Urteil des VerfG Brandenburg vom 13.03.2017
VerfG Brandenburg: kontrolle, verfassungsgericht, materielle rechtskraft, persönliche daten, privates interesse, öffentliches interesse, akteneinsichtsrecht, datenschutz, chef, auflage
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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
42/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 38 Abs 2 S 1 GG, Art 38 Abs
3 GG, Art 11 Verf BB, Art 56 Abs
3 S 2 Verf BB, Art 56 Abs 4 Verf
BB
VerfG Potsdam: Organstreitverfahren: Verletzung der
Aktenvorlagepflicht eines Abgeordneten aus Art 56 Abs 3 S 2
Verf BB durch Verweigerung der Akteneinsicht in Akten von
Amtsträgern der Landesregierung im Rahmen der
"Trennungsgeld-Affäre" - schonender Ausgleich bei
Interessenabwägung zwischen Datenschutz und
Akteneinsichtsrecht
Tenor
1. Die Antragsgegnerin hat gegen Art 56 Abs 3 Satz 2 Verfassung des Landes
Brandenburg verstoßen, indem sie die auf Einsicht in Trennungsgeldvorgänge und
diesbezügliche Prüfvorgänge von Ministern und ehemaligen Ministern, von
Staatssekretären und ehemaligen Staatssekretären, von Präsidenten und ehemaligen
Präsidenten von Obergerichten, des Generalstaatsanwalts, der Staatsanwälte bei der
Generalstaatsanwaltschaft sowie von Abteilungsleitern in der Ministerialverwaltung
gerichteten Anträge des Antragstellers zu 1. vom 30. März 2005 und des Antragstellers
zu 2. vom 11. Mai 2005 durch Beschluß des Kabinetts vom 29. August 2006 mit Bezug
auf diejenigen Amtsträger zurückgewiesen hat, die nicht gegen die beantragte
Akteneinsicht um Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten nachgesucht haben. Im
übrigen wird der Antrag verworfen.
Gründe
A.
Die Antragsteller wenden sich gegen die Versagung der Akteneinsicht in diejenigen
Vorgänge, die die Zahlung von Trennungsgeld an herausgehobene Amtsträger des
Landes und die Prüfung dieser Zahlungen betreffen.
I.
Im Land Brandenburg bestand der Verdacht, daß einzelne Beamte und Richter zu
Unrecht Trennungsgeld bezogen zu haben. Der Ministerpräsident sprach am 28. Januar
2004 in der 89. Sitzung des Landtags Brandenburg von einer „Vertrauenskrise“; „das
Ansehen der Justiz in unserem Land ist beschädigt“. Nach Auffassung der Opposition im
Landtag betrieb die Antragsgegnerin die Aufklärung dieser in dem breiten Interesse der
Öffentlichkeit stehenden „Trennungsgeld-Affäre“ zunächst nur schleppend und nicht mit
der erforderlichen Konsequenz. Im Zuge der weiteren Nachprüfung kam es zu
Rückforderungen von Trennungsgeld sowie auch zu Strafverfahren.
Der Antragsteller zu 1. „erinnerte“ unter dem 30. März 2005 mit an den „Chef der
Staatskanzlei des Landes Brandenburg“ gerichtetem Schreiben „an Ihre Bereitschaft“,
„Einsicht in Prüfvorgänge herausgehobener Amtsträger des Landes zu ermöglichen“. Es
bestehe „Interesse, Akteneinsicht insbesondere in vorhandene Trennungsgeld-
Prüfvorgänge für Minister und ehemalige Minister, für Staatssekretäre und ehemalige
Staatssekretäre, für Präsidenten und ehemalige Präsidenten von Obergerichten, für den
Generalstaatsanwalt und Staatsanwälte bei der Generalstaatsanwaltschaft sowie für
Abteilungsleiter in der Ministerialverwaltung zu nehmen“. Diesem Antrag trat der
Antragsteller zu 2. mit Schreiben vom 11. Mai 2005 bei und beantragte „Einsicht in
solche Vorgänge, die als abgeschlossen anzusehen sind“. Die Antragsgegnerin stimmte
der Einsichtnahme in die Berichte einer zuvor eingesetzten Prüfkommission sowie in die
abgeschlossenen Prüfvorgänge herausgehobener Amtsträger des Landes am 17. Mai
2005 unter Auflagen zu. Am 3. Juni 2005 erhielten die Antragsteller Einsicht in die
Berichte der Prüfkommission, wobei persönliche Daten zuvor anonymisiert wurden. Der
Antragsteller zu 1. beantragte nachfolgend Einsicht in einzelne Prüfvorgänge.
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Der Vorsitzende des Gesamtstaatsanwaltsrates sowie der ehemalige Staatssekretär im
Justizministerium, die zuvor von der Antragsgegnerin über die bevorstehende
Akteneinsicht in Kenntnis gesetzt worden waren, beantragten vor dem
Verwaltungsgericht Potsdam erfolgreich die einstweilige Untersagung der Einsicht in den
Teil ihrer Personalakten, der die Trennungsgeldzahlungen betrifft sowie im Verfahren des
ehemaligen Staatssekretärs ergänzend die Einsicht in den maßgeblichen Prüfvorgang.
Der Antragsteller zu 1. teilte unter dem 18. August 2005 dem Chef der Staatskanzlei
mit:
„Ich gehe davon aus, dass die Landesregierung mir bisher Akten in dem Umfang zur
Verfügung gestellt hat, wie sie sich aus meinem Antrag auf Akteneinsicht ergeben.
Demzufolge erwarte ich, dass auch in Bezug auf weitere Personen, die zu dem in
meinem Antrag genannten Personenkreis gehören, mir die kompletten Akten vorgelegt
werden, was einschließt:
1. die Trennungsgeld-Prüfvorgänge für diese Personen,
2. die ihnen zugrunde liegenden Trennungsgeld-Akten,
3. die in diesem Zusammenhang erstellten Akten über durchgeführte
Disziplinarverfahren,
4. weitere Akten, die den Sachverhalt der Zahlung von Trennungsgeld für die konkrete
Person betreffen.“
Die Antragsteller wurden in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigeladen und
legten Beschwerde ein. Das Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerden durch
Beschlüsse vom 20. Juni 2006 wegen des überwiegenden privaten Interesses an der
Geheimhaltung zurück (- OVG 4 S 50.05 - und - OVG 4 S 84.05 -). Das
Akteneinsichtsrecht der hiesigen Antragsteller genieße zwar einen hohen Stellenwert,
doch erweise sich die Akteneinsicht nach konkreter Abwägung als unverhältnismäßig.
Weder die Schwärzung von Daten streng persönlichen Charakters noch die Anwendung
der Verschlußsachenanordnung des Landtags stelle den in der Abwägung sich
durchsetzenden Datenschutz hinreichend sicher.
Mit Schreiben vom 1. September 2006 teilte die Antragsgegnerin durch den Chef der
Staatskanzlei mit, daß das Kabinett in seiner Sitzung am 29. August 2006 beschlossen
habe, „keine weitere Akteneinsicht nach Art. 56 Abs. 3 LV in die Prüfvorgänge
herausgehobener Amtsträger des Landes“ zu gewähren. „Zu dieser Entscheidung sah
sich die Landesregierung aufgrund der Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichtes vom
20. Juni 2006 ... veranlaßt. Das OVG geht davon aus, daß für die Betroffenen ein
überwiegendes privates Interesse an der Geheimhaltung gegeben ist.“
II.
Die Antragsteller rügen mit dem am 29. September 2006 bei Gericht eingegangenen
Antrag die Verletzung ihres Rechtes aus Art. 56 Abs. 3 Verfassung des Landes
Brandenburg (LV) durch die Verweigerung der Akteneinsicht. Ihr Begehren betreffe
abgeschlossene Vorgänge, für welche die Landesverfassung dem Landtag eine
Kontrollkompetenz - der „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ sei nicht
betroffen - einräume. Andernfalls sei um die effektive Kontrolle der Antragsgegnerin -
gerade auch für die Zukunft - zu fürchten, da sich diese auf das Überwiegen privater
Interessen berufen könne. Die Antragsteller halten darüber hinaus die
Rechtsausführungen des Oberverwaltungsgerichts für unzutreffend, da dieses unter
Rückgriff auf das Recht der Untersuchungsausschüsse die parlamentarische Kontrolle
unangemessen zurückgedrängt habe. Vielmehr stünde den Antragstellern aus der
Landesverfassung ein Anspruch auch auf die personenbezogenen Daten aus
Personalakten, die die möglicherweise unrechtmäßige Bewilligungspraxis von
Trennungsgeld betreffen, zu.
Die Antragsteller beantragen festzustellen, daß die Antragsgegnerin gegen Art. 56 Abs.
3 i.V.m. Abs. 4 LV verstoßen hat, indem sie die am 30. März 2005 beantragte
Gewährung von Akteneinsicht in die Trennungsgeldvorgänge betreffend Minister und
ehemalige Minister, Staatssekretäre und ehemalige Staatssekretäre, Präsidenten und
ehemalige Präsidenten von Obergerichten, den Generalstaatsanwalt, der Staatsanwälte
bei der Generalstaatsanwaltschaft sowie Abteilungsleiter der Ministerialverwaltung mit
ihrer im Schreiben vom 1. September 2006 bekanntgegebenen Entscheidung
verweigerte.
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Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hält den Antrag im Ergebnis für unbegründet. Die privaten
Geheimhaltungsinteressen stünden der Akteneinsicht entgegen. Die Antragsgegnerin
bezieht sich insoweit auf die Rechtsausführungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg in den Beschlüssen vom 20. Juni 2006 und verweist auf die durch das
Oberverwaltungsgericht allgemein vorgenommene Gewichtung von Akteneinsichtsrecht
und Geheimhaltungsinteressen. Daher sei den gerichtlichen Beschlüssen grundsätzlich
die Bewertung zu entnehmen, das Geheimhaltungsinteresse erfordere generell
zwingend die Ablehnung der beantragten Akteneinsicht.
III.
Der Präsident des Landtages hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
B.
Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
1. Der Antrag ist im Organstreitverfahren statthaft und mit Bezug auf die Verweigerung
der Akteneinsicht, soweit sie nicht diejenigen Amtsträger betrifft, die vor den
Verwaltungsgerichten erfolgreich um Rechtsschutz nachgesucht haben, auch sonst
zulässig (Art. 113 Nr. 1 LV, §§ 12 Nr. 1, 35 ff. Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg -
VerfGGBbg -). Die Antragsteller können sich insoweit auf Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV stützen
und haben sich fristgemäß an das Landesverfassungsgericht gewandt (§ 36 Abs. 3
VerfGGBbg).
Der Zulässigkeit steht im Ergebnis nicht entgegen, daß der Antragsteller zu 2. dem
Antrag auf Akteneinsicht des Antragstellers zu 1. „beigetreten“ ist. Denn nach
verständiger Würdigung stellt sich dies als inhaltliche Bezugnahme auf den Antrag des
Antragstellers zu 1. dar und enthob den Antragsteller zu 2. insoweit der Darlegung der
konkreten Anknüpfungspunkte des eigenen Antrags sowie der vollständigen
Formulierung seines konkreten Einsichtsbegehrens.
2. Im übrigen war der Antrag zu verwerfen. Dies folgt aus den unanfechtbaren
Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Juni 2006. Die
materielle Rechtskraft der auf Grundlage von § 123 VwGO ergangenen Entscheidungen
steht (derzeit) der materiellen Rechtskraft von Entscheidungen in den Hauptsachen in
der Wirkung nicht nach. Das seitens der Antragsteller begehrte Verhalten der
Antragsgegnerin zwänge sie deshalb dazu, sich zu den sie bindenden fachgerichtlichen
Entscheidungen in Widerspruch zu setzen. Ein solches Verhalten einzufordern, gibt Art.
56 Abs. 3 Satz 2 LV keine Grundlage. Insbesondere kann die - auch und gerade
gegenüber den Antragstellern als Beigeladene des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens
bestehende - Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Beschlüsse (vgl. § 121
VwGO; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2005, Rn. 4 zu § 121
m.w.N.) durch eine Entscheidung im Organstreitverfahren nicht überwunden werden.
Denn das Organstreitverfahren ist selbst dann nicht auf die Überprüfung
fachgerichtlicher Rechtsprechung und auf die Überwindung der Rechtskraft
fachgerichtlicher Entscheidungen gerichtet, wenn in dem fachgerichtlichen Verfahren
Verfassungsnormen maßgeblich waren, die auch für das Organstreitverfahren
entscheidungserheblich sind (§§ 36 Abs. 1, 35, 12 Nr. 1 VerfGGBbg).
II.
Soweit der Antrag zulässig ist, war die Verletzung der Rechte der Antragsteller aus Art.
56 Abs. 3 Satz 2 LV festzustellen.
1. a) Die Anträge vom 30. März 2005 bzw. 11. Mai 2005 sind als Anträge an die
Landesregierung zu werten (Art. 56 Abs. 3 Satz 3 LV), auch wenn sie an den Chef der
Staatskanzlei des Landes Brandenburg gerichtet sind und auf Art. 56 Abs. 3 LV nicht
ausdrücklich Bezug genommen wird. Aus dem Inhalt der Anträge wird jedoch deutlich,
daß nicht eine Handlung des Chefs der Staatskanzlei im eigenen Rechtskreis begehrt
wird, sondern dieser vielmehr für die Antragsgegnerin in Anspruch genommen wird. Auch
bestimmt Nr. 1 a) und b) der Anlage 3a (Verfahrensregelung zu Art. 56 Abs. 3 LV) zu §
49 Abs. 3 der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes
Brandenburg (GGO) die Beteiligung der Staatskanzlei (vgl. Verfassungsgericht des
Landes Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124,
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Landes Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124,
128). Schließlich ist auch die Antragsgegnerin ausweislich der Kabinettsbefassung am
29. August 2006 von einem Antrag an die Landesregierung i.S.d. Art. 56 Abs. 3 Satz 3
LV ausgegangen und hat als Verpflichtete des Akteneinsichtsbegehrens
(Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, a.a.O., S. 129) die hierauf gerichteten
Anträge zurückgewiesen.
b) Die Anträge vom 30. März 2005 bzw. vom 11. Mai 2005 genügen auch dem
Bestimmtheitserfordernis. Soweit der Antragsteller zu
1. die Akteneinsicht mit Bezug auf „herausgehobene Amtsträger des Landes“ begehrte,
wurde unmittelbar hieran anschließend klargestellt, daß insoweit Minister und ehemalige
Minister, Staatssekretäre und ehemalige Staatssekretäre, Präsidenten und ehemalige
Präsidenten von Obergerichten, der Generalstaatsanwalt und Staatsanwälte bei der
Generalstaatsanwaltschaft sowie Abteilungsleiter in der Ministerialverwaltung gemeint
waren. Entsprechendes gilt für den Antrag des Antragstellers zu 2. wegen dessen
inhaltlicher Bezugnahme auf den Antrag des Antragstellers zu 1.
2. a) Das Landesverfassungsgericht hat zu Inhalt und Reichweite von Art. 56 Abs. 3 Satz
2 LV bereits in seinem Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 - (LVerfGE 15, 124,
129 f.) ausgeführt:
„Mit Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV steht dem einzelnen Abgeordneten gegenüber der
Landesregierung eine herausgehobene Kontrollbefugnis zur Seite. Das Vorlagerecht ist -
neben dem Zugangsrecht (Art. 56 Abs. 3 Satz 1 LV) und den Minderheitenrechten (Art.
55 Abs. 2, 66 Abs. 1, 70 Abs. 2 Satz 2 und 3, 72 Abs. 1 LV) - zentrale Vorschrift der
Landesverfassung für die effiziente Kontrolle der Regierungstätigkeit und dient einer
umfassenden parlamentarischen Kontrolle (vgl. zu den Grundsätzen parlamentarischer
Kontrolltätigkeit: BVerfGE 67, 100, 130). Das durch die Landesverfassung angelegte
System der parlamentarischen Kontrolle, die nicht nur durch das Plenum, sondern
insbesondere auch durch den einzelnen Abgeordneten erfolgt (vgl. zu Art. 38 Abs. 1
Grundgesetz: BVerfGE 70, 324, 356; 80, 188, 218), erfordert, den Kontrollbefugnissen
größtmögliche Effizienz zu verleihen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg,
Beschluß vom 16. November 2000 - VfGBbg 31/00 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 183,
192; vgl. auch VerfG MV NJW 2003, 815, 818). Das Kontrollrecht des einzelnen
Abgeordneten aus Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV besteht aufgrund des
Individualrechtscharakters unabhängig von den Rechten des Plenums. Es gewährleistet -
im Textvergleich mit Art. 38 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Grundgesetz (GG) diesen erheblich
übersteigend - eine umfassende Kontrolle und schließt neben der durch den Wortlaut
verbürgten Aktenvorlage auch die Akteneinsicht ein (vgl. Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung
des Landes Brandenburg, Nr. 3 zu Art. 56). ... Das Aktenvorlage- und -einsichtsrecht aus
Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV besteht unabhängig von der Materie und unabhängig von der
betroffenen Behörde.“
b) Hieran ist festzuhalten. Für die Einsicht in die die Zahlung von Trennungsgeld an
herausgehobene Amtsträger des Landes betreffenden Vorgänge und diesbezügliche
Prüfvorgänge ergibt sich daraus folgendes:
aa) Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV umfaßt nach Lage des Falles das Recht der Antragsteller,
Einsicht in die die Zahlung von Trennungsgeld betreffenden Teile von Personalakten der
Bediensteten des Landes zu nehmen und diesbezügliche Prüfberichte einzusehen. Denn
anders als etwa in Einzelfällen, in denen zum Nachteil des Landes Gelder an
Landesbedienstete gezahlt worden sind, ist Gegenstand der „Trennungsgeld-Affäre“
eine Vielzahl von Fällen, in denen Landesbedienstete insbesondere in hohen und
höchsten Führungspositionen unter dem Verdacht standen bzw. noch stehen, Gelder in
erheblichem Umfang zu Unrecht erhalten zu haben. An der erforderlichen lückenlosen
Aufklärung besteht ein großes Interesse der Öffentlichkeit (vgl. mit Bezug auf das Recht
der Untersuchungsausschüsse: BVerfGE 77, 1, 44 f.). Dies begründet eine besondere
Verpflichtung der Antragsgegnerin. Mit dieser Verpflichtung geht die aus seiner
Kontrollfunktion entspringende Verpflichtung des Parlaments einher, die umfängliche
Aufklärung durch die Antragsgegnerin im Sinne einer politischen Kontrolle
sicherzustellen (vgl. mit Bezug auf das Recht der Untersuchungsausschüsse: BVerfGE
67, 100, 140). Umfang und Grad der - zumindest vermuteten - Verwicklung hoher
Amtsträger verbieten es, die Überprüfung der Trennungsgeldzahlungen als eine
Angelegenheit anzusehen, die ausschließlich ihrer Privatsphäre angehört. Vielmehr
besteht ein öffentliches Interesse an der Überprüfung der Zahlungen (vgl. mit Bezug auf
das Recht der Untersuchungsausschüsse, teilweise kritisch, Morlok, in: Dreier,
Grundgesetz, 2. Auflage 2006, Rn. 29 f. zu Art. 44; Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz,
Rn. 112 ff. zu Art. 44; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5.
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Rn. 112 ff. zu Art. 44; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5.
Auflage 2005, Rn. 22 ff. zu Art. 44), mithin stand auch nicht mehr eine nur
regierungsinterne, untergeordnete Verwaltungspraxis zur Überprüfung. Die mit dem
Antrag im Organstreitverfahren weiterverfolgte, auf Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV gestützte
Kontrolle stellt sich daher weder als unzulässige parlamentarische Aufklärung rein
privater Vorgänge dar (vgl. mit Bezug auf das Recht der Untersuchungsausschüsse
Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Rn. 122 zu Art. 44), noch geht es um die
Überprüfung schlichter Administrativtätigkeiten der Antragsgegnerin.
bb) Mit dem gegenüber der Landesverfassung vorrangigen Bundesrecht (Art. 31
Grundgesetz) über die Personalakten der Beamten (§§ 56 ff.
Beamtenrechtsrahmengesetz - BRRG -) setzt sich eine Auslegung des Art. 56 Abs. 3
Satz 2 LV, die das Akteneinsichtsrecht der Abgeordneten auch auf die Personalakten der
Beamten erstreckt, nicht in Widerspruch. § 56d BRRG - landesrechtlich durch § 61
Landesbeamtengesetz umgesetzt - benennt die Fälle, in denen Personalakten ohne
Zustimmung des Beamten vorgelegt werden dürfen, nicht abschließend. Danach bleibt
die Akteneinsicht aufgrund spezieller gesetzlicher Regelungen unbenommen (vgl. BT-
Drs. 12/544, S. 22, 19; Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, Beschlüssen vom
20. Juni 2006 - OVG 4 S 50.05 - und - OVG 4 S 84.05 -).
cc) Schließlich steht dem Akteneinsichtsrecht der Antragsteller nicht von vornherein das
Grundrecht auf Datenschutz (Art. 11 LV) der durch das Akteneinsichtsbegehren
Betroffenen entgegen. Denn Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV stellt eine ausreichende
verfassungsrechtliche Grundlage jedenfalls für Grundrechtseingriffe dieser Art dar
(Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 20. Juni 1996 - VfGBbg 3/96 -,
LVerfGE 4, 179, 183 f.).
3. Ob die Akteneinsicht gemäß Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LV wirksam hätte verweigert werden
können, kann dahinstehen, da der aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 1.
September 2006 ersichtliche Kabinettsbeschluß vom 29. August 2006 den
Anforderungen, die von Verfassungs wegen an eine auf Art. 56 Abs. 4 LV gestützte
Ablehnung zu stellen sind, bereits mit Blick auf das Urteil des Landesverfassungsgerichts
vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 - nicht genügt. Daher hat der Antrag im
Organstreitverfahren - soweit zulässig - bereits aus diesem Grund Erfolg.
a) Das Landesverfassungsgericht hat zu den von Verfassungs wegen bestehenden
Anforderungen an eine auf Art. 56 Abs. 4 LV gestützte Ablehnung, die ihrerseits der
uneingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (Verfassungsgericht
des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. November 2000 - VfGBbg 31/00 -, LVerfGE
Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 183, 193 m.w.N. sowie Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg
6/04 -, LVerfGE 15, 124, 134), bereits ausgeführt (Urteil vom 9. Dezember 2004 -
VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124, 135):
„Gemäß Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LV müssen die dem Akteneinsichtsverlangen
gegenüberstehenden überwiegenden öffentlichen Interessen an der Geheimhaltung die
Ablehnung der Akteneinsicht zwingend erfordern. Diese Entscheidung ist dem
Abgeordneten mitzuteilen und zu begründen (Art. 56 Abs. 4 Satz 2 LV). Dieses
Entscheidungsprogramm erfordert von der Landesregierung, daß alle
entscheidungserheblichen Gesichtspunkte, die in der Person des jeweiligen
Antragstellers liegen und für ihn in seinem Sinne günstig sind, soweit zumutbar
vollständig ermittelt, gewichtet und anschließend mit den öffentlichen Interessen
abgewogen werden. Es ist ihr hierbei grundsätzlich verwehrt, den antragenden
Abgeordneten ohne Würdigung des Einzelfalls zu bescheiden. Die Pflicht zur Ermittlung,
Gewichtung und Abwägung der Interessen geht mit der Pflicht zur Begründung der
Entscheidung einher. Erst wenn die den antragenden Abgeordneten beschwerende
Entscheidung eine Abwägung aller für den Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte
erkennen läßt, ist dem von Verfassungs wegen bestehenden Ermittlungs-, Gewichtungs-
und Begründungserfordernis des Art. 56 Abs. 4 LV genüge getan.“
b) Auch an diesen Grundsätzen ist festzuhalten. Die Versagung der Akteneinsicht durch
die Antragsgegnerin läßt die gebotene Abwägung im Einzelfall vermissen. Insoweit
genügt es auch nicht, wenn sich die Antragsgegnerin pauschal auf die Begründung der
Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Juni 2006 - OVG 4
S 50.05 - und - OVG 4 S 84.05 - beruft. Diese Begründung verstößt gegen die
Landesverfassung, da das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Art. 56 Abs. 3
Satz 2 LV im Gefüge der Landesverfassung sowie in der Rechtsprechung des
Landesverfassungsgerichts verkannt hat.
aa) Die Antragsgegnerin unterliegt mit Bezug auf die Amtsträger, die nicht bereits um
Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten nachgesucht haben, nicht der
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Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten nachgesucht haben, nicht der
Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, da diese nur für die
Beteiligten der verwaltungsgerichtlichen Streitsache gilt, soweit über den
Streitgegenstand entschieden worden ist (§ 121 VwGO).
bb) Soweit die Antragsgegnerin sich unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung
gezwungen gesehen hat, sich auch in den übrigen Fällen an den Beschlüssen des
Oberverwaltungsgerichts zu orientieren, hält die der Ablehnungsentscheidung der
Antragsgegnerin zugrunde gelegte Begründung des Oberverwaltungsgerichts, der
Datenschutz genieße gegenüber dem Akteneinsichtsrecht stets absoluten Vorrang, der
verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
Vorliegend setzt sich das Grundrecht auf Datenschutz gegenüber dem
Akteneinsichtsrecht nicht schlechthin und daher die Begründungslast der
Antragsgegnerin abschwächend (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg,
Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124, 140) durch. Denn
Trennungsgeldvorgänge und diesbezügliche Prüfvorgänge sind nicht in jedem Fall als so
„streng persönlich“ (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 20.
Juni 1996 - VfGBbg 3/96 -, LVerfGE 4, 179, 188) anzusehen, daß die auf Art. 56 Abs. 3
Satz 2 LV gestützte Kontrolle ohne weitere Abwägung stets zu unterbleiben hat. Auch
Trennungsgeldvorgänge können Daten enthalten, die nicht zwingend dem innersten
Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen sind. Die an diesen weniger sensiblen
Daten bestehenden Geheimhaltungsinteressen sind daher relativierbar und einer
Abwägung zugänglich. Art. 56 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 LV erfordert nicht nur eine
abstrakte Abwägung der einander widerstreitenden Interessen, sondern - soweit
zumutbar - die Ermittlung und Gewichtung der konkret in Rede stehenden Belange.
Daher ist es von Verfassungs wegen unzulässig, pauschal und ohne Blick darauf, ob
maßgebliche Gesichtspunkte in jedem Einzelfall vorliegen und was ggf. aus deren
Vorliegen folgt, typisierend abzuwägen. Nicht jeder Trennungsgeldvorgang enthält
zwangsläufig höchstpersönliche, absolut sensible Daten des
Trennungsgeldantragstellers oder seiner Angehörigen. Vielmehr ist es auch denkbar,
daß Entscheidungen über die Bewilligung von Trennungsgeld allein etwa aufgrund
räumlicher Gegebenheiten getroffen worden sind. So wird etwa allein die Wohnsituation
des Trennungsgeldantragstellers oder seiner Angehörigen weit weniger Schutz
beanspruchen als etwa Einzelheiten über Krankheiten. Daten, die dem innersten Bereich
der privaten Lebensführung zuzuordnen sind, können geschwärzt werden. Sollte nach
der Auswahl der von Verfassungs wegen in zulässiger Weise preiszugebenden Daten
lediglich noch ein Torso bestehen bleiben, der die parlamentarische Kontrolle nur noch
lückenhaft oder ganz unmöglich macht, so haben die Antragsteller dieses
Informationsdefizit hinzunehmen, wobei die Antragsgegnerin die dahingehende
Begründungslast trifft (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 9.
Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124, 135 und 139 f.). Es entbindet jedoch
die Antragsgegnerin nicht, in jedem Einzelfall das Vorhandensein höchstpersönlicher
Daten zu ermitteln und zu gewichten und schließlich - soweit erforderlich - deren Schutz
vor der Einsichtnahme sicherzustellen. Der etwaig hierdurch entstehende Aufwand ist
der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der parlamentarischen Kontrolle geschuldet.
cc) Schließlich ist die Gewährung der Akteneinsicht unter Gewährleistung der Belange
des Datenschutzes der Antragsgegnerin auch zumutbar. Sie ist - etwa nach Maßgabe
des Kabinettsbeschlusses vom 17. Mai 2005 sowie ggf. unter ergänzender Anwendung
der Verschlußsachenordnung des Landtages - in der Lage, das Grundrecht auf
Datenschutz mit dem Akteneinsichtsrecht in einen schonenden Ausgleich zu bringen.
Soweit Daten dem innersten Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen sind und
daher von der Einsichtnahme ausgenommen werden, entspricht dies grundsätzlich den
Vorgaben der Landesverfassung.
4. Die Verwaltungsgerichte sind sowohl für die noch anhängigen Hauptsacheverfahren
als auch für künftige Verfahren an die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts
gebunden (§ 29 Abs. 1 VerfGGBbg). Überdies wird bis zu einer Entscheidung in der
Hauptsache entsprechend § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO (vgl. Kopp/Schenke,
Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2005, Rn. 35 zu § 123 m.w.N.) bzw. auf Antrag
entsprechend § 927 Zivilprozeßordnung (vgl. Schoch, in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Rn. 174 ff. zu § 123) zu verfahren sein.
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