabteilung am 30. September 2004, 25. Oktober 2004, 21. Dezember 2004
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Strafvollzugsabteilung am 30. September 2004, 25. Oktober 2004, 21. Dezember 2004
und am 14. Februar 2005 insgesamt vier Gespräche mit Herrn. W. geführt hat. Diese
Gespräche sind jeweils auf Ersuchen des Gefangenen zustande gekommen. Gegenstand
waren in erster Linie vollzugliche und persönliche Belange des Herrn W.. Daneben wurde
auch über den von Herrn W. beabsichtigten Umgang mit Informationen über
Unregelmäßigkeiten in der JVA ... gesprochen, insbesondere warum er diese nicht an die
Staatsanwaltschaft weitergebe. In diesem Zusammenhang kam – ohne entsprechende
Nachfrage seitens der Vertreterin des Justizministeriums – auch ein Besuch von Ihnen
bei Herrn W. zur Sprache. Ihre Besuche im Mai und August 2004 bei Herrn W. stehen in
keinem ursächlichen Zusammenhang mit diesen Gesprächen und sind darin seitens des
Justizministeriums auch nicht thematisiert worden. Dementsprechend sind weder
Informationen zu Ihren Gesprächen mit Herrn W. gezielt ermittelt noch diesem
Vergünstigungen für den Fall in Aussicht gestellt worden, dass er Inhalte von Gesprächen
mit Ihnen offenbaren würde“.
Der Antragsteller erlangte durch Akteneinsichtnahme am 18. Mai 2006 von dem Inhalt
des Begleitschreibens des Leiters der JVA sowie des Aktenvermerks des MdJ (Az.:
4438.E-IV.16/05) Kenntnis. Außerdem ergab die Akteneinsicht, daß über ein vom MdJ mit
dem Gefangenen im Februar 2005 geführtes Gespräch folgender Vermerk niedergelegt
wurde:
„Frau Dr. W. hat Anfang Februar 2005 ein erneutes Gespräch mit Herrn W. und N.
geführt. Sie hat den Gefangenen die beabsichtigte Verlegung nach Duben mitgeteilt
(dieselbe Station, aber verschiedene Hafträume)“.
In der 22. Sitzung des Rechtsausschusses des Landtages vom 8. Juni 2006 äußerte sich
die Ministerin zu den Besuchsrechten von Landtagsabgeordneten laut Ausschußprotokoll
4/322, S. 7 wie folgt:
„Die rechtliche Bewertung sei klar. Die Entscheidung über die Besuchsgewährung
obliege dem Anstaltsleiter gemäß § 25 Strafvollzugsgesetz. [...] Bei der Entscheidung
des Anstaltsleiters handele es sich um eine Ermessensentscheidung. Bei dieser
Entscheidung komme es sowohl auf die persönlichen Eigenschaften des Gefangenen als
auch auf die Person des Besuchers an. Im Rahmen der pflichtgemäßen
Ermessensausübung waren durch den Leiter der JVA im konkreten Fall alle bekannten
Tatsachen, die für und gegen eine Besuchsgewährung gesprochen haben, zu eruieren.
Hierzu gehöre insbesondere die Prüfung, ob Vorbesuche stattgefunden haben und wie
der Gefangene auf diese reagiert habe. Bezogen auf die Person des Besuchers war zu
prüfen, welches Verhältnis zu dem besuchten Gefangenen bestehe und welche
Indikatoren in der Person des Besuchers einer negativen Besuchswirkung
entgegenstehen bzw. für diese sprechen. Der Leiter der JVA ... hat die vorliegenden
Erkenntnisse – positiver Verlauf eines Vorbesuchs, kritische Haltung des Abgeordneten
gegenüber dem Strafvollzug bei gleichzeitiger besonderer öffentlicher Verpflichtungslage
aufgrund der Abgeordneteneigenschaft – nach eingehender Erörterung mit dem
zuständigen Referatsleiter sachgerecht berücksichtigt“.
II.
Der Antragsteller rügt mit dem am 16. November 2006 bei Gericht eingegangenen
Antrag eine Verletzung des Art. 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Sätze 1 und 3 sowie
des Art. 59 der Landesverfassung Brandenburg (LV). Er ist der Auffassung, die
Antragsgegnerin habe sein Abgeordnetenrecht auf Zugang zu den Behörden und
Dienststellen des Landes dadurch verletzt, daß sie geprüft habe, ob seine geplanten
Besuche von Gefangenen nach § 25 StVollzG zu untersagen seien. Das Zugangsrecht
zu Behörden und Dienststellen sei umfassend zu verstehen. Es gewährleiste nicht nur
den erlaubnisfreien Zugang eines Abgeordneten zu einer JVA, sondern auch das Recht,
Gefangene der JVA ohne eine vorherige Erlaubnis zu besuchen. Dabei sei zwischen
Gesprächen mit Gefangenen und Gesprächen mit Vollzugsbediensteten zu
unterscheiden. Während mit Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV im Hinblick auf Art. 56 Abs. 4 LV
nicht das Recht verbunden sein könne, jeden Bediensteten der Behörde oder
Dienststelle ungehindert zu sprechen, müsse für Gespräche mit Gefangenen etwas
anderes gelten. Diese wendeten sich an den Abgeordneten unter dem Schutz des
Petitionsrechts und würden sich ihm auch deswegen anvertrauen, weil Art. 59 LV dem
Abgeordneten ein Zeugnisverweigerungsrecht gebe. Die Praxis der Antragsgegnerin,
Besuchsverbote bei Abgeordneten überhaupt zu erwägen und eine entsprechende
Prüfung anzustellen, sei eine Verletzung seines Zugangsrechts gem. Art. 56 Abs. 3 Satz
1 LV.
Ferner sieht sich der Antragsteller durch die Art und Weise der Prüfung in seinen Rechten
aus Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 59 LV verletzt. Die Antragsgegnerin habe bei der Prüfung
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aus Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 59 LV verletzt. Die Antragsgegnerin habe bei der Prüfung
des Besuchsantrags sein Verhalten als Abgeordneter unzulässiger Weise bewertet,
indem sie mögliche Gesprächsinhalte rekonstruiert und prognostiziert habe und im Sinn
einer charakterlichen Geeignetheitsprüfung erwogen habe, ob der Besuch des
Abgeordneten negative Einflüsse auf den Gefangenen haben könne. Das lege den
Verdacht der Beobachtung oder Ausforschung seiner parlamentarischen Arbeit nahe.
Außerdem sieht sich der Antragsteller durch die Auskünfte der Landesregierung in
seinem Recht aus Art. 56 Abs. 2 Satz 2 LV verletzt, da er nicht „nach bestem Wissen“
und „vollständig“ informiert worden sei. Erst durch die Akteneinsicht sei deutlich
geworden, daß von Seiten der Antragsgegnerin erkennbar Interessierendes und
Wesentliches vorenthalten worden sei.
Der Antragsteller beantragt, festzustellen:
1. Die Landesregierung hat den Antragsteller in seinen Rechten aus Art. 56 Abs. 1
i.V.m. Abs. 3 Satz 1 LV verletzt, indem sie das Verlangen des Antragstellers mit
Gefangenen einer Justizvollzugsanstalt des Landes zusammenzutreffen, nicht nach den
von der Landesverfassung vorgezeichneten Kriterien geprüft, sondern eine
Verwaltungspraxis gebilligt hat, nach der unter Berufung auf die Bestimmungen des
Strafvollzugsgesetzes die Genehmigung davon abhängig gemacht wird, ob und inwieweit
sich der Antragsteller für die Belange des Gefangenen einsetzt.
2. Die Landesregierung hat den Antragsteller ferner in seinen Rechten aus Art. 56
Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 3 LV verletzt, indem sie:
a.) mit Beantwortung der Mündlichen Anfrage des Antragstellers Nr. 567, Besuche
von Mitgliedern des Landtages in brandenburgischen Vollzugsanstalten (Drucksache
4/2387) vom 25.01.2006 durch die Ministerin der Justiz,
b.) mit Berichterstattung der Ministerin der Justiz vor dem Rechtsausschuss des
Landtages vom 16.02.2006 zu dem Vorwurf der Überwachung von Besuchen des
Abgeordneten Sarrach bei Gefangenen und
c.) mit Schreiben des Staatssekretärs im Ministerium der Justiz vom 11.03.2006 an
den Antragsteller
nicht nach bestem Wissen und vollständig über das Verfahren der Prüfung von
Besuchswünschen des Antragstellers bezüglich der JVA ... und Akteninhalte antwortete
und Auskunft erteilte.
Im Übrigen hat der Antragsteller den in der Antragsschrift formulierten Antrag
zurückgenommen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Anträge als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise
zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Anträge seien bereits unzulässig. Die Anträge zu 1. und 2.
(nunmehr der Antrag zu 1.) beträfen den Verwaltungsvollzug von Bundesrecht und
könnten nicht zum Gegenstand eines Organstreits gemacht werden. Auch fehle den
Maßnahmen aufgrund ihrer rein behördeninternen Wirkung die Rechtserheblichkeit.
Zudem habe der Antragsteller weder einen mittelbaren noch unmittelbaren rechtlichen
Nachteil durch die Prüfung seiner Besuchswünsche gehabt, da er seinen
Besuchswünschen bisher ungehindert nachgehen konnte. Der Antragsteller sei daher
nicht antragsbefugt. Der Antrag zu 3. (nunmehr der Antrag zu 2.) sei zudem verfristet.
Maßgeblich sei der Zeitpunkt der Auskunftserteilung selbst und nicht der Zeitpunkt der
Akteneinsicht durch den Antragsteller.
Jedenfalls seien die Anträge unbegründet. Weder das Zugangs- noch das Auskunftsrecht
des Abgeordneten nach Art. 56 Abs. 3 LV umfasse das Recht, mit Gefangenen –
vertrauliche – Gespräche zu führen. Der Auffassung des Antragstellers stehe mit § 25
StVollzG Bundesrecht entgegen. Das Strafvollzugsgesetz räume Abgeordneten keinen
Sonderstatus ein. Ferner seien die Fragen des Antragstellers von Seiten der
Landesregierung nach bestem Wissen und vollständig beantwortet worden.
III.
Der Präsident des Landtages hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
B.
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Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
1.) Die Anträge zu 1. und 2. sind zulässig.
a.) Hinsichtlich des Antrages zu 1. liegt keine Antragsänderung vor. Der Antragsteller hat
vielmehr seinen Antrag zum Teil ausdrücklich zurückgenommen und die ursprünglich in
der Antragsschrift formulierten Anträge zu 1. und 2. beschränkt.
b.) Die Anträge sind im Organstreitverfahren statthaft, da die Beteiligten in einem
streitigen verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen.
Soweit der Abgeordnete mit dem Antrag zu 2. eine Verletzung seiner
Abgeordnetenrechte durch die Auskünfte der Landesregierung geltend macht, streiten
die Beteiligten um die Erfüllung von Auskunftsansprüchen, die sich unmittelbar aus Art.
56 Abs. 2 Satz 2 LV ergeben.
Auch mit dem Antrag zu 1. werden Rechte aus einem Verfassungsrechtsverhältnis
zwischen den Beteiligten geltend gemacht. Das Erfordernis eines die streitenden Teile
umschließenden Verfassungsrechtsverhältnisses ist das Kriterium zur Abgrenzung des
verfassungsgerichtlichen Organstreits vom fachgerichtlichen Rechtsweg, etwa zu den
Verwaltungsgerichten oder der Strafvollstreckungskammer (vgl.
Umbach/Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl., §§ 63, 64, Rn.
132). Im Fall sogenannter „doppelfunktioneller“ Beteiligter, etwa eines Abgeordneten,
der sowohl Verfassungs- als auch Privatstatus genießt, beurteilt sich die Rechtsnatur
eines eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens danach, ob er seine organschaftliche
Stellung gegenüber einem im Organstreitverfahren beteiligten Verfassungsorgan
geltend macht, oder ob er die Verletzung eines im fachgerichtlichen Verfahren zu
berücksichtigenden subjektiven öffentlichen Rechts durch die öffentliche Gewalt rügt (vgl.
BVerfGE 108, 251, 267). Die Rechtsnatur des Streitverhältnisses bestimmt sich nicht
nach der Vorstellung der Beteiligten, sondern beurteilt sich - vor dem Hintergrund des
jeweiligen Antrags - nach objektiven Kriterien (vgl. BVerfGE 62, 295, 313). Hier hat der
Antragsteller das Besuchsrecht in Wahrnehmung seiner organschaftlichen Stellung und
nicht als Privatperson in Anspruch genommen. Die Verletzung dieses gegenüber der
Landesregierung und nicht gegenüber einer anderen öffentlichen Stelle bestehenden
Rechts macht der Antragsteller geltend.
Dem landesverfassungsrechtlichen Charakter des Streitverhältnisses steht mit § 25
StVollzG auch keine bundesrechtliche Norm entgegen. § 25 StVollzG trifft keine
Regelung im Hinblick auf Gefangenenbesuche von Landtagsabgeordneten in Ausübung
ihrer parlamentarischen Kontrollbefugnisse. Die §§ 23 ff. StVollzG gewähren den
Anspruch des Gefangenen, mit Außenstehenden in Kontakt zu treten, enthalten aber
keine Regelung für Anstaltsbesuche aus anderen Gründen, die mit dem Anspruch des
Gefangenen, im Rahmen der Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes Besucher in der
Anstalt empfangen zu dürfen, nicht in Verbindung stehen. Zu dem vom
Strafvollzugsgesetz von vornherein nicht erfaßten Kreis sind insbesondere Personen zu
zählen, die aus verfassungsrechtlichen und dienstlichen Gründen zu einer Anhörung des
Gefangenen berechtigt oder verpflichtet sind (vgl. Schwind/Böhm/Jehle (Hrsg.),
Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., § 24 Rn. 6; Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz
(Kommentar), 10. Aufl. 2005, § 23, Rn. 6; Feest (Hrsg.), Kommentar zum
Strafvollzugsgesetz, 5. Aufl. 2006, § 23, Rn. 7 ff.). Indem Art. 56 Abs. 3 LV bestimmt, daß
der beabsichtigte Besuch eines Abgeordneten in einer Behörde oder Dienststelle des
Landes eine Angelegenheit zwischen dem Abgeordneten und der Landesregierung ist,
hebt die Landesverfassung die Rechtsbeziehung, die mit der Prüfung des
Besuchswunsches zwischen dem Abgeordneten und der Landesregierung entstehen, auf
die verfassungsrechtliche Ebene.
Die Statthaftigkeit des Organstreitverfahrens entfällt auch nicht dadurch, daß der
Antragsteller ab dem Jahre 2005 seine Besuchsanträge nicht mehr wie von Art. 56 Abs.
3 S. 2 LV gefordert an die Landesregierung, sondern an den Anstaltsleiter richtete. Mit
dem ursprünglichen Verlangen nach Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV war im konkreten Fall ein
Bezug zur verfassungsrechtlichen Abgeordnetenfunktion geschaffen worden, der auch
nicht dadurch entfiel, daß spätere Zutrittswünsche – offenbar in einvernehmlicher
Verfahrensvereinfachung und unter Verkennung des Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV – an die JVA
gerichtet wurden. Stehen Maßnahmen in Rede, die infolge einer Doppelfunktion den
Abgeordneten zum einen in seinem verfassungsrechtlichen Status, zum anderen wie
jeden anderen Staatsbürger als natürliche Person treffen können, entspricht es dem bei
der Auslegung parlamentarischer Kontrollbefugnisse zu beachtenden Effizienzgebot, daß
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der Auslegung parlamentarischer Kontrollbefugnisse zu beachtenden Effizienzgebot, daß
diese Maßnahmen so lange dem Abgeordnetenstatus zugeordnet bleiben – und damit
dem Schutz des verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahrens nach § 36 VerfGGBbg
unterfallen - als sich Vorgehen und Vorbringen des Abgeordneten nicht der Wille
entnehmen läßt, ausschließlich die für „Jedermann“ eröffneten Verfahrens- und
Rechtschutzwege in Anspruch nehmen zu wollen (zum Effizienzgebot bei der
Bestimmung parlamentarischer Kontrollbefugnisse vgl. Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg, Urteil vom 15. März 2007 – VfgBbg 42/06 –,
www.verfassungsgericht.brandenburg.de – LKV 2007, 553; LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 11,
183, 192; LVerfGE 15, 124, 129; vgl. auch VerfG MV NJW 2003, 815, 818). Von einem
solchen Fall kann hier angesichts des ausdrücklichen Begehrens des Antragstellers, die
Gefangenen als Abgeordneter und zur „Behandlung behaupteter Missstände“ aufsuchen
zu wollen, nicht ausgegangen werden.
c.) Der Antragsteller ist ferner antragsbefugt. Gem. § 36 Abs. 1 VerfGGBbg ist ein Antrag
nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er durch eine Maßnahme oder
Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Verfassung übertragenen
Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Das Organstreitverfahren
steht zwar auch im Dienst der objektiven Bewahrung des Verfassungsrechts, sein
Streitgegenstand ist allerdings durch § 36 Abs. 2 VerfGGBbg, nämlich durch das konkret
angegriffene Verhalten des Antragsgegners und die Bestimmungen, gegen die es
verstoßen haben soll, begrenzt. Das Landesverfassungsgericht entscheidet gem. § 12
Nr. 1 VerfGGBbg aus „Anlaß von Streitigkeiten“, deren Gegenstand von den Beteiligten
genau zu bezeichnen ist. Zulässiger Antragsgegenstand kann demnach nur eine
Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners - hier also der Landesregierung -
sein, wobei die zur Überprüfung gestellte Maßnahme rechtserheblich sein muß oder sich
zumindest zu einem die Rechtsstellung des Antragstellers beeinträchtigenden,
rechtserheblichen Verhalten muß verdichten können (Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg, Urteil vom 18. April 1996 - VfGBbg 11/96 - LVerfGE 4, 159, 166). Diese
Voraussetzungen liegen hier vor. Soweit der Antragsteller im Rahmen des Antrags zu 1.
die nähere Ausgestaltung der Prüfung seines Besuchsantrags durch das Ministerium
beanstandet, besteht angesichts der vom Antragsteller gerügten Verletzung der
Gewährleistung des freien Mandats gemäß Art. 56 Abs. 1 LV und seines Zugangsrechts
nach Art. 56 Abs. 3 LV die nach § 36 Abs. 1 VerfGGBbg ausreichende Möglichkeit einer
Rechtsverletzung durch die Antragsgegnerin.
aa.) Der Antragsbefugnis steht nicht entgegen, daß sich der Antragsteller – ausweislich
seines das Organstreitverfahren einleitenden Schriftsatzes - auf interne Vermerke eines
Ministerialrates im Ministerium der Justiz bezieht. Zwar sind interne Vermerke von
Mitarbeitern eines Ministeriums als solche grundsätzlich keine Maßnahmen der
Landesregierung, die nach Art. 82 LV aus dem Ministerpräsidenten und den
Landesministern besteht. Dies gilt auch dann, wenn die Vermerke von der Ministerin
abgezeichnet wurden, da die Ministerin insoweit nicht als Mitglied der Landesregierung,
sondern in ihrer Funktion als Leiterin einer obersten Landesbehörde tätig wird. Eine
Verletzung des Antragstellers durch die Landesregierung kommt in der hier zu
entscheidenden Konstellation allerdings deswegen in Betracht, weil die Landesregierung
nach Art. 56 Abs. 3 Satz 3 LV Adressat des Zugangsverlangens und damit
Anspruchsverpflichtete ist. Die Landesregierung kann sich nicht dadurch der
Verantwortlichkeit für eine originär von ihr zu treffende Entscheidung entziehen, daß sie
diese an untergeordnete Stellen in der jeweiligen Fachbehörde delegiert oder – was hier
offensichtlich der Fall ist – die Ansicht vertritt, es handele sich gar nicht um eine von ihr,
sondern vom Anstaltsleiter im Rahmen der Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes zu
treffende Entscheidung. Die Rechtsauffassung, Abgeordnetenbesuche seien nach den
Kriterien des Strafvollzugsgesetzes und nicht nach den Kriterien der Landesverfassung
zu beurteilen, etabliert eine Verwaltungspraxis, die geeignet ist, die Kontrollbefugnisse
des einzelnen Landtagsabgeordneten zu beschneiden.
Das Vorliegen einer im Organstreitverfahren angreifbaren Maßnahme kann auch nicht
mehr mit dem Argument verneint werden, nach außen habe nicht die Landesregierung
als solche, sondern die Fachbehörde respektive der Anstaltsleiter gehandelt. Diese
isolierte Betrachtungsweise wird dem Umstand nicht gerecht, daß die einzelne
Beurteilung Teil einer von der Landesregierung veranlaßten Verwaltungspraxis ist. Diese
Verwaltungspraxis und die ihr zugrundeliegende Rechtsauffassung wurde von der
Ministerin im konkreten Streitfall nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern von ihr
auch vor dem Rechtsausschuß des Landtages als Mitglied der Landesregierung (vgl. Art.
66 LV, § 83 Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg) politisch verantwortet und
stellt nach wie vor die rechtliche Grundlage für das Vorbringen der Antragsgegnerin im
Verfahren dar.
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bb.) Bei der von Seiten des Ministeriums der Justiz vorgenommenen Prüfung und den im
Vermerk niedergelegten Einschätzungen und Bewertungen des Antragstellers handelt es
sich um rechtserhebliche Maßnahmen im Sinn des § 36 Abs. 1 VerfGGBbg. In der
vorliegenden Konstellation liegt nicht nur in der abschließenden Entscheidung über den
Besuchswunsch, sondern bereits in der Prüfung, ob und unter welchen Voraussetzungen
der Besuch eines Gefangenen zu untersagen ist, ein rechtserhebliches Verhalten. Zwar
sind Handlungen mit ausschließlich vorbereitendem oder vollziehendem Charakter
grundsätzlich kein möglicher Angriffsgegenstand im Organstreitverfahren (vgl. BVerfGE
68, 1, 74 f.; 97, 408, 414). Doch muß die Maßnahme jedenfalls dann als rechtserheblich
angesehen werden, wenn sie – wie hier - auch darin besteht, verbindliche Maßstäbe für
die Gestattung des Zutritts zu den Behörden und Dienststellen des Landes zu geben
und den Abgeordneten einer Überprüfung anhand dieser Maßstäbe zu unterziehen.
Denn unter dieser Voraussetzung hat bereits die Prüfung als solche und nicht erst die
abschließende Entscheidung Auswirkungen auf die Rechtsposition des Antragstellers.
cc.) Eine Beeinträchtigung der landesverfassungsrechtlich gewährten
Abgeordnetenrechte erscheint zumindest möglich. Das freie Mandat gem. Art. 56 Abs. 1
LV schützt den Abgeordneten vor (parlamentarischer oder außerparlamentarischer)
Beschränkung bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben (vgl. Verfassungsgericht des
Landes Brandenburg, Urteil vom 16. Oktober 2003 - VfGBbg 4/03 -). Zu diesen Aufgaben
gehört auch die Kontrolle der Regierungstätigkeit, die durch das Zugangsrecht des Art.
56 Abs. 3 LV in besonderer Weise ausgestaltet ist. Das Zugangsrecht nach Art. 56 Abs.
3 S. 1 LV ist bereits dem Wortlaut nach nicht davon abhängig, wie sich der Abgeordnete
zu der Vollzugssituation in der Vergangenheit geäußert hat oder in Zukunft äußern wird.
Auch steht der Antragsbefugnis nicht entgegen, daß der Antragsteller seine
Besuchsanträge an den Anstaltsleiter gerichtet hat. Dies ist erst auf einen
entsprechenden – nicht zutreffenden – Hinweis der Landesregierung geschehen. Das
Befolgen eines objektiv falschen Hinweises von Seiten des Ministeriums der Justiz kann
nicht dazu führen, daß der Antragsteller seine verfassungsmäßigen Kompetenzen
einbüßt.
d.) Die Frist des § 36 Abs. 3 VerfGGBbg ist bei den Anträgen zu 1. und 2. gewahrt. Nach
§ 36 Abs. 3 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) muß der Antrag
binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme dem Antragsteller
bekannt geworden ist, gestellt werden. Die Vorschrift enthält eine gesetzliche
Ausschlußfrist, nach deren Ablauf im Organstreitverfahren Rechtsverletzungen nicht
mehr geltend gemacht werden können (vgl. BVerfGE 71, 299, 304 zu § 64 Abs. 3
BVerfGG). Damit sollen nach einer bestimmten Zeit im Organstreitverfahren angreifbare
Maßnahmen im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit gestellt werden. Der
Antragsteller konnte die Frist mit seinem am 16. November 2006 beim
Landesverfassungsgericht eingegangenen Antrag nur dann einhalten, wenn als
maßgeblicher Zeitpunkt für den Lauf der Frist der Tag der Einsichtnahme der Akten, also
der 18. Mai 2006, anzusehen ist.
Dies ist für den Antrag zu 1. der Fall. Mit diesem wendet sich der Antragsteller gegen die
nähere Ausgestaltung der Prüfung seines für den 18. August 2005 beantragten
Gefangenenbesuchs. Zwar war der Antragsteller seit dem Schreiben des
Staatssekretärs vom August 2004 über die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin
informiert, daß entsprechende Besuche vom Anstaltsleiter nach den Vorschriften des
Strafvollzugsgesetzes zu beurteilen sind. Dennoch war die beanstandete Maßnahme
dem Antragsteller nicht „endgültig“ bekannt geworden, wie es Voraussetzung für den
Fristbeginn ist (vgl. Umbach/Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2.
Aufl. §§ 63, 64, Rn. 151). Daß von Seiten des Ministeriums mögliche Gesprächsinhalte
des Antragstellers mit dem Gefangenen rekonstruiert wurden und das Besuchsrecht von
der Frage abhängig gemacht wurde, inwieweit sich der Antragsteller öffentlich für die
Belange des Gefangenen einsetzen würde, ist von Seiten des Ministeriums im Vorfeld
weder eingeräumt worden, noch legt der Umstand, daß die Möglichkeit eines
Besuchsverbotes nach § 25 StVollzG für Abgeordnete geprüft wird, eine an
entsprechenden Kriterien ausgerichtete Prüfungspraxis nahe.
Auch für den Antrag zu 2. ist der Zeitpunkt der Akteneinsicht maßgeblich. Denn eine
inhaltliche Bewertung der Antworten der Ministerin und des Staatssekretärs sowie ihres
Berichtes vor dem Rechtsausschuss war dem Antragsteller erst auf dem Hintergrund der
Akteneinsicht möglich. Da die Richtigkeit oder Vollständigkeit nicht den Äußerungen als
solchen zu entnehmen ist, sondern es einer Beurteilungsgrundlage bedarf und diese hier
die Aktenlage ist, ist der Zeitpunkt der Einsicht in die Akten der für den Fristbeginn
maßgebliche Zeitpunkt.
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II.
1. Der Antrag zu 1. hat in der Sache Erfolg. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller in
seinen verfassungsmäßigen Rechten gem. Art. 56 Abs. 3 i. V. m. 56 Abs. 1 LV dadurch
verletzt, daß dessen Besuchswunsch nicht nach den von der Verfassung
vorgezeichneten Kriterien geprüft worden ist. Art. 56 Abs. 3 S. 1 LV umfaßt neben dem
ausdrücklich verankerten Recht auf Zugang zu den Behörden und Dienststellen auch
das Recht eines Abgeordneten zum Besuch von Gefangenen einer JVA (dazu a.). Die
Ausübung dieses Rechts ist zwar an Voraussetzungen geknüpft, die zum Gegenstand
einer vorherigen Prüfung von Seiten der Landesregierung gemacht werden können (dazu
b.). Die Art und Weise der hier vorgenommenen Prüfung stellt jedoch eine
Beeinträchtigung des Zugangsrechts des Antragstellers dar, das im Zusammenhang
mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des freien Mandats zu sehen ist (dazu
c.).
a.) Das Zugangsrecht nach Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV ist - neben dem Vorlagerecht nach
Satz 2 und den Minderheitenrechten (Art. 55 Abs. 2, 66 Abs. 1, 70 Abs. 2 Satz 2 und 3,
72 Abs. 1 LV) - zentrale Vorschrift der Landesverfassung für die effiziente Kontrolle der
Regierungstätigkeit (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 09.
Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 - LVerfGE 15, 124, 129). Das Kontrollrecht des einzelnen
Abgeordneten aus Art. 56 Abs. 3 LV besteht aufgrund des Individualrechtscharakters
unabhängig von den Kompetenzen des Plenums. Es gewährleistet - über Art. 38 Abs. 2
Satz 1 und Abs. 3 Grundgesetz (GG) hinausgehend - eine umfassende Kontrolle.
Dem Wortlaut nach gewährleistet Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV nicht ohne weiteres das Recht
des Abgeordneten, Inhaftierte einer JVA zu besuchen. Nach der Rechtsprechung des
Landesverfassungsgerichts erfordert das durch die Landesverfassung angelegte System
der parlamentarischen Kontrolle es allerdings, den Kontrollbefugnissen auch des
einzelnen Abgeordneten größtmögliche Effizienz zu verleihen (Verfassungsgericht des
Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. November 2000 - VfGBbg 31/00 -, LVerfGE
Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 183, 192; vgl. auch VerfG MV NJW 2003, 815, 818). Das Recht auf
Zugang nach Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV umfaßt daher nicht nur das Recht auf Zutritt zu
den Behörden und Dienststellen. Angesichts der Zweckbestimmung, die der
verfassungsrechtlichen Gewährleistung zugrunde liegt, ist der Verfassungsartikel
dahingehend auszulegen, daß er auch das Recht des Abgeordneten umfaßt, in
Ausübung seiner Kontrollbefugnisse mit einzelnen Gefangenen einer JVA
zusammenzutreffen. Der Zweck des Zugangsrechts nach Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV
besteht darin, „die Abgeordneten in den Stand zu versetzen, durch persönlichen Zutritt
zu Einrichtungen des Landes mit den eigenen Sinnesorganen Wahrnehmungen z.B. über
die Verhältnisse in Strafvollzugseinrichtungen zu machen“ (Simon/Franke/Sachs,
Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, § 21, Rn. 31). Der Abgeordnete soll
auf diese Weise in den Stand gesetzt werden, sich über den Zustand in der Behörde zu
informieren. Um sich eine Vorstellung von den Verhältnissen in der JVA zu machen, kann
es erforderlich sein, daß ein Abgeordneter mit einzelnen Gefangenen zusammentrifft.
Denn anders kann der Vollzug als solcher nicht eingeschätzt werden. Dies gilt nicht nur
für das Zusammentreffen mit Inhaftierten, denen der Abgeordnete quasi bei
Gelegenheit des Anstaltsbesuchs begegnet. Das Zugangsrecht nach Art. 56 Abs. 3 Satz
1 LV umfaßt auch den gezielten Besuch bestimmter Inhaftierter. Zwar wird es bei einem
solchen Besuch auch um die besonderen Belange des einzelnen Gefangenen gehen.
Doch ist ein entsprechendes Besuchsrecht von der Zwecksetzung des Art. 56 Abs. 3
Satz 1 LV umfaßt, weil sich der Gesamtzustand einer Vollzugsanstalt gerade auch im
Umgang mit einzelnen Problemfällen zeigt.
Einer solchen Auslegung steht auch nicht mit § 25 StVollzG eine höherrangige
bundesrechtliche Norm entgegen. Ein Konflikt zwischen Bundesrecht und den hier
maßgeblichen landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen, der mit Hilfe einer
Kollisionsnorm aufzulösen wäre (vgl. zu den dazu vertretenen Ansichten Dreier, in: Dreier
(Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 31, Rn. 21 ff.), besteht nicht, weil die
Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes – wie dargelegt – nicht den Besuch von
Landtagsabgeordneten in Ausübung ihrer Kontrollrechte regeln.
b.) Die Ausübung des Rechts zum Besuch von Gefangenen einer JVA ist allerdings an
Voraussetzungen geknüpft, die eine vorherige Prüfung durch die Landesregierung
erforderlich machen. Die Rechte des Art. 56 Abs. 3 LV gelten nicht unbeschränkt. Auch
das Zugangsrecht des Abgeordneten nach Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV ist - wie sich aus
einem Rückschluss aus Art. 71 Abs. 2 LV ableiten läßt – nicht im Sinn eines
jederzeitigen, auch unangemeldeten Zutrittsrechts zu verstehen. Nach Art. 71 Abs. 2 LV
gewähren die Behörden und Verwaltungseinrichtungen dem Petitionsausschuss auf sein
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gewähren die Behörden und Verwaltungseinrichtungen dem Petitionsausschuss auf sein
Verlangen jederzeit Zutritt. Eine solche Formulierung fehlt in Bezug auf das Zutrittsrecht
des einzelnen Abgeordneten. Daher setzt auch das Recht auf Zutritt nach Art. 56 Abs. 3
Satz 1 LV ein vorheriges Verlangen des Abgeordneten nach Art. 56 Abs. 3 Satz 3 LV
voraus, das an die Landesregierung zu richten ist (vgl. auch Simon/Franke/Sachs,
Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, § 21, Rn. 33). Das Erfordernis eines
vorherigen Antrags an die Landesregierung ist grundsätzlich im Sinn einer vorherigen
Information der Landesregierung zu verstehen. Es dient der Koordination der
Organisationsabläufe, die auch bei dem Besuch eines Abgeordneten für eine
funktionsfähige Regierungs- und Verwaltungstätigkeit unerläßlich ist. Mit dem Erfordernis
eines vorherigen und an die Landesregierung zu richtenden Verlangens korrespondiert
aber grundsätzlich kein materielles Prüfungsrecht auf Seiten der Landesregierung, da
diese in der Regel nur über die Modalitäten, nicht über das „Ob“ des Zugangs zu
befinden hat.
Bei dem Besuch von Gefangenen einer JVA ist dies jedoch anders zu beurteilen. In dieser
Konstellation steht dem grundsätzlichen Besuchsrecht des Abgeordneten ein
entsprechendes sachliches Prüfungsrecht der Landesregierung gegenüber. Ein solches
sachliches Prüfungsrecht der Landesregierung folgt nicht schon aus einer Übertragung
der Schranken des Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV, da sich diese lediglich auf das Auskunfts- und
Vorlagerecht nach Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV beziehen (aa. ). Die Einschränkung von
Gefangenenbesuchen durch Abgeordnete findet ihre Rechtfertigung insbesondere in den
verfassungsrechtlichen Belangen des Strafvollzuges, wie sie in Art. 54 LV zum Ausdruck
kommen (bb.).
aa.) Gem. Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV kann die Erteilung von Auskünften oder die Vorlage von
Akten und sonstigen amtlichen Unterlagen nur abgelehnt werden, wenn überwiegende
öffentliche oder private Interessen an der Geheimhaltung dies zwingend erfordern.
Dieser Vorbehalt bezieht sich ausdrücklich nur auf das Auskunfts- und Vorlagerecht nach
Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV. Er ist auch nicht auf das Zugangsrecht des Abgeordneten nach
Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV übertragbar. Soweit im Schrifttum eine andere Auffassung
vertreten wird (vgl. Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg –
Kommentar, § 56, Nr. 4.1.), wird diese vom Landesverfassungsgericht nicht geteilt. Der
Besuch von Gefangenen und die Auskunftserteilung oder Aktenvorlage durch
Bedienstete des Landes sind nicht vergleichbar. Ein Gefangener erteilt keine Auskünfte
für die Landesregierung. Auch sprechen Sinn und Zweck des Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV
gegen eine solche Übertragung. Der Gesichtspunkt des Geheimhaltungserfordernisses
wegen entgegenstehender privater Interessen ist auf diese Konstellation nicht
übertragbar. Der Gefangene, der sich an einen Abgeordneten wendet, vermag private
Interessen Dritter, anders als im Fall der Herausgabe von Akten, nicht zu
beeinträchtigen. Auch öffentliche Interessen an einer Geheimhaltung der zwischen
Abgeordneten und Inhaftierten ausgetauschten Informationen sind vor dem Hintergrund
des Zweckes des Zugangsrechts nicht ersichtlich.
bb.) Das Recht nach Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV, Gefangene zu besuchen, ist dennoch nicht
schrankenlos gewährleistet, sondern unterliegt verfassungsimmanenten Schranken,
insbesondere den landesverfassungsrechtlichen Belangen des Strafvollzuges. Allerdings
läßt sich ein Eingriff in individuelle Rechtspositionen nicht formelhaft mit einem
allgemeinen Gesichtspunkt der „Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege“ rechtfertigen
(vgl. BVerfGE 77, 240, 255; 80, 367, 375), sondern setzt Rechtsgüter von
Verfassungsrang voraus, die mit den Kontrollrechten des Abgeordneten prinzipiell
kollidieren können und im Einzelfall geeignet sind, diese Rechte einzuschränken (vgl.
BVerfGE 81, 278, 293). Art. 54 LV gewährleistet ein solches Rechtsgut von
Verfassungsrang. Gem. Art. 54 Abs. 1 LV muß der Strafvollzug darauf ausgerichtet sein,
den Strafgefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne
Straftaten zu führen. Eine elementare Voraussetzung für eine solche Befähigung ist, daß
Sicherheit und Ordnung in der Anstalt nicht gefährdet sind und der Gefangene möglichst
frei von Einflüssen ist, die der angestrebten Resozialisierung entgegenstehen. Die
Beschränkung von Besuchen kann dazu dienen, diese verfassungsrechtlichen Ziele zu
erreichen. Das kann in Ausnahmefällen auch für den Besuch eines Abgeordneten gelten.
Daher muß es der Landesregierung möglich sein, die Frage eines Besuchsverbotes
anhand dieser Kriterien zu prüfen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es
nicht von vornherein ausgeschlossen, daß ein Abgeordneter seine parlamentarischen
Kontrollrechte dazu benutzt, um in einer den Zwecken des Art. 54 LV zuwiderlaufenden
Weise auf den Strafgefangenen einzuwirken. Wie bereits an Art. 61 LV zu sehen ist, setzt
die Landesverfassung keineswegs voraus, daß bei jeder rechtlichen Beurteilung von
einem normgemäßen Verhalten des Abgeordneten auszugehen ist. Die
verfassungsrechtlichen Gründe, die ein Besuchsverbot rechtfertigen könnten, sind
angesichts der Bedeutung der Abgeordnetenrechte allerdings restriktiv zu handhaben.
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c.) Die von Seiten des Ministeriums vorgenommene Prüfung hält sich nicht in diesen von
der Landesverfassung gezogenen engen Grenzen. Die Genehmigung des Besuchs eines
Gefangenen wurde davon abhängig gemacht, inwieweit sich der Antragsteller „für das
Ziel des Gefangenen verwendet“ und inwieweit damit zu rechnen ist, daß der
Abgeordnete dem Gefangenen „zu dem Forum der Öffentlichkeit verhelfen [wird], um
dessen Vorstellungen über seine weitere Vollzugsgestaltung Nachdruck zu verleihen“.
Dafür daß die in dem Vermerk niedergelegten Erwägungen Ausdruck einer von der
Landesregierung gebilligten Prüfungspraxis sind, sprechen – wie dargelegt – nicht zuletzt
die Einlassungen der Ministerin in der Rechtsausschußsitzung vom 08. Juni 2006. Obwohl
der Abgeordnete im Ergebnis mit den Gefangenen antragsgemäß zusammengetroffen
ist, beeinträchtigt eine Prüfung, nach der das Zugangsrecht unter anderem davon
abhängig gemacht wird, inwieweit der Abgeordnete der Vollzugsituation kritisch
gegenübersteht, den Antragsteller in seiner freien Mandatsausübung in Verbindung mit
der Gewährleistung des Zugangsrechts.
Die Gewährleistung des freien Mandats (Art. 56 Abs. 1 LV) schützt den Abgeordneten
vor (parlamentarischen oder außerparlamentarischen) Beschränkungen bei der
Wahrnehmung seiner Aufgaben (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil
vom 16. Oktober 2003 - VfGBbg 4/03 -). Die Bestimmung schützt den Abgeordneten als
eigenständig entscheidenden Akteur bei der Erfüllung der Funktionen des Landtages,
insbesondere bei der Ausübung seiner verfassungsmäßigen Kontroll- und
Aufsichtsrechte. Die Freiheit des Mandats richtet sich gegen alle staatlichen
Maßnahmen, die den Bestand und die Dauer des Mandats beeinträchtigen oder die
Ausübung des Mandats inhaltlichen Bindungen unterwerfen. Sie schützt nicht nur den
Bestand und die tatsächliche Ausübung des Mandats. Sie gewährleistet darüber hinaus,
daß die durch die Wahl erworbene Legitimation des Abgeordneten, das Volk im
Parlament zu vertreten, von den anderen Verfassungsorganen respektiert wird (BVerfGE
99, 19, 32). Indem das Ministerium der Justiz ein mögliches Besuchsverbot von der
Beurteilung abhängig macht, wie der Antragsteller zur Vollzugssituation bisher öffentlich
Stellung genommen hat oder in Zukunft Stellung nehmen wird und ob er sich für die
Belange der Gefangenen einsetzt oder nicht, wird seine Mandatsausübung einer
Beurteilung unterzogen, die mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des freien
Mandats nicht mehr vereinbar ist. Dies gilt unabhängig davon, daß der Antragsteller die
Gefangenen im Ergebnis besuchen durfte. Denn eine solche Prüfungspraxis kommt einer
verwaltungsförmig ausgestalteten Kontrolle des Abgeordnetenverhaltens nahe. Ob und
wie der Abgeordnete sein Mandat ordnungsgemäß versieht und welche Bewertungen der
Vollzugssituation er aus seinen Kontakten mit den Gefangenen ableitet, entscheidet der
Abgeordnete selbst. Es entspricht nicht dem Leitbild eines weisungsfreien
Repräsentanten des Volkes, wenn die Ausübung der verfassungsmäßigen Kontroll- und
Aufsichtsbefugnisse von einer entsprechenden Beurteilung abhängig gemacht wird. Über
die tatsächliche Mandatsausübung hinausgehende Erwartungen an den Abgeordneten
betreffend deren Art und Umfang sind, wie das Bundesverfassungsgericht betont, „von
Verfassungs wegen einer rechtlichen Regelung entzogen und allein der politischen
Sphäre überantwortet, in welcher der Abgeordnete sich für sein Verhalten gegenüber
Partei und Fraktion und vor allem gegenüber seinen Wählern verantworten muss“
(BVerfG, Urteil v. 04. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 -, in: NVwZ 2007, 916, 924).
2.) Der Antrag zu 2. ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat das in Art. 56 Abs. 2 Satz
2 LV gewährleistete Recht des Antragstellers nicht verletzt. Sowohl die Beantwortung der
Mündlichen Anfrage des Antragstellers durch die Ministerin der Justiz (dazu a.), als auch
deren Berichterstattung vor dem Rechtsausschuß des Landtages (dazu b.), sowie das
Schreiben des Staatssekretärs (dazu c.) genügen den verfassungsrechtlichen
Anforderungen, die an die Beantwortung einer Anfrage zu stellen sind.
a.) Nach Art. 56 Abs. 2 Satz 1 LV haben die Abgeordneten das Recht, im Landtag Fragen
zu stellen. Fragen an die Regierung sind unverzüglich nach bestem Wissen und
vollständig zu beantworten (Art. 56 Abs. 2 Satz 2 LV). Vollständig ist die Antwort, wenn
alle Informationen, über die die Regierung verfügt oder mit zumutbarem Aufwand
verfügen könnte, lückenlos mitgeteilt werden, d.h. nichts, was bekannt ist oder was mit
zumutbarem Aufwand hätte in Erfahrung gebracht werden können, verschwiegen wird.
Auch ausweichende Antworten sind nicht vollständig in diesem Sinn (vgl.
Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. November 2000 -
VfGBbg 31/00 -, LVerfGE 11, 166, 168). Im Einzelnen hängt der Umfang der
Antwortpflicht allerdings auch davon ab, was und wie genau gefragt worden ist.
In ihrer Antwort auf die mündliche Anfrage des Antragstellers teilt die Ministerin mit, daß
sich die Berichtspflicht im Fall eines Abgeordnetenbesuchs darauf beschränkt, den
Besuch und den Zweck des Besuches sowie den Zeitpunkt mitzuteilen. Zur Begründung
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Besuch und den Zweck des Besuches sowie den Zeitpunkt mitzuteilen. Zur Begründung
führt sie aus, daß das Ministerium als Aufsichtsbehörde daran interessiert sei, frühzeitig
über öffentlichkeitswirksame Besuche in einer JVA unterrichtet zu werden. Angesichts der
Formulierung der Anfrage des Antragstellers war diese Antwort ausreichend und
vollständig. Der Einwand des Antragstellers, es sei nicht zu erkennen gewesen, daß und
wie man die Besuchsabsichten des Antragstellers beurteilt, weil der Aussage kein Bezug
auf § 25 StVollzG zu entnehmen sei, ist unzutreffend. Denn nach dem eindeutigen
Wortlaut hat der Antragsteller nicht ausdrücklich nach den Beurteilungsmaßstäben,
sondern zunächst nur nach der Berichtspflicht als solcher gefragt („Ich frage die
Landesregierung: Lässt sie sich von den Leitern der Justizvollzugsanstalten berichten,
welcher Abgeordnete wann und mit welchen Gefangenen Gespräche führt bzw.
Schriftverkehr hat?“). Auch sind keine Umstände erkennbar, die ein weiteres
Verständnis der Anfrage nahe legen. Vor dem Hintergrund dieser kurz gefaßten Anfrage
war die Ministerin nicht gehalten, weitere Ausführungen zu machen.
b.) Auch die Berichterstattung der Ministerin vor dem Rechtsausschuß ist weder
unrichtig, noch unvollständig. Die Aussage der Ministerin: „Gesprächsinhalte wurden
dabei nicht mitgeteilt und auch nicht erfragt“ enthält auch nicht erkennbar
Interessierendes vor. Dabei ist zunächst festzuhalten, daß die Ministerin nicht direkt auf
eine Anfrage des Antragstellers geantwortet hat, sondern Presseberichte und Auskunfts-
und Akteneinsichtsgesuche des Antragstellers zum Anlaß nahm, sich zu den Vorwürfen
zu äußern, insbesondere dem Vorwurf, der Abgeordnete sei von Seiten des Ministeriums
„überwacht“ worden.
Die Auskunft der Ministerin entspricht der Aktenlage. Dort heißt es mit Blick auf die
Gespräche des Antragstellers mit den Gefangenen, daß „über ihren Inhalt bezogen auf
die einzelnen Gefangenen nichts bekannt geworden“ ist.
Die Auskunft der Ministerin ist entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht
deswegen als unvollständig anzusehen, weil die Ministerin nicht mitgeteilt hat, daß von
Seiten des Ministeriums in einem Aktenvermerk Überlegungen zu den möglichen
Inhalten des Gesprächs des Gefangenen mit dem Antragsteller angestellt wurden. Um
eine „ausweichende“ Antwort, die nach der Rechtsprechung des
Landesverfassungsgerichts als nicht vollständig anzusehen ist (vgl. Verfassungsgericht
des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. November 2000 - VfGBbg 31/00, a. a. O.),
handelt es sich deswegen nicht, weil die Ministerin in ihrer Äußerung vor dem
Rechtsausschuss deutlich gemacht hat, daß über den umfangreichen Auskunfts- und
Akteneinsichtsantrag noch nicht abschließend entschieden ist. Die Äußerung der
Ministerin kann schon aufgrund der zeitlichen Nähe zu den Anfragen des Antragstellers
(insbesondere zur schriftliche Anfrage vom 15. Februar 2006, mit der der Antragsteller
Mitteilung begehrt, ob über die Gespräche mit ihm und dem Gefangenen W. im
Ministerium Vermerke geführt wurden) nicht als abschließende Antwort angesehen
werden. Die Ministerin hatte vielmehr die Absicht, in allgemeiner Form zu den in der
Presse aufgekommenen Spekulationen zu einer „Überwachung“ des Abgeordneten
durch das Ministerium Stellung zu nehmen.
c.) Das Schreiben des Staatssekretärs vom 11. März 2006 stellt die abschließende und
auch vollständige Antwort auf die schriftlichen Anfragen des Antragstellers dar. Entgegen
der Auffassung des Antragstellers ist die Mitteilung des Staatssekretärs nicht deswegen
unrichtig, weil in dem Schreiben lediglich mitgeteilt wurde, daß nur über das Gespräch
vom 30. September 2004 ein schriftlicher Vermerk vorhanden ist, obwohl auch zu dem
Gespräch vom Februar 2005 ein Vermerk gefertigt worden ist. Dem Antragsteller ist
zwar zuzugeben, daß auch der Vermerk vom Februar 2005 einen Vermerk zu den
Gesprächen des Ministeriums mit dem Gefangenen W. darstellt. Allerdings ist die
Existenz dieses Vermerks kein Beleg für die Falschheit oder Unvollständigkeit der
Antwort des Ministeriums. Das Akteneinsichtsbegehren des Antragstellers vom 03.
Februar 2006 enthält eine Einschränkung auf Vermerke, „die auf mich Bezug nehmen“,
wie der Antragsteller geschrieben hat. Daß in der Antwort Vermerke, die in keinem
erkennbaren Zusammenhang mit der Person des Antragstellers stehen, keine
Erwähnung finden, begegnet mithin keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Entscheidung ist mit 6 zu 2 Stimmen ergangen.
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