Urteil des StGH Hessen vom 30.10.1980

StGH Hessen: verteilung der sitze, passives wahlrecht, kandidatur, freiheit der person, wählbarkeit, hessen, rechtsstaatsprinzip, grundrecht, öffentliche gewalt, wiederholung

1
Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 908
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 1 Verf HE, Art 2 Abs 1 Verf
HE, Art 26 Verf HE, Art 70 Verf
HE, Art 73 Abs 2 Verf HE
(Grundrechtsklage zum Staatsgerichtshof, Wählbarkeit
eines Stadtverordneten, Substantiierung der
Grundrechtsverletzung)
Leitsatz
1. Zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß StGHG HE § 49 Abs 3 bedarf es der
Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (VwGO § 132 Abs 3) nur dann nicht, wenn
die Unzulässigkeit des Rechtsmittels offensichtlich oder dem Antragsteller die Einlegung
der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zumutbar ist (ständige Rechtsprechung).
2. Die bloße verbale Nennung angeblich verletzter Grundrechte genügt nicht den an die
notwendige Substantiierung der Grundrechtsverletzung im Sinne von StGHG HE § 46
Abs 1 zu stellenden Anforderungen.
3. Verf HE Art 26 und Verf HE Art 70 gewähren keine Grundrechte (ständige
Rechtsprechung).
4. Die Auslegung des KWG HE § 26 dahin, daß ein "Bewerbermangel" gemäß KWG HE §
26 Abs 1 Nr 1 lediglich das Ausscheiden des betreffenden Bewerbers, nicht aber gemäß
KWG HE § 26 Abs 1 Nr 2 die Wiederholung der Wahl zur Folge habe, weil KWG HE § 26
ABs 1 Nr 1 "lex specialis" gegenüber KWG HE § 26 Abs 1 Nr 2 sei, verstößt weder gegen
Verf HE Art 2 Abs 1 in Verbindung mit dem - auch der Gesamtkonzeption der
Hessischen Verfassung als ungeschriebener Verfassungsgrundsatz zugrunde liegenden
- Rechtsstaatsprinzip, noch verletzt sie das Grundrecht auf Gleichheit der Wahl (Verf HE
Art 1 in Verbindung mit Verf HE Art 73 Abs 2).
5. Der Kandidatur eines hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamten bei der Wahl zur
Stadtverordnetenversammlung stehen verfassungsrechtliche Hindernisse nicht
entgegen.
6. Das Kommunalwahlrecht genießt in Hessen keine ausdrückliche
landesverfassungsrechtliche Garantie mehr. Gleichwohl sind Normen des
Kommunalwahlrechts an den Wahlgrundsätzen der allgemeinen und gleichen Wahl als
Unterfälle des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Verf HE Art 1
verfassungsrechtlich zu messen (ständige Rechtsprechung).
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Antragsteller zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf 300,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind wahlberechtigte Bürger der Stadt... und Mitglieder der
dortigen Stadtverordnetenversammlung. Sie wenden sich gegen die Gültigkeit der
Kommunalwahl vom 20. März 1977 in ... und möchten deren
Ungültigkeitserklärung und die Wiederholung der Wahl erreichen, weil der
2
3
4
5
Ungültigkeitserklärung und die Wiederholung der Wahl erreichen, weil der
Bürgermeister der Stadt als Spitzenkandidat seiner Partei für die
Stadtverordnetenversammlung kandidierte, obwohl er nach Auffassung der
Antragsteller mangels Wohnsitzes in ... nicht wählbar und als Bürgermeister daran
gehindert war, ein Mandat in der Stadtverordnetenversammlung auszuüben.
Der Bürgermeister der ... war bis zum 1. Januar 1967 mit Hauptwohnung in ...
gemeldet, wo heute noch seine Familie wohnt. Mit Wirkung vom 2. Januar 1967
meldete er sich mit Hauptwohnung in ... an. Dort bewohnte er ein möbliertes
Zimmer bis Ende 1973. Seit dem 1. Januar 1974 ist Bürgermeister... mit
Hauptwohnung in ... ..., polizeilich gemeldet. Das ist die Anschrift des Rathauses.
Bei der Kommunalwahl am 20. März 1977 in ... entfielen auf die CDU 3.641
Stimmen und 16 Sitze, auf die SPD 4.408 Stimmen und 19 Sitze und auf die
Unabhängige Wählergemeinschaft 476 Stimmen und 2 Sitze. Bürgermeister..., der
die Liste 2 (SPD) angeführt hatte, kam bei der Sitzzuteilung auf den 1. Platz; er
teilte jedoch dem Gemeindewahlleiter mit Schreiben vom 25. März 1977 mit, daß
er das Mandat als Stadtverordneter nicht annehme.
Die Antragsteller haben am 28. März 1977 bzw. 4. April 1977 Einspruch gegen die
Gültigkeit der Kommunalwahl vom 20. März 1977 eingelegt mit der Begründung,
daß Bürgermeister... die Liste der SPD angeführt habe, obwohl er wegen Fehlens
eines Wohnsitzes in ... nicht wählbar gewesen sei. Der Einspruch wurde als
unbegründet zurückgewiesen. Daraufhin haben die Antragsteller Klage vor dem
Verwaltungsgericht Kassel erhoben mit dem Antrag, die Kommunalwahl in der
Stadt... vom 20. März 1977 für ungültig zu erklären und die Wiederholung der Wahl
anzuordnen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 19. Mai 1978
(II E 209/77 auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen
wird, als unbegründet ab. Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragsteller
wurde durch Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März 1979 (II
OE 110/78) als unbegründet zurückgewiesen. Die Revision gegen das Urteil wurde
nicht zugelassen.
Ohne die Frage zu entscheiden, ob Bürgermeister... zur Zeit der Kommunalwahl
aktiv und passiv wahlberechtigt war, führte das Berufungsgericht aus, die vom
Verwaltungsgericht angenommenen Verstöße gegen §§ 8 Abs. 1, 13 Abs. 2 Ziffer
2, 15 Abs. 2 Satz 2 des Hessischen Kommunalwahlgesetzes - KWG - vom 6. Juni
1972 (GVBl. I S. 141) und gegen §§ 11 Abs. 1 und 3, 25 Abs. 1 der
Kommunalwahlordnung - KWO - vom 30. Juni 1972 (GVBl. I S. 191), die sich aus
dem nach Auffassung des Verwaltungsgerichts fehlenden aktiven und passiven
Wahlrecht des Bürgermeisters ergäben, erfüllten den Tatbestand des § 26 Abs. 1
Ziffer 2 KWG nicht und könnten deshalb nicht zu der dort vorgesehenen
Rechtsfolge der Wiederholung der Wahl führen. Mangelnde Wählbarkeit eines
Bewerbers führe allein zum Mandatsverlust, nicht auch darüber hinaus zur
Wiederholung der Wahl. Die Tatbestände und damit die Rechtsfolgen, die § 26 KWG
in Ziffer 1 bei "Bewerbermängeln" und in Ziffer 2 für Unregelmäßigkeiten bei der
Vorbereitung der Wahl oder bei der Wahlhandlung vorsehe, stünden im Verhältnis
der Spezialität. Stelle sich ein Bewerber zur Wahl, der nicht wählbar sei oder der
aus anderen Gründen gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 KWG aus dem Wahlvorschlag
hätte gestrichen werden müssen, sei das in aller Regel auch eine
Unregelmäßigkeit, die auf die Verteilung der Sitze von Einfluß sein könnte. Die
Wahrscheinlichkeit eines solchen Einflusses möge zwar bei Spitzenkandidaten
größer sein als bei Bewerbern auf den folgenden Plätzen. Hieraus ergebe sich aber
weder eine aus der Natur der Sache folgende klare Grenzlinie, noch lasse sich aus
den Vorschriften des Hessischen Kommunalwahlgesetzes eine entsprechende
Differenzierung entnehmen. Das Gesetz habe vielmehr für den Fall der
Unregelmäßigkeit infolge der Teilnahme eines nicht wahlberechtigten Bewerbers
als Rechtsfolge nur den Mandatsverlust angeordnet. Dies gelte uneingeschränkt -
also auch bei einem "Spitzenkandidaten" - und entspreche dem allgemeinen
Wahlprüfungsgrundsatz, daß eine Wahl dann richt zu wiederholen sei, wenn die
Berichtigung eines Wahlfehlers durch ein milderes Mittel möglich sei. Der
demgegenüber von den Klägern vertretenen Auffassung, daß die Ziffer 2 des § 26
Abs. 1 KWG immer auch dann gelte, wenn die Teilnahme eines nicht
wahlberechtigten Bewerbers zugleich auch eine Unregelmäßigkeit bei der
Wahlvorbereitung darstelle, könne der Senat nicht folgen. Sie widerspreche nicht
nur dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, sondern lasse sich auch mit
dem Wortlaut des § 26 Abs. 1 Nr. 1 KWG nicht in Obereinstimmung bringen. Die
Anordnung des Mandatsverlustes in dieser Vorschrift wäre dann sinnwidrig, wenn
die "Unregelmäßigkeit", die nach Ansicht der Kläger und des Verwaltungsgerichts
6
7
8
9
10
die "Unregelmäßigkeit", die nach Ansicht der Kläger und des Verwaltungsgerichts
zur Streichung des Bürgermeisters aus dem Wahlvorschlag hätte führen müssen,
gleichzeitig zur Folge hätte, daß gemäß Ziffer 2 die Wiederholung der Wahl
anzuordnen wäre. Das Vorbringen, Bürgermeister... habe unter Hinweis auf seine
Stellung als Bürgermeister im Wahlkampf für die Liste seiner Partei geworben,
worin eine rechtswidrige Wahlbeeinflussung liege, führe zu keinem anderen
Ergebnis. Nach der Rechtsprechung des Senats könnten auf die Klage von
Wahlberechtigten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur solche
Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung der Wahl und der Wahlhandlung
überprüft werden, die Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen seien.
Daran fehle es hier, da die Rüge, der Bürgermeister habe Wahlwerbung durch
Wahlbriefe betrieben, erst im gerichtlichen Verfahren erhoben worden sei. Der
Gesichtspunkt der "Scheinkandidatur" sei demgegenüber zwar in dem Einspruch
des Klägers... jedenfalls mittelbar angesprochen worden, greife aber in der Sache
nicht durch. Weder die Inkompatibilitätsvorschriften der §§ 37, 65 Abs. 2 HGO noch
eine Vorschrift des Wahlrechts schlössen den Bürgermeister von der Bewerbung
um ein Mandat aus. Eine sogenannte Scheinkandidatur stelle nach der
Rechtsprechung des Senats selbst dann keine unzulässige Wahlbeeinflussung dar,
wenn der Spitzenbewerber bereits im Wahlkampf seine Absicht bekunde, das
Mandat nicht anzunehmen. Komme zur Scheinkandidatur ein Wählbarkeitsmangel
hinzu, könne dies auf das bereits oben festgestellte Verhältnis der durch § 26 KWG
geregelten Fälle der Wahlmängel keinen Einfluß haben. Daß der Mandatsverlust bei
einer Scheinkandidatur ins Leere gehe, sei unerheblich. Das
Wahlprüfungsverfahren diene allein dem Schutz des objektiven Wahlrechts; es
habe keine darüber hinausgehende Sanktionsfunktion.
II.
Gegen die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März
1979, die ihren Verfahrensbevollmächtigten am 30. Mai 1979 zugestellt worden ist,
haben die Antragsteller am 2. Juli 1979 Grundrechtsklage beim Staatsgerichtshof
erhoben. Sie beantragen:
das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März 1979
aufzuheben und die Kommunalwahl in der Stadt... vom 20. März 1977 für ungültig
zu erklären und die Wiederholung der Wahl anzuordnen
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten
Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
Die Antragsteller sind der Auffassung, das angegriffene Urteil verletze ihre
Grundrechte nach Art. 2 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit Art. 71, Art. 5, Art. 26 und
Art. 70 der Hessischen Verfassung (HV) zumindest in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 des Grundgesetzes (GG). Unter Berufung auf den
Inhalt der von ihnen gleichzeitig zum Bundesverfassungsgericht erhobenen
Verfassungsbeschwerde tragen die Antragsteller weiter vor, die angefochtene
Entscheidung beruhe auf einer nicht verfassungskonformen Auslegung des § 26
Abs. 1 Ziffer 1 und Ziffer 2 KWG. Darüber hinaus sei eine Scheinkandidatur
-
der Bewerber weder das aktive noch das passive Wahlrecht habe. Die Reinheit und
Lauterkeit der Wahl sei erste Voraussetzung für das Funktionieren des
Staatswesens und zur Festigung des demokratischen Gedankens. Die
Rechtsordnung habe institutionelle, personelle und verfahrensmäßige
Vorkehrungen zum Schutze der Integrität des Zustandekommens und der Willens-
und Entscheidungsbildung der staatlichen Organe getroffen. Hierher gehörten das
freie Mandat der Abgeordneten, die zum Schutz der Lauterkeit des Wahl
Verfahrens und der Amtsführung erlassenen Strafvorschriften und vieles andere.
Im vorliegenden Falle lägen gravierende Verstöße gegen die ausdrückliche
Ordnung der Wahlvorbereitung gemäß §§ 7 ff. KWG und §§ 11 ff. KWO vor, indem
Bürgermeister... in das Wählerverzeichnis der Stadt... eingetragen worden und ihm
die Wählbarkeit bescheinigt worden sei, obwohl er in ... nur ein Dienstzimmer, aber
keine Wohnung gehabt habe. Das sei dem Spitzenkandidaten der Liste 2 (SPD) als
Bürgermeister und oberstem Beamten der Stadt bestens bekannt, ebenso dem
Gemeindevorstand, der die Bescheinigung nach § 13 Abs. 2 Ziffer 2 KWG über die
Wählbarkeit des Kandidaten ausgestellt habe. Hierbei sei zu beachten, daß in der
Bescheinigung angegeben werden müsse, daß geprüft worden sei, ob der
Bewerber wahlberechtigt sei und am Wahltag seit mindestens 6 Monaten im
11
12
13
Bewerber wahlberechtigt sei und am Wahltag seit mindestens 6 Monaten im
Wahlkreis wohne. Hier komme sogar hinzu, daß noch rechtzeitig vor der
Kommunalwahl, nämlich in der Stadtverordnetenversammlung vom 4. März 1977
der Bürgermeister persönlich auf seine fehlende Wählbarkeit ausdrücklich
hingewiesen worden sei, er gleichwohl seine Bewerbung nicht zurückgezogen und
somit bewußt in Kauf genommen habe, daß das Wahlergebnis verfälscht worden
sei, nur weil man sich die Stimmen nicht habe entgehen lassen wollen, die ein
Bürgermeister schon im Hinblick auf seinen Amtsbonus auf sich ziehe. Es sei als
massiv in unlauterer Weise auf den Wählerwillen eingewirkt und strafrechtlich
gegen § 107 b StGB verstoßen worden. Die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1
Ziffer 1 KWG lägen vor. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs führe eine verfassungskonforme Auslegung
des § 26 Abs. 1 Ziffer 2 KWG dazu, daß dann die Wahl zu wiederholen sei. § 26 Abs.
1 Ziffer 1 KWG stehe dem nicht entgegen; er gelte nur für die Fälle, in denen keine
Unregelmäßigkeiten bei der Wahl vorgekommen seien. Nur dann genüge es nach
dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, lediglich den Mandatsverlust
anzuordnen. Im vorliegenden Falle komme als weitere Unregelmäßigkeit die
sogenannte Scheinkandidatur des Bürgermeisters... hinzu, die nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig sei. Im
Zusammenhang mit der eingewendeten Scheinkandidatur hätten sie, die
Antragsteller, während des Verwaltungsstreitverfahrens ein Flugblatt eingereicht,
in dem der Bürgermeister... im Wahlkampf unter Hinweis auf seine Stellung als
Bürgermeister für die Liste seiner Partei geworben habe. Dieser Umstand sei nicht
als selbständiger Wahlanfechtungsgrund geltend gemacht worden, so daß dieser
Vortrag entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs nicht als verspätet
habe ausgeschlossen werden dürfen, sondern vom Verwaltungsgerichtshof hätte
berücksichtigt werden müssen.
III.
Der Hessische Ministerpräsident hält den Antrag im Ergebnis im wesentlichen für
zulässig. Unzulässig sei der Antrag allerdings mangels Erschöpfung des
Rechtswegs, soweit die Antragsteller geltend machten, Bürgermeister... habe
unter Hinweis auf seine Stellung als Bürgermeister für die Liste seiner Partei
geworben. Dieser behauptete mögliche Mißbrauch einer Amtsstellung im
Wahlkampf bilde im Verhältnis zur Frage des Fehlens der Wahlberechtigung und
des Vorliegens der Scheinkandidatur einen selbständigen Lebenssachverhalt und
damit einen selbständigen Anfechtungsgrund, den die Antragsteller bereits im
Wahlprüfungsverfahren nach § 25 Abs. 1 KWG hätten geltend machen müssen. Da
dies nicht geschehen sei, könne er im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht
berücksichtigt werden.
Der Antrag sei jedoch nicht begründet.
Die Auslegung von § 26 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KWG durch den Hessischen
Verwaltungsgerichtshof verstoße nicht gegen Art. 2 Abs. 1 HV in Verbindung mit
dem Rechtsstaatsprinzip. Tragender Grund der angefochtenen Entscheidung sei
die Annahme eines Spezialitätsverhältnisses von § 26 Abs. 1 Nr. 1 KWG gegenüber
§ 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG. Gegen diese Auslegung bestünden aus
verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken. Der Wortlaut beider Vorschriften
stehe der Annahme eines Spezialitätsverhältnisses nicht entgegen. Insbesondere
aus § 26 Abs. 1 Nr. 1 KWG sei keine Einschränkung dahin zu entnehmen, daß er
nur gelten solle, wenn die unzulässige Kandidatur nicht auf die Verteilung der Sitze
von Einfluß gewesen sei. Rechtsstaatlich unbedenklich sei auch, daß die durch die
angefochtene Entscheidung vorgenommene Auslegung zu der weniger
schwerwiegenden Sanktion für die unterstellte Unregelmäßigkeit bei der
Wahlvorbereitung führe. Das gesamte staatliche Handeln werde von den
Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes als
übergreifenden Leitregeln allen staatlichen Handelns beherrscht, die sich zwingend
aus dem Rechtsstaatsprinzip ergäben und deshalb Verfassungsrang besäßen.
Diesem Grundsatz entspreche es, wenn ein Wahlfehler, der in der Nichtwählbarkeit
eines Bewerbers liege, nur zum Verlust des erworbenen Mandats und nicht zu
Neuwahlen führe. Zwar könne die Anwendung dieser Grundsätze dazu führen, daß
unter Umständen die Beeinflussung der Sitzverteilung durch eine unzulässige
Kandidatur ohne Folgen bleibe und die gewählte Vertretungskörperschaft anders
zusammengesetzt sei, als sie es bei korrekter Handhabung gewesen wäre. Auch
sei bei einer Listenwahl nicht ausgeschlossen, daß insbesondere die Person eines
Spitzenkandidaten sich auf das Wahlergebnis seiner Gruppierung positiv auswirken
könne. Der Normalfall sei dies jedoch nicht. Auf Grund der Listenwahl, der heutigen
14
15
16
könne. Der Normalfall sei dies jedoch nicht. Auf Grund der Listenwahl, der heutigen
Größe der Gemeinden und des Umstandes, daß sich auch in den Kommunen fast
durchweg nur noch die überregionalen, landes- und bundesweit organisierten
Parteien gegenüber stünden, sei die Person des einzelnen Bewerbers in den
Hintergrund getreten. Auch bei Kommunalwahlen werde die Wahlentscheidung
überwiegend für oder gegen eine bestimmte politische Richtung getroffen. Es
komme hinzu, daß je nach Größe der in Hessen bestehenden Gemeinden
zwischen 1,07 und 6,7 % der jeweils für die Sitzverteilung maßgeblichen Stimmen
zum Erwerb eines Mandats erforderlich seien. Eine Beeinflussung der
Sitzverteilung durch die Kandidatur einer bestimmten Person, auch wenn es sich
um einen Spitzenkandidaten handele, sei deshalb unwahrscheinlich, zumindest
aber nur schwer feststellbar. Bei dieser Sachlage gebiete es das
Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung des Obermaßverbotes geradezu, den
Bestand der Wahl trotz der Kandidatur eines Nichtberechtigten unangetastet zu
lassen. Die Ausprägung des Grundsatzes der Volkssouveränität in Art. 71 HV
werde durch die Kandidatur vom Bürgermeister... nicht verletzt, da die Befugnisse
des Staatsvolkes und seiner verfassungsmäßigen Organe durch die Teilnahme
eines Nichtberechtigten an einer Kommunalwahl nicht berührt würden. Die Frage
der analogen Anwendung von Art. 71 HV auf den kommunalen Bereich könne
deshalb dahinstehen. Auch die angebliche Scheinkandidatur des Bürgermeisters
verstoße nicht gegen Art. 2 Abs. 1 HV in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
Die Kandidatur eines hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamten sei
verfassungsrechtlich nicht unzulässig. Es müßten deshalb besondere Umstände
hinzukommen, um seine Kandidatur rechtswidrig zu machen. Daran fehle es hier.
Für die Täuschung des Wählers seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, da der
Sachverhalt bekannt und nach dem eigenen Vorbringen der Antragsteller in einer
Öffentlichen Stadtverordnetensitzung. am 4. März 1977 erörtert worden sei. Die
Annahme in dem angefochtenen Urteil, daß das Zusammentreffen von fehlender
Wahlberechtigung und sogenannter Scheinkandidatur nicht zu einer
Unregelmäßigkeit bei der Wahlvorbereitung im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG
geführt habe, sei ebenfalls rechtsstaatlich unbedenklich. Die Kandidatur von
Bürgermeister... habe auch nicht das Grundrecht der Antragsteller auf Gleichheit
der Wahl (Art. 73 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 HV) verletzt. Die Antragsteller
hätten ihr aktives und passives Wahlrecht uneingeschränkt ausüben können; das
Gebot der Chancengleichheit bei der Wahl sei hier ebenfalls nicht verletzt. Zwar
könne eine wahlrechtlich unzulässige Kandidatur auf einer Liste die gleichen
Wettbewerbschancen anderer Gruppierungen und damit der einzelnen
Listenbewerber beeinträchtigen, wenn etwa durch eine solche Kandidatur die
Attraktivität der Liste erhöht werde. Jedoch sei der Einfluß des einzelnen
Listenbewerbers auf das Wahlergebnis, wenn nicht besondere Umstände vorlägen,
nur gering. Überdies seien hier keine Anhaltspunkte vorhanden, daß der Wähler
über den wahren Sachverhalt hinsichtlich des Wohnsitzes des Bürgermeisters und
der Unvereinbarkeit von Stadtverordnetenmandat und Bürgermeisteramt hätte
getäuscht werden sollen. Das Urteil habe auch die Auslegungsgrundsätze zum
allgemeinen Gleichheitssatz beachtet und beruhe insbesondere nicht auf
offensichtlich sachfremden bzw. willkürlichen Oberlegungen. Die Auslegung des §
26 KWG entspreche vielmehr juristischen Interpretationsregeln unter Beachtung
rechtsstaatlicher und wahlrechtlicher Grundsätze.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Hessischen
Ministerpräsidenten wird auf den Inhalt seines Schriftsatzes vom 28. April 1980
Bezug genommen.
IV.
Der Landesanwalt hält die Grundrechtsklage aus den vom Hessischen
Ministerpräsident vorgetragenen Erwägungen für unbegründet.
Allerdings erscheine die Auslegung von § 26 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 KWG in dem
angefochtenen Urteil, nicht in allen denkbaren Fallgestaltungen mit Art. 2 Abs. 1
HV in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Die Annahme eines
Spezialitätsverhältnisses zwischen beiden Vorschriften könne nur dann gelten,
wenn die Unregelmäßigkeit bei der Vorbereitung einer Wahl sich auf die
unzutreffende Auslegung der Bestimmungen über die Wählbarkeit beschränkt
habe. Dann entspreche die Annahme der Spezialität den verfassungsrechtlichen
Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Obermaßverbotes. Wenn indessen
die falsche Auslegung der Bestimmungen über die Wählbarkeit von Bewerbern z.B.
arglistig herbeigeführt worden sei, komme die Anwendung des § 26 Abs. 1 Nr. 2
KWG durchaus in Betracht, denn derartige Täuschungshandlungen stellten dann
17
18
19
20
21
KWG durchaus in Betracht, denn derartige Täuschungshandlungen stellten dann
einen selbständigen Sachverhalt dar und machten § 26 Abs. 1 Nr. 2 neben Nr. 1
dieser Bestimmung anwendbar, und zwar auch dann, wenn die angeblich
unzulässige Scheinkandidatur Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen
gewesen sei. Diesem Gesichtspunkt komme wegen der Diffizilität der
einschlägigen Rechtsfragen ohnehin keine entscheidende Bedeutung zu. Die
Bedeutung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl nach Maßgabe des
Rechtsstaatsprinzips lasse es nicht zu. Manipulationen im Vorfeld der
Kandidatenzulassung im Hinblick auf vom Durchschnittswähler kaum
durchschaubare öffentliche Auseinandersetzungen für rechtlich unerheblich zu
erklären. So schwer verständlich die Zulassung der Kandidatur des
Bürgermeisters... auch erscheine, sei gleichwohl hier keine die Anwendbarkeit des
§ 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG rechtfertigende Unregelmäßigkeit festzustellen, durch die
die falsche Auslegung der Bestimmungen über die Wählbarkeit herbeigeführt
worden sei.
V.
Die von den Antragstellern in gleicher Sache zum Bundesverfassungsgericht
erhobene Verfassungsbeschwerde ist durch Beschluß des Ausschusses gemäß §
93 a BVerfGG vom 13. März 1980 - 2 BvR 747/79 - nicht zur Entscheidung
angenommen worden.
Die Akten II E 209/77 des Verwaltungsgerichts Kassel (= II OE 110/78, Hess.
Verwaltungsgerichtshof) sind beigezogen und zum Gegenstand der Beratung
gemacht worden.
VI.
Die im wesentlichen zulässige Grundrechtsklage ist unbegründet, weil das Urteil
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März 1979 - II OE 110/78 - nicht
auf der Verletzung von Grundrechten der Antragsteller beruht.
1. Nach Art. 131 Abs. 1 und 3 der Verfassung des Landes Hessen - HV -, § 45 Abs.
2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG - kann jedermann einen
Antrag zur Verteidigung der Grundrechte stellen, der geltend macht, in einem von
der Hessischen Verfassung gewährten Grundrecht verletzt zu sein. Gemäß § 48
Abs. 3 Satz 1 StGHG findet ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof wegen
Verletzung eines Grundrechts nur statt, wenn der Antragsteller zuvor eine
Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts herbeigeführt hat
und innerhalb eines Monats seit Zustellung dieser Entscheidung den
Staatsgerichtshof anruft. Diesen Erfordernissen ist hier Rechnung getragen
worden.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte die Revision gegen das angefochtene
Urteil vom 20. März 1979 - II OE 110/78 -nicht zugelassen. Hiergegen stand den
Antragstellern die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu (§ 132 VwGO),
die sie indessen nicht eingelegt haben. Dieser Umstand ist im vorliegenden Falle
jedoch unschädlich und steht der Zulässigkeit der Grundrechtsklage nicht
entgegen. In der Regel zwingt zwar das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs
den Rechtsuchenden, von den Möglichkeiten des ordentlichen Verfahrens auch
dann Gebrauch zu machen, wenn die Zulässigkeit des Rechtsmittels mit
ungewissem Ausgang erst erstritten werden muß, es sei denn, die Unzulässigkeit
des Rechtsmittels wäre offensichtlich (BVerwGE 16, 1 [2]; Hess. StGH, Beschluß
vom 21. Juni 1967 - P.St. 463 -). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die
Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision dem
Antragsteller nicht zuzumuten ist (vgl. BVerfGE 9, 3 [7/8]; 21, 260 [267]). Ein
derartiger Fall ist hier gegeben, denn die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts
hätte nicht zu dem von den Antragstellern erstrebten Ziel, die Anwendung bzw.
Auslegung landesrechtlicher Vorschriften - hier des hessischen KWG - an den
Grundrechten der Hessischen Verfassung zu messen, führen können (vgl. Hess.
StGH, Urteil vom 7. Mai 1968 - P.St. 470 -, StAnz. 1968, 1225 = ESVGH 19, 7 =
DÖV 1968, 693 = DVBl. 1969, 34 = NJW 1968, 1923; Urteil vom 6. Januar 1971 -
P.St. 589 -). Die Antragsfrist ist ebenfalls gewahrt. Das angefochtene Urteil ist dem
Bevollmächtigten der Antragsteller am 30. Mai 1979 zugestellt worden. Da der 30.
Juni 1979 ein Samstag war, lief die für die Erhebung der Grundrechtsklage gemäß §
48 Abs. 3 StGHG einzuhaltende Monatsfrist erst am darauffolgenden Montag, dem
2. Juli 1979 ab. An diesem Tag ist jedoch die Grundrechtsklage beim
Staatsgerichtshof eingegangen.
22
23
24
25
26
2. Die Antragsteller haben auch nach § 46 Abs. 1 StGHG mit der Nennung der Art.
Z Abs. 1 und 3 HV in Verbindung mit Art. 71 HV, Art. 5 HV "zumindest in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip" Grundrechte bezeichnet und durch
Bezugnahme auf die der Grundrechtsklage in Abschrift beigefügte
Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht vom 29. Juni 1979 auch
Tatsachen dargelegt, aus denen sich die Verletzung dieser Grundrechte ergeben
soll. Ihrem Vorbringen ist weiter zu entnehmen, daß die Antragsteller auch die
Verletzung von Art. 1 HV in Verbindung mit Art. 73 Abs. 2 HV rügen wollen. Daß
diese zuletzt erwähnten Normen von ihnen nicht genau bezeichnet worden sind,
ist ausnahmsweise dann unschädlich und steht einer Prüfung des angegriffenen
Urteils am Maßstab dieser Verfassungsvorschriften nicht entgegen, wenn sich - wie
hier - das geltend gemachte Recht aus dem Zusammenhang des Vorbringens
bzw. aus dem Sachverhalt entnehmen läßt (Hess. StGH, Beschluß vom 16. Juni
1971 - P.St. 631 - unter III.; Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen,
Kommentar, Band 2, Erläuterung B IV 19 c zu Art. 131 bis 133; vgl. auch BVerfGE
3, 379; 5, 1; 6, 134; 8, 9; 11, 198; 21, 194; 27, 217). Unschädlich ist auch, daß die
Antragsteller das Land Hessen nicht ausdrücklich als Antragsgegner bezeichnet
haben; denn es ist offenkundig, daß sich die Grundrechtsklage gegen ein Urteil
eines Gerichts des Landes richtet (vgl. Hess. StGH, Urteil vom 25. Mai 1966 - P.St.
412 - = ESVGH 17, 38).
3. Indessen können sich die Antragsteller nicht auf Art. 26 und Art. 70 der
Hessischen Verfassung berufen, weil diese Vorschriften keine Grundrechte
gewähren.
Nach ständiger Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs gewährt Art. 26 HV kein
Grundrecht im Sinne von § 45 Abs. 2 StGHG. Diese Vorschrift garantiert vielmehr
die Unabänderlichkeit der Grundrechte und stellt klar, daß die in den vorgehenden
Artikeln gewährten Grundrechte für den Gesetzgeber, den Richter und die
Verwaltung unmittelbar verbindliches Recht sind. Das bedeutet, daß diese
Grundrechte zu ihrer Wirksamkeit keiner Übertragung in weitere Rechtsvorschriften
bedürfen, sondern auch ohne nähere Ausgestaltung in einem einfachen Gesetz
gelten. Der Verfassungsgeber wollte damit gegenüber dem Rechtszustand nach
der Weimarer Verfassung klarstellen, daß Grundrechte nicht nur Richtlinien oder
Programmsätze sondern aktuelles Recht enthalten (vgl. Hess. StGH, Beschluß
vom 22. Januar 1960 - P.St. 283 und 307 -; Beschluß vom 31. Januar 1968 - P.St.
463 -; Beschluß vom 16. Juni 1971 - P.St. 631 -; Beschluß vom 2. April 1979 - P.St.
872 -; vgl. auch Zinn/Stein, a.a.O., Band 1, Erläuterung II zu Art. 26). Auch Art. 70
HV gewährt kein Grundrecht, wie der Staatsgerichtshof mehrfach entschieden hat
(vgl. Hess. StGH, Beschluß vom 6. November 1966 - P.St. 484 - = ESVGH. 18, 14
ff.; Beschluß vom 20. Mai 1970 - P.St. 581 -).
4. Soweit die Antragsteller die Verletzung von Art. 2 Abs. 3 HV und Art. 5 HV
rügen, fehlt es an der notwendigen Substantiierung. Zwar handelt es sich dabei
um Grundrechte (ständige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs, vgl. etwa
Beschluß vom 2. April 1979 - P.St. 872 -). Die bloße verbale Nennung einzelner
angeblich verletzter Grundrechte genügt den Anforderungen des § 46 Abs. 1
StGHG indessen nicht. Art. 5 HV schützt die Freiheit der Person im Sinne
körperlicher Bewegungsfreiheit (vgl. Zinn/Stein, a.a.O., Band 1, Erläuterung 2 zu
Art. 5). Inwiefern die körperliche Bewegungsfreiheit der Antragsteller durch das
angegriffene Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs beeinträchtigt sein
könnte, ist weder ersichtlich noch haben die Antragsteller dafür etwas vorgetragen.
Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 3 HV, das die Rechtsweggarantie für jedermann
statuiert, der sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt fühlt,
scheidet ebenfalls aus der verfassungsrechtlichen Überprüfung aus. Die
Antragsteller haben nicht dargelegt, daß und inwiefern der Hessische
Verwaltungsgerichtshof dieses Grundrecht durch das angefochtene Urteil verletzt
hat. Eine Beeinträchtigung dieses Grundrechts der Antragsteller ist im übrigen
auch nicht ersichtlich, weil es den Antragstellern zu keinem Zeitpunkt verwehrt
war, den Rechtsweg zu beschreiten.
5. Unzulässig ist das Begehren auch, soweit die Antragsteller geltend machen,
Bürgermeister... habe im Wahlkampf unter Hinweis auf seine Stellung als
Bürgermeister für die Liste seiner Partei geworben. In eine verfassungsrechtliche
Prüfung dieser Frage kann der Staatsgerichtshof nicht eintreten, weil die
Antragsteller insoweit den Rechtsweg nicht erschöpft haben (§ 48 Abs. 3 Satz 1
StGHG). Der Ministerpräsident hat zutreffend darauf hingewiesen, daß es sich bei
der Frage des möglichen Mißbrauchs einer Amtsstellung um einen selbständigen
27
28
29
30
31
der Frage des möglichen Mißbrauchs einer Amtsstellung um einen selbständigen
Lebenssachverhalt und damit um einen selbständigen Anfechtungsgrund handelt,
der im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden kann, weil
er bereits im Wahlprüfungsverfahren nach § 25 Abs. 1 KWG hätte geltend gemacht
werden müssen. Daran fehlt es jedoch. Infolge dieser Unterlassung haben die
Antragsteller eine Nachprüfung des behaupteten Fehlers im
verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug unmöglich gemacht. Sie haben damit die
Möglichkeit verloren, diesen Verstoß als Grundrechtsverletzung mit der
Grundrechtsklage in zulässiger Weise zu beanstanden (vgl. BVerfGE 16, 124
[127]).
6. Der Umstand, daß die Entscheidung in einem bundesrechtlich, nämlich durch
die Verwaltungsgerichtsordnung, geregelten. Verfahren ergangen ist, steht der
Prüfungskompetenz des Staatsgerichtshofs nicht entgegen, wenn - wie im
vorliegenden Fall - gerügt wird, das höchste in der Sache zuständige Gericht habe
bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht maßgebende Rechtssätze der
Verfassung des Landes Hessen außer acht gelassen und dadurch Grundrechte
oder sonstige verfassungsmäßige Rechte der Antragsteller verletzt (Hess. StGH,
Beschluß vom 26. Oktober 1977 - P.St. 857 - unter Hinweis auf das Urteil des
Staatsgerichtshofs vom 3. Juli 1968 - P.St. 470 - = ESVGH 19, 7 [9]; Beschluß vom
6. Januar 1971 - P.St. 599 -; Beschluß vom 23. Mai 1979 - P.St. 862 -). Die von den
Antragstellern gerügten angeblichen Grundrechtsverstoße betreffen ausschließlich
die Auslegung landesrechtlicher Vorschriften.
7. Soweit hiernach der Antrag zulässig ist, ist er allerdings unbegründet.
a) Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Grundrechtsklage
kann eine verfassungsrechtliche Überprüfung nur in engen Grenzen stattfinden.
Als Verfassungsgericht des Landes Hessen ist der Staatsgerichtshof kein
Rechtsmittelgericht, durch das eine neue, in den Verfahrensordnungen der
allgemeinen Gerichte nicht vorgesehene weitere Instanz eröffnet wird. Der
Staatsgerichtshof hat vielmehr im Grundrechtsklageverfahren nur zu prüfen, ob
der Hessische Verwaltungsgerichtshof als das höchste in der Sache zuständige
Gericht bei seiner Entscheidung subjektive Rechte verbürgende Normen
(Grundrechte oder grundrechtsähnliche Rechte) der Verfassung des Landes
Hessen verletzt hat (ständige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs, vgl. zuletzt
Beschluß vom 28. März 1980 - P.St. 920 - und Beschluß vom 3. September 1980 -
P.St.916 - mit weiteren Nachweisen).
b) Ein derartiger Verfassungsverstoß läge nur dann vor, wenn das Gericht bei der
Anwendung und Auslegung von Landesrecht spezifisches Verfassungsrecht
verletzt hätte, sei es, daß grundrechtswidrige Rechtsvorschriften angewandt
worden wären oder das Ergebnis der Auslegung Grundrechte verletzte, sei es, daß
das Gericht bei seiner Entscheidung von einer grundsätzlich unrichtigen
Anschauung über die Bedeutung der in Betracht kommenden Grundrechte
ausgegangen wäre oder gar willkürlich gehandelt hätte und die angegriffene
Entscheidung darauf beruhte (ständige Rechtsprechung des Hess. StGH, vgl. Urteil
vom 3. Juli 1968 - P.St. 470 - = ESVGH 19, 7 [9]; Beschluß vom 23. Mai 1979 -
P.St. 862 -; Beschluß vom 26. März 1980 - P.St. 920 -; s. auch BVerfGE 15, 219
[221 f.]). Die Oberprüfung der angefochtenen Entscheidung an Hand dieser
Grundsätze läßt indessen keinen Verfassungsverstoß erkennen.
8. Die Auslegung des § 26 KWG durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof
dahin, daß ein "Bewerbermangel" gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 1 KWG lediglich das
Ausscheiden des betreffenden Bewerbers, nicht aber gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG
die Wiederholung der Wahl zur Folge hat, weil § 26 Abs. 1 Nr. 1 KWG "lex spezialis"
gegenüber § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG sei, verstößt nicht gegen Art. 2 Abs. 1 HV in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 GG, die ohne weiteres auch für Art. 2
Abs. 1 HV herangezogen werden kann, weil diese Bestimmung der Sache nach die
gleiche Gewährleistung enthält wie Art. 2 Abs. 1 GG, umfaßt die Freiheit der
Entfaltung der Persönlichkeit neben der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die
Freiheit vor unberechtigten nicht rechtsstaatlichen Eingriffen der Staatsgewalt. Art.
2 Abs. 1. GG gewährt deshalb auch das Recht, nicht durch die Staatsgewalt mit
einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung
begründet ist (vgl. dazu BVerfGE 9, 88; 17, 313 f.; 19, 215, 257; 29, 408; 33, 48).
Das hier ebenfalls als Prüfungsmaßstab heranzuziehende Rechtsstaatsprinzip ist
zwar - anders als im Grundgesetz, in dem es in Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 zu
einem verfassungsfesten Grundsatz erhoben worden ist (vgl. Art. 79 Abs. 3 GG) -
32
33
34
35
einem verfassungsfesten Grundsatz erhoben worden ist (vgl. Art. 79 Abs. 3 GG) -
in der Hessischen Verfassung nicht ausdrücklich verankert. Es liegt aber gleichwohl
nach der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs auch der
Gesamtkonzeption der Hessischen Verfassung als angeschriebener
Verfassungsgrundsatz zugrunde (vgl. Hess. StGH, Urteil vom 19. Mai 1976 - P.St.
757 -, StAnz. 1976, 1134 = ESVGH 27, 15 = VerwRspr. Band 28, 897 unter Hinweis
auf Beschluß vom 29. Oktober 1954 - P.St. 162 -, ESVGH 11/2, 14 [L]; Urteil vom
22. Januar 1960 - P.St. 295 -, StAnz. 1960, 208 = ESVGH 11/2, 24 [L] = DÖV 1960,
341 = NJW 1960, 717; Urteil vom 4. Februar 1970 - P.St. 533 -, StAnz. 1970, 531).
Es ist allerdings nicht Aufgabe des Staatsgerichtshofs festzustellen, ob die
Auslegung des § 26 KWG durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof die
sachlich allein "richtige" oder "zweckmäßige" ist. Gegenstand der
verfassungsgerichtlichen Prüfung kann vielmehr nur sein, ob die vom Hessischen
Verwaltungsgerichtshof gefundene Auslegung gegen die Hessische Verfassung
verstößt. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn das Gericht allgemeine
Wahlrechtsgrundsätze oder sonstige allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze
in ihrer Bedeutung verkannt oder aus sachfremden Erwägungen bei der
Entscheidungsfindung unberücksichtigt gelassen hätte. Hiervon kann jedoch keine
Rede sein. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat sich zur Auslegung der
Vorschrift allgemein anerkannter Auslegungsmethoden bedient; er hat bei der
Anwendung der einzelnen Auslegungsmethoden, die einander nicht ausschließen
sondern sich gegenseitig ergänzen (vgl. BVerfGE 11, 126 [130]), auch nicht gegen
Denkgesetze verstoßen.
9. Auch das Vorbringen der Antragsteller, es habe sich bei der Kandidatur
Bürgermeister... um eine bloße "Scheinkandidatur" gehandelt, vermag an dieser
Beurteilung - weder für sich allein genommen noch in Verbindung mit dem
angeblichen Wählbarkeitsmangel - etwas zu ändern. Dabei kann offenbleiben, ob
hier überhaupt eine "Scheinkandidatur" vorlag (so auch das
Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 13. März 1980 - 2 BvR 747/79 -). Die
Kandidatur eines hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamten ist
verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen. Art. 137 Abs. 1 GG sieht lediglich eine
gesetzliche Beschränkung der Wählbarkeit bestimmter Personengruppen vor. § 37
HGO bestimmt demzufolge nur, daß u.a. hauptamtliche Beamte der Gemeinden
nicht Gemeindevertreter sein können. Der Kandidatur eines hauptamtlichen
kommunalen Wahlbeamten stehen jedenfalls verfassungsrechtliche Hindernisse
daher nicht entgegen.
10. Die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof vorgenommene Auslegung des §
26 KWG verletzt auch nicht das Grundrecht der Antragsteller auf Gleichheit der
Wahl (Art. 1 HV in Verbindung mit Art. 73 Abs. 2 HV).
a) Die Hessische Verfassung enthält in Art. 71 ff. Grundsätze für das Wahlrecht zur
Landtagswahl, die in der ursprünglichen Fassung (Art. 137 Abs. 6 HV) auch für die
Gemeinde- und Gemeindeverbandswahlen galten. Art. 137 Abs. 6 HV wurde
jedoch durch Art. 2 des verfassungsändernden Gesetzes vom 22. Juli 1950 (GVBl. I
S. 131) gestrichen, so daß das Kommunalwahlrecht seither keine ausdrückliche
landesverfassungsrechtliche Garantie genießt. Der Staatsgerichtshof hat dieser
Verfassungslage dadurch Rechnung getragen, daß er in ständiger Rechtsprechung
die Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen und der gleichen Wahl als Unterfälle
des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes angesehen und Normen des
Kommunalwahlrechts an Art. 1 HV gemessen hat (vgl. Hess. StGH, Urteil vom 13.
Juli 1962 - P.St. 289 -, StAnz. 1962, 996 - ESVGH 12/2, 13 = DÖV 1962, 785; Urteil
vom 25. Mai 1966 - P.St. 412 -, StAnz. 1966, 854 = ESVGH 17, 38 = DVBl. 1966,
825 = JR 1967, 115; Urteil vom 6. Januar 1971 - P.St. 589 -, StAnz. 1971, 205 =
ESVGH 21, 113 = DÖV 1972, 354 = Gemeindetag 1971, 107 = NJW 1971, 697;
Urteil vom 7. April 1976 - P.St. 798 -, StAnz. 1976, 815 = ESVGH 26, 22). Das
Bundesverfassungsgericht sieht ebenfalls in den Grundsätzen der Allgemeinheit
und Gleichheit der Wahl Anwendungsfälle des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes
(vgl. u. a. BVerfGE 1, 208 [242]; 36, 139 [41]).
b) Das Grundrecht der Wahlgleichheit gewährleistet einmal, daß alle Staatsbürger
das Wahlrecht in gleicher Weise ausüben können. Beim Verhältniswahlsystem, das
dem Kommunalwahlgesetz zugrunde liegt (§ 1 Abs. 1 KWG), bedeutet das, daß die
Stimmen der Wahlberechtigten nicht nur den gleichen Zählwert, sondern
grundsätzlich auch den gleichen Erfolgswert haben müssen (Hess. StGH, Urteil
vom 6. Januar 1971 - P.St. 589 -, StAnz. 1971, 205 = ESVGH 21, 113 = DÖV 1972,
354 = Gemeindetag 1971, 107 = NJW 1971, 697). Unterscheidungen hinsichtlich
des Einflusses einzelner Wählerstimmen auf das Wahlergebnis bedürfen stets
36
37
38
des Einflusses einzelner Wählerstimmen auf das Wahlergebnis bedürfen stets
eines besonderen rechtfertigenden Grundes (vgl. Urteil vom 6. Januar 1971 - P.St.
589 - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
Darüber hinaus gebietet der Grundsatz der Wahlgleichheit die Wahrung der
Chancengleichheit. Den politischen Gruppierungen, die sich an einer Wahl
beteiligen, müssen gleiche Wettbewerbschancen eingeräumt werden (BVerfGE 24,
340, 44, 145).
c) Der Grundsatz der gleichen Wahl in den beiden genannten Ausprägungen ist
indessen durch die Auslegung des § 26 Abs. 1 KWG in dem angefochtenen Urteil
nicht verletzt; denn die Stimmen der Wähler werden für die gesamte Liste
abgegeben und behalten unabhängig von der Wählbarkeit des einzelnen
Kandidaten den gleichen Zählwert und den gleichen Erfolgswert. Die Antragsteller
konnten ferner ihr aktives und passives Wahlrecht uneingeschränkt ausüben. Daß
durch die beanstandete Auslegung des § 26 KWG die Chancengleichheit der an der
Wahl teilnehmenden politischen Gruppierungen bzw. die der Antragsteller als
Mitbewerber um ein Stadtverordnetenmandat beeinträchtigt worden wäre, hat der
Hessische Verwaltungsgerichtshof mit verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender Begründung verneint.
VII.
Das Begehren der Antragsteller kann daher in der Sache keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.