Urteil des StGH Hessen vom 11.11.1992

StGH Hessen: faires verfahren, hessen, schweigen, geständnis, beweisführung, fehlerhaftigkeit, fremder, rüge, erpressung, grundrecht

1
2
3
4
Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1151
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 46 Abs 1 StGHG HE, § 45
StGHG HE, Art 131 Verf HE
(StGH Wiesbaden: unzulässige Grundrechtsklage mangels
Substantiierung nach StGHG HE § 46 Abs 1)
Leitsatz
1. Die Möglichkeit der Beiziehung von Verfahrensakten befreit nicht von der
Darlegungspflicht der behaupteten Grundrechtsverletzung, denn es ist nicht Aufgabe
des Verfassungsgerichts, durch eigene Ermittlungen einer unzulässigen
Grundrechtsklage zur Zulässigkeit zu verhelfen.
2. Hier: nur allgemeine Rüge der Fehlerhaftigkeit des Strafverfahrens und des
Strafurteils.
Gründe
A
Der Antragsteller, der zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt B. einsitzt, hat sich mit
seinen am 10. August und 8. September 1992 beim Staatsgerichtshof
eingegangenen Eingaben der Grundrechtsklage eines Mithäftlings im Verfahren
P.St. 1143 angeschlossen und beantragt die Aufhebung des den Antragsteller im
Verfahren P.St. 1143 betreffenden Strafurteils sowie einer ihn selbst betreffenden
Verurteilung. Beide Urteile seien verfassungswidrig und daher unwirksam. Die
Ehefrau des Antragstellers im Verfahren P.St. 1143 sei "zum Schweigen erpreßt",
die Telefonüberwachungsprotokolle seien zu Unrecht verwertet worden. Die
Verurteilung des Mithäftlings sei durch Erpressung zustande gekommen; er selbst
habe ebenso wie der Mithäftling kein Geständnis abgelegt, man habe ihnen die
Worte in den Mund gelegt. Er sei unter Folterungen zum Schweigen und zur
Hauptverhandlung gezwungen worden, dort habe man ihn zum Objekt des
Verfahrens gemacht. Das Urteil sei nur seinem Strafverteidiger, nicht aber ihm
zugestellt worden.
Mit Beschluß vom 11. November 1992 (P.St. 1143) hat der Staatsgerichtshof das
Verfahren des Antragstellers abgetrennt.
B
Die Grundrechtsklage ist unzulässig.
I.
Soweit der Antragsteller die Aufhebung eines Strafurteils gegen den
Grundrechtskläger im Verfahren P.St. 1143 begehrt, ist der Antrag schon deshalb
unzulässig, weil er damit nicht die Verletzung eigener Rechte, sondern die eines
Dritten geltend macht. Eine Prozeßstandschaft, also die Geltendmachung fremder
Rechte in eigenem Namen, ist aber in Verfahren nach Art. 131 Absätze 1 und 3
der Verfassung des Landes Hessen (HV) in Verbindung mit § 45 Abs. 2 des
Gesetzes über den Staatsgerichtshof (StGHG) ausgeschlossen, weil die
Grundrechtsklage ein Rechtsbehelf zur Verteidigung höchstpersönlicher Rechte ist
(ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. zuletzt Beschluß vom 09.09.1992, P.St.
5
6
7
8
(ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. zuletzt Beschluß vom 09.09.1992, P.St.
1142).
II.
Soweit sich der Antragsteller mit seiner am 8. September 1992 beim
Staatsgerichtshof eingegangenen Grundrechtsklage gegen das ihn betreffende
Strafurteil wendet, ist der Antrag schon deshalb unzulässig, weil es an der
substantiierten Darlegung des behaupteten Verletzungsvorganges fehlt. Nach §
46 Abs. 1 StGHG muß der Antrag nicht nur das Grundrecht bezeichnen, das
verletzt sein soll, sondern auch mit Angabe der Beweismittel die Tatsachen
darlegen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll.
Der Antragsteller rügt nur allgemein die Fehlerhaftigkeit des Strafverfahrens sowie
des Urteils und weist darauf hin, er habe kein Geständnis abgelegt. Welche
Grundrechte im einzelnen durch welche Vorgänge verletzt sein sollen, legt er nicht
dar. Zwar fordert er ein faires Verfahren ein, trägt aber nicht vor, welchen
grundrechtlichen Schutzbereich er durch wen und durch welche Maßnahmen als
verletzt ansieht.
Aus dem Vorbringen des Antragstellers kann allenfalls entnommen werden, daß er
die gerichtliche Beweisführung angreifen will. Zentrales Anliegen des
Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den das
materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden kann (BVerfG, Beschluß vom
26.05.1981, BVerfGE 57, 250, 275). Die Beweisführung im Strafprozeß hat der
Gesetzgeber in den Vorschriften der §§ 48 ff. und 244 ff. der Strafprozeßordnung
geregelt. Wollte der Antragsteller eine unrichtige Anwendung dieser Vorschriften
rügen, beträfe dies eine vom Verfassungsgericht nicht überprüfbare Anwendung
einfachen Rechts. Wollte er deren Anwendung unter Verfassungsverstoß oder die
Verfassungswidrigkeit der Regelungen selbst rügen, so müßte er genau den
Verletzungsvorgang und dessen Auswirkungen auf die angefochtene
Gerichtsentscheidung schildern. Die allgemeine Behauptung, man habe ihm Worte
in den Mund gelegt, genügt diesen Anforderungen nicht. Auch aus seinen weiteren
Behauptungen lassen sich keine konkret zuzuordnenden Verfahrensverstöße
entnehmen. Soweit der Antragsteller die Zustellung des Urteils an seinen
Verteidiger und nicht an ihn selbst rügt, verkennt er die Rechtslage. Die
Verfahrensvorschrift des § 145 a Abs. 3 der Strafprozeßordnung sieht dies
ausdrücklich vor. Gründe für die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung macht er
nicht geltend. Sein allgemeiner Hinweis, der Staatsgerichtshof möge die
Verfahrensakte beiziehen, die bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden geführt wird,
befreit den Antragsteller nicht von der Darlegungspflicht. Es ist nicht Aufgabe des
Verfassungsgerichts, durch eigene Ermittlungen einer unzulässigen
Grundrechtsklage zur Zulässigkeit zu verhelfen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.