Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: höchstpersönliche rechte, hessen, ukw, anstalt, unterlassen, rechtsnorm, hörfunk, freizeitbeschäftigung, verwaltungsrecht, fernsehempfang

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 887
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 131 Verf HE, §§ 45 StGHG,
§ 69 StVollzG, § 70 StVollzG,
3122.2.2-J-278-SF
Leitsatz
1. Grundrechte sind als höchstpersönliche Rechte weder ihrem Inhalt nach noch in ihrer
Ausübung übertragbar.
2. Schadensersatzansprüche in Geld können mit der Grundrechtsklage nicht geltend
gemacht werden.
3. Verwaltungsvorschriften können nicht unmittelbar mit der Grundrechtsklage
angegriffen werden.
4. Zur Grundrechtsklage gegen das Unterlassen des Gesetzgebers.
5. Zu den Voraussetzungen einer Vorabentscheidung.
Tenor
Die Verfahren P.St. 887, 888, 890 und 891 werden miteinander verbunden.
Die Anträge werden auf Kosten der Antragsteller zurückgewiesen.
Die Gebühr wird für jeden Antragsteller auf 150,-- DM festgesetzt.
Gründe
I
Die vier Antragsteller wenden sich gegen die Hessischen
Ausführungsbestimmungen zu §§ 69 und 70 des Strafvollzugsgesetzes. Der
Antrag des Antragstellers zu 1. ist am 5. September 1978, die Anträge der
Antragsteller zu 2. und 3. sind am 6. September 1978 und der Antrag des
Antragstellers zu 4. ist am 6. Oktober 1978 beim Staatsgerichtshof eingegangen.
§§ 69 und 70 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der
freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung -
Strafvollzugsgesetz(StVollzG) - vom 16. März 1976 (BGBl. I 581, ber. S. 2088)
haben den folgenden Wortlaut:
"§ 69 Hörfunk und Fernsehen
(1) Der Gefangene kann am Hörfunkprogramm der Anstalt sowie am
gemeinschaftlichen Fernsehempfang teilnehmen. Die Sendungen sind so
auszuwählen, daß Wünsche und Bedürfnisse nach staatsbürgerlicher Information,
Bildung und Unterhaltung angemessen berücksichtigt werden. Der Hörfunk- und
Fernsehempfang kann vorübergehend ausgesetzt oder einzelnen Gefangenen
untersagt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung
der Anstalt unerläßlich ist.
(2) Eigene Hörfunkgeräte werden unter den Voraussetzungen des § 70, eigene
Fernsehgeräte nur in begründeten Ausnahmefällen zugelassen.
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§ 70 Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung
(1) Der Gefangene darf in angemessenem Umfange Bücher und andere
Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung besitzen.
(2) Dies gilt nicht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des
Gegenstands
1. mit Strafe oder Geldbuße bedroht wäre oder
2. das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt
gefährden würde.
(3) Die Erlaubnis kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 widerrufen
werden."
Hierzu haben die Landesjustizverwaltungen Verwaltungsvorschriften (VVStVollzG)
vereinbart, die am 1. Januar 1977 in Kraft getreten sind (vgl. Runderlaß des
Hessischen Ministers der Justiz vom 1. Juli 1976 - JMBl. S. 289 -):
"VV zu § 69
Der Anstaltsleiter kann anordnen, daß das Hörfunkgerät nur mit Kopfhörer
betrieben und daß es während der Ruhezeit aus dem Haftraum entfernt wird.
(1) Ein Hörfunkgerät darf nur ausgehändigt werden, wenn feststeht, daß es den
geltenden Bestimmungen und Auflagen entspricht und keine unzulässigen
Gegenstände enthält. Die dazu erforderliche Überprüfung und etwa notwendige
Änderungen werden durch die Anstalt auf Kosten des Gefangenen veranlaßt.
(2) Zur Verhinderung eines Mißbrauchs kann der Anstaltsleiter die
Verplombung des Gerätes anordnen.
(3) Reparaturen sind nur durch Vermittlung der Anstalt zulässig.
Der Gefangene hat die notwendigen Anzeigen im Zusammenhang mit dem
Betrieb des Hörfunkgerätes selbst vorzunehmen und für die Entrichtung der
Hörfunkgebühr zu sorgen, sofern er nicht von der Gebührenpflicht befreit ist.
Hierauf ist er hinzuweisen.
Der Gefangene darf das Hörfunkgerät ohne abweichende Erlaubnis nur in seinem
Haftraum betreiben.
Die Kosten für die Beschaffung, die Überprüfung, eine notwendige Änderung, die
Reparatur und den Betrieb des Hörfunkgerätes darf der Gefangene aus seinem
Hausgeld, seinem Taschengeld und seinem Eigengeld bestreiten."
Zu § 70 StVollzG ist eine bundeseinheitliche Verwaltungsvorschrift nicht ergangen.
Zur Konkretisierung der Rechtsvorschriften des Strafvollzugsgesetzes sind neben
den bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften mit Wirkung vom 1. Januar 1977
die Hessischen Ausführungsbestimmungen zum Strafvollzugsgesetzt (HAB
StVollzG), Runderlaß des Hessischen Ministers der Justiz vom 10. Mai 1977 (JMBl.
S. 421), in Kraft gesetzt worden. Sie bestimmen u.a. zu § 69 unter Ziffern 2 bis 5:
"2. Im geschlossenen Vollzug darf mit eigenen Hörfunkgeräten ein UKW-
Empfang nicht und der KW-Empfang nur im Frequenzbereich zwischen 6 und 16
MHz möglich sein; vom Empfangsgerät getrennte Lautsprecher sind nicht
zuzulassen.
3. Die Gefangenen können Hörfunkgeräte
- beim Eintritt in die Vollzugsanstalt einbringen,
- durch Vermittlung der Vollzugsanstalt vom Hausgeld und Eigengeld
erwerben,
- sich von Dritten zusenden oder überbringen lassen.
4. Eigene Hörfunkgeräte, die nicht durch Vermittlung der Vollzugsanstalt
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4. Eigene Hörfunkgeräte, die nicht durch Vermittlung der Vollzugsanstalt
beschafft worden sind, müssen vor der Aushändigung entweder durch einen
fachkundigen Vollzugsbediensteten oder durch einen von der Vollzugsanstalt
beauftragten Rundfunktechniker auf Kosten des Gefangenen dahin überprüft
werden, ob die Auflage nach Nr. 2 erfüllt ist und sich keine Sendeeinrichtung oder
sonstige sicherheitsgefährdende Gegenstände im Gerät befinden. Zum Betrieb
eines eigenen Hörfunk- oder Fernsehgerätes sind nur durch Vermittlung der
Vollzugsanstalt beschaffte Trockenbatterien zuzulassen.
5. Der Betrieb dieser Geräte durch Anschluß an das Stromnetz kann gestattet
werden, soweit die technischen Voraussetzungen dafür gegeben sind und die
Belastung des Netzes dies zuläßt. Die Erlaubnis ist grundsätzlich davon abhängig
zu machen, daß der Gefangene für einen angemessenen Zeitraum im voraus eine
Stromkosten-Pauschale entrichtet, die bei der Haushaltsstelle 05 05 - 119 06 zu
vereinnahmen ist."
Die Antragsteller vertreten die Auffassung, diese Ausführungsbestimmungen seien
mit den Artikeln 1, 13, 21, 116 - 118 und 120 der Verfassung des Landes Hessen
(HV) nicht vereinbar und verstießen gegen die bundeseinheitlichen Bestimmungen
des Strafvollzugsgesetzes und der Verwaltungsvorschriften zum
Strafvollzugsgesetz. Der Antragsteller zu 4. sieht zudem Art. 11 HV und Art. 5, 19
Abs.1 und 2, 38 Abs. 1 und 104 Abs. 1 GG für verletzt an. Alle Antragsteller
meinen, sie und viele tausend inhaftierte Gefangene seien durch die Entfernung
des UKW-Empfangsbereiches gehindert, die aktuellen politischen Sendungen wie
etwa Landtags- und Bundestagsdebatten, Wahlsendungen sowie zeitgeschichtliche
Berichte oder Rückblicke zu empfangen; die anstaltseigenen Rundfunksendungen
des UKW-Empfangsbereiches beschränkten sich auf die Sender HR 3, WDR 2 und
Bayern 3, also auf Verkehrsfunksendungen. Dadurch seien sie zum Empfang von
Kurzwellensendern - welche häufig kommunistische und staatsfeindliche
Sendungen verbreiteten - genötigt, zumal in der Justizvollzugsanstalt... ein
Mittelwellenempfang wegen der besonderen Maßnahmen der elektrischen
Starkstromsicherungen nicht möglich sei. Die vom Justizminister für seine
Maßnahmen angegebenen Gründe, nämlich das Basteln an den Geräten und den
Empfang des Polizeifunks zu verhindern, seien nicht stichhaltig, denn bei einer
Kontrolle am 25. Juli 1978 seien fünf Hörfunkgeräte mit unerlaubten
Empfangsbereichen, die seit Jahren benutzt worden seien, festgestellt und
eingezogen worden; gleichwohl seien die Sicherheitsmaßnahmen der
Justizvollzugsanstalt nie angetastet worden.
Schließlich sei der Hessische Minister der Justiz zum Erlaß der Hessischen
Ausführungsbestimmungen zum Strafvollzugsgesetz überhaupt nicht befugt
gewesen, da sie "außerhalb des Volksentscheids (Art. 116 HV), ohne Einschaltung
des Landtages erlassen und in Kraft gesetzt" worden seien.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß, den Hessischen Minister der Justiz zum
Ersatz des Schadens zu verurteilen, der mehreren tausend Inhaftierten
entstanden ist, und festzustellen, daß die genannten Ausführungsbestimmungen
zum Strafvollzugsgesetz mit der Verfassung des Landes Hessen nicht vereinbar
sind.
II
Der Landesanwalt hält die Anträge für unzulässig.
Die Hessischen Ausführungsbestimmungen zum Strafvollzugsgesetz (HAB
StVollzG) stellten weder förmlich noch inhaltlich Rechtsnormen dar; es handele
sich um Verwaltungsvorschriften, die sich nicht an Strafgefangene, sondern an die
Leiter und Bediensteten der Justizvollzugsanstalten richteten. Gegenüber den
Gefangenen erlangten sie erst Rechtswirkung, wenn eine Justizvollzugsbehörde im
Einzelfall nach ihnen verfahre. Da die Antragsteller demnach noch nicht von diesen
Vorschriften unmittelbar betroffen seien, könnten sie sich auch nicht im Wege der
Grundrechts klage gegen sie wenden.
Soweit die Antragsteller aber die gegen sie auf Grund der genannten Vorschriften
ergriffenen Maßnahmen angreifen wollten - wie etwa das Entfernen des UKW-
Empfangsbereichs aus einem Transistor-Hörfunkgerät -, sei der Antrag gemäß §
48 Abs. 3 StGHG unzulässig, weil die Antragsteller es unterlassen hätten, die
Strafvollstreckungskammer des örtlich zuständigen Landgerichts gemäß §§ 109,
110 StVollzG anzurufen.
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Eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs vor Erschöpfung des Rechtsweges (§ 48
Abs. 1 Satz 3 StGHG) komme nicht in Betracht. Diese Vorschrift greife nur dann
ein, wenn der Rechtsweg noch nicht beschritten sei, aber noch beschritten werden
könne. Die Antragsteller hätten aber die gerügte Maßnahme (Verhinderung des
UKW-Empfangs) nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 112 StVollzG mit dem
Antrag auf gerichtliche Entscheidung angegriffen. Diese Frist sei bereits bei
Eingang der Anträge beim Staatsgerichtshof verstrichen gewesen.
III
Auf die Stellungnahme des Landesanwalts haben die Antragsteller zu 1. und zu 4.
erwidert:
Der Antragsteller zu 1. hält den Antrag nach § 109 StVollz wegen der Entfernung
des UKW-Empfangsteils unter Bezugnahme auf die Entscheidung des
Landgerichts... vom 21. Juni 1976 - ... - für unzulässig, weil es sich dabei um eine
"generelle Maßnahme" und nicht um die "Regelung einer einzelnen Angelegenheit"
auf dem Gebiete des Strafvollzugs handele. Darüber hinaus beantragt er
"namentlich der übrigen Mit-Grundrechtskläger", das Verfahren gemäß Art. 100
GG vor dem Staatsgerichtshof auszusetzen und den gesamten Sachverhalt zur
weiteren Sachentscheidung dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, da auch
Art. 5 GG verletzt sei.
Der Antragsteller zu 4. wendet sich vor allem gegen die Ansicht des
Landesanwalts, die "HAB zu § 69 StVollzG" stelle keine Rechtsnorm dar. Gerade
dagegen werde Klage erhoben, deshalb verletze diese Vorschrift die Grundrechte
aller hessischen Inhaftierten. Der UKW-Empfangsteil werde nicht nur im Einzelfall,
sondern generell in allen hessischen Vollzugsanstalten und bei allen Gefangenen
aus den Radiogeräten entfernt. Ohne eine entsprechende Einwilligung des
jeweiligen Gefangenen zu dieser Maßnahme werde die Genehmigung für einen
Rundfunkempfänger gar nicht erteilt. Da es sich demnach nicht um einzelne
Maßnahmen handele, sondern um die Entscheidung über die Rechtsgültigkeit
eines ministeriellen Erlasses, sei der Rechtsweg nach dem Strafvollzugsgesetz
nicht gegeben.
IV
Die Anträge konnten keinen Erfolg haben.
1. Zunächst ist festzustellen, daß der Antrag zur Verteidigung der Grundrechte
nach Art. 131 Abs. 3 HV in Verbindung mit § 45 des Gesetzes über den
Staatsgerichtshof - StGHG - nur wegen eigener Grundrechtsverletzungen gestellt
werden kann. Die Grundrechte sind höchstpersönliche Rechte zum Schutze der
persönlichen Freiheit; sie sind weder ihrem Inhalt nach noch in ihrer Ausübung
übertragbar (so StGH, Beschluß vom 11. April 1973 - P.St. 697 -, StAnz. 1973, 927
= ESVGH 23, 147 = DÖV 1973, 524 = DVBl. 1973, 334 [L]). Deshalb kann und
muß der Staatsgerichtshof bei seiner Entscheidung jegliches Vorbringen außer
Betracht lassen, das sich nicht unmittelbar auf die Antragsteller bezieht. Sie
können daher weder Grundrechte ihrer Mitgefangenen geltend machen noch
entscheidungserhebliche Tatsachen vortragen, die sich auf die anderen Insassen
der hessischen Justizvollzugsanstalten beziehen. Soweit die Antragsteller
vermeintliche Rechtsverletzungen dieses Personenkreises vortragen - sei es zur
Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches, sei es zum Nachweis der
behaupteten Verfassungs- und Gesetzeswidrigkeit der angegriffenen HAB zu §§
69, 70 StVollzG -, können sie mit ihrem Vorbringen nicht gehört werden.
Verfassungsrechtlich erheblich sind nur die vorgetragenen Tatsachen und
Rechtsansichten, die sich auf die Antragsteller selbst beziehen. Deshalb kann der
Staatsgerichtshof auch nur über ihre eigenen Anträge entscheiden.
2. Soweit die Antragsteller beantragen, den Hessischen Minister der Justiz "in alle
gerichtlich und außergerichtlich entstehenden Kostenerstattungen an die durch ihn
geschädigten Inhaftierten" zu verurteilen, ist der Antrag schon deshalb unzulässig,
weil er als Schadensersatzanspruch auf eine Leistung in Geld gerichtet ist.
Geldansprüche können aber mit der Grundrechtsklage nicht geltend gemacht
werden. Nach Art. 131 Abs. 1 HV entscheidet der Staatsgerichtshof nur über die
Verletzung der Grundrechte. Er kann im Verfahren zur Verteidigung der
Grundrechte lediglich ihrer Schutzwirkung Geltung verschaffen, indem er feststellt,
welche Vorschrift der Verfassung des Landes Hessen durch welche Handlung oder
Unterlassung verletzt worden ist. Richtet sich die Grundrechtsklage gegen die
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Unterlassung verletzt worden ist. Richtet sich die Grundrechtsklage gegen die
Entscheidung eines Gerichts des Landes Hessen, so kann er sie für kraftlos
erklären, in der Sache selbst entscheiden oder die Sache zurückverweisen (§ 49
Abs. 2 StGHG). Weder den Art. 131 ff. HV noch den §§ 45 ff. StGHG ist auch nur
ein Hinweis zu entnehmen, daß Grundrechtsverletzungen - sollten sie vom
Staatsgerichts hof für gegeben erkannt werden - Schadensersatzansprüche in
Geld auslösen; sie können daher vom Staatsgerichtshof nicht gewährt werden (vgl.
dazu auch StGH, Beschluß vom 28. Juli 1976 - P.St. 827 - unter Hinweis auf StGH,
Beschluß vom 7. April 1976 - P.St. 785 -).
3. Die Anträge sind auch insofern unzulässig, als die Antragsteller sich gegen die
HAB zu §§ 69 und 70 StVollzG wenden.
a.) Im Verfahren zur Verteidigung der Grundrechte steht dem Staatsgerichtshof
als Landesverfassungsgericht nur die Verfassung des Landes Hessen,
insbesondere deren Grundrechtsartikel, als Prüfungsmaßstab zur Verfügung; das
Grundgesetz und die Bundesgesetze gehören nicht dazu. Eine Grundrechtsklage
mit der Rüge, die angegriffene Maßnahme der öffentlichen Verwaltung verletze
Bundesrecht, ist unzulässig. Deshalb kann der Staatsgerichtshof die Hessischen
Ausführungsbestimmungen zum Strafvollzugsgesetz weder am Maßstab des
Grundgesetzes (Art. 5, 19 Abs. 1 und 2, 38 Abs. 1 und 104 Abs. 1 GG) überprüfen,
wie es der Antragsteller zu 4. begehrt, noch an den Vorschriften des
Strafvollzugsgesetzes, auf die alle Antragsteller Bezug genommen haben.
Schließlich kann der Staatsgerichtshof die angegriffenen Vorschriften auch nicht
an den Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (VVStVollzG) messen,
zumal sie auf einer Vereinbarung der Landesjustizverwaltungen beruhen. Damit
gelten sie zwar bundeseinheitlich, dieser Geltungsbereich nimmt ihnen aber nicht
die Qualität als landesrechtliche Verwaltungsvorschriften, die in ihrer
Rechtsqualität noch unter dem Gesetz stehen; deshalb binden sie weder den
Staatsgerichtshof noch können sie ihm als Prüfungsmaßstab dienen.
b) Zudem können die Antragsteller die genannten Vorschriften der Hessischen
Ausführungsbestimmungen zum Strafvollzugsgesetz mit der Grundrechtsklage
überhaupt nicht angreifen. Dieser Weg zum Staatsgerichtshof ist ihnen
verschlossen, weil es sich bei jenen Vorschriften um Verwaltungsvorschriften
handelt, denen der Rechtsnormcharakter fehlt. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs kann nur ein Gesetz unmittelbar mit der
Grundrechtsklage angefochten werden, wenn der Bürger selbst, gegenwärtig und
unmittelbar davon betroffen wird (u.a. StGH, Urteil vom 7. Januar 1970 - P.St. 539 -
, StAnz 1970, 342 = ESVGH 20, 206 = DÖV 1970, 243 = DVBl. 1970, 524 [L] und
Urteil vom 20. Dezember 1971 - P.St. 608, 637 -, StAnz. 1972, 112 = ESVGH 22, 4
= DÖV 1972, 285; zuletzt im Beschluß vom 27. Juli 1977 - P.St. 841 -).
Verwaltungsvorschriften fehlt aber mangels allgemeinverbindlicher Wirkung die
rechtliche Kraft, in die Rechtssphäre des Einzelnen einzugreifen. Hierzu bedarf es
vielmehr eines besonderen Vollzugsaktes durch die jeweilige Behörde. Die
Verhaltungsvorschriften, selbst wenden sich vornehmlich an die Behörden, die
dann ihrerseits zur Durchführung der Gesetze unter Beachtung der
Verwaltungsvorschriften Maßnahmen zu treffen haben. Erst diese
Einzelmaßnahmen der Behörden können den betroffenen Bürger in seinen
Rechten verletzen. Der Rechtsnormcharakter der Hessischen
Ausführungsbestimmungen zum Strafvollzugsgesetz folgt auch nicht daraus, daß
sie im Justiz-Ministerial-Blatt veröffentlicht und damit jedermann bekannt sind. Die
Bekanntgabe solcher Verwaltungsvorschriften an Dritte hat nur informatorische
Bedeutung (so StGH, Beschlüsse vom 27. Juli 1977 - P.St. 838 und P.St. 841 - und
vom 26. Oktober 1977 - P.St. 835 -). Selbst wenn die HAB StVollzG als Rechtsnorm
erlassen worden wären, hätten die Antragsteller die Jahresfrist zur Erhebung der
Grundrechtsklage versäumt (entsprechend § 93 Abs. 2 BVerfGG: vgl. StGH,
Beschluß vom 11. Dezember 1974 - P.St.728 ESVGH 25, 137 [139]). Die
Vorschriften sind am 1. Juli 1977 veröffentlicht worden, die Anträge aber erst nach
dem 1. Juli 1978 bei dem Staatsgerichtshof eingegangen.
Nach allem können die angegriffenen Verwaltungsvorschriften nicht im Wege der
Grundrechtsklage zum Gegenstand einer (konkreten) Normenkontrolle vor dem
Staatsgerichtshof gemacht werden.
c) Wenn der Antragsteller zu 4. meint, die Grundrechtsverletzung liege gerade
darin, daß die Hessischen Ausführungsbestimmungen zum Strafvollzugsgesetz
nicht in der Form einer Rechtsnorm erlassen worden seien, so ist seine
Grundrechtsklage auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zulässig. Dieses
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Grundrechtsklage auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zulässig. Dieses
Vorbringen kann nur dahin ausgelegt werden, daß der Antragsteller das
Unterlassen des hessischen Gesetz- bzw. Verordnungsgebers rügt. Die
Verfassung des Landes Hessen gewährt aber dem einzelnen Staatsbürger kein
Grundrecht und auch keinen grundrechtsähnlichen Anspruch darauf, daß ein zur
Gesetzesinitiative befugtes Staatsorgan das Gesetzgebungsverfahren mit einer
Vorlage bestimmten Inhalts einleitet. Nach Art. 116, 117 HV werden die
Gesetzentwürfe allein von der Landesregierung, aus der Mitte des Landtages oder
durch Volksbegehren eingebracht. Der einzelne Grundrechtsträger kann sich
daher in aller Regel im Wege der Grundrechtsklage erst gegen ein von den
Gesetzgebungsorganen beschlossenes Gesetz wenden. Allerdings ist eine
Grundrechtsklage gegen das Unterlassen des Gesetzgebers dann zulässig, wenn
sich der Antragsteller auf einen ausdrücklichen Auftrag der Verfassung des Landes
Hessen berufen kann (vgl. dazu StGH, Beschluß vom 10. September 1975 - P.St.
761 - unter Hinweis auf BVerfGE 11, 255 [261]). Ob ein solcher Auftrag den vom
Antragsteller zitierten oder anderen Artikeln der Verfassung des Landes Hessen
überhaupt entnommen werden kann, mag hier dahinstehen, weil eine
Unterlassung des hessischen Gesetzgebers im Hinblick auf Art. 74 Nr. 1 GG nicht
feststellbar ist. Danach hat der Bund das konkurrierende Gesetzgebungsrecht für
den Strafvollzug. Der Bund hat hiervon durch das Strafvollzugsgesetz vom 16.
März 1976 Gebrauch gemacht, so daß die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG keine
Befugnis zur Gesetzgebung mehr haben. Aus den gleichen Gründen kann auch der
hessische Verordnungsgeber auf dem Gebiete des Strafvollzuges nicht mehr tätig
werden. Ihre rechtliche Grundlage finden die hessischen
Ausführungsbestimmungen in der Weisungsgewalt des Hessischen Ministers der
Justiz gegenüber den ihm untergeordnete Ämtern und Behörden (vgl. dazu Art.
102 Satz 2 HV). Danach kann der Justizminister für die Justizvollzugsanstalten
Vorschriften erlassen, welche die Wahrnehmung der ihnen durch das
Strafvollzugsgesetz übertragenen Aufgaben näher regeln (vgl. auch Wolff-Bachof,
Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 24 II d 2, S. 128).
4. Auch gegen etwaige auf Grund der HAB zu §§ 69 und 70 StVollzG gegenüber
einem der Antragsteller ergriffene Einzelmaßnahmen ist hier die Anrufung des
Staatsgerichtshofs nicht zulässig. Die Antragsteller haben in ihren Eingaben nicht
einmal dargelegt, daß sie selbst - für andere Gefangene können sie, wie
ausgeführt, Grundrechtsklagen nicht erheben - ein Hörfunkgerät in eine
Vollzugsanstalt eingebracht haben und daß aus diesen Geräten der UKW-Teil
entfernt wurde. Bejahendenfalls haben sie nicht angegeben, wann das geschah.
Die Angabe der Tatsachen, aus denen sich eine Grundrechtsverletzung ergeben
soll, gehört jedoch zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Grundrechtsklage
(vgl. § 46 Abs. 1 StGHG). Ihr Sachvortrag ergibt zugleich, daß keiner der
Antragsteller, sollte er von einer Entfernung des UKW-Teiles aus einem
eingebrachten Hörfunkgerät betroffen sein, den Rechtsweg (Antrag auf gerichtliche
Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts nach §§ 109 ff.
StVollzG und Rechtsbeschwerde an den Strafsenat des Oberlandesgerichts gemäß
§§ 116 ff. StVollzG) erschöpft hat. Ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof wegen
Verletzung eines Grundrechts findet aber gemäß § 48 Abs. 3 StGHG grundsätzlich
nur statt, wenn der Antragsteller zuvor eine Entscheidung des höchsten in der
Sache zuständigen Gerichts herbeigeführt hat.
Wenn der Antragsteller zu 1. in diesem Zusammenhang meint, er sei in einer
Entscheidung der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts... vom 21. Juni
1976 - Az. ... - belehrt worden, die generelle Maßnahme der Entfernung des UKW-
Empfangsteiles sei nicht im Rechtsweg der §§ 109 ff. StVollzG zu überprüfen, so
muß ihm zunächst entgegengehalten werden, daß das Strafvollzugsgesetz in
seinen wesentlichen Teilen erst am 1. Januar 1977 in Kraft getreten ist. Aber auch
nach der alten Rechtslage wäre gegen eine Entscheidung des Landgerichts noch
das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig gewesen, so daß der Antragsteller zu 1.
auch insoweit nicht nachgewiesen hat, den Rechtsweg erschöpft zu haben. Zudem
wäre die Monatsfrist zur Erhebung der Grundrechtsklage gegen eine
entsprechende Beschwerdeentscheidung längst verstrichen (§ 48 Abs. 3 StGHG).
Das gilt auch, wenn es sich bei der erwähnten Entscheidung um einen Beschluß
des Oberlandesgerichts in einem Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG gehandelt haben
sollte.
5. Schließlich kann auch dem Begehren der Antragsteller nach einer Entscheidung
des Staatsgerichtshofs ohne vorherige Erschöpfung des Rechtsweges nicht
entsprochen werden, wie sie es in ihren Anträgen zum Ausdruck gebracht haben.
Zwar entscheidet der Staatsgerichtshof, wenn die Bedeutung der Sache über den
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Zwar entscheidet der Staatsgerichtshof, wenn die Bedeutung der Sache über den
Einzelfall hinausgeht, insbesondere mit einer Wiederholung zu rechnen ist und
daher eine allgemeine Regelung erforderlich erscheint. Diese Möglichkeit einer
Vorabentscheidung hat der Staatsgerichtshof nach seiner Rechtsprechung aber
nur, wenn der Antragsteller den Rechtsweg noch nicht beschritten hat, ihn aber
noch beschreiten kann (so StGH, Beschluß vom 27. Juli 1977 - P.St. 838 -, ESVGH
28, 134 [135]). Die Antragsteller haben indessen nicht vorgetragen, daß sie zum
Zeitpunkt der Erhebung ihrer Grundrechtsklagen noch die Möglichkeit hatten, den
Rechtsweg zu beschreiten. Für den Rechtsweg gegen Maßnahmen der
Vollzugsanstalten (§§ 109 ff. StVollzG) schreibt § 112 StVollzG eine Antragsfrist
von zwei Wochen vor. Der Landesanwalt hat darauf hingewiesen, daß diese Frist in
allen Fällen bereits verstrichen ist; die Antragsteller haben dem nicht
widersprochen.
6. Der von dem Antragsteller zu 1. gestellte Antrag, das Verfahren vor dem
Staatsgerichtshof nach Art. 100 GG auszusetzen und die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts einzuholen, geht schon deshalb fehl, weil keine der für
ein solches Verfahren vorgesehenen Voraussetzungen vorliegt. Der
Staatsgerichtshof hält weder ein Gesetz für verfassungswidrig, auf dessen
Gültigkeit es bei seiner Entscheidung ankommt, noch will er von einer
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder eines Verfassungsgerichts
eines anderen Landes abweichen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.