Urteil des StGH Hessen vom 23.07.1993

StGH Hessen: einstweilige verfügung, vorbehalt des gesetzes, hauptsache, hessen, ratio legis, rechtsnorm, geschichte, wahlrecht, schüler, gesetzesvorbehalt

Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1173 e.V.
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 55 S 1 Verf HE, Art 59 Abs
2 Verf HE, Art 56 Abs 5 Verf
HE, § 22 Abs 1 S 1 StGHG HE,
§ 45 StGHG HE
(StGH Wiesbaden: Ablehnung einer einstweiligen
Verfügung gegen das Inkrafttreten des SchulG HE am
1993-08-01)
Leitsatz
1. Eine Grundrechtsklage unmittelbar gegen ein Gesetz und ein entsprechender Antrag
auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung sind bereits zulässig, wenn das Gesetz zwar
verkündet, aber noch nicht in Kraft getreten ist.
2. Anders als § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG zwingen die Vorschriften der §§ 41 ff. StGHG
in Grundrechtsklageverfahren nicht dazu, ein Gesetz, das Grundrechte verletzt, für
verfassungswidrig oder nichtig zu erklären. Bisher hat sich der Staatsgerichtshof in
solchen Fällen auf die Feststellung der Grundrechtsverletzung im Einzelfall beschränkt.
In dem einem Grundrechtsklageverfahren zugeordneten Eilverfahren nach § 22 Abs. 1
StGHG hält es der Staatsgerichtshof aber jedenfalls für rechtlich zulässig, eine
Rechtsnorm - zumal in Form des Hinausschiebens ihres Inkrafttretens - zeitweilig zu
suspendieren.
3. Bei der Entscheidung über den Erlaß einer einstweiligen Verfügung sind die für die
Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Regelung vorgebrachten Gesichtspunkte
grundsätzlich außer Betracht zu lassen; der Staatsgerichtshof entscheidet aufgrund
einer Folgen- und Interessenabwägung. Etwas anderes gilt nur, wenn die
Grundrechtsklage in der Hauptsache sich bereits nach summarischer Prüfung als
offensichtlich erfolglos oder offensichtlich begründet erweist.
4. Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung zur Verhinderung des Inkrafttretens eines
Gesetzes ist nicht geboten, wenn sich durch die von den Antragstellern angegriffenen
Regelungen die Rechtslage im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand nicht wesentlich
ändert (hier Regelungen des Hessischen Schulgesetzes betr. die "Bildungsgänge", die
Wahlfreiheit hinsichtlich des Bildungsganges nach Beendigung der Grundschule bzw. der
Förderstufe sowie die Bewertung schulischer Leistungen).
5. Bleibt ein Eilantrag zwar nicht wegen des Ergebnisses einer summarischen Prüfung in
der Hauptsache, wohl aber aufgrund einer Interessen- und Folgenabwägung nach
Auffassung von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Staatsgerichtshofs
offensichtlich erfolglos, so rechtfertigt sich auch hier eine Anwendung des § 21 Abs. 1
StGHG dem Rechtsgedanken nach, weil eine Korrektur der - negativen - Eilentscheidung
aufgrund einer Hauptverhandlung ausgeschlossen erscheint. In solchen Fällen ist der
Antrag auf Anberaumung einer Hauptverhandlung (§ 22 Abs. 3 StGHG) ebenfalls
unstatthaft.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
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A.
Die Antragsteller begehren, im Wege der einstweiligen Verfügung das Inkrafttreten
des Hessischen Schulgesetzes vom 17. Juni 1992 (GVBl. I, S. 233 - HSchG -) auf
einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
I.
Alle Antragsteller sind Eltern, deren Kinder Schulen und Kindergärten in Hessen
besuchen. Die Kinder der Antragsteller zu 1) besuchen die 10. Klasse des
Gymnasiums, die 3. und 1. Klasse der Grundschule sowie den Kindergarten, die
Kinder der Antragsteller zu 2) besuchen die 6. Klasse der Förderstufe, die
Mittelstufe der Schule für Lernhilfe und die 10. Klasse - Gymnasialstufe einer
additiven Gesamtschule (AGS) -, die Kinder der Antragsteller zu 3) besuchen die
12., 8. und 6. Klasse.des Gymnasiums sowie die 4. Klasse der Grundschule, die
Kinder der Antragsteller zu 4) besuchen die 9. Klasse der Realschule, die Klassen 8
und 6 des Gymnasiums, 3 und 1 der Grundschule sowie den Kindergarten, die
Kinder der Antragsteller zu 5) besuchen die 6. und 8. Klasse des Gymnasiums.
Unter Berufung auf ein für den Hessischen Elternverein e.V. erstelltes
Rechtsgutachten von Prof. Dr. Rupert Scholz vom Februar 1993 tragen die
Antragsteller vor, schon eine summarische Überprüfung des angegriffenen
Schulgesetzes ergebe, daß in jedem Fall vier Regelungsinhalte offensichtlich
verfassungswidrig seien.
1. Das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 55 Satz 1 der Verfassung des Landes
Hessen (kurz: Hessische Verfassung -HV-) gewährleiste auch eine substantielle
Wahlmöglichkeit unter den anzubietenden, nach Bildungsweg und Bildungsziel zu
differenzierenden Schulformen. Das neue Schulgesetz räume zwar in § 77 Abs. 1
Satz 1 und 2 den Eltern das Recht ein, unter verschiedenen weiterführenden
Bildungsgängen zu wählen, definiere aber nicht, was unter einem "Bildungsgang"
zu verstehen sei. Weder in den §§ 5, 12, 13 HSchG noch in den Bestimmungen
über die Bildungsgänge der Mittelstufe und die studienqualifizierenden
Bildungsgänge der Oberstufe werde eine Definition angeboten, die eine
Auswahlentscheidung der Eltern ermögliche. In § 24 und § 25 HSchG seien für die
beiden Schulformen Gesamtschule und Gymnasium identische "Lernziele"
definiert. Wenn das Schulgesetz ein Wahlrecht zwischen diesen beiden
Schulformen gewähre, gleichzeitig aber die Unterschiede zwischen den in diesen
Schulformen vermittelten Bildungsgängen auf eine organisatorische
Unterscheidung reduziere, werde die in § 77 Abs. 1 HSchG scheinbar garantierte
substantielle Wahlmöglichkeit zur reinen Farce. Trotz formalen Festhaltens am
gegliederten Schulsystem verfolge das Gesetz eindeutig das Ziel, der
(integrierten) Gesamtschule den Vorrang einzuräumen und auf diese Weise das
elterliche Wahlrecht zu beschneiden. Dieses werde weiterhin dadurch verletzt, daß
das Gesetz den als Anknüpfungspunkt gewählten Tatbestand des Bildungsgangs
ohne jegliches festgelegte Profil lasse. Die inhaltliche Ausgestaltung des
Bildungsangebots sei aber eine unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung
des Elternwahlrechts. Diese Beschreibung müsse der Gesetzgeber selbst
vornehmen, damit die Eltern ihre Grundrechte auch tatsächlich wahrnehmen
könnten. Es reiche nicht aus, wenn der Gesetzgeber nur die organisatorischen
Regelungen treffe, die inhaltliche Ausgestaltung aber der Kultusverwaltung
überlasse, wie es etwa in § 4 Abs. 4 und § 13 Abs. 6 HSchG geschehen sei. Ein
solches Verhalten des Gesetzgebers verstoße gegen den in Art. 2 Abs. 2 HV
formulierten Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes.
2. § 77 Abs. 3 Satz 5 HSchG, der ein Letztentscheidungsrecht der Eltern für die
Wahl des Bildungsganges vorsehe, verstoße gegen das Recht aller Eltern gemäß
Art. 55 Satz 1 HV und den in Art. 59 Abs. 2 HV garantierten Eignungsgrundsatz.
Unterschiedliche Bildungsgänge seien nur vorstellbar, wenn sichergestellt werde,
daß diejenigen nicht in den jeweiligen Bildungsgang für einen längeren Zeitraum
hineingelassen würden, die dafür keinerlei Eignung nachweisen könnten. Nur dann,
wenn die Begabungen jedenfalls mittels eines Grobrasters überprüft und sortiert
würden, sei eine weiterführende und nicht nur auf dem Papier differenzierende
Schulausbildung möglich, die ihrerseits Voraussetzung für ein Wahlrecht sei, das
diesen Namen verdiene. Für ein substantielles Elternwahlrecht sei es erforderlich,
jedenfalls in den Sekundarstufen I und II dafür zu sorgen, daß auf Dauer nur Kinder
mit einer in etwa vergleichbaren Eignung in einem Bildungsgang ausgebildet
würden. Die Versetzungsregelung in § 75 Abs. 2 HSchG führe im Ergebnis dazu,
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würden. Die Versetzungsregelung in § 75 Abs. 2 HSchG führe im Ergebnis dazu,
daß Schüler, denen die Eignung fehle, bis zu vier Jahre in den Jahrgangsstufen 5 bis
7 verbringen könnten, bevor sie diesen Bildungsgang verlassen müßten. Schon die
Erfahrungen mit der freien Wahl des Bildungsgangs durch die Eltern aufgrund des
Gesetzes zur Einführung der freien Wahl der Bildungswege und zur vorläufigen
Regelung der Übergänge nach Grundschule und Förderstufe vom 13. Juni 1991
(GVBl. I S. 181) zeigten, daß viele Eltern ihre Kinder entgegen der Empfehlung der
Schule in einen höheren Bildungsgang schickten. Im konkreten Fall sehe das
Ergebnis der Neuregelung so aus, daß jedenfalls in den Jahrgangsstufen 5 und 6
das elterliche Wahlrecht voll, die verfassungsrechtlich gewährleistete Schwelle der
Eignung dagegen überhaupt keine Berücksichtigung finde. Von einer Auflösung
dieses Spannungsverhältnisses im Sinne praktischer Konkordanz (wie es der
Staatsgerichtshof in seinem Urteil vom 11. Februar 1987 - P.St. 1036 - gefordert
habe) könne angesichts der konkreten gesetzlichen Regelung in den §§ 77 Abs. 3,
75 Abs. 2 HSchG keine Rede sein.
3. § 73 Abs. 2 HSchG verstoße gegen das in der Hessischen Verfassung
gewährleistete Elternrecht, weil zur Grundlage der Leistungsbeurteilungen nicht
nur die Leistungen der einzelnen Schüler, sondern auch der Leistungsstand der
Lerngruppe gemacht werde. Damit seien die Leistungsbeurteilungen in den
hessischen Schulzeugnissen relativiert und sagten nur noch etwas darüber aus,
wie sich die Leistungen des einzelnen Schülers unter Berücksichtigung des
Leistungsstandes der Klasse oder Lerngruppe darstellten. Dadurch werde die
individuelle Leistungs- und Eignungskontrolle zu Gunsten einer kollektiven
Leistungs- und Eignungsnivellierung aufgegeben. Dies lasse sich weder mit dem
Recht des einzelnen Schülers auf eine optimale Entfaltung seiner eigenen
Persönlichkeit noch mit dem elterlichen Erziehungsrecht vereinbaren. In einer so
organisierten Schule könne der Unterricht letztlich nicht mehr schulstufen- und
schulformgerecht, sondern nur noch "lerngruppengerecht" erteilt werden. Der
Leistungsstandard werde damit letztlich dem Zufall überantwortet. Das gelte
sowohl für die begabten als auch für die weniger begabten Schüler.
4. Die Regelung des § 6 Abs. 3 HSchG, wonach Lernbereiche fächerübergreifend
unterrichtet und zusammengefaßt gewertet werden können, verstoße, soweit das
Fach Geschichte betroffen sei, gegen Art. 56 Abs. 5 HV. Den Schülern müsse nach
der Hessischen Verfassung ein Geschichtsunterricht im eigentlichen Sinne erteilt
werden. Demgegenüber sei die Bildung des Lernbereiches Gesellschaftslehre
darauf gerichtet, die drei Unterrichtsfächer Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde
zu "instrumentalisieren" im Sinne einer gegenwartsbezogenen politischen und
sozialwissenschaftlichen Ausbildung. Die Eigenständigkeit des
Geschichtsunterrichts fordere nicht nur eine entsprechend gesonderte und
selbständige Stoffvermittlung, sondern ebenso eine eigenständige und gesonderte
Leistungsbewertung. Die Regelung des § 6 Abs. 3 HSchG führe überall da, wo ein
Lernbereich Gesellschaftslehre tatsächlich eingerichtet werde, im Ergebnis dazu,
daß nicht etwa nur in Ausnahmefällen, sondern in der Regel das Fach Geschichte
fachfremd von einem Erdkunde- oder Sozialkundelehrer unterrichtet werde, also
ein Mischfach entstehe, für das eine zusammengefaßte Bewertung erteilt werde.
Das neue Schulgesetz, das am 1. August 1993 in Kraft treten solle, sei in den hier
erörterten Einzelbestimmungen offensichtlich verfassungswidrig. Jedenfalls seien
die Veränderungen, die in diesem Gesetz insbesondere für den Übergang von der
Grundschule oder der Förderstufe in eine weiterführende Schule und für die
Unterrichtsgestaltung in den weiterführenden Schulen vorgesehen seien, so
gravierend, daß ihre Korrektur nach Inkrafttreten des Schulgesetzes für alle
Betroffenen größere Nachteile mit sich bringen würde als ein Aufschub des
Inkrafttretens des Gesetzes. Es sei beabsichtigt, noch vor dem 1. August 1993
gegen das Hessische Schulgesetz Grundrechtsklage beim Staatsgerichtshof zu
erheben. Sie werde sich über das bereits Vorgetragene hinaus auf weitere
Bestimmungen des Gesetzes erstrecken.
Die Antragsteller beantragen,
das Inkrafttreten des Hessischen Schulgesetzes vom 17. Juni 1992 (Gesetz- und
Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil I, Seite 233 ff.), das nach § 190 HSchG
für den 1. August 1993 vorgesehen ist, auf einen späteren Zeitpunkt zu
verschieben.
II.
Der Ministerpräsident des Landes Hessen erhebt gegen die Zulässigkeit des
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Der Ministerpräsident des Landes Hessen erhebt gegen die Zulässigkeit des
Eilantrages Bedenken.
Er hält im übrigen die angegriffenen Vorschriften des Hessischen Schulgesetzes
für verfassungsgemäß und den Antrag jedenfalls für unbegründet. Auf seinen
Schriftsatz vom 8. Juli 1993 wird Bezug genommen.
III.
Auch der Landesanwalt bei dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen hält unter
Hinweis auf die Ausführungen des Ministerpräsidenten die Voraussetzungen für
den Erlaß einer einstweiligen Verfügung nicht für gegeben.
B.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist zurückzuweisen.
I.
1. Der Antrag ist statthaft.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG - kann
der Staatsgerichtshof, um in einem Streitfall einen Zustand vorläufig zu regeln, für
eine drei Monate nicht übersteigende Frist eine einstweilige Verfügung erlassen,
wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender
Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund im öffentlichen Interesse geboten
erscheint. Eine einstweilige Verfügung kommt bei allen vor dem Staatsgerichtshof
zulässigen Verfahrensarten und daher auch zur Sicherung solcher
Rechtsansprüche in Betracht, die im Wege der Grundrechtsklage zu verfolgen sind
(StGH, Beschluß vom 29.01.1993 - P.St. 1158 e.V. -, StAnz. 1993, S. 654).
Die Antragsteller haben eine Grundrechtsklage gemäß Art. 131 HV und den §§ 45
Abs. 2 ff. StGHG angekündigt. Diese wäre ein im Grundsatz verfahrensrechtlich
geeignetes Mittel, um eine Verletzung von Grundrechten geltend zu machen, die
den Antragstellern von der Hessischen Verfassung gewährt werden.
2. Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, daß das Hessische
Schulgesetz vom 17. Juni 1992, das die Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit
der Grundrechtsklage angreifen wollen, zwar schon verkündet ist (GVBl. I Nr. 15
vom 30.06.1992), aber gemäß seinem § 190 in den wesentlichen Teilen erst am 1.
August 1993 in Kraft treten wird. Die Zulässigkeit einer Grundrechtsklage in der
Hauptsache gegen eine Rechtsnorm setzt nach der ständigen Rechtsprechung
des Staatsgerichtshofs zwar voraus, daß der jeweilige Antragsteller durch die
angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen wird (vgl.
Beschluß vom 23.10.1991 - P.St. 1130 e.V. -, StAnz. 1991, S. 2659 = DVBl. 1992,
S. 1024 = NVwZ 1992, S. 1185). Dadurch kann Rechtsschutz gegen eine bereits
verkündete, aber erst demnächst in Kraft tretende Norm indessen nicht
ausgeschlossen sein. Denn Personen, die einen ihnen drohenden
Grundrechtseingriff abwehren wollen, ist nicht zuzumuten, zunächst das
Inkrafttreten der Norm und eine - aus ihrer Sicht - unmittelbar damit verbundene
Grundrechtsbeeinträchtigung abzuwarten, ehe sie Rechtsschutz beantragen
dürfen (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 10.07.1990, BVerfGE 82, 310 im Fall einer
Kommunalverfassungsbeschwerde).
3. Der Zulässigkeit des Antrags steht ferner nicht entgegen, daß die Antragsteller
im Vorgriff auf ein Grundrechtsklageverfahren das Inkrafttreten einer Rechtsnorm
vorläufig verhindern wollen. Allerdings zwingen die Vorschriften der §§ 45 ff. StGHG
über das Grundrechtsklageverfahren - im Gegensatz zum
Normenkontrollverfahren gemäß §§ 41 ff. StGHG - nicht dazu, ein Gesetz, das
Grundrechte verletzt, für verfassungswidrig oder nichtig zu erklären (anders § 95
Abs. 3 Satz 1 BVerfGG). So hat sich denn der Staatsgerichtshof in
Grundrechtsklageverfahren bisher darauf beschränkt, die Verletzung der
Grundrechte des betreffenden Klägers durch das angegriffene Gesetz
festzustellen, was nach der (personell erweiterten) Rechtskraftregelung des § 49
Abs. 1 StGHG lediglich dazu führt, daß rechtlich verbindlich für und gegen
jedermann und bindend für alle Gerichte und Behörden eine
Grundrechtsverletzung gerade zum Nachteil der am Verfahren beteiligten
Antragsteller - und nicht auch anderer betroffener Personen - feststeht, ohne daß
damit gleichzeitig der Bestand der angegriffenen Rechtsnorm berührt würde (vgl.
hierzu auch StGH, Urteil vom 04.04.1984 - P.St. 1002 -, StAnz. 1984, S. 825 =
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hierzu auch StGH, Urteil vom 04.04.1984 - P.St. 1002 -, StAnz. 1984, S. 825 =
ESVGH 35, 1 = DÖV 1984, S. 718; Beschluß vom 26.06.1985 - P.St. 1031 e.V. -).
Hiermit scheint sich das Suspendieren einer Rechtsnorm in einem dem
Grundrechtsklageverfahren zugeordneten Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes
nicht ohne weiteres vereinbaren zu lassen. Andererseits räumt die die
Regelungsbefugnis des Staatsgerichtshofs begründende Vorschrift des § 22 Abs. 1
StGHG diesem ein weitgehendes Gestaltungsermessen ein, um der Gefahr des
Eintritts nicht mehr auszugleichender wesentlicher Nachteile wirksam begegnen zu
können. Der Staatsgerichtshof hält es daher, wenn ein anderes, weniger
einschneidendes Mittel einen Schadenseintritt nicht zu verhindern vermag, für
rechtlich zulässig, eine Rechtsnorm - zumal in Form des Hinausschiebens ihres
Inkrafttretens, zeitweilig auch in solchen Fällen zu suspendieren, in denen in der
Hauptsache eine Grundrechtsklage zu erheben wäre.
4. Die Zulässigkeit des Antrags scheitert schließlich auch nicht daran, daß die
Antragsteller jedenfalls dem Wortlaut nach die vorläufige Suspendierung des
Hessischen Schulgesetzes insgesamt erreichen wollen. Es liegt allerdings auf der
Hand, daß bei Berücksichtigung des auf bestimmte Angriffspunkte beschränkten
und große Teile des Gesetzes völlig unberührt lassenden Vortrags der
Antragsteller für das Begehren einer derart weitreichenden Entscheidung von
vornherein kein Rechtsschutzinteresse bestünde. Indessen legt der
Staatsgerichtshof, der im einstweiligen Verfügungsverfahren ohnehin nicht in
demselben Maße an die Anträge gebunden ist wie im Hauptsacheverfahren, den
Antrag dahin aus, daß auf der Grundlage der erhobenen Verfassungsrügen
jedenfalls die angegriffenen Teile des Gesetzes - soweit isoliert ausscheidbar - und
gegebenenfalls die mit diesen sachlich untrennbar zusammenhängenden
Vorschriften vorläufig suspendiert werden sollen.
II.
Der Antrag kann jedoch keinen Erfolg haben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs in Übereinstimmung
mit derjenigen des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Prüfung der
Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung im Rahmen einer
gegen ein Gesetz gerichteten Grundrechtsklage wegen der in der Regel
weittragenden Folgen der Entscheidung ein strenger Maßstab anzulegen (vgl.
Beschluß vom 19.01.1993 - P.St. 1158 e.V. -; für ein Verfahren der
Normenkontrolle: Urteil vom 30.04.1986 - P.St. 1043 e.V. -, StAnz. 1986, S. 1159).
Besonders wichtige Gründe des Gemeinwohls - zu denen auch der
Grundrechtsschutz gehören kann - müssen vorliegen, wenn der Vollzug eines
Gesetzes ausgesetzt werden soll (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluß vom
21.12.1976, BVerfGE 43, 198, 200). Bei der Entscheidung über den Erlaß einer
einstweiligen Verfügung sind die von den Antragstellern für die
Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Regelungen vorgebrachten
Gesichtspunkte grundsätzlich außer Betracht zu lassen. Etwas anderes gilt aber,
wenn die in der Hauptsache angekündigte Grundrechtsklage bereits bei
summarischer Prüfung des Begehrens sich von vornherein als unzulässig oder
offensichtlich unbegründet erweist. Dann darf nach der ständigen Rechtsprechung
des Staatsgerichtshofs eine einstweilige Verfügung nicht ergehen, weil keine
Veranlassung für eine vorläufige Regelung besteht (ständige Rechtsprechung des
Staatsgerichtshofs, zuletzt im Beschluß vom 29.01.1993 - P.St. 1158 e.V. -
m.w.N.). Umgekehrt kann eine einstweilige Verfügung geboten sein, wenn sich die
Hauptsacheklage bereits bei summarischer Prüfung als offensichtlich begründet
darstellt. Liegt keiner dieser Fälle vor, ist dagegen aufgrund einer Interessen- und
Folgenabwägung zu entscheiden, ob eine und gegebenenfalls welche einstweilige
Regelung getroffen werden soll.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann eine einstweilige Verfügung jedenfalls
deshalb nicht ergehen, weil die Grundrechtsklage teilweise unzulässig wäre und im
übrigen eine Interessen- und Folgenabwägung zu Lasten der Antragsteller
ausgeht.
1. Hinsichtlich des § 77 Abs. 1 Satz 1 HSchG rügen die Antragsteller eine
Verletzung ihres elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 55 Satz 1 HV in zweifacher
Hinsicht: Weil der dort genannte "Bildungsgang" nicht - jedenfalls nicht im Gesetz
selbst - in ausreichendem Maße inhaltlich definiert und ausgestaltet sei, hätten
sie - die Antragsteller - keine substantielle Wahlmöglichkeit in Bezug auf die
anzubietenden, nach Bildungsweg und Bildungsziel zu differenzierenden
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anzubietenden, nach Bildungsweg und Bildungsziel zu differenzierenden
Schulformen. Zudem sei ihr Elternrecht auch deshalb beeinträchtigt, weil bei der
Regelung der Bildungsgänge, selbst wenn diese wenigstens durch untergesetzliche
Normen inhaltlich näher ausgestaltet würden, gegen den Gesetzesvorbehalt
verstoßen werde.
a) Eine Grundrechtsklage wäre nur zulässig, soweit die Antragsteller geltend
machen könnten, selbst, unmittelbar und gegenwärtig in ihren Grundrechten
verletzt zu sein. Mit der Rüge des Verstoßes gegen den Vorbehalt des Gesetzes
machen sie die Verletzung ihres elterlichen Rechts auf verfassungsgemäßen
Schulunterricht für ihre Kinder geltend (vgl. hierzu auch StGH, Urteil vom
04.04.1984 - P.St. 1002 -). Insoweit wird eine unmittelbare und gegenwärtige
Betroffenheit aller Antragsteller durch das Hessische Schulgesetz bei dessen
Inkrafttreten zu bejahen sein.
Offenbleiben kann danach in diesem Zusammenhang, ob die Antragsteller in
ihrem elterlichen Erziehungsrecht auch unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf
freie Wahl der Bildungsgänge durch das Gesetz gegenwärtig und unmittelbar
betroffen sind.
b) Bei der weiteren summarischen Überprüfung der Erfolgsaussicht der
angekündigten Grundrechtsklage hinsichtlich des § 77 Abs. 1 Satz 1 HSchG stellt
sich die Frage, ob die Klage nicht wegen Versäumung der nach ständiger
Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs bei unmittelbarer Anfechtung von
Rechtsnormen einzuhaltenden Frist von einem Jahr seit deren Inkrafttreten
unzulässig sein würde. Wenn bisher bestehende Vorschriften durch ein neues
Gesetz lediglich inhaltlich wiederholt und neugefaßt werden, beginnt diese Frist
nicht erneut zu laufen (vgl. dazu StGH, Beschluß vom 29.01.1993 - P.St. 1158 e.V.
-). Da die Frage der Identität der Regelungen hinsichtlich der inhaltlichen
Bestimmung und Ausgestaltung des bisherigen "Bildungswegs" und des im
Hessischen Schulgesetz vorgesehenen "Bildungsgangs" aber nicht von vornherein
mit der erforderlichen Eindeutigkeit beantwortet werden kann, soll ihre Klärung der
Hauptsacheentscheidung vorbehalten bleiben.
Dasselbe gilt für die - die Begründetheit der Grundrechtsklage betreffende - Frage,
ob der in § 77 Abs. 1 Satz 1 HSchG genannte "Bildungsgang" gesetzlich
hinreichend inhaltlich definiert und ausgestaltet und ob insoweit der aus dem
Rechtsstaats- und Demokratieprinzip folgende Gesetzesvorbehalt ausreichend
beachtet worden ist.
c) Im Ergebnis kommt unter dem hier behandelten Gesichtspunkt der Erlaß der
begehrten einstweiligen Verfügung nicht in Betracht. Denn wenn das Hessische
Schulgesetz am 1. August 1993 in Kraft tritt, wird sich - auch hinsichtlich der
gesetzlichen Regelungsdichte - die Rechtslage im Vergleich zum bisherigen
Rechtszustand jedenfalls nicht so wesentlich ändern, daß es gerechtfertigt wäre,
das Inkrafttreten der einschlägigen Normen zur Abwendung schwerwiegender
Nachteile zeitweilig hinauszuschieben.
Ein solcher Vergleich ergibt nämlich folgendes:
Das Hessische Schulgesetz bringt ersichtlich in weiten Bereichen keine
substantiellen Neuregelungen, sondern greift insoweit die bisherigen Regelungen
auf und faßt sie - zum Teil systematisch anders geordnet - in einem einheitlichen
Gesetzeswerk zusammen. Bei genauer Betrachtung unterscheidet sich auch der
durch § 77 Abs. 1 Satz 1 HSchG geschaffene Rechtszustand nicht wesentlich von
der bisher geltenden Rechtslage. Zunächst einmal erklärt die Vorschrift die Wahl
des Bildungsganges nach dem Besuch der Grundschule oder der Förderstufe zur
Sache der Eltern. Eben dasselbe bestimmen derzeit noch § 5 Abs. 2 Satz 1, 1.
Halbsatz und § 5 b Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Unterhaltung und
Verwaltung der öffentlichen Schulen und die Schulaufsicht
(Schulverwaltungsgesetz - SchVG -) in der Fassung vom 4. April 1978 (GVBl. I S.
232), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Juni 1991 (GVBl. I S. 181) sowie durch
Gesetz vom 2. April 1992 (GVBl. I S. 121).
Vergleicht man alle anderen den "Bildungsgang" unmittelbar oder mittelbar
betreffenden Vorschriften mit denen des bisherigen Rechts, so ist zu erkennen,
daß zwar eine terminologische Änderung ("Bildungsgang" anstelle des bisherigen
Begriffs "Bildungsweg", der künftig für den konkreten, individuellen Weg der
schulischen und gegebenenfalls universitären oder auch berufsqualifizierenden
Ausbildung stehen soll, vgl. etwa §§ 12 Abs. 4, 24 Abs. 1 HSchG), nicht jedoch eine
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Ausbildung stehen soll, vgl. etwa §§ 12 Abs. 4, 24 Abs. 1 HSchG), nicht jedoch eine
qualitative, inhaltliche Änderung eingetreten ist. Das Schulwesen wird nach wie vor
nach Jahrgangsstufen (1 bis 13), Schulstufen (Primarstufe, Sekundarstufe I und
Sekundarstufe II) und Schulformen gegliedert (§§ 1 Abs. 2, 5 a ff. SchVG, § 11
HSchG). Die in § 5 Abs. 2 Satz 3 SchVG genannten Schulformen, in denen bisher
der allgemeinbildende "Bildungsweg" fortgesetzt werden konnte (Hauptschule,
Realschule, Gymnasium, Gesamtschule usw.), finden sich zwar nicht in § 77 Abs. 1
HSchG - der ohnehin im Zusammenhang mit allen anderen einschlägigen
gesetzlichen und untergesetzlichen Normen betrachtet werden muß -, wohl aber in
der Aufzählung der einzelnen Schulformen in § 11 Abs. 3 Nr. 1 HSchG wieder. Die
bisherige allgemeine Definition der "Aufgabe der Schule des gewählten
Bildungsweges" (also der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums)
enthält § 5 a Abs. 1 Satz 3 Nummern 1 bis 3 SchVG; die neuen §§ 23 Abs. 1, 23
Abs. 4 und 24 Abs. 1 HSchG übernehmen diese Definition wörtlich. Die sich
nunmehr in § 22 HSchG findende nähere inhaltliche Beschreibung der Förderstufe
ist bisher in § 12 SchVG enthalten. Die Regelungen über die Gesamtschulen (§§ 25
bis 27 HSchG) sind im wesentlichen aus § 11 Absätze 1 bis 3 SchVG übernommen
worden. Die Bildungsgänge - die weder nach der bisherigen noch nach der
künftigen Rechtslage losgelöst von der äußeren Organisation nach Schulformen
und Schulstufen betrachtet und definiert werden können (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 3
SchVG, § 12 Abs. 3 HSchG) - werden inhaltlich durch die Gegenstandsbereiche des
Unterrichts (Unterrichtsfächer) nach § 5 HSchG sowie die Abschlüsse nach § 13 als
Bildungsziel (z.B. Mittlerer Abschluß - Realschulabschluß - nach Jahrgangsstufe 10,
Abschluß der gymnasialen Oberstufe - Abitur - nach Jahrgangsstufe 13 etc.)
bestimmt. Dies gilt gleichermaßen nach dem noch in Kraft befindlichen seitherigen
Recht, wobei sowohl bisher als auch künftig wichtige Einzelregelungen aufgrund
gesetzlicher Ermächtigung durch den Kultusminister zu treffen sind, etwa über die
Rahmenpläne (die auch bisher schon die Durchlässigkeit zwischen den
Schulformen und deren Zusammenwirken erleichtern sollten, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3
SchVG, § 4 Abs. 2 HSchG), die Stundentafeln, die inhaltliche und
verfahrensmäßige Ausgestaltung von Prüfungen, die den jeweiligen
Bildungsgängen zugeordneten Abschlüsse etc. (§§ 2, 3 Abs. 5, 58 Abs. 2 Nr. 5
SchVG, §§ 4, 9, 81, 13 Abs. 6 HSchG).
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die derzeit existierenden
Ausführungsverordnungen auch nach Inkrafttreten des Hessischen Schulgesetzes
bis zum Erlaß neuer Vorschriften weitergelten sollen (§ 186 HSchG).
Nach alledem ist festzustellen, daß der bisherige "Bildungsweg" des
Schulverwaltungsgesetzes und der gleichbedeutende "Bildungsgang" des
Hessischen Schulgesetzes durch einen inhaltlich im wesentlichen
übereinstimmenden Komplex von - gesetzlichen und untergesetzlichen Normen
bestimmt werden und insoweit eine qualitative Änderung des neuen Rechts
gegenüber dem alten Recht nicht erkennbar ist. Dabei hat die Regelungsdichte im
neuen Schulgesetz eher zugenommen (vgl. z.B. im Gegensatz zu bisher die
Aufzählung der Gegenstandsbereiche - Unterrichtsfächer - für die Mittelstufe oder
die Festlegung der Notenskala im Gesetz selbst, §§ 5 und 73 Abs. 4 HSchG).
Unbeschadet der von den Antragstellern aufgeworfenen Frage, ob die neue
Regelung den Gesetzesvorbehalt ausreichend beachtet, steht fest, daß sich auch
insoweit gegenüber seither nichts - jedenfalls nichts zu Lasten des
Gesetzesvorbehalts - geändert hat. Anhaltspunkte für eine abweichende
Beurteilung sind auch dem Vorbringen der Antragsteller nicht zu entnehmen. Die
bisherige Regelung ist im übrigen unter diesem Gesichtspunkt auch
unangefochten geblieben (vgl. zur gebotenen Regelungsdichte im Schulrecht
BVerfG, Beschluß vom 20.10.1981, BVerfGE 58, 257; StGH, Urteil vom 04.04.1984
- P.St. 1002 -, und Urteil vom 11.02.1987 - P.St. 1036 -, StAnz. 1987, S. 562).
2. a) Soweit sich die angekündigte Grundrechtsklage gegen § 77 Abs. 3 HSchG mit
der Begründung richten soll, diese Vorschrift verletze Art. 55 Satz 1 und Art. 59
Satz 2 HV, weil die Wahl des weiterführenden Bildungsganges nach dem Besuch
der Grundschule oder der Förderstufe ohne Rücksicht auf die Eignung des Kindes
allein vom Elternwillen abhängig gemacht werde, wäre die Klage möglicherweise
hinsichtlich einiger Antragsteller mangels unmittelbarer und gegenwärtiger
Betroffenheit durch das Gesetz unzulässig. Dies soll aber ebenso der Klärung im
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben wie die auch hier sich wieder stellende
Frage, ob wegen möglicher Identität der bisherigen mit der künftigen gesetzlichen
Regelung die Jahresfrist zur Erhebung der Grundrechtsklage versäumt und die
Klage deswegen unzulässig wäre.
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b) Der Erlaß der begehrten einstweiligen Verfügung kommt jedenfalls deswegen
nicht in Betracht, weil durch sie lediglich eine mit der angegriffenen Regelung
übereinstimmende Rechtslage vorläufig aufrechterhalten würde, woran kein
berechtigtes Interesse der Antragsteller bestehen kann. Die in § 77 Abs. 3 HSchG
vorgesehene ausschließliche Entscheidungsbefugnis der Eltern, auch gegen die
Empfehlung der abgebenden Schule einen Bildungsgang für ihr Kind zu wählen,
wird nicht erstmals durch das Hessische Schulgesetz eingeführt, sondern findet
sich bereits in den durch Gesetz vom 13. Juni 1991 (GVBl. I S. 181) geänderten §§
5 a Abs. 2, 5 b Abs. 2 SchVG; diese Regelung ist seit 14. Juni 1991 in Kraft.
3. a) Soweit sich die angekündigte Grundrechtsklage gegen § 73 Abs. 2 Satz 2
HSchG mit der Begründung wenden soll, eine Leistungsbewertung unter
Berücksichtigung des Leistungsstandes der jeweiligen Lerngruppe verletze das
elterliche Erziehungs- und Auswahlrecht aus Art. 55 Satz 1 HV, weil hierdurch
objektive Leistungsbeurteilungen ausgeschlossen würden, werden sämtliche
Antragsteller bei Inkrafttreten des Gesetzes unmittelbar und gegenwärtig betroffen
sein. Sie alle haben Kinder, die die Schule besuchen und deren Leistungen vom
Schuljahr 1993/94 an nach den Grundsätzen des § 73 Abs. 2 HSchG bewertet
werden sollen.
Ob sich anderweit Bedenken gegen die Zulässigkeit der Grundrechtsklage ergeben
können und wie die Verfassungsrüge sachlich zu bewerten ist, bleibt der
Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.
b) Indessen scheidet eine einstweilige Verfügung auch in diesem Zusammenhang
aus, weil nicht zu besorgen ist, daß beim Inkrafttreten der angegriffenen Vorschrift
wesentliche Nachteile für die Antragsteller eintreten könnten. Bei dieser Prognose
läßt sich der Staatsgerichtshof von folgenden Erwägungen leiten:
Auch nach dem neuen Recht richten sich Bewertungen zuerst nach objektiven
Kriterien. Die Beurteilung nach Noten bzw. Punkten muß sich an den
"Anforderungen" (der Lehrpläne etc.) orientieren (vgl. § 73 Abs. 4 HSchG). Der
Leistungsstand der Gruppe ist nur ein Bewertungskriterium unter mehreren. Hinzu
kommt, daß die pädagogische Wirklichkeit - in der eine absolute objektive
Bewertung nicht vorkommt - ohnehin schon immer die Mitberücksichtigung des
Leistungsstandes der Gruppe bei Einzelbewertungen gekannt hat und daß dies
auch als sachgerecht akzeptiert worden ist, weil nur hierdurch eine vernünftige und
gerechte Relation der Bewertungen untereinander erreicht werden kann (vgl. z.B.
Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl. 1986, S. 306; ferner § 54 Abs. 2 des
Entwurfs für ein Landesschulgesetz, Bericht der Kommission Schulrecht des
Deutschen Juristentages, Schule im Rechtsstaat, Veröffentlichungen des
Deutschen Juristentages, Band I, 1981, S. 90). Zudem lassen bestimmte
Regelungen erkennen, daß der Gruppen-Leistungsdurchschnitt jedenfalls
zugunsten der schwächeren Mitglieder der Lerngruppe auch schon bisher
rechtliche Bedeutung hatte (vgl. z.B. §§ 6 Abs. 2, 9, 12, 13 der Verordnung über
schriftliche Arbeiten vom 03.07.1978, ABl. S. 328, 632, die auch künftig gemäß §
186 HSchG vorläufig weitergelten wird: Auswahl der schriftlichen Arbeiten nach
dem durchschnittlichen Leistungsstand der Klasse/Lerngruppe, Wiederholung von
Arbeiten mit im Durchschnitt besonders schlechten Ergebnissen, Mitteilung des
jeweiligen Notenspiegels zur vergleichenden Information der Eltern).
Nach alledem ist nicht ersichtlich, daß den Antragstellern durch das Inkrafttreten
des § 73 Abs. 2 HSchG bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ein
gewichtiger Nachteil entstehen könnte.
4. Soweit sich die Antragsteller mit der angekündigten Grundrechtsklage
schließlich gegen §§ 5 Abs. 1 Nr. 2 e), 6 Abs. 3 HSchG wenden wollen, weil
hierdurch ihre Rechte aus Art. 56 Abs. 5 i.V.m. Art 55 Satz 1 HV verletzt seien,
wäre die Klage in der Hauptsache unzulässig. Abgesehen davon, daß der
Lernbereich Gesellschaftslehre, zu dem das Fach Geschichte - übrigens auch
schon nach der bisherigen Rechtslage, vgl. § 3 Abs. 2 SchVG gehört,
fächerübergreifend allenfalls in der Sekundarstufe I unterrichtet wird, so daß die
Antragsteller zu 1) schon deswegen mangels gegenwärtiger Betroffenheit nicht
antragsbefugt sind, bedarf es für einen derartigen fächerübergreifenden Unterricht
zunächst eines Umsetzungsakts, nämlich eines entsprechenden Beschlusses der
Schulkonferenz (§ 6 Abs. 3 Satz 4 HSchG). Sämtliche Antragsteller sind somit
durch diese Regelung nicht unmittelbar betroffen und daher auch nicht
klagebefugt.
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Wegen Unzulässigkeit der Grundrechtsklage insoweit kommt mithin auch der Erlaß
der begehrten einstweiligen Verfügung nicht in Betracht.
Nach alledem ist offensichtlich, daß der Eilantrag insgesamt erfolglos bleiben muß.
III.
Diese Entscheidung ist für das Eilverfahren endgültig, ein Antrag auf Anberaumung
einer Hauptverhandlung gemäß § 22 Abs. 3 StGHG also unstatthaft (§ 22 Abs. 2
StGHG i.V.m. § 21 Abs. 1 StGHG in analoger Anwendung).
Bisher hat der Staatsgerichtshof im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
eine Analogie zu § 21 Abs. 1 StGHG - endgültige Entscheidung ohne
Hauptverhandlung durch Beschluß - in den Fällen gezogen, in denen nach
Auffassung von mindestens zwei Dritteln seiner Mitglieder ein Antrag auf Erlaß
einer einstweiligen Verfügung offensichtlich erfolglos bleiben muß, weil bereits eine
summarische Prüfung die Unzulässigkeit oder die offenbare Unbegründetheit des
Antrags in der Hauptsache ergeben hat, also auch in der Hauptsache selbst eine
endgültige Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluß in Betracht
kommt (vgl. zuletzt Beschluß vom 29.01.1993 - P.St. 1158 e.V. -). Der
Staatsgerichtshof hat hierbei die dem § 21 Abs. 1 StGHG innewohnende ratio legis
berücksichtigt, daß der Aufwand einer Hauptverhandlung vermieden werden soll,
wenn von einer solchen schlechterdings kein anderes Ergebnis erwartet werden
kann. Dieses gesetzgeberische Anliegen einer ökonomischen Gestaltung des
Hauptsacheverfahrens muß auch in dem diesem zugeordneten Verfahren
einstweiligen Rechtsschutzes Beachtung finden.
Eine ähnliche Interessenlage ist indessen auch in den Fällen gegeben, in denen
zwar nach summarischer Prüfung das Ergebnis in der Hauptsache offengeblieben
ist, der Eilantrag aber deswegen offensichtlich erfolglos bleiben muß, weil nach
Auffassung von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Staatsgerichtshofs
eine Interessen- und Folgenabwägung ganz zweifelsfrei und eindeutig zu Lasten
der betreffenden Antragsteller ausgehen muß. Hier rechtfertigt sich ebenfalls eine
Anwendung des § 21 Abs. 1 StGHG dem Rechtsgedanken nach, weil in gleicher
Weise eine Korrektur der - negativen - Eilentscheidung aufgrund einer
Hauptverhandlung ausgeschlossen erscheint. Die notwendige Stimmenmehrheit
ist im vorliegenden Fall erreicht. Es muß daher bei dem Beschluß gemäß § 22 Abs.
2 StGHG sein Bewenden haben.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.