Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: hessen, strafbescheid, gesetzgebung, rechtsnorm, verwaltungsstrafverfahren, normenkontrolle, gefängnis, vollstreckung, geldstrafe, vergehen

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 111
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 45 Abs 2 StGHG
Leitsatz
Eine Verletzung von Landesgrundrechten kann nur gegenüber Landesgesetzen geltend
gemacht werden. Dies scheidet bei früherem Landesrecht, das nach Art. 124 f. GG
Bundesrecht geworden ist, aus.
Tenor
Der Staatsgerichtshof erklärt sich für unzuständig.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Gegen den Antragsteller ist durch Strafbescheid des Finanzamts ... vom 11.5.50
(...) wegen Steuerhinterziehung (Vergehen gegen §§ 396, 397 RAbg. O.) eine
Geldstrafe von 25000.– DM festgesetzt worden. Der Antragsteller legte kein
Rechtsmittel ein, sodass der Strafbescheid vollstreckbar wurde. Da die Geldstrafe
nicht beitreibbar war, ist sie auf Antrag des Finanzamts durch Beschluss des
Amtsgerichts ... vom 12.12.50 (...) auf Grund von § 470 RAbg. O. in eine
Freiheitsstrafe von 1 Tag Gefängnis für je 50.– DM (1 Jahr Gefängnis als
Höchstmaß) umgewandelt worden. Auch dieser Beschluss ist rechtskräftig
geworden. Nachdem die Vollstreckung der Freiheitsstrafe eingeleitet war, hat der
Antragsteller in einer Eingabe vom 6.7.51 ausgeführt, das Strafverfahren vor dem
Finanzamt und die Vollstreckung des Strafbescheids widersprächen dem Art. 20
Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Landes Hessen, welcher die Verurteilung durch
ein ordentliches Gericht erfordere. Er hat beantragt, über die
Verfassungsmäßigkeit der Reichsabgabenordnung, soweit die Ahndung strafbarer
Handlungen in die Hand anderer Stellen als der ordentlichen Gerichte gelegt ist,
die Entscheidung des Staatsgerichtshofs einzuholen. Das Amtsgericht hat diesen
Antrag abgelehnt. Die sofortige Beschwerde ist vom Landgericht ... verworfen
worden.
Nunmehr hat der Antragsteller, auf § 45 Abs. 2 StGHG gestützt, Antrag auf
Feststellung der Verletzung von Grundrechten gegen das Land Hessen gestellt. Er
ist der Auffassung, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 HV schließe ein Verwaltungsstrafverfahren
der Finanzämter in Hessen aus, weil die RAbg. O. auf Grund dieser
Verfassungsnorm dahin geändert worden sei, dass das Verfahren der §§ 442 ff.
RAbg. O. in Hessen nicht mehr zum Zuge komme. Eine Wiederherstellung der
ursprünglichen Fassung sei in Hessen nicht erfolgt, auch nicht durch den
Bundesgesetzgeber. Das Verfahren des Finanzamts sei daher durch keine
Rechtsnorm gestützt und verletze die Grundrechte des Art. 20 Abs. 1 sowie der
Art. 2 Abs. 2, Art. 5 und 24 HV.
Der Hessische Minister der Finanzen hat für den Ministerpräsidenten zu dem
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Der Hessische Minister der Finanzen hat für den Ministerpräsidenten zu dem
Antrag Stellung genommen. Er hält die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs nicht
für gegeben. Der Landesanwalt vertritt den gleichen Standpunkt.
II.
Der Antragsteller führt zur Begründung der Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs
aus, es handele sich nicht um einen Widerspruch zwischen Landesrecht und
Bundesrecht, sondern um den Widerspruch zwischen einem durch keinerlei
Rechtsnorm gestützten Verfahren einer Behörde mit den von ihm bezeichneten
Grundrechten der Hessischen Verfassung. Dieser Auffassung konnte sich der
Staatsgerichtshof nicht anschließen. Denn in Wirklichkeit hat sich das Finanzamt
doch auf Rechtsnormen gestützt, nämlich auf die Vorschriften der RAbg. O. über
das Verwaltungsstrafverfahren in ihrer durch die Reichsgesetzgebung
geschaffenen Fassung, deren Fortgeltung es als selbstverständlich ansah.
Allerdings hat die RAbg. O. nach dem 8.5.45 als Landes recht weitergegolten; sie
konnte mithin auch seit diesem Zeitpunkt im Wege der Landesgesetzgebung
geändert werden. Zeitlich war diese Möglichkeit bei Gegenständen der
ausschließlichen Finanzgesetzgebung des Bundes (Art. 105 Abs. 1 GG) bis zum
Inkrafttreten des GG, bei solchen der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 105
Abs. 2 GG) bis zum Zusammentritt des Bundestags (12.9.49) begrenzt (vgl.
Holtkotten i. Bonner Kommentar Erl. II 5 b zu Art. 123 GG).
Im Rahmen der hiernach bestimmten Länderkompetenzen geschaffenes Recht ist
innerhalb seines Geltungsbereichs bei Gegenständen der ausschließlichen
Gesetzgebung des Bundes gemäß Art. 124 GG, bei solchen der konkurrierenden
Gesetzgebung gemäß Art. 125 Ziff. 1 oder 2 GG Bundesrecht geworden.
In jedem Falle sind die hier in Frage stehenden Verfahrensvorschriften der
Reichsabgabenordnung in Bundesrecht übergeleitet worden.
Wiewohl nun die Grundrechtsklage von behördlichen Akten, nämlich dem
Strafbescheid des Finanzamts ... vom 11.5.50 und dem Umwandlungsbeschluss
des dortigen Amtsgerichts vom 12.12.50 ausgeht, kann sie praktisch nur dahin
verstanden werden, dass eine Verfassungswidrigkeit derjenigen
Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden soll, auf denen jene behördlichen
Akte beruhen.
Irrtümlich aber hält der Grundrechtskläger für die von ihm begehrte
Normenkontrolle deshalb hessische Verfassungsnormen für maßgeblich, weil kraft
derselben die angefochtene Verfahrensregelung zurzeit landesrechtlicher Geltung
verfassungswidrig gewesen sein soll.
Art. 142 GG, auf den sich der Grundrechtskläger zunächst berufen hat, kann diese
Auffassung nicht decken, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob im vorliegenden
Fall inhaltsgleiches Landes- und Bundesgrundrecht überhaupt in Frage kommt.
Jedenfalls kann stets eine Verletzung von Landes grundrechten nur gegenüber
Landesgesetzen geltend gemacht werden, eine Möglichkeit, die entfallen muss,
wenn früheres Landesrecht später Bundesrecht geworden ist. Alsdann kann für
dieses Recht nur eine auf Bundesgrundrechte abgestellte Normenkontrolle Platz
greifen. Für solche hier allein mögliche Kontrolle ist aber der Staatsgerichtshof
nicht zuständig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.