Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: stadt, hessen, garantie, verfassungsrecht, finanzausgleich, grundrecht, bayern, umlegung, erhaltung, finanzkraft

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 107
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 137 Verf HE , § 45 Abs 2
StGHG
Leitsatz
Eine Gemeinde kann nicht unter Berufung auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht
des Art. 137 HV eine Grundrechtsklage erheben. Art. 137 HV enthält kein Grundrecht
der Gemeinden.
Tenor
Der Antrag wird als offenbar unbegründet zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Bürgermeister der Stadt ... hat zur Begründung des vorstehenden Antrags
folgendes ausgeführt:
Die Stadt ... habe bis zum Jahre 1943 die Versorgungsangelegenheiten ihrer
Bediensteten selbständig geregelt. Nach Erlass des "Gesetzes über die
Versorgungskassen der Gemeinden und Gemeindeverbände des Landes Hessen"
vom 20.VI.1943 (Hess. Reg. Bl. 1943 Seite 35) habe für die Stadt eine
Zwangsmitgliedschaft bei der Versorgungskasse ... bestanden, wobei sie der
innerhalb der Kasse selbständigen Abteilung B angehört habe und auch jetzt,
nachdem seit 1950 ihre Mitgliedschaft auf der Basis freiwilliger Versicherung
beruhe, noch weiterhin angehöre.
Während die wirtschaftlichen Verhältnisse der Versorgungskasse Abteilung B
zurzeit ausgeglichen seien, bestehe bei der Abteilung A ein Fehlbedarf, der im
Jahre 1949 570000 DM betragen habe, der aber unter Umständen noch weiter
ansteigen könne.
In § 12 Abs. 4 des hessischen Finanzausgleichgesetzes (FAG) vom 27.VI.1950
(GVBl. S. 119) sei bestimmt, dass die im Regierungsbezirk ... von den Landkreisen
zu entrichtende Landesumlage im Rechnungsjahr 1950/51 um den Betrag erhöht
werden könne, der zum Ausgleich des Fehlbetrages der Versorgungskasse
Abteilung A ... erforderlich sei, soweit dieser durch die Mitgliedschaft der
Angestellten und Arbeiter von Gemeinden und Gemeindeverbänden des
Regierungsbezirks ... entstanden sei, jedoch nicht um mehr als 1 1/2 % der
Umlagegrundlagen.
Auf Grund dieser gesetzlichen Bestimmung sei die Stadt am 5.VII.1951 durch
Umlagebescheid des Landrats in ... zur Zahlung dieser Sonderumlage in Höhe von
8057,96 DM aufgefordert worden. Sie betrachte die mittels der Sonderumlage zur
Kreisumlage vorgenommene Umlegung des Fehlbedarfs der Versorgungskasse
Abteilung A als unberechtigt, weil die angezogene Bestimmung des FAG das in Art
137 HV und Art 28 GG garantierte Recht der Selbstverwaltung verletze.
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137 HV und Art 28 GG garantierte Recht der Selbstverwaltung verletze.
Hervorzuheben sei dabei noch, dass infolge Mitfinanzierung der
Selbstverwaltungsaufgaben anderer Gemeinden die eigene Finanzkraft
geschwächt auch gegen den Grundsatz der "paritätischen Gleichstellung im
staatlichen Finanzausgleich", dem finanziellen Mittel zur Erhaltung der
Selbstverwaltung, verstoßen werde.
Mit dieser Antragsbegründung ist seitens der Stadt ... unter ausdrücklichem
Hinweis auf § 45 Abs. 2 StGHG der Staatsgerichtshof angerufen worden.
Der Landesanwalt hat sich zum Antragsvorbringen schriftsätzlich geäußert.
Er hält es für unbedenklich, die Verletzung eines gemeindlichen
Selbstverwaltungsrechts mit einer aus § 45 Abs. 2 StGHG abgeleiteten
Grundrechtsklage geltend zu machen.
Dabei geht er von einer rechtstheoretischen Charakterisierung des
Selbstverwaltungsrechts als eines "natürlichen, vorstaatlichen Rechts" aus, indem
er sich an Folgerungen anlehnt, die gelegentlich, aber nicht unangefochten (vgl.
Nawiasky – Leusser, Die Verfassung des Freistaates Bayern, München 1948, Seite
86) aus Art 11 Abs. 2 bayer. Verf., wonach "die Gemeinden ursprüngliche
Körperschaften des öffentlichen Rechts sind", und aus Art 49 Ziff. 1 Rh.-Pf.-Verf.
(vgl. Süsterhenn – Schäfer, Kommentar der Rh.-Pf.-Verf. Anm. 2 zu Art 49)
gezogen worden sind.
Insbesondere beruft sich der LA auf eine angeblich vom bayer. VerfGH. in einer
Entscheidung vom 21.XI.1949 – Vf. 20-VII- 49 – vertretene hiermit
übereinstimmende Rechtsansicht, die "weitgehend auf Art 137 HV übertragbar"
sein soll.
Andererseits hält der LA den im vorliegenden Fall gestellten Antrag nicht für
begründet .
Aus Art 137 Abs. 5 HV wird vom LA nicht nur "das Recht und die Pflicht des Staates
zur Sicherung der Gemeindefinanzen durch Lasten- und Finanzausgleich",
vielmehr umgekehrt auch die Pflicht der Gemeinden hergeleitet, "zu diesem
Lasten- und Finanzausgleich beizutragen"; nur soll durch Beitragspflicht die
Durchführung der gemeindlichen- und Auftragsangelegenheiten der Kommunen
nicht völlig in Frage gestellt oder überhaupt die Selbständigkeit der Gemeinden in
finanzieller Hinsicht beseitigt oder ausgeholt werden.
In der angefochtenen Vorschrift des § 12 Abs. 4 FAG wird vom LA eine solche
Gefährdung der finanziellen Selbständigkeit der Gemeinden nicht gesehen,
vielmehr angenommen, dass es sich hierbei nur um den "besonders motivierten
Teil" einer durchaus tragbaren von den kreisangehörigen Gemeinden an den
Landkreis zu entrichtenden Kreisumlage handele.
II.
Nach Auffassung des Staatsgerichtshofs kann auf die Behauptung, dass eine
Gesetzesbestimmung gemeindliches Selbstverwaltungsrecht verletze, kein aus §
45 Abs. 2 StGHG abgeleiteter Antrag gestützt werden, weil hiermit nicht, wie es
jene Bestimmung voraussetzt, die Verletzung eines von der Hess. Verfassung
gewährten Grundrechts geltend gemacht wird.
Jenes Recht, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten, wie es nach Art 137 HV den
Gemeinden und Gemeindeverbänden "vom Staate gewährleistet wird", entspricht
einer in Art 28 Abs. 2 GG vornehmlich an die Länder der Bundesrepublik als
"Adressaten" gerichteten Forderung (vgl. Wernicke in Bonner Kommentar, Erl. II 2
a).
Schon die Fassung des letztgenannten Artikels, wonach das
Selbstverwaltungsrecht "gewährleistet sein muss", mithin als das oben
gekennzeichnete Postulat erscheint, nicht minder aber auch der Einbau dieser
Verfassungsnorm im Abschnitt II des GG statt im Grundrechtsabschnitt I lassen
eindeutig erkennen, dass es sich hierbei um ein Recht handelt, das "vom GG nicht
als Grundrecht angesehen wird, vielmehr den Rechtscharakter einer
institutionellen Garantie hat" (Wernicke a. a. O.). Eine institutionelle Garantie aber
gibt ihrerseits, wie zutreffend in jener vom LA angezogenen Entscheidung des
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gibt ihrerseits, wie zutreffend in jener vom LA angezogenen Entscheidung des
bayer. VerfGH. vom 21.XI.1949 hervorgehoben wird, auch nicht etwa " für sich
allein " dem gewährleisteten Recht einen "Grundrechtscharakter". Ohne weiteres
vermag sie dieses Recht also nicht jenen "im überstaatlichen Bereich verankerten
Rechten" einzugliedern, die als Grundrechte zum "Ethos eines freiheitlichen
Staates" gehören (vgl. Maunz, Deutsches Staatsrecht, München und Berlin 1951
Seite 72).
Stellt sich aber inhaltlich Art 137 Abs. 3 HV, wiewohl in der Zeitfolge der
Normsetzungen vorausgegangen, als Verwirklichung der in Art 28 Abs. 2 GG
aufgestellten Forderung dar, so kann jedenfalls dem Rahmen der institutionellen
Garantie auch hier die Anerkennung nicht versagt werden.
Nur wenn für das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht jene rechtstheoretische
Einstufung in die vorstaatlichen Rechte unternommen, also die bisherige
Auffassung, dass es eine Schöpfung des positiven Rechts sei (vgl. Peters, Grenzen
der kommunalen Selbstverwaltung, 1925, Seite 23) verlassen wird, könnten sich
Zweifel über sein Verhältnis zum "staatlichen Rechtsgefüge", wie es das
"Kernproblem aller Grundrechte" darstellt, ergeben (vgl. Maunz a. a. O. Seite 72)
und schließlich die Anwendung eines den Grundrechten vorbehaltenen
Rechtsschutzes nahelegen.
Indes kann der Staatsgerichtshof sich eine derartige Einstufung des in Frage
kommenden Selbstverwaltungsrechts nicht zu eigen machen, also nicht
anerkennen, dass "die Gemeinde ein ursprüngliches, nicht vom Staate
abgeleitetes Selbstverwaltungsrecht habe" (so Süsterhenn-Schäfer a. a. O.). Es
trifft auch nicht zu, dass in der mehrerwähnten Entscheidung des bayer. VerfGH.
vom 21.XI.1949 aus Art 11 Abs. 2 bayer. Verf. die Folgerung auf einen wenigstens
für das bayer. Verfassungsrecht anzunehmenden Grundrechtscharakter des
gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gezogen worden ist. Die Entscheidung
lässt vielmehr ausdrücklich diese Folgerung "dahingestellt bleiben", weil es in dem
zur Erörterung stehenden Fall nicht auf das Selbstverwaltungsrecht der
Gemeinden, vielmehr nur auf dasjenige der Gemeinde verbände ankam, für die
schlechterdings eine "Ursprünglichkeit" als Gebietskörperschaften ausscheidet,
weshalb auch das Selbstverwaltungsrecht dieser Verbände, wie es wörtlich heißt,
"nicht als Grundrecht ... anerkannt werden kann".
Da in der Hessischen Verfassung von "ursprünglichen Gebietskörperschaften"
irgendwelcher Art überhaupt nicht die Rede ist, muss hier ebenso, wie für jene
Gemeindeverbände des bayer. Rechts die Bewertung des Selbstverwaltungsrechts
als eines Grundrechts, mithin auch eine aus § 45 Abs. 2 StGHG abgeleitete
Antragsberechtigung ausgeschlossen bleiben.
Die Frage, ob damit für das Hessische Verfassungsrecht jede Möglichkeit, die
institutionelle Garantie des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts vor Verletzung
zu schützen, genommen wird, ob insbesondere die in § 91 Satz 1 BVerfGG
vorgesehene Verfassungsbeschwerde Ersatz für die fehlende Anwendbarkeit jenes
§ 45 Abs. 2 StGHG zu bieten vermag, ist hier nicht zu erörtern. Eine der Vorschrift
des § 91 Satz 2 BVerfGG entsprechende Zuständigkeit der
Landesverfassungsgerichtsbarkeit zu begründen, die bisher allein für Bayern nach
Art 66 bayer. Verf. und für Rheinland-Pfalz nach Art 130 Abs. 1 Rh.-Pf.-Verf.
besteht, muss dem hessischen Gesetzgeber überlassen bleiben (vgl. Schäfer. Das
Verhältnis zwischen Bundes- und Verfassungsgerichtsbarkeit in JZ. 1951 Seite 199
ff.).
Der seitens der Stadt ... beschrittene Weg, ihr angeblich verletztes
Selbstverwaltungsrecht zu schützen, ist nach vorstehenden Ausführungen
jedenfalls nicht gangbar, der gestellte Antrag deshalb gemäß § 21 Abs. 1 StGHG
als offenbar unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 24 StGHG
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.