Urteil des VerfG Brandenburg vom 19.07.2007

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
61/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 52 Abs 3 Verf BB, § 68b
StPO, § 142 StPO, § 52 StPO
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als
Zeugenbeistand ohne vorherige Anhörung.
1. In dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Potsdam gegen den
Beschwerdeführer sowie gegen dessen Vater wegen Verdachts des versuchten Mordes
ordnete das Landgericht Potsdam mit Verfügung vom 19. Juli 2007 den jetzigen
Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers als dessen Pflichtverteidiger bei. Mit
Schreiben vom 19. November 2007 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der
Staatsanwaltschaft mit, dass der Beschwerdeführer auch im Fall einer beabsichtigten
Vernehmung als Zeuge sein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehme.
In der Hauptverhandlung gegen seinen Vater lud das Landgericht Potsdam den
Beschwerdeführer zum Termin am 18. November 2008 als Zeuge. Der
Beschwerdeführer erschien zu diesem Termin nicht; seine ordnungsgemäße Ladung
konnte nicht festgestellt werden.
Durch Verfügung vom 20. November 2008 ordnete das Landgericht Potsdam dem
Beschwerdeführer Rechtsanwalt Sch. als Zeugenbeistand bei.
Mit Schreiben vom 25. November 2008 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des
Beschwerdeführers mit, dass er diesen auch als Zeugenbeistand vertrete und bat um
Beiordnung.
In einem Telefonat mit dem Vorsitzenden der Strafkammer wandte sich der
Verfahrensbevollmächtigte gegen die Beiordnung des Rechtsanwalts Sch. als
Zeugenbeistand und kündigte an, in jedem Fall zum Termin am 11. Dezember 2008 zu
erscheinen.
Mit Schreiben vom 02. Dezember 2008 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge
nach § 33a StPO. Mit Verfügung vom 09. Dezember 2008 entschied das Landgericht
Potsdam, dass eine Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers
als anwaltlicher Zeugenbeistand „derzeit nicht veranlasst“ sei. Eine Verletzung
rechtlichen Gehörs bei der Beiordnung des Zeugenbeistandes habe nicht vorgelegen.
Wegen der Eilbedürftigkeit der Sache sei es entbehrlich gewesen, den Zeugen vor der
Beiordnung anzuschreiben und unter Fristsetzung aufzufordern, gegebenenfalls einen
von ihm gewünschten Anwalt zu bezeichnen. Darüber hinaus sei nicht zu erwarten
gewesen, dass der Beschwerdeführer auf ein entsprechendes Schreiben geantwortet
hätte, nachdem er zuvor auf seine Zeugenladung nicht reagiert habe.
Am 11. Dezember 2008 wurde der Beschwerdeführer im Beisein seines
Verfahrensbevollmächtigten sowie des als Zeugenbeistand beigeordneten
Rechtsanwaltes als Zeuge vernommen. Der Beschwerdeführer machte von dem
Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO Gebrauch.
2. Mit der am 05. Dezember 2008 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der
Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 52 Abs. 3 LV. Das Landgericht Potsdam habe
ihm vor dem Beiordnungsbeschluss entgegen § 68b Satz 3 i. V. m. § 142 Abs. 1 Satz 2
StPO kein rechtliches Gehör zu der Frage gewährt, welcher Rechtsanwalt ihm als
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StPO kein rechtliches Gehör zu der Frage gewährt, welcher Rechtsanwalt ihm als
Zeugenbeistand beigeordnet werden solle.
3. Das Landgericht Potsdam hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
Der verfassungsrechtliche Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör ist
nicht verletzt.
Bereits § 68b StPO in der bis zum 30. September 2009 geltenden Fassung zielte auf die
Verbesserung der Rechtsstellung des Zeugen. Durch die Unterstützung eines
anwaltlichen Beistandes sollte der Zeuge in die Lage versetzt werden, ihm zustehende
Abwehr- und Schutzrechte in einer konkreten Vernehmungssituation geltend zu
machen. Grundsätzlich soll der Zeuge selbst einen Rechtsanwalt benennen können.
Diese Anhörungspflicht soll sicherstellen, dass ihm in der Vernehmungssituation ein
Rechtsanwalt seines Vertrauens als Beistand zur Seite steht. Die Bestimmung ist
Ausdruck des Fairnessgrundsatzes und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl.
BVerfG, NJW 2001, 3695, 3697). Dem haben die Strafgerichte Rechnung zu tragen. Von
der vorherigen Anhörung kann daher nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen
werden (vgl. BGH, NJW 2001, 237). Ist die vorherige Anhörung im Einzelfall nicht möglich,
wird dem Anspruch des Zeugen auf einen anwaltlichen Beistand seines Vertrauens
regelmäßig dadurch Rechnung zu tragen sein, dass die Anhörung nachgeholt und -
gegebenenfalls unter Rücknahme der bereits zuvor erfolgten Beiordnung – der Beistand
des Vertrauens bestellt wird (vgl. Wohlers, in: Laufhütte u. a., Systematischer
Kommentar zur Strafprozessordnung, § 142, Rn. 8 m. w. N.).
Die Vorgehensweise des Landgerichts Potsdam hat – ungeachtet der Frage, ob sie den
vorgenannten Maßstäben überhaupt genügt – keine negativen Auswirkung auf die
Vernehmungssituation des Beschwerdeführers gehabt. Denn der
Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers war – wie zuvor angekündigt - bei
dessen Vernehmung zugegen. Der Beschwerdeführer hat von dem
Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO Gebrauch gemacht.
Ein etwaiger Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist daher nicht erheblich
geworden.
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