Urteil des StGH Hessen vom 02.04.2017

StGH Hessen: anspruch auf rechtliches gehör, einzelne grundrechte, vergleich, wohnung, hessen, verfassungsrecht, verfassungskonform, räumung, mieter, gewalt

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 385
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 46 Abs 1 StGHG
Leitsatz
Einzelfall einer unzulässigen Grundrechtsklage betr. Zivilverfahren (bundesgesetzlich
geregelt).
Tenor
Die Anträge werden auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf DM festgesetzt.
Gründe
I
Der Antragsteller und seine Ehefrau waren Mieter einer Wohnung im Hause... in
Frankfurt (Main). Durch Urteil... vom 5.5.1961 verurteilte das Amtsgericht Frankfurt
(Main) den Antragsteller und seine Ehefrau zur Zahlung von 331,71 DM
rückständiger Miete nebst 4 % Zinsen seit 1.10.1960. Der Antragsteller und seine
Ehefrau legten Berufung ein. Das Verfahren endete vor dem Landgericht Frankfurt
(Main) unter... am 20.2.1962 mit einem Vergleich.
In einem weiteren Verfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt (Main) ... wurden der
Antragsteller und seine Ehefrau zunächst durch Teilurteil vom 18.1.1963 zur
Zahlung weiterer 393,45 DM rückständiger Miete nebst 4 % Zinsen seit 1.5.1962
und unter Aufhebung des Mietverhältnisses zur Räumung ihrer Wohnung verurteilt;
durch Schlußurteil vom 1.3.1963 wies das Amtsgericht die auf Anbringung von
Schallschutz- und Sicherungsmaßnahmen sowie auf Feststellung einer
Schadensersatzpflicht des Klägers gerichtete Widerklage des Antragstellers und
seiner Ehefrau ab. Gegen beide Urteile legten der Antragsteller und seine Ehefrau
Berufung ein. Das Landgericht Frankfurt (Main) wies durch Urteil... und ... vom
14.5.1963 die Berufungen zurück. Am 20.8.1963 wurde eine vollständige
Ausführung des Berufungsurteils an den Anwalt des Antragstellers abgeschickt.
Dem Räumungsurteil schlossen sich mehrere Vollstreckungsschutzverfahren an.
II
Der Antragsteller hat mit einer Eingabe vom 25.6.1963, der weitere Eingaben vom
12.8., 17.9., 24.9., 30.9., 30.10., 20.11. und 8.12.1963 folgten, den
Staatsgerichtshof angerufen und beantragt, die in den erwähnten Vorfahren
ergangenen Urteile aufzuheben, die Verfahren zusammenzulegen und zur
erneuten Verhandlung zurückzuverweisen, auch die Vollstreckung des
Räumungsurteils einstweilen einzustellen.
Er hat vorgetragen, er sei durch die genannten Verfahren in seinen Grundrechten,
die ihm die Hessische Verfassung (HV) gewähre, verletzt worden. Amtsgericht und
Landgericht hätten Beweisanträge wie auch als Beweismittel vorgelegte Urkunden
für das Bestehen weit umfangreicherer Wohnungsmängel zu wiederholten Malen
außer Betracht gelassen; im ersten Berufungsverfahren sei er zu dem Abschluß
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außer Betracht gelassen; im ersten Berufungsverfahren sei er zu dem Abschluß
des Vergleichs durch die Ankündigung des Vorsitzenden veranlaßt worden, das zu
erwartende Urteil werde den gleichen Inhalt haben wie der Vergleichsvorschlag,
jedoch seien die Verfahrenskosten erheblich höher. Der Antragsteller erblickt hierin
einen Zwang der öffentlichen. Gewalt zur Duldung eines gesetzwidrigen Zustandes
seiner Wohnung und eine Gesundheitsbeschädigung; seine Grundrechte aus Art 2
und 3 HV seien verletzt worden. Er ist der Auffassung, daß auch das Festhalten der
Gerichte im zweiten Rechtsstreit an dem Vergleich verfassungswidrig sei, weil der
Vergleich wegen Irrtums und Drohung anfechtbar, außerdem wegen Verstoßes
gegen die Hessische Bauordnung und die dazu ergangenen technischen
Baubestimmungen der Normenausschüsse, Schutzgesetze für den Mieter,
ohnehin nichtig sei. Auch hierin erblickt er Verletzungen seiner Grundrechte; die
Gerichte hätten dadurch gegen Art 126 HV verstoßen Die erfolglose Ausschöpfung
des Rechtsweges verpflichte ihn, diesen Vergleich gemäß Art 147 II HV dem
Staatsgerichtshof zur Erzwingung der Strafverfolgung anzuzeigen. Als verletzt
bezeichnet er weiter Art 103 des Grundgesetzes (GG), die Art 129 und 146 HV. Ein
Beschwerdebeschluß des Landgerichts im Vollstreckungsschutzverfahren habe,
ohne daß er oder sein Anwalt gefragt worden seien, der Wahrheit zuwider
Rückstände an Miete wie Nutzungsentschädigung als unstreitig vorhanden
bezeichnet und damit die Verweigerung des Räumungsschutzes begründet,
wodurch das Grundrecht des rechtlichen Gehörs verletzt worden sei.
III
Der Landesanwalt hält die Anträge zum Teil für unzulässig, im ganzen für
unbegründet.
Was den Vergleich anlangt, so beruhe er auf dem freien Entschluß der beiden
Prozeßparteien, sei aber kein Akt der öffentlichen Gewalt. Ob und in welchem
Umfang er anfechtbar ist, könne nur nach bürgerlichem Recht, nicht nach
Verfassungsrecht geprüft werden. Denn der rechtliche: Inhalt des Vergleichs sei
vom Verfassungsrecht, namentlich von den Grundrechten, nicht beeinflußt und
stehe mit ihnen in keinerlei Wechselwirkung. Insoweit sei die Grundrechtsklage
unzulässig.
Das Berufungsurteil des Landgerichts beruhe auf der Feststellung eines
Mietrückstandes, der nach § 3 MSchG die gesetzliche Voraussetzung für die
Aufhebung des Mietverhältnisses und die Verpflichtung zur Räumung schaffe. Es
verletze keine Grundrechte. Soweit es vom Staatsgerichtshof nachgeprüft werden
könne, beruhe es auf einer schlüssigen und folgerichtigen Anwendung der
bundesgesetzlichen Rechtsvorschriften auf das zwischen den Prozeßparteien
bestehende Mietverhältnis. Es sei auch nicht sachfremd oder willkürlich, daß das
Landgericht die Einwendungen des Antragstellers wegen der Mängel der Wohnung,
die Gegenstand seiner Widerklage waren, sachlich nicht mehr nachgeprüft habe.
Der Nachprüfung gerichtlicher Entscheidungen durch den Staatsgerichtshof seien
enge Grenzen gesetzt. Es sei nicht Aufgabe des Staatsgerichtshofs, allgemein zu
prüfen, ob die Feststellungen, welche die angegriffene gerichtliche Entscheidung
getroffen hat, richtig sind und ob das Recht auf den konkreten Fall richtig
angewandt worden ist. Vielmehr könne nur geprüft werden, ob die Entscheidung
selbst unmittelbar auf der Verletzung eines Grundrechts beruhe. Hierbei komme
der Landesverfassung für die Anwendung und Auslegung des Bundesrechts keine
unmittelbare Bedeutung zu. Ob das Bundesrecht, welches das Gericht
angewendet hat, verfassungskonform ist und verfassungskonform angewendet
oder ausgelegt worden ist, könne nicht an der Hessischen Verfassung, sondern
nur am Grundgesetz geprüft werden. Dafür sei der Staatsgerichtshof aber nicht
zuständig (vgl. P.St. 344).
Hinsichtlich der Vollstreckungsschutzverfahren behaupte der Antragsteller selbst
nicht, daß auch sie Grundrechte verletzten. Soweit er geltend machen wolle, das
Gericht habe ihm kein rechtliches Gehör gewährt, sei der Antrag ebenfalls
unbegründet. Die Hessische Verfassung gewähre kein Grundrecht auf rechtliches
Gehör wie das Grundgesetz. Die Versagung des rechtlichen Gehörs könne daher
als ein Grundrecht oder grundrechtgleiches Recht (Art 103 GG) nicht vor dem
Staatsgerichtshof gerügt werden.
Endlich könne auch die Berufung auf Art 147 HV keinen Erfolg haben. Ein
Verfassungsbruch im Sinne des Art 147 II liege nach der ständigen
Rechtsprechung: des Staatsgerichtshofs nur vor, wenn die Grundlagen der
Verfassung selbst, nicht schon, wenn nur einzelne Grundrechte angegriffen
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Verfassung selbst, nicht schon, wenn nur einzelne Grundrechte angegriffen
werden. Darüber hinaus sei für die Anwendung der dieses Verfahren regelnden
Vorschriften in §§ 38 bis 40 StGHG kein Raum mehr, seitdem das Gesetz zur
Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12.5.1950 (BGBl. S. 455) in § 6 EGStPO
landesrechtliche Verfahrensvorschriften einschlägiger Art aufgehoben hat. Insoweit
sei daher auch Art 147 II HV unanwendbar geworden (vgl. P.St. 359, 367, 379).
Die Gerichte könnten nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß der
Antragsteller das Ziel, eine von den behaupteten Mängeln freie Wohnung zu
erhalten, auf hierfür ungeeigneten Wegen und mit ungeeigneten Mitteln zu
erreichen versucht habe.
IV
Die Anträge können keinen Erfolg haben.
Das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt (Main) vom 5.5.1961 ... kann auf eine
Grundrechtsverletzung schon deshalb nicht nachgeprüft werden, weil der
Antragsteller nicht die Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen
Gerichts herbeigeführt hat, wie § 48 III Satz 1 StGHG es vorschreibt. Er hat zwar
gegen jenes Urteil Berufung eingelegt; doch hat das Berufungsverfahren mit
einem Vergleich, nicht mit einem Urteil geendet. Ob dieser Vergleich anfechtbar
ist, ist für das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof 'solange ohne Bedeutung, als
der Antragsteller diese Anfechtung nicht in dem dafür vorgesehenen Verfahren bis
zur Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts durchgefochten
hat.
Hinsichtlich des zweiten Verfahrens, das mit dem Berufungsurteil des Landgerichts
Frankfurt (Main) vom 14.5.1963. endete, hat der Antragsteller den Rechtsweg
erschöpft und die Frist des § 48 III Satz 1 StGHG gewahrt. Außer Betracht bleiben
muß die vom Antragsteller geltend gemachte Verletzung des Art 103 GG. Nur auf
Verletzung von Grundrechten der HV, nicht von solchen des GG können
gerichtliche Entscheidungen vom Hessischen Staatsgerichtshof nachgeprüft
werden.
Aber auch mit seinem Vorbringen, in seinen Grundrechten der HV verletzt worden,
kann der Antragsteller nicht gehört werden. Für die Anwendung und Auslegung des
Bundesrechts kommt der Landesverfassung keine unmittelbare. Bedeutung zu.
Die Entscheidung des Landgerichts ist aber in einem bundesrechtlich geregelten
Verfahren ergangen. Es kann nicht an den Maßstäben der HV gemessen werden,
ob das Landgericht in einem solchen Verfahren Vorschriften der
Zivilprozeßordnung richtig angewendet, Vorschriften der Hessischen Bauordnung
und ihrer Ausführungsbestimmungen beachtet hat oder nicht. Lediglich, wenn das
Landgericht sich von objektiv sachfremden Erwägungen hätte leiten lassen und
sich damit außerhalb jeder Rechtsanwendung gestellt, also seiner Entscheidung in
Wahrheit gar kein Bundesrecht zugrunde gelegt hätte, könnte der
Staatsgerichtshof in eine Prüfung eintreten, ob Grundrechte der HV verletzt
worden sind (so für die Bayerische Verfassung auch der Bayerische
Verfassungsgerichtshof in VerfGHE 12,64; 12,165 und weiterhin). Hiervon kann
jedoch keine Rede sein. Das Gericht hat auf den ihm unterbreiteten Sachverhalt in
verfassungsrechtlich unangreifbarer Weise entschieden.
Das gleiche gilt für die gerichtlichen Entscheidungen im
Vollstreckungsschutzverfahren, das der Antragsteller im übrigen in seine Anträge
nicht einbezogen hat. Ein Anspruch auf rechtliches Gehör, wie ihn Art 103 I GG und
Art 91 I der Bayerischen Verfassung aufgestellt haben, kennt die HV nicht. Im
übrigen ergeben die Akten, daß der Antragsteller Gelegenheit hatte, sich zum
Vorbringen seines Verfahrensgegners zu äußern und davon auch durch seihen
Anwalt Gebrauch gemacht hat.
Art 147 II HV ist, wie der Staatsgerichtshof wiederholt entschieden hat (P.St. 359,
371) nicht mehr anwendbar. Ein Verfassungsbruch kann auch nur in einem Angriff
gegen die Grundlagen der Verfassung als solcher, nicht in einzelnen
Grundrechtsverletzungen erblickt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.