Urteil des StGH Hessen vom 13.06.2001

StGH Hessen: magistrat, aufschiebende wirkung, stadt, ersetzung, verfassungsbeschwerde, organisation, hessen, genehmigung, gemeindeordnung, fraktion

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1562
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 56 Abs 1 S 2 Verf HE, § 137
Abs 1 S 1 Verf HE, § 137 Abs 3
S 1 Verf HE, § 46 StGHG HE, §
51 Nr 18 GemO HE
(StGH Wiesbaden: Rechtsmissbrauch des Magistrats bei
Hinwegsetzung über ausschließliche Zuständigkeit der
Gemeindevertretung zur Entscheidung über die Führung
einer kommunalen Grundrechtsklage)
Leitsatz
1. Die kommunale Grundrechtsklage vor dem Staatsgerichtshof (§ 46 des Gesetzes
über den Staatsgerichtshof) stellt grundsätzlich einen Rechtsstreit von größerer
Bedeutung i.S.d. § 51 Nr. 18 HGO dar, über dessen Führung ausschließlich die
Gemeindevertretung als oberstes Organ einer hessischen Gemeinde zu entscheiden
hat.
2. Erhebt ein Gemeindevorstand ohne zustimmenden Beschluss der
Gemeindevertretung eine kommunale Grundrechtsklage i.S.d. § 51 Nr. 18 HGO, handelt
er gesetzwidrig. Eine etwaige nachträgliche Genehmigung der Klageführung muss klar
und eindeutig durch Beschluss der Gemeindevertretung zum Ausdruck gebracht
werden.
3. Im Übrigen Einzelfall einer rechtsmissbräuchlichen vom Gemeindevorstand gegen
den nach der Klageerhebung ausdrücklich geäußerten Willen der Gemeindevertretung
fortgeführte Klage, die infolge des Missbrauchs der Außenvertretungskompetenz des
Gemeindevorstandes (§ 71 HGO) unzulässig geworden ist.
Gründe
A.
I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer am 1. August 2000 eingegangenen
Grundrechtsklage gegen Neuregelungen in § 23 Abs. 7 Sätze 2 bis 4,§ 26 Abs. 2
Sätze 2 und 3,§129 Nr. 3 des Hessischen Schulgesetzes (HSchG) i.d.F. des Art. 1
des Ersten Gesetzes zur Qualitätssicherung in hessischen Schulen vom 30. Juni
1999 (GVBl. I S. 354). Die geänderten Bestimmungen traten nach Art.3 § 3 des
Gesetzes am 1. August 1999 in Kraft. Die Antragstellerin sieht sich in ihrem Recht
der kommunalen Selbstverwaltung verletzt und rügt darüber hinaus die Verletzung
des Demokratieprinzips und des Grundsatzes des rechtsstaatlichen
Gesetzesvorbehalts.
Die geänderten Vorschriften lauten wie folgt:
§ 23
Haupt und Realschule
(7) Haupt- und Realschulen, die miteinander verbunden sind, können in den
Jahrgangsstufen 5 und 6 mit einer Förderstufe beginnen. Aufgrund eines
Beschlusses der Schulkonferenz, der mit der Mehrheit von mindestens zwei
Dritteln ihrer Mitglieder zu fassen ist, kann die Förderstufe durch eine
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Dritteln ihrer Mitglieder zu fassen ist, kann die Förderstufe durch eine
schulformbezogene Organisation der Jahrgangsstufen 5 und 6 ersetzt werden. Auf
Grundlage eines solchen Beschlusses kann dem Schulträger gegenüber kein
räumlicher Mehrbedarf geltend gemacht werden. Der Beschluss bedarf der
Genehmigung durch das Staatliche Schulamt.
§ 26
Schulformbezogene(kooperative)Gesamtschule
(2) Die schulformbezogene(kooperative) Gesamtschule kann in den
Jahrgangsstufen 5 und 6 mit einer Förderstufe beginnen. Aufgrund eines
Beschlusses der Schulkonferenz, der mit der Mehrheit von mindestens zwei
Dritteln ihrer Mitglieder zu fassen ist, kann die Förderstufe durch eine
schulformbezogene Organisation der Jahrgangsstufen 5 und 6 ersetzt oder
ergänzt werden. § 23 Abs. 7 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
§129
Entscheidungsrechte
Die Schulkonferenz entscheidet über
3. die Ersetzung der Förderstufe an verbundenen Haupt- und Realschulen (§ 23
Abs. 7) sowie ihre Ersetzung oder Ergänzung an schulformbezogenen
Gesamtschulen durch eine schulformbezogene Organisation der Jahrgangsstufen
5 und 6 (§ 26 Abs. 2)
In der Universitätsstadt Gießen bestehen u.a. fünf kooperative Gesamtschulen. An
zwei dieser Schulen, der Herder- und der Landgraf-Ludwig-Schule, beschloss die
jeweilige Schulkonferenz im August 1999, die Förderstufen durch
schulformbezogene Jahrgangsstufen 5 und 6 zu ersetzen. Diese Beschlüsse
wurden von dem zuständigen Staatlichen Schulamt genehmigt. Hiergegen legte
die Antragstellerin jeweils Widerspruch ein und erwirkte zwei Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 17. August 1999 (3 G 2459/99 und 3 G 2460/99),
mit denen jeweils die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche wiederhergestellt
wurde. Ferner wurde das Land Hessen verpflichtet, sämtliche Maßnahmen zur
Ersetzung der Förderstufe durch eine schulformbezogene Organisation der
Jahrgangsstufen 5 und 6 an beiden Schulen wieder rückgängig zu machen. Gegen
inhaltsgleiche Beschlüsse dieser Schulen vom 24. und 25. November 1999 und
gegen deren Genehmigung durch das Staatliche Schulamt vom 11. Februar 2000
legte die Antragstellerin erneut Widersprüche ein. Diese wies das Staatliche
Schulamt mit Bescheiden vom 13. November 2000 zurück. Die Ersetzung der
Förderstufe durch schulformbezogene Klassen 5 und 6 vollzogen beide Schulen
mit Beginn des Schuljahres 2000/01. Die Antragstellerin nahm hiergegen keinen
verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch.
Die Grundrechtsklage wurde aufgrund des Beschlusses des Magistrats der
Antragstellerin vom 24. Juli 2000, mit dem zugleich der Prozessführungsauftrag an
den Bevollmächtigten erteilt wurde, ohne vorherige Beschlussfassung durch die
Stadtverordnetenversammlung erhoben.
Am 8. August 2000 stellte die FWG-Fraktion für die nächste Sitzung der
Stadtverordnetenversammlung mit näherer Begründung den folgenden Antrag:
"Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:
Die Stadtverordneten der Stadt Gießen distanzieren sich von der angestrengten
Verfassungsbeschwerde der Stadt Gießen vor dem Hess. Staatsgerichtshof gegen
das novellierte Hessische Schulgesetz. Die Stadtverordnetenversammlung der
Stadt Gießen fordert den Magistrat auf, den Willen der Eltern und Schüler der Stadt
Gießen auf Lockerung des Förderstufenzwangs der Stadt Gießen zu respektieren
und die Verfassungsbeschwerde zurückzuziehen."
In der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 7. September 2000 wurde
dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt.
Einem Antrag der CDU-Fraktion vom 18. November 2000,
"die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen, der Magistrat wird
aufgefordert, umgehend die beim Staatsgerichtshof eingereichte
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aufgefordert, umgehend die beim Staatsgerichtshof eingereichte
Verfassungsklage der Stadt Gießen gegen das novellierte hessische Schulgesetz
zurückzuziehen",
stimmte die Stadtverordnetenversammlung am 15. Februar 2001 mehrheitlich zu.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2001 an den Stadtverordnetenvorsteher legte der
Oberbürgermeister Widerspruch gegen diesen Beschluss ein. Der Beschluss
verletze das Recht. Die Stadt sei nach § 92 Abs. 2 der Hessischen
Gemeindeordnung - HGO - verpflichtet, sparsam und wirtschaftlich zu haushalten.
Für die Klage seien Kosten angefallen. Durch die Klagerücknahme würde
ausgeschlossen, dass diese Investition einen Ertrag erbringe. lm Übrigen gefährde
der Beschluss das Wohl der Stadt. Durch die durch die Verfassungsbeschwerde
angegriffene Vorschrift werde die Stadt in ihrer Funktion als Schulträger in ihrem
Selbstverwaltungsrecht beeinträchtigt. Auf die Begründung der
Verfassungsbeschwerde werde Bezug genommen.
II.
Die Antragstellerin führt an, sie sei als hessische Gemeinde im Verfahren nach §
46 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof -StGHG - gemäß dieser Vorschrift
und nach § 19 Abs. 2 Nr. 10 StGHG antragsberechtigt. Bedenken dagegen
bestünden auch nicht angesichts der fehlenden Bezeichnung der Gemeinden als
Antragsteller in Art. 131 Abs. 2 HV, denn diese Aufzählung sei ersichtlich nicht
abschließend für diejenigen Verfahren, die über die in Art. 131 Abs. 1 HV
ausdrücklich genannten Verfahrensarten hinaus in der Verfassung oder durch
Gesetz (§ 46 StGHG) dem Staatsgerichtshof zugewiesen seien. Ihre
Antragsbefugnis folge daraus, dass sie selbst gegenwärtig und unmittelbar durch
die angegriffenen Normen des Schulgesetzes in ihrem kommunalen
Selbstverwaltungsrecht verletzt werde.
Die Verletzung der ihr garantierten Selbstverwaltung geschehe durch die
Verlagerung eines Teils der mit der Förderstufe im Zusammenhang stehenden
und bisher ihr selbst als Schulträger zukommenden Organisationskompetenzen
auf die Schulkonferenz. Mit den angegriffenen Regelungen gehe eine grundlegend
veränderte Zuordnung der Kompetenz zur Entscheidung über die Ersetzung einer
einmal eingerichteten Förderstufe zugunsten einer schulformbezogenen
Organisation der Jahrgangsstufen 5 und 6 an verbundenen Haupt- und Realschulen
und kooperativen Gesamtschulen einher. Der Schulträger sei an der nun der
Schulkonferenz zugeordneten Entscheidung weder im Verfahren noch materiell zu
beteiligen.
Neben einem Verstoß gegen die Gewährleistung in Art. 137 Abs. 3 HV durch die
Verlagerung der Regelungskompetenz über die Ersetzung der Förderstufe
beinhalte das neu gestaltete Schulgesetz auch eine Verletzung der Garantie der
Verwaltungsallzuständigkeit in Art. 137 Abs. 1 Satz 1 HV. Es gebe kein dringendes
Bedürfnis, durch Verlagerung der Verwaltungsaufgabe im Zusammenhang mit der
Ersetzung der Förderstufe auf die Schulkonferenz einer kommunalen Schule eine
quasi sonderbehördliche Verwaltungskompetenz zu schaffen.
Durch die neugestaltete Entscheidungsbefugnis ergäben sich spürbare
Auswirkungen auf die Schulstruktur des Schulträgers. In ihrem Falle werde die
gesamte Schullandschaft verändert und schließlich die ihrem
Selbstverwaltungsrecht unterfallende Schulentwicklungsplanung konterkariert. Das
Gesetz in der neuen Fassung könne auch zu nicht mehr kalkulierbaren finanziellen
Mehrbelastungen der Kommunen führen, die durch staatliche Finanzzuweisungen
aufgrund des Finanzausgleichsgesetzes nicht ausgeglichen würden. Dies greife in
die kommunale Finanzhoheit ein. Dem wirke § 23 Abs. 7 Satz 3 HSchG nicht
ausreichend entgegen, da kostenträchtige Folgewirkungen nicht erfasst würden.
Die Antragstellerin beantragt,
festzustellen, dass § 23 Abs. 7 Sätze 2 bis 4, § 26 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 129 Nr.
3 des Hessischen Schulgesetzes in der Fassung des Ersten Gesetzes zur
Qualitätssicherung in hessischen Schulen vom 30. Juni 1999 mit Art. 137 Abs. 1
und 3 der Hessischen Verfassung unvereinbar und nichtig sind.
III.
Die Landesregierung hält die Grundrechtsklage für unbegründet.
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Der Antrag sei als kommunale Grundrechtsklage nach § 46 StGHG zulässig.
Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 46 StGHG bestünden nicht,
dessen tatbestandliche Voraussetzungen seien erfüllt.
§ 23 Abs. 7 Sätze 2 bis 4, § 26 Abs. 2 Sätze 2 und 3 und § 129 Nr. 3 des
Hessischen Schulgesetzes verletzten nicht das den Gemeinden in Art. 137 Abs. 3
Satz 1 HV gewährleistete Recht der Selbstverwaltung. Gemäß Art. 56 Abs. 1 Satz
2 HV sei das Schulwesen Sache des Staates. Diesem komme daher im
schulischen Bereich ein umfassendes Gestaltungs- und Bestimmungsrecht zu, das
die Reichweite der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Bereich des
Schulwesens einschränke.
IV.
Der Landesanwalt hat in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht,
dass er die Grundrechtsklage für unzulässig halte. Die Grundrechtsklage hätte der
Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung bedurft. Das Verfahren vor dem
Staatsgerichtshof werde instrumentalisiert in einem Konflikt zwischen
Stadtverordnetenversammlung und Magistrat.
Die Grundrechtsklage sei auch unbegründet. Die Entscheidungen über die
Einrichtung und Ersetzung der Förderstufe könnten nach ihrem Inhalt nicht zum
Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung, der vor staatlichen Eingriffen
geschützt sei, gerechnet werden. Die Förderstufe erfülle nach ihrer gesetzlichen
Charakterisierung im Schulgesetz nach der Neufassung durch das Erste Gesetz
zur Qualitätssicherung in hessischen Schulen die Funktion eines pädagogisch
legitimierten Gestaltungsmerkmals der inneren Unterrichtsorganisation, über
deren Einführung oder Ersetzung zu entscheiden allein Sache des Staates sei.
V.
Der Präsident des Hessischen Landtags hat mitgeteilt, eine Stellungnahme sei
nicht beabsichtigt.
B
I.
Die vom Magistrat der Antragstellerin ohne Zustimmung der
Stadtverordnetenversammlung erhobene kommunale Grundrechtsklage ist
unzulässig, weil sie sich als rechtsmissbräuchlich erweist.
§ 9 Abs. 1 HGO bestimmt, dass die Gemeindevertretung (in Städten
Stadtverordnetenversammlung) das oberste Organ einer Gemeinde ist. In § 9 Abs.
1 Sätze 2, 3 HGO ist geregelt, dass die Stadtverordnetenversammlung die
wichtigen Entscheidungen trifft und die gesamte Verwaltung überwacht.
Demgegenüber besorgt der Gemeindevorstand (in Städten Magistrat) die
laufende Verwaltung (§ 9 Abs. 2 Satz 1 HGO). Zur laufenden Verwaltung gehören
alle diejenigen Geschäfte, die mehr oder weniger gleichförmig in regelmäßiger
Wiederkehr vorkommen und sachlich von weniger erheblicher Bedeutung sind. Der
Kreis der Geschäfte der laufenden Verwaltung lässt sich nicht zahlenmäßig oder
katalogmäßig umschreiben. Mehr oder weniger erhebliche Abweichungen ergeben
sich zwangsläufig aus der Natur der Sache nicht nur nach der Größe, Finanzkraft
oder Bedeutung der beteiligten Gemeinden, sondern auch aus dem Wechsel der
Zeitumstände (vgl. Schneider/Dreßler/Lüll, Hessische Gemeindeordnung,
Kommentar, Stand: 14. Lieferung, Februar 1999, Erl. 1 zu § 66).
Dieser besonderen Bedeutung der Stadtverordnetenversammlung als des von den
Bürgern gewählten obersten Organs der Stadt Rechnung tragend regelt § 51 HGO
einen Katalog wichtiger kommunaler Aufgaben unter Begründung einer
ausschließlichen Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung, die diese
Aufgaben nicht übertragen kann. Hierunter fällt nach § 51 Nr. 18 HGO auch die
Entscheidung über die Führung eines Rechtsstreits von größerer Bedeutung. Eine
kommunale Grundrechtsklage vor dem Staatsgerichtshof, mit der Bestimmungen
eines Landesgesetzes als verfassungswidrig angegriffen werden, stellt schon
grundsätzlich einen Rechtsstreit von größerer Bedeutung dar. Das erhebliche
Gewicht, welches die Antragstellerin dem vorliegenden Rechtsstreit beimisst,
kommt überdies darin zum Ausdruck, dass die angegriffenen Normen ihres
Erachtens eine erhebliche Veränderung ihrer gesamten Schullandschaft zur Folge
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Erachtens eine erhebliche Veränderung ihrer gesamten Schullandschaft zur Folge
haben. Der Magistrat der Antragstellerin war ohne Beschluss der
Stadtverordnetenversammlung zu der Erhebung der Grundrechtsklage daher nicht
befugt, sondern handelte gesetzwidrig.
Die seitens des Magistrats der Antragstellerin veranlasste Klageerhebung ist durch
die Stadtverordnetenversammlung auch nicht nachträglich dadurch genehmigt
worden, dass der Antrag der FWG-Fraktion vom 8. August 2000 in der
Stadtverordnetenversammlung mehrheitlich abgelehnt wurde.
Dieser Antrag ging dahin, dass sich die Stadtverordneten von der angestrengten
"Verfassungsbeschwerde" der Stadt Gießen vor dem Hessischen Staatsgerichtshof
gegen das novellierte Hessische Schulgesetz distanzieren und den Magistrat
auffordern sollten, die "Verfassungsbeschwerde" zurückzuziehen. Eine
Genehmigung der vom Magistrat erhobenen kommunalen Grundrechtsklage durch
die Stadtverordnetenversammlung lässt sich dem Beschluss über einen so
formulierten Antrag und damit auch dessen mehrheitlicher Ablehnung nicht
entnehmen. Der der Stadtverordnetenversammlung vorbehaltene Beschluss, dass
ein Rechtsstreit von größerer Bedeutung geführt werden soll, muss klar und
eindeutig gefasst werden. Das ist bei der Ablehnung eines Antrags auf
Zurückziehung einer Klage nicht der Fall, zumal die Ablehnung - wie auch hier - auf
die konkrete Formulierung des Antrags oder seine spezifische Begründung
zurückzuführen sein kann.
Mit ihrem Beschluss vom 15. Februar 2001forderte die
Stadtverordnetenversammlung den Magistrat sogar ausdrücklich auf, die beim
Staatsgerichtshof eingereichte Klage der Stadt Gießen gegen das Schulgesetz
zurückzuziehen. Damit brachte sie unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie die
Klage nicht zu genehmigen gewillt ist. Trotzdem hat der Magistrat die von ihm
gesetzwidrig erhobene Grundrechtsklage aufrechterhalten.
Der Magistrat der Antragstellerin kann sich über die fehlende Zustimmung der
Stadtverordnetenversammlung nicht auf Grund der ihm nach der Hessischen
Gemeindeordnung zustehenden Außenvertretungskompetenz hinwegsetzen.
Zwar vertritt der Magistrat gemäß § 71 HGO die Stadt nach außen. Diese
Außenvertretungskompetenz des Magistrats besteht grundsätzlich unabhängig
von der innergemeindlichen Willensbildung, so dass der Magistrat prinzipiell auch
bei Überschreitung seiner Kompetenzen wie im Falle des Fehlens der nach § 51
HGO gemeindeverfassungsrechtlich erforderlichen Beschlussfassung der
Stadtverordnetenversammlung wirksam für die Stadt handelt (vgl. Bennemann, in:
Kommunalverfassungsrecht Hessen, Hessische Gemeindeordnung, Kommentar,
Stand: 4. Nachlieferung Dezember 2000, § 51 Rdnr.52; Wiegelmann, Handbuch
des hessischen Kommunalverfassungsrechts, Band 1, 1988, S. 331).
Doch hat der Magistrat der Antragstellerin bewusst und gewollt die ausschließliche
Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung gemäß § 51 Nr. 18 HGO
unterlaufen und sich gleichsam "verselbständigt". Er handelt rechtsmissbräuchlich,
weil er entgegen dem ausdrücklich erklärten Willen der
Stadtverordnetenversammlung der Antragstellerin die Grundrechtsklage
aufrechterhält und nicht zurücknimmt. Dadurch versucht er als
vertretungsberechtigtes Organ seine von dem zur Entscheidung berufenen
Gremium abweichende Rechtsauffassung durchzusetzen. Die Grundrechtsklage ist
ohne den nach § 51 Nr. 18 HGO erforderlichen Beschluss der
Stadtverordnetenversammlung erhoben und später auch nicht genehmigt worden,
obwohl dem Magistrat der Antragstellerin seit dem 9. Juni 1999 die
verfassungsrechtliche Problematik bekannt war, wie sich der Vorlage zum
Magistratsbeschluss vom 18. Juli 2000 entnehmen lässt. Selbst wenn der Magistrat
vor seiner Entscheidung über die Erhebung der Grundrechtsklage noch ein
Rechtsgutachten erstellen lassen wollte, so hätte er einen entsprechenden
Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur Klageerhebung nach der
Sommerpause 2000 noch herbeiführen können, wozu der Magistrat verpflichtet
gewesen wäre. Dies unterblieb, ohne dass Gründe hierfür erkennbar sind. Der
Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 15. Februar 2001verpflichtete
den Magistrat zur Rücknahme der Grundrechtsklage, die er nie legitimiert war zu
erheben. Damit liegt erstmals eine eindeutige Willensäußerung der
Stadtverordnetenversammlung zur Grundrechtsklage vor, die keinen Zweifel daran
lässt, dass die Klage gerade nicht weitergeführt werden soll. Der Magistrat handelt
deshalb, rechtsmissbräuchlich, wenn er diesen zweifelsfrei erkennbaren Willen
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deshalb, rechtsmissbräuchlich, wenn er diesen zweifelsfrei erkennbaren Willen
missachtet, indem er die Klage aufrechterhält. Sie ist deshalb unzulässig. Darauf,
dass der Oberbürgermeister der Antragstellerin dem Beschluss widersprochen hat,
kommt es unter diesen Umständen nicht an. Die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs verschafft dem Magistrat der Antragstellerin nicht das Mandat, die
Klage aufrechtzuerhalten.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.