Urteil des VerfG Brandenburg vom 13.03.2017

VerfG Brandenburg: gefahr im verzug, verfassungsbeschwerde, rechtliches gehör, faires verfahren, verfassungsgericht, auflage, aufschub, gleichheit, zivilprozessordnung, unterlassen

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11/10, 7/10 EA
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 52 Abs 1 S 1 Verf BB, § 45
Abs 2 S 1 VerfGG BB, § 47 Abs 1
ZPO
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer wenden sich dagegen, dass das Amtsgericht Potsdam eine
Regelung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts über den Umgang des
Beschwerdeführers zu 1) mit seinem am 28.Februar 2004 geborenen Sohn, dem
Beschwerdeführer zu 2), durch einstweilige Anordnung abgeändert hat. Allein
sorgeberechtigt für den Beschwerdeführer zu 2) ist seine Mutter.
Mit Beschluss vom 04. Februar 2009, berichtigt unter dem 03. März 2009, hatte das
Brandenburgische Oberlandesgericht (Az.: 15 UF 93/07; AG Potsdam 43 F 79/07) unter
anderem bestimmt, dass der Umgang des Beschwerdeführers zu 1) mit dem
Beschwerdeführer zu 2) an jedem zweiten Wochenende von Freitag bis Montag sowie
wöchentlich am Mittwoch Nachmittag stattfinden solle. Diese Regelung war Gegenstand
mehrerer gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Kindeseltern, in deren
Verlauf der Beschwerdeführer zu 1) den zuständigen Amtsrichter zweimal erfolglos als
befangen abgelehnt hat.
Als es im Februar 2010 zu Unregelmäßigkeiten im Umgang des Beschwerdeführers zu 1)
mit seinem Sohn kam, beantragte die Kindesmutter am 12. Februar 2010 im Namen
des Beschwerdeführers zu 2), im Wege der einstweiligen Anordnung seinen Umgang mit
dem Beschwerdeführer zu 1) mittwochs auszusetzen. Nach Erhalt der Antragsschrift
lehnte der Beschwerdeführer zu 1) mit Posteingang am 24. Februar 2010 den
zuständigen Amtsrichter erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Trotzdem erließ
dieser am 26. Februar 2010 unter Hinweis auf die Unaufschiebbarkeit der Angelegenheit
(§ 47 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]) die beantragte einstweilige Anordnung,
bestellte eine Verfahrenspflegerin für den Beschwerdeführer zu 2) und bestimmte auf
den Abänderungsantrag des Beschwerdeführers zu 1) Termin zur mündlichen
Verhandlung auf den 01. April 2010.
Mit ihrer am 05.03.2010 erhobenen Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf
einstweilige Anordnung wenden sich die Beschwerdeführer gegen den Beschluss des
Amtsgerichts vom 26. Februar 2010 und das Unterlassen einer sofortigen Entscheidung
über den Abänderungsantrag. Sie rügen eine Verletzung des Anspruches auf den
gesetzlichen Richter sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Sie machen eine
Verletzung der Art. 10 (freie Entfaltung der Persönlichkeit), 12 Absatz 1 (Gleichheit), 27
Absätze 1 bis 5 (Eltern- und Kindrechte), sowie 52 Absatz 1 Satz 2 (Recht auf den
gesetzlichen Richter), Absatz 3 (Gleichheit vor dem Gesetz; Recht auf rechtliches Gehör)
und Absatz 4 (Recht auf ein faires Verfahren) der Verfassung des Landes Brandenburg
(LV) geltend.
II.
Die Anträge der Beschwerdeführer haben keinen Erfolg.
1.Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, im übrigen unbegründet.
a) Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit eine Verletzung der Art. 10, 12 Abs.
1, 27 Abs. 1 bis 5 sowie 52 Abs. 3 LV gerügt wird. Insoweit fehlt es an der in § 45 Abs. 2
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1, 27 Abs. 1 bis 5 sowie 52 Abs. 3 LV gerügt wird. Insoweit fehlt es an der in § 45 Abs. 2
Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) geforderten Erschöpfung
des Rechtsweges. Grundsätzlich obliegt es einem Beschwerdeführer, alle zielführenden
prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um bereits im fachgerichtlichen Verfahren
auf eine Beseitigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung hinzuwirken
(Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 17. Dezember 1998 –
VfGBbg 40/98, LVerfGE 9, 145, 147). Vorliegend bestehen noch
Rechtschutzmöglichkeiten auf fachgerichtlicher Ebene. Gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Potsdam vom 26. Februar 2010 ist nach § 620 b Abs. 2 ZPO alter Fassung
(a.F.) ein Antrag auf Abänderung zulässig. Diese Fassung ist gemäß Artikel 111 Absatz 1
des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-ReformG) auf das vor dem 01. September 2009
eingeleitete Verfahren anwendbar. Den Abänderungsantrag hat der Beschwerdeführer
zu 1) unter dem 03. März 2010 auch gestellt. Termin zur mündlichen Verhandlung ist
durch das Amtsgericht auf den 01. April 2010 anberaumt worden. Damit ist der
Rechtsweg vor den Fachgerichten noch nicht erschöpft.
Das Gebot der vorherigen Erschöpfung des Rechtswegs kann zwar unter dem
Gesichtpunkt der Zumutbarkeit Einschränkungen erfahren, etwa dann, wenn der
Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist (Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg, Beschluss vom 20. Februar 1997 – VfGBbg 30/96 – LVerfGE 6, 91, 93).
Dafür bestehen hier jedoch keine Anhaltspunkte, zumal das Amtsgericht der
Kindesmutter aufgegeben hat, den Beschwerdeführer zu 2) zu dem Termin am 01. April
2010 mitzubringen, was darauf schließen lässt, dass eine Anhörung vorgesehen ist.
Dass eine Abänderung der Entscheidung vom 26. Februar 2010 aufgrund der
mündlichen Verhandlung nicht zu erwarten steht, trägt auch der Beschwerdeführer zu 1)
nicht vor. Wenn aber ein Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhebt, bevor über
die ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Rechtsbehelfe entschieden worden ist,
ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, sich gleichsam an die Stelle des
angerufenen Fachgerichts zu setzen und zu prüfen, ob der Rechtsbehelf erfolgreich sein
werde.
Auch eine Sofortentscheidung des Verfassungsgerichts ohne vorherige Erschöpfung des
Rechtsweges unter Hintansetzung des Grundsatzes der Subsidiarität kommt, jedenfalls
soweit es um die Rüge der Verletzung der oben genannten Grundrechte geht, nicht in
Betracht. Die eine Sofortentscheidung eröffnenden Voraussetzungen des § 45 Abs. 2
Satz 2 VerfGGBbg, nämlich eine allgemeine Bedeutung der Beschwerde oder ein dem
Beschwerdeführer drohender schwerer und unabwendbarer Nachteil, sind nicht gegeben.
Bei der vom Amtsgericht zu beurteilenden Umgangsregelung handelt es sich um eine
Einzelfallentscheidung ohne über den konkreten Fall hinausgehende, allgemeine
Bedeutung, durch die dem Beschwerdeführer kein schwerer und unabwendbarer Nachteil
droht. Ein solcher wäre dann anzunehmen, wenn in seinem Fall der mit der Erschöpfung
des Rechtswegs verbundene Zeitaufwand über den allgemeinen Nachteil hinaus mit
besonders schweren Folgewirkungen verbunden wäre. Solche sind, insbesondere vor
dem Hintergrund, dass der vierzehntägige Wochenendumgang von der
amtsgerichtlichen Abänderung nicht betroffen ist, nicht erkennbar. Dass der Kontakt
zwischen den Beschwerdeführern durch eine Aussetzung des Umgangs mittwochs für
vier Wochen irreparablen Schaden nehmen könnte, liegt nicht nahe, entspricht dies doch
der Zeitspanne, die urlaubsbedingt den normalen Umgang unterbrechen kann.
b) Die Verfassungsbeschwerde ist hingegen zulässig, soweit der Beschwerdeführer zu 1)
eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV,
geltend macht. Insoweit steht insbesondere die mangelnde Erschöpfung des
Rechtsweges der Zulässigkeit nicht entgegen. Der Beschwerdeführer wendet sich
dagegen, dass der entscheidende Richter am Amtsgericht in Kenntnis des
Ablehnungsgesuches vom 24. Februar 2010 am 26. Februar 2010 in der Annahme tätig
wurde, es handele sich um eine unaufschiebbare Handlung im Sinne des § 47 ZPO. Die
Entscheidung des Richters, trotz eines Befangenheitsgesuches eine Handlung als
unaufschiebbar vorzunehmen, ist mit zivilprozessualen Rechtsbehelfen nicht anfechtbar
(Stein-Jonas-Bork, ZPO, Bd 2, 22. Aufl. 2004, § 47 Rz 2).
Etwaige Bedenken gegen die Zulässigkeit der vom Beschwerdeführer zu 2) erhobenen
Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt mangelnder Prozessfähigkeit des
minderjährigen Kindes können, da die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet
ist, dahinstehen (vergl. BVerfGE 72, 122, 132). Aus den gleichen Gründen war auf die
Bestellung eines Ergänzungspflegers zu verzichten, weil ein Interessenkonflikt zwischen
der sorgeberechtigten Mutter, der grundsätzlich die Vertretung des Beschwerdeführers
zu 2) und damit die Befugnis zukommt, für ihn Verfassungsbeschwerde einzulegen und
ihn im verfassungsgerichtlichen Verfahren zu vertreten, und dem Beschwerdeführer zu
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ihn im verfassungsgerichtlichen Verfahren zu vertreten, und dem Beschwerdeführer zu
2) bereits im Hinblick auf die Erfolglosigkeit der eingelegten Beschwerde nicht zu
erwarten ist.
c) Die Verfassungsbeschwerde ist aber, soweit sie zulässig ist, unbegründet. Ein Verstoß
gegen Art. 52 Abs. 1 S. 2 LV liegt nicht vor. Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter
garantiert neben einer abstrakt–generellen Zuständigkeitsordnung, die für jeden
denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung
zuständig ist, dass der Rechtssuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der
unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz
gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (Bundesverfassungsgericht [BVerfG],
Beschluss vom 26. Juni 2008 – 2 BvR 2067/07 – NJW 2008, 3346, 3348, für den
wortgleichen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Allerdings kann eine Entziehung des
gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV durch die Rechtsprechung,
der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des
Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, nicht in jeder fehlerhaften Anwendung von
zuständigkeitsregelnden Verfahrensvorschriften liegen, sonst müsste jede fehlerhafte
Handhabung derartiger Normen des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß
gelten (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2009 – 1 BvR 165/09-, NVwZ 2009, 581,
582). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind erst dann überschritten, wenn die
Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder
offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und
Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV grundlegend verkennt
(Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. August 1995 –
VfGBbg 8/95- LVerfGE 3, 171, 174). Dies kann nur aufgrund der jeweiligen Umstände des
Einzelfalles beurteilt werden (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2006 – 2 BvR 836/04-,
NJW 2006, 3129, 3131).
Das Amtsgericht hat bei seiner Entscheidung die Bedeutung und Tragweite des Art. 52
Abs. 1 Satz 2 LV weder verkannt noch hat es § 47 Abs. 1 ZPO willkürlich interpretiert.
Nach dieser Vorschrift hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des
Ablehnungsgesuches nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub
gestatten. Dies sind solche, bei deren Unterlassen insofern Gefahr im Verzug besteht,
als dem Antragsgegner als Folge eines Ablehnungsgesuchs dadurch wesentliche
Nachteil drohen, dass die rechtliche Handlung vorerst unterbleibt (Musielak-Heinrich,
ZPO, 5. Auflage 2007, § 47 Rz 4). Insoweit kommt es auf die Eilbedürftigkeit der
Maßnahme und nicht auf die Erfolgsaussichten des Ablehnungsgesuchs an. Das
Amtsgericht hat, wie in dem Beschluss vom 26. Februar 2010 ausgeführt, eine
unaufschiebbare Handlung angenommen, weil im Interesse des Kindeswohls eine
weitere Eskalation des Elternkonflikts verhindert werden müsse, die dadurch geschürt
werde, dass der Beschwerdeführer zu 1) die vom Brandenburgischen Oberlandesgericht
festgelegte Umgangsregelung nicht einhalte. Ob diese Rechtsansicht zutrifft, kann
dahinstehen. Denn jedenfalls ist nicht erkennbar, dass sich das Amtgericht bei seiner
Beurteilung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, die offensichtlich unhaltbar
wären. Vielmehr ist bei einer Eilentscheidung, wie sie die Kindesmutter im Namen des
Beschwerdeführers zu 2) beantragt hat, eine Unaufschiebbarkeit typischerweise
anzunehmen (vgl. Stein-Jonas-Bork, Zivilprozessordnung, Band 2, 22. Auflage 2004, § 47
Rz 2). Außerdem hat das Amtsgericht seiner Entscheidung, wie in § 1684 Abs. 3 und 4
Bürgerliches Gesetzbuch gefordert, das Kindeswohl zugrundegelegt. Eine Verletzung des
aus der Verfassung fließenden Rechts auf den gesetzlichen Richter liegt damit nicht vor.
Ob allerdings die anberaumte mündliche Verhandlung am 1. April 2010 auch keinen
Aufschub gestattet, ist nicht Gegenstand dieses Verfassungsbeschwerdeverfahrens.
d) Dass das Amtsgericht über den Antrag zu 1) vom 03. März 2010 (Antrag auf
Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts Potsdam vom 26. Februar 2010 gem. §
620 b Abs. 1 ZPO a.F.) bisher nicht ausdrücklich entschieden hat, stellt keinen Verstoß
gegen Art. 52 Absatz 4 Satz 1 LV (Recht auf in zügiges Verfahren) dar. Die Entscheidung
wird wegen desselben Streitgegenstandes auch aufgrund der mündlichen Verhandlung
am 01. April 2010 ergehen.
III.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts kommt eine einstweilige Anordnung
dann nicht in Betracht, wenn sich, wie hier, das Begehren in der Hauptsache als erfolglos
erweist (vergl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 17.
Dezember 2009 – VfGBbg 11/09 EA / VfGBbg 51/09 –
www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
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IV.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
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