Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: formelles gesetz, allgemeiner rechtsgrundsatz, exekutive, ermächtigung, materielles gesetz, legislative, verfahrensordnung, hessen, verfahrensrecht, rechtsverordnung

Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 295
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 28 GG, Art 80 GG, Art 107
Verf HE, Art 118 Verf HE, § 41
StGHG HE
(Verfassungsmäßigkeit des Erlasses von gerichtlichem
Verfahrensrecht durch die Exekutive)
Leitsatz
1. Aus dem der Hessischen Verfassung zugrunde liegenden Rechtsstaatsprinzip folgt
nicht, daß gerichtliches Verfahrensrecht ausschließlich durch formelles Gesetz geregelt
werden muß. Mit dem Rechtsstaatsprinzip ist es zu vereinbaren, daß die Befugnis zum
Erlaß von Verfahrensvorschriften innerhalb des durch die Verfassung gezogenen
Rahmens auf die Exekutive übertragen wird und diese den fraglichen Bereich im Wege
einer Rechtsverordnung regelt.
2. Das Hessische Gesetz über die Berufsvertretungen und über die
Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker vom 1954-11-10 §
26 (GVBl S 193), wonach der Minister des Innern das Nähere über das
berufsgerichtliche Verfahren und die Kosten regelt, und die Verfahrensordnung für die
Berufsgerichte und das Landesberufsgericht für Heilberufe vom 1958-11-04 (GVBl S
167) widersprechen nicht der Hessischen Verfassung.
3. "Teilgebiete" im Sinne der Verf HE Art 118 sind umfassende Bereiche der
gesetzgeberischen Aufgaben, die einen in sich einheitlichen Zusammenhang bilden.
4. Verf HE Art 118 ergreift nur die Verordnungen, die anstelle eines Gesetzes ergehen.
Der Legislative ist es bei der Übertragung gesetzgebender Gewalt an die Executive nur
dann verwehrt, sie einem einzelnen Minister zu gewähren, wenn es sich um eine
Verordnung des vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens handelt, die anstelle eines
Gesetzes ergeht.
5. Das Verordnungsrecht ist in der Verf HE nicht abschließend geregelt. Der
Verfassungsgesetzgeber hat vorausgesetzt, daß der Landtag nach seiner Wahl die
Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigen kann. Verf HE Art 118
schränkt diese Freiheit der Gesetzgeber für gesetzvertretende Verordnungen ein.
Daneben räumt Verf HE Art 107 der Landesregierung ein generelles, aber subsidiäres
Recht zum Erlaß von Ausführungsverordnungen ein, das nur eingreift, wenn der
Gesetzgeber keinen besonderen Delegator bezeichnet hat.
6. GG Art 80 gilt nicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz in Hessen. Die Vorschrift hat
auch nicht über GG Art 28 Abs 1 S 1 die Hessische Verfassung modifiziert.
Tenor
1. § 26 des Hessischen Gesetzes über die Berufsvertretungen und über die
Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker vom 10.
November 1954 (GVBl. S. 193) und die Verfahrensordnung für die Berufsgerichte
und das Landesberufsgericht für Heilberufe vom 4. November 1958 (GVBl. S. 167)
widersprechen nicht der Verfassung des Landes Hessen.
2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
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I.
Das Hess. Gesetz über die Berufsvertretungen und über die Berufsgerichtsbarkeit
der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker vom 10.11.1954 (GVBl. S. 193)
enthält im IV. Abschnitt unter der Überschrift "Die Berufsgerichtsbarkeit" in den §§
18 bis 25 Bestimmungen über die berufsgerichtliche Ahndung von Verstößen
gegen die Berufspflichten, über die im berufsgerichtlichen Verfahren zulässigen
Strafen und Maßnahmen, über die Bildung von Berufsgerichten für Heilberufe bei
den Verwaltungsgerichten und eines Landesberufsgerichts für Heilberufe bei dem
Verwaltungsgerichtshof, über die Besetzung dieser Berufsgerichte, die Bestellung
der richterlichen Mitglieder, der ehrenamtlichen Beisitzer und deren Verpflichtung,
über den Vorrang eines straf gerichtlichen Verfahrens und die grundsätzliche
Bindung des Berufsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen eines
strafgerichtlichen Urteils, schließlich über die Kosten des berufsgerichtlichen
Verfahrens. Im Anschluß hieran bestimmt § 26:
"Das Nähere über das Verfahren und die Kosten regelt der Minister des
Innern."
Auf Grund dieses § 26 hat der Hess. Minister des Innern eine Verfahrensordnung
für die Berufsgerichte und das Landesberufsgericht für Heilberufe erlassen, welche
jetzt in der Fassung vom 4.11.1958 (GVBl. S. 167) gilt.
Im Berufsgerichtsverfahren gegen einen Zahnarzt (...) hat das Berufsgericht für
Heilberufe beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Main) am 27.05.1959 beschlossen,
daß es den § 26 des Gesetzes vom 10.11.1954 und die Verfahrensordnung vom
4.11.1958 für verfassungswidrig halte und deshalb das berufsgerichtliche
Verfahren bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofes aussetze.
Der Beschluß wird damit begründet, daß § 26 des Gesetzes die Art. 107 und 118
HV verletze und auch mit den allgemeinen Prinzipien des Rechtsstaates, wie sie
sich in Art. 80 Abs. 1 GG niedergeschlagen haben und die der Hessischen
Verfassung immanent seien, unvereinbar sei.
Der Vorsitzende hat diesen Beschluß dem Präsidenten des
Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art. 133 HV zugeleitet. Dieser hat daraufhin am
19.6.1959 gemäß § 41 StGHG beantragt:
Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen möge eine Entscheidung darüber
herbeiführen, ob § 26 des Gesetzes über die Berufsvertretungen und über die
Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker vom 10.
November 1954 (GVBl. S. 193) sowie die Verfahrensordnung über die
Berufsgerichte und das Landesberufsgericht für Heilberufe vom 4. November 1958
(GVBl. S. 167) im Widerspruch zu den Artikeln 107, 118 HV steht.
Der Präsident des VGH hat ferner mit Schriftsatz vom 2.12.1959 beantragt, die
bezeichneten Vorschriften als zu den Art. 107, 118 HV im Widerspruch stehend für
ungültig zu erklären.
Der Hess. Ministerpräsident hat beantragt,
der Staatsgerichtshof möge feststellen, daß § 26 des Gesetzes vom
10.11.1954 nicht der Hess. Verfassung widerspricht.
Der Landesanwalt hat sich dem Verfahren angeschlossen und den gleichen Antrag
wie der Ministerpräsident gestellt.
Dem stellv. Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Hess: Landtags, der mit den
Vorarbeiten für das Gesetz vom 10.11.1954 befaßt war, ist gemäß § 42 Abs. 1
StGHG Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Der damalige Berichterstatter
des Rechtsausschusses ist verstorben.
Der Zahnarzt, dessen Verfahren den Anlaß zur Vorlage an den Staatsgerichtshof
gegeben hat, ist ebenfalls gehört worden. Sein Prozeßbevollmächtigter hat in der
Hauptverhandlung sich dem Antrage des Präsidenten des
Verwaltungsgerichtshofes angeschlossen, dessen Ladung als Beteiligten beantragt
und gebeten, die notwendigen seines Auftraggebers der Staatskasse
aufzuerlegen.
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II.
1) Der Staatsgerichtshof ist gemäß Art. 131 und 132 HV zur Entscheidung über die
vorgelegte Frage berufen.
2) Dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes steht ein selbständiges
Antragsrecht gemäß § 41 Abs. 1 StGKG nicht zu; vgl. Urt. vom 6.9.1958 P.St. 221
StAnz. 59 S. 101 unter II 2. Sein Antrag vom 2.12.1959 war daher unzulässig und
der Antrag den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes als Beteiligten zu laden,
abzulehnen. Auch zur Herbeiführung einer Entscheidung des Staatsgerichtshofes
war der Präsident nicht zuständig. Die Vorlage hat nach Art. 133 HV über den
Präsidenten des höchsten dem vorlegenden Gericht übergeordneten Gerichts zu
erfolgen. Das höchste, dem Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht
Frankfurt (M) übergeordnete Gericht ist jedoch gemäß § 20 Abs. 2 des Gesetzes
vom 10.11.1954 das Landesberufsgericht beim Verwaltungsgerichtshof, nicht der
Verwaltungsgerichtshof selbst. Denn die Berufsgerichtsbarkeit für Heilberufe ist
kein Teil der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Gerichte dieser Berufsgerichtsbarkeit
sind vielmehr selbständige Gerichte. Sie sind mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit
lediglich durch organisatorische Angliederung und partielle Personalunion
verbunden und in ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich den Verwaltungsgerichten
angeglichen. Die Weitergabe des Vorlagebeschlusses hätte daher durch den
Vorsitzenden des Landesberufsgerichts für Heilberufe erfolgen müssen. Daß
dieser kein Präsident ist, ist unerheblich; vgl. Urt. vom 27.3.1953 P.St. 96 StAnz. S.
546.
3) Da jedoch der Landesanwalt sich dem Verfahren gemäß § 18 Abs. 2 StGHG
angeschlossen hat, erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, wie der StGH
gegenüber einem ihm von unzuständiger Stelle zugeleiteten Vorlagebeschluß zu
verfahren hätte.
III.
1) Das vorlegende Gericht bezweifelte, ob Rechtsnormen, mit denen ein
gerichtliches Verfahren geregelt werden soll, überhaupt in Gestalt einer
Rechtsverordnung wirksam erlassen werden können. Es verweist auf die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Änderung der Grenzen
von Gerichtsbezirken dem Zuständigkeitsbereich der Legislative zuzurechnen ist
(BVerfGE 2, 307, 320). Dieser Hinweis geht fehl. Denn nach Auffassung des
Bundesverfassungsgerichts ist zwar die Errichtung von Gerichten und die
Bestimmung ihrer Bezirke einem Vorbehalt des materiellen Gesetzes unterworfen,
es aber der Legislative nicht verwehrt, ihre Befugnis zu solchen Maßnahmen
innerhalb der vom Grundgesetz für die Übertragung rechtsetzender Gewalt
bestimmten Grenzen der Exekutive zu übertragen (BVerfGE 2, 326; so auch VGH
Freiburg DÖV 1956, 798; vgl. ferner hinsichtlich der Schranken der Übertragbarkeit
an die Exekutive Bettermann bei Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte Bd. III Teil
2 S. 545 ff, insbes. S. 558).
2) Aus dem Rechtsstaatsprinzip, wie es dem Grundgesetz und der Hessischen
Verfassung zugrunde liegt, folgt, daß das Verfahrensrecht durch materielles
Gesetz geregelt sein muß (so richtig VGH Freiburg a.a.O.). Jedoch besteht deshalb
nicht für das gesamte Verfahrensrecht in allen Einzelheiten ein Vorbehalt des
formellen Gesetzes. Diese Erwägung gilt insbesondere für die Rechtsbereiche, in
denen die Bedeutung eines Verfahrens für die Rechtsgemeinschaft relativ gering
ist, auch aus praktischen Gründen, weil die ohnedies im modernen Sozialstaat
unvermeidliche Überlastung der Legislative dieser die Wahrnehmung ihrer
Aufgaben fast unmöglich machen könnte, wenn man ihr jegliche
Delegationsmöglichkeit solcher Art nehmen wollte. Auch die angeführte
Entscheidung des VGH Freiburg hält die "auf einer zulässigen Delegation"
beruhenden Rechtsverordnungen "in den durch diese (Delegation) bezogenen
Schranken" nicht für unzulässig. Daß die Bedeutung des berufsgerichtlichen
Verfahrens der Heilberufe für die Rechtsgemeinschaft erheblich geringer ist als
z.B. die des Strafverfahrens, hat das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 4, 74,
94 ausgeführt.
3) Die Delegation von verfahrensrechtlichen Regelungen an die Exekutive muß
jedoch in einer Weise erfolgen, die dem hessische Verfassungsrecht. Die HV hat
im Art. 1 die Möglichkeit der Delegation beschränkt. Sie hat die Übertragung der
legislativen Befugnisse "im ganzen" (wie sie z.B. im Ermächtigungsgesetz vom
24.3.1933 erfolgt war) und "für Teilgebiete" ausgeschlossen. Daß § 26 des
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24.3.1933 erfolgt war) und "für Teilgebiete" ausgeschlossen. Daß § 26 des
Gesetzes vom 10.11.1954 die Gesetzgebungsgewalt "im ganzen" nicht umfaßt,
bedarf keiner Darlegung. "Teilgebiete" im Sinne des Art. 118 sind, wie sich aus der
Gegenüberstellung dieser Begriffe ergibt, umfassende Bereiche der
gesetzgeberischen Aufgaben, die einen in sich einheitlichen Zusammenhang
bilden. Die nähere Regelung des Verfahrens der Berufsgerichtsbarkeit und der
Kosten ist jedoch kein Teilgebiet im Sinne von Art. 118 HV.
4) Art. 118 HV eröffnet die Möglichkeit, die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen
über bestimmte einzelne Gegenstände durch Gesetz an die Exekutive, aber nur an
die Landesregierung zu delegieren, also einen auf "bestimmte einzelne
Gegenstände" beschrankten Teil der Gesetzgebungsgewalt zu selbständigem,
nicht durch formelles Gesetz und damit durch den Willen der Legislative inhaltlich
gebundenem und auf dessen bloße Konkretisierung gerichtetem Gebrauch zu
übertragen. Daher war es auch geboten, diese Delegationsmöglichkeit, die der
Landesregierung eine selbständige materielle Gesetzgebungstätigkeit gestattet,
soweit das Parlament sie ihr konkret überträgt, in den Abschnitt VI der Verfassung
(Die Gesetzgebung) einzuordnen.
Art. 118 ergreift Verordnungen, die anstelle eines Gesetzes ergehen (sog.
gesetzesvertretende Verordnungen; vgl. Urteil des StGH vom 3.2.1953 P.St. 130
StAnz. S. 750; Urteil des StGH vom 6.9.1958 P.St. 221 StAnz. S. 1157 zu III 4). Der
Legislative ist es also bei der Übertragung gesetzgebender Gewalt an die
Exekutive nur dann - aber dann zwingend - verwehrt, sie einem einzelnen Minister
anstelle der Landesregierung zu gewähren, wenn es sich um eine Verordnung des
"vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens" handelt, die anstelle eines Gesetzes
ergeht und mit der vollen Kraft des formellen Gesetzes ausgestattet sein soll, also
an vorgegebene formelle Gesetze nicht gebunden ist und sie gegebenenfalls
abändern kann (vgl. Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat,
1952, S. 41; Schack, Die Verlagerung der Gesetzgebung im gewaltenteilenden
Rechtsstaat, Festschrift für Karl Haff, 1950, S. 341 ff). Handelt es sich dagegen bei
der Ermächtigung, Rechtsverordnungen zu erlassen, die in einem Gesetz erteilt
wird, lediglich darum, die Exekutive zu beauftragen, das die Grundfragen seines
Anwendungsbereichs regelnde Gesetz durch Erlaß konkretisierender
Bestimmungen funktionsfähig und unmittelbar praktikabel zu gestaltet so ist der
Fall des Art. 118 HV nicht gegeben, insbesondere wenn - wie im vorliegenden Falle
- nur Rechtsverordnungen von geringerem Umfang und von eingeschränkter
Tragweite ermöglicht werden. Jede Rechtsverordnung, die zu einem Gesetz ergeht,
fügt dem bestehenden Normenbestand weitere Normen hinzu. Daraus allein kann
kein Kriterium dafür gewonnen werden, daß es sich um eine Verordnung des
vereinfachten Gesetzgebungsverfahrens handelt und daß die zugrundeliegende
Ermächtigung eine Generalermächtigung zum Erlaß von nicht durch formelles
Gesetz gebundenen Rechtsnormen mit Gesetzeskraft ist (im Ergebnis ebenso
Bernhard Wolff, Die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen, AöR Bd. 78.
S. 203 ff.)
5) Da die Ermächtigungsformel des § 26 des Gesetzes vom 10.11.1954 nicht in
den durch Art. 118 HV geregelten Sachbereich eindringt, bestehen gegen sie
keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der StGH hat das Verordnungsrecht in
den Entscheidungen P.St. 130 StAnz. 53, 749, P.St. 191 StAnz. 56, 552 und P.St.
221 StAnz: 58, 1154, DÖV 59, 101 geklärt. Er hält an seiner Auffassung fest, daß
die HV das Verordnungsrecht nicht erschöpfend regelt, sondern - ebenso wie
schon sie Weimarer Verfassung; siehe Anschütz Komm. WRV 14. Aufl. Art. 77 Anm.
2 - die grundsätzliche Befugnis des Gesetzgebers voraussetzt, nach seiner Wahl
Exekutivorgane durch Gesetz zum Erlaß von Rechtsverordnungen zu ermächtigen.
Diese Delegationsbefugnis des Gesetzgebers ist durch Art. 118 HV für
gesetzesvertretende Verordnungen auf bestimmte Fälle und auf die Delegation an
die Landesregierung beschränkt. In allen anderen Fällen ist der Gesetzgeber bei
der Abgrenzung der durch Rechtsverordnung zu regelnden Gegenstände und der
Auswahl des Delegatars frei. Art. 107 HV räumt der Landesregierung zusätzlich ein
Recht zum Erlaß von Ausführungsverordnungen ein, das subsidiären Charakter
hat, also eingreift, wenn der Gesetzgeber in der jeweiligen Einzelregelung keinen
besonderen Delegatar bezeichnet hat. Die Auffassung, daß der gewöhnliche
Gesetzgeber an den einzelnen Minister nur die Ermächtigung zum Erlaß von
Ausführungsverordnungen erteilen könne, ist mit Wortlaut und Zweck des Art. 107
nicht vereinbar (vgl. Urt. P.St. 221 zu III 2).
6) Hiergegen lassen sich auch aus Art. 80 Abs. 1 GG keine Argumente herleiten.
Art. 80 ist eine bundesverfassungsrechtliche Norm, die weder als allgemeiner
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Art. 80 ist eine bundesverfassungsrechtliche Norm, die weder als allgemeiner
Rechtsgrundsatz dem Landesverfassungsrecht Hessens immanent ist, das
vielmehr das Verordnungsrecht durch Art. 118 HV beschränkt hat, noch durch die
Bestimmung des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG das Hessische Verfassungsrecht
modifiziert hat. Auch diese hessische Lösung der Ermächtigung zum Erlaß von
Rechtsverordnungen entspricht den Grundsätzen des demokratischen
Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes (vgl. Bernhard Wolff, AöR Bd. 78, S. 213
ff; hinsichtlich Bayerns vgl. Nawiasky-Lochner, Bayerische Verfassung,
Ergänzungsband 1953 S. 51; hinsichtlich Baden-Württembergs vgl. Spreng-Birn-
Feuchte, Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1954, S. 204). Aber selbst
wenn man annehmen wollte, daß Art. 80. Abs. 1 GG das Hessische
Verfassungsrecht modifiziert hätte, so ist dessen Erfordernissen genügt. Denn die
Delegationsnorm des § 26 des Gesetzes hat die Ermächtigung zum Erlaß von
Rechtsverordnungen durch Gesetz erteilt und deren Umfang im Gesetz nach
Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seinem Beschluß vom 12.11.1958 (BVerfGE 8, 274, 307) ausgeführt, daß es nicht
erforderlich ist, Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung ausdrücklich im Text
des Gesetzes zu bestimmen, sondern daß für die Ermächtigungsnormen die
allgemeinen Auslegungsgrundsätze gelten, so daß der Sinnzusammenhang der
Norm mit anderen Vorschriften und das Ziel, das die gesetzliche Regelung
insgesamt verfolgt, berücksichtigt werden müssen. Es genügt, wenn sich Inhalt,
Zweck und Ausmaß der Ermächtigung aus dem gesamten Gesetz ermitteln lassen
(vgl. Bernhard Wolff. a.a.O., S. 199 ff). Auch die Entstehungsgeschichte kann dabei
herangezogen werden. Der Zweck der Delegation im § 26 ist, die durch das Gesetz
errichteten Berufsgerichte mittels Erlaß der im wesentlichen technischen (vgl. die
Begründung des Regierungsentwurfs, Drucksachen des Hess. Landtages, 2.
Wahlperiode, Abt. I Nr. 892) Verfahrens- und Kostenbestimmungen funktionsfähig
zu machen. Deren Inhalt wird durch die Zielsetzung der Berufsgerichtsbarkeit als
einer quasi-disziplinarischen Gerichtsbarkeit, die gemäß § 18 Abs. 1 des Gesetzes
Verletzungen der Berufspflichten in den Fällen ahndet, in denen eine unmittelbare
Disziplinargerichtsbarkeit nicht eingreift (§ 18 Abs. 2), deutlich bestimmt. Dieses
Wesen der Berufsgerichtsbarkeit weist gleichzeitig darauf hin, wie das Verfahren zu
regeln, ist. Das Ausmaß der Ermächtigung wird ausdrückliche in der
Delegationsnorm genannt.
7) Die Verfahrensordnung für die Berufsgerichte und das Landesberufsgericht für
Heilberufe vom 4.11.1958 (GVBl. S. 167) könnte nur dann als verfassungswidrig
gelten, wenn der Minister des Innern den Ermächtigungsrahmen, den ihm § 26
gewährt, überschritten hätte. Das ist nicht der Fall. Auch gibt der Inhalt der
Verordnung zu verfassungsrechtlichen Bedenken keinen Grund.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG. Es bestand kein Anlaß, die
Auslagen des im berufsgerichtlichen Verfahren beschuldigten Zahnarztes der
Staatskasse aufzuerlegen. Das Verfahren vor dem StGH gemäß §§ 41 ff. StGHG
ist ein objektives Verfahren, dessen Gegenstand nicht Parteiinteressen bilden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.