Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: perpetuatio fori, rechtsverordnung, hessen, örtliche zuständigkeit, ermächtigung, bezirk, rechtsschutz, gesetzesvorbehalt, legislative, rechtsnorm

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 870
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 107 Verf HE, Art 118 Verf
HE, Art 131 Verf HE, Art 12 Nr
7a EheRG 1, Art 80 GG
(Grundrechtsklage gegen Rechtsverordnung; Qualifikation
bei bundesgesetzlicher Ermächtigung;
Zuständigkeitsregelung; gesetzlicher Richter)
Leitsatz
1. Rechtsverordnungen der Landesregierung, die auf einer bundesgesetzlichen
Ermächtigungsnorm beruhen, sind Landesrecht.
2. Rechtsverordnungen können unter denselben Voraussetzungen wie Gesetze
unmittelbar mit der Grundrechtsklage angegriffen werden.
3. Zur Frage der Prüfungsbefugnis des Staatsgerichtshofs hinsichtlich der
Verfassungsmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit von Rechtsverordnungen im
Grundrechtsklageverfahren.
4. Zuständigkeitsregelungen für die Rechtsprechungsorgane unterliegen dem
Gesetzesvorbehalt; die Legislative kann ihre Befugnis innerhalb bestimmter Grenzen
auf die Exekutive übertragen.
5. Rechtsnormen, die den gesetzlichen Richter bestimmen, binden die Gerichte und die
Rechtsuchenden unmittelbar.
Gründe
A
I.
Nach § 23c Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes zur Reform des Eherechts
und Familienrechts (EheRG 1) vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1421) werden die
Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung einem Amtsgericht für
die Bezirke mehrerer Amtsgerichte die Familiensachen sowie ganz oder teilweise
die Vormundschaftssachen zuzuweisen, sofern die Zusammenfassung der
sachlichen Förderung der Verfahren dient oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung geboten erscheint. Die Hessische Landesregierung hat von dieser
Ermächtigung Gebrauch gemacht und in § 1 Nr 7a der Verordnung über die
Zuweisung von Familiensachen an ein Amtsgericht für die Bezirke mehrerer
Amtsgerichte vom 16. Dezember 1976 (GVBl I S 500) - kurz: Verordnung - die
Familiensachen und die Verfahren nach § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch im Bezirk
des Landgerichts Marburg für den Bezirk der Amtsgerichte Biedenkopf und
Frankenberg (Eder) dem Amtsgericht in Biedenkopf zugewiesen. Die Verordnung
ist am 1. Juli 1977 in Kraft getreten.
Die Ehefrau des Antragstellers hatte am 23. Dezember 1975 beim Landgericht
Marburg - Az: 2 R 283/75 - Scheidungsklage, der Antragsteller am 2. Januar 1976
Widerklage erhoben; das Landgericht verwies den Rechtsstreit durch Beschluß vom
20. Juli 1977 an die nunmehr zuständige Abteilung für Familiensachen des
Amtsgerichts Biedenkopf - Az: F 49/77 -.
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II.
Mit seiner am 10. Januar 1978 bei der Geschäftsstelle des Staatsgerichtshofs
eingegangenen Grundrechtsklage vom 5. Januar 1978 wendet sich der
Antragsteller gegen die Verordnung vom 16. Dezember 1976, insbesondere gegen
deren § 1 Nr 7a. Er ist der Ansicht, die Zuweisung der Familiensachen aus dem
Amtsgerichtsbezirk Frankenberg (Eder) an das Amtsgericht Biedenkopf verletze
ihn in seinen Grundrechten aus Art 2 Abs 2, 20 Abs 1 Verf HE und führt aus:
Inhaltlich sei die Verordnung ein Organisationsakt auf dem Gebiete des
Gerichtsverfassungsrechts, der keines Vollzugsaktes bedürfe und als Landesrecht
in vollem Umfange an der Landesverfassung gemessen werden könne, weil er
unmittelbar in seine Rechtssphäre eingreife. Die Zuweisungsregelung in
Familiensachen entbehre jedes sachgerechten Grundes, überschreite die Grenzen
des Willkürverbots und entziehe ihn, den Antragsteller, seinem gesetzlichen
Richter.
Nach § 23c GVG seien grundsätzlich bei allen Amtsgerichten Familienabteilungen
einzurichten, mögliche Ausnahmen seien eng umschrieben. Eine sachliche
Förderung des Verfahrens setze einen Richter voraus, der auf Grund seiner
persönlichen und sachlichen Kenntnisse von den Menschen und den örtlichen
Verhältnissen eines überschaubaren Raumes in der Lage sei, sachgerecht und
zeitgerecht Rechtsschutz zu gewähren. Diesem Bestreben laufe die angegriffene
Regelung zuwider, da sie die ethnographischen, geographischen und insbesondere
die verkehrsmäßigen Gegebenheiten der Gerichtsbezirke Frankenberg und
Biedenkopf völlig außer acht lasse. Zudem befänden sich das zuständige
Jugendamt, Sozialamt, Gesundheitsamt und Wohnungsamt für den
Amtsgerichtsbezirk Frankenberg nicht in Biedenkopf, wie denn auch der
monatliche Gerichtstag des Familienrichters aus Biedenkopf in Frankenberg völlig
unzureichend sei. Von einer sachlichen Förderung des Verfahrens könne auch
nicht deshalb gesprochen werden, weil die Leistung der Familiengerichte nur dann
gewährleistet sei, wenn der Familienrichter ausschließlich Familiensachen
bearbeite und in seinem Bezirk mindestens 180 - 200 Scheidungssachen anfielen.
Sämtliche Amtsgerichte des Landgerichtsbezirks Marburg hätten nämlich
zugesichert, die Familiensachen ohne zusätzliche personelle Anforderungen
bewältigen zu können.
Auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung könne die angegriffene
Zuweisung der Familiensachen an das Amtsgericht Biedenkopf nicht rechtfertigen.
Diese Aufgabe obliege von jeher vornehmlich den Rechtsmittelgerichten; das
werde auch künftig im Bereich der Familiengerichte nicht anders sein. Dagegen
erschwere und verzögere die jetzige Regelung den Rechtsschutz der betroffenen
Bewohner des Marburger Raumes.
Der Antragsteller beantragt,
festzustellen, daß die Verordnung über die Zuweisung von Familiensachen an
ein Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte vom 16.12.1976 (Hess
GVBl Nr 27 vom 23.12.1976, S 500), insbesondere aber § 1 Nr 7a dieser
Verordnung gegen die Hessische Verfassung verstößt.
III.
Der Hessische Ministerpräsident - Staatskanzlei - hält den Antrag für unzulässig,
auf jeden Fall für offensichtlich unbegründet.
Die Regelung des § 1 Nr 7a der Verordnung, auf welche die verfassungsrechtliche
Prüfung zu beschränken sei, enthalte zwar Landesrecht, doch werde der
Antragsteller unmittelbar nicht durch diese Vorschrift, sondern erst durch den
Verweisungsbeschluß des Landgerichts Marburg vom 20. Juli 1977 betroffen. Die
Frist zur Anfechtung dieser Entscheidung im Rahmen einer Grundrechtsklage sei
aber schon verstrichen.
Die Frage, ob sich die angegriffene Vorschrift im Rahmen der Ermächtigung nach §
23c GVG halte, sei eine Prüfung am Maßstab von Bundesrecht und auch als
Vorfrage nicht zulässig, weil Bundesrecht dem Staatsgerichtshof als
Prüfungsmaßstab nicht zur Verfügung stehe.
Schließlich diene die Zuweisung der Familiensachen aus dem Bezirk des
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Schließlich diene die Zuweisung der Familiensachen aus dem Bezirk des
Amtsgerichts Frankenberg (Eder) an das Amtsgericht Biedenkopf sowohl der
sachlichen Förderung der Verfahren als auch der Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung. Um die Ziele der Landesregierung bei der Errichtung der
Familiengerichte - Bürgernähe, Leistungsfähigkeit sowie Kongruenz der
Gerichtsbezirke und Verwaltungsbezirke - zu erreichen, sei im Landgerichtsbezirk
Marburg ein Mittelweg gewählt worden, der sich auf ein im Auftrag des Hessischen
Ministers der Justiz erstelltes Gutachten zur "Familiengerichtsbarkeit in Hessen"
stütze. Anhaltspunkte, daß sich der Verordnungsgeber bei der getroffenen
Regelung von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen, seien nicht vorhanden.
Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Biedenkopf in der Familiensache des
Antragstellers beruhe damit auf einer generellen rechtssatzmäßigen Regelung, so
daß seinem Anspruch auf den gesetzlichen Richter genügt sei.
IV.
Der Landesanwalt hält den Antrag für unzulässig. Jedenfalls könne der
Staatsgerichtshof die Rechtsgültigkeit der streitigen landesrechtlichen Zuweisung
von Familiensachen an das Amtsgericht Biedenkopf nicht am Maßstab der
bundesrechtlichen Ermächtigungsnorm des § 23c GVG prüfen. Mit spezifisch
landesverfassungsrechtlichen Mängeln werde die Grundrechtsklage nicht
begründet.
V.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den
Inhalt der eingereichten Schriftsätze mit Anlagen Bezug genommen, die
Gegenstand der Beratung waren.
B
I.
Der Antrag ist unzulässig.
1.
Nach Art 131, 132 der Verfassung des Landes Hessen - Verf HE - trifft nur der
Staatsgerichtshof die Entscheidung darüber, ob ein Gesetz oder eine
Rechtsverordnung mit der Verfassung im Widerspruch steht. Die angegriffene
Verordnung ist, obgleich sie von der Landesregierung auf Grund der
bundesgesetzlichen Ermächtigung in § 23c GVG erlassen worden ist, Landesrecht
und unterliegt damit der Prüfungskompetenz des Staatsgerichtshofs (so StGH,
Urteil vom 3. Dezember 1969 - P St 569 -, StAnz 1970, 53 (57) = ESVGH 20, 218
(222) = DÖV 1970, 132 (134) = DVBl 1970, 217 (219) m Anm Groß; vgl auch
BVerfGE 18, 407 (413f)).
2.
Der Antragsteller kann nach Art 131 Abs 3 Verf HE, §§ 45ff des Gesetzes über
den Staatsgerichtshof - StGHG - den Staatsgerichtshof anrufen, indem er geltend
macht, er sei durch die Zuweisung der Familiensachen aus dem
Amtsgerichtsbezirk Frankenberg (Eder) an das Amtsgericht in Biedenkopf in
seinen Grundrechten aus Art 2 Abs 2 und 20 Abs 1 Verf HE - die Berufung auf Art
20 Abs 2 Verf HE beruht offensichtlich auf einem Schreibfehler - verletzt.
3.
Der Antragsteller kann mit seiner Grundrechtsklage unmittelbar eine
Rechtsverordnung angreifen. Über § 48 Abs 3 Satz 1 StGHG hinaus, dem zufolge
ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof grundsätzlich nur stattfindet, wenn der
Antragsteller zuvor eine Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen
Gerichts herbeigeführt hat und innerhalb eines Monats seit Zustellung dieser
Entscheidung den Staatsgerichtshof anruft, erkennt der Staatsgerichtshof in
ständiger Rechtsprechung die Zulässigkeit einer unmittelbar gegen ein Gesetz
gerichteten Grundrechtsklage an, wenn der Antragsteller selbst gegenwärtig und
unmittelbar, ohne daß eine Ausführungsnorm oder ein Vollziehungsakt hinzutreten
müßte, von der angegriffenen Norm betroffen wird (ua StGH, Urteil vom 7. Januar
1970 - PSt 539 -, StAnz 1970, 342 = ESVGH 20, 206 = DÖV 1970, 243 = DVBl
1970, 524 (L) und Urteil vom 20. Dezember 1971 - PSt 608, 637 - in StAnz 1972,
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1970, 524 (L) und Urteil vom 20. Dezember 1971 - PSt 608, 637 - in StAnz 1972,
112 = ESVGH 22, 4 = DÖV 1972, 285; zuletzt im Beschluß vom 27. Juli 1977 - PSt
841 -). Auch Rechtsverordnungen sind Akte der öffentlichen Gewalt, die unter
denselben Voraussetzungen mit der Grundrechtsklage angegriffen werden
können. Insoweit ist der formelle Unterschied der Rechtsquellen als Gesetz oder
Rechtsverordnung gegenüber dem Charakter einer Bestimmung als materieller
Rechtsnorm unbeachtlich (vgl BVerfGE 3, 162 (171), 288 (299); 6, 273 (277)).
4.
Der Antragsteller wahrt die für eine unmittelbare Grundrechtsklage geltende
Jahresfrist. Der Staatsgerichtshof hält aus Gründen der Rechtssicherheit und der
Tragweite der begehrten Entscheidung eine Grundrechtsklage gegen eine
Rechtsnorm nur innerhalb eines Jahres nach ihrem Inkrafttreten für zulässig (vgl
StGH, Beschluß vom 11. Dezember 1974 - PSt 728 - in ESVGH 25, 138 (139)). Die
Verordnung vom 16. Dezember 1976 ist nach ihrem § 3 am 1. Juli 1977 in Kraft
getreten; der Antrag des Antragstellers vom 5. Januar 1978 ist am 10. Januar 1978
beim Staatsgerichtshof eingegangen.
5.
Der Antragsteller ist nur von § 1 Nr 7a der Verordnung selbst betroffen. Da er
in F. wohnt, bestimmt sich die Zuständigkeit des Amtsgerichts Biedenkopf in
Familiensachen für ihn nach dieser Vorschrift. Nur an der Klärung der
Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift ist ihm gelegen. Sein Antrag kann so
aufgefaßt werden, daß er nur die Feststellung begehrt, daß diese Vorschrift ihn in
Grundrechten verletzt.
6.
Die Grundrechtsklage ist aber unzulässig, weil der Antragsteller nicht zugleich
gegenwärtig und unmittelbar von der angegriffenen Zuständigkeitsregelung
betroffen ist. Dabei ist zwischen der Auswirkung der angegriffenen Norm auf den
anhängigen Scheidungsrechtsstreit und auf sonstige Verfahren, an denen der
Antragsteller in Zukunft beteiligt sein könnte, zu unterscheiden.
a)
Die Zuständigkeit der rechtsprechenden Organe, auch die örtliche
Zuständigkeit der Gerichte, wird durch Organisationsakte in Form eines
allgemeinen Rechtssatzes, sei es ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung,
bestimmt. Wegen des Grundsatzes des gesetzlichen Richters und des Schutzes
der Unabhängigkeit der Rechtspflege unterliegen solche Bestimmungen dem
Gesetzesvorbehalt; der Legislative ist es jedoch nicht verwehrt, ihre Befugnis zu
solchen Maßnahmen innerhalb bestimmter Grenzen, die im Bundesrecht durch Art
80 Abs 1 GG bezeichnet werden, auf die Exekutive zu übertragen. Das gilt auch für
die Konzentrierung der örtlichen Zuständigkeit für bestimmte Sachbereiche bei
einem von mehreren gleichgeordneten Gerichten (vgl dazu BVerfGE 27, 18 (34f)
unter Hinweis auf BVerfGE 2, 307 (319f und 326); BVerfGE 24, 155 (167)).
Rechtsnormen, die den gesetzlichen Richter bestimmen, binden die Gerichte
und die Rechtsuchenden unmittelbar. Die Gerichte haben ihre Zuständigkeit von
Amts wegen zu prüfen. Wer bei ihnen um Rechtsschutz nachsucht, kann diesen
nur beim zuständigen Gericht erreichen; nötigenfalls muß er die Verweisung des
Rechtsstreits beantragen.
Gleichwohl ist der Antragsteller in seinem Ehescheidungsverfahren von der
bekämpften Zuständigkeitsregelung zwar gegenwärtig, aber nicht unmittelbar
betroffen worden.
Änderungen des Prozeßrechts gelten, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes
bestimmt wird, grundsätzlich auch für die Fälle, die unter der Geltung des alten
Rechts anhängig geworden sind oder hätten anhängig gemacht werden können
(vgl BVerfGE 24, 33 (54) unter Hinweis auf BVerfGE 11, 139 (146)). Eine andere
Regelung trifft jedoch § 261 Abs 3 Nr 2 ZPO, wonach die Rechtshängigkeit die
Wirkung hat, daß die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges und die
Zuständigkeit des Prozeßgerichts durch eine Veränderung der sie begründenden
Umstände nicht berührt werden. Dieser Gedanke der sogenannten perpetuatio fori
wird auch auf gesetzliche Änderungen der Zuständigkeit der Gerichte während der
Rechtshängigkeit der Streitsache angewandt (Baumbach-Lauterbach- Albers-
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Rechtshängigkeit der Streitsache angewandt (Baumbach-Lauterbach- Albers-
Hartmann, ZPO, 36. Aufl, § 261 Anm 7; Stein-Jonas, ZPO 19. Aufl § 263 Anm IV 2;
RGZ 103, 293ff (294)). Sowohl der vorgenannte allgemeine Grundsatz als auch
das gegenteilige Prinzip der perpetuatio fori erleiden jedoch eine Ausnahme durch
die spezielle Regelung der Art 12 Nr 7a des EheRG 1 nach der eine
Scheidungssache von Amts wegen durch Beschluß zur Fortsetzung oder
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung an das für sie zuständige
Familiengericht zu verweisen ist, wenn die Sache noch im ersten Rechtszug
anhängig ist. Diese Regelung sollte noch den Verbund der Scheidungssache mit
möglichen Scheidungsfolgeverfahren ermöglichen (eingehend Sedemund-Treiber
in DRiZ 1977, 103). Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Biedenkopf in dem
Eherechtsstreit des Antragstellers ist also nicht schon durch die Zuweisung der
Familiensachen nach § 1 Nr 7a der Verordnung, vielmehr erst durch den
Verweisungsbeschluß des Landgerichts Marburg vom 20. Juli 1977 begründet
worden. Dieser Beschluß stellt sich als Vollzugsakt der neuen
Zuständigkeitsregelung dar. Durch diesen Beschluß, der nicht anfechtbar ist und
auch in dem Eherechtsstreit nicht überprüft wird, ist das Scheidungsverfahren
beim Amtsgericht Biedenkopf anhängig geworden. Nur durch ihn und nicht
unmittelbar durch die Verordnung konnte der Antragsteller in Rechten betroffen
werden. Es wäre daran zu denken gewesen, diesen Beschluß
verfassungsgerichtlich überprüfen zu lassen. Denn wenn eine Vorschrift die
Zuständigkeit von Gerichten in verfassungswidriger Weise ändert, verletzen nicht
nur die Entscheidungen der neu für zuständig erklärten Gerichte das Recht auf den
gesetzlichen Richter (vgl dazu BVerfGE 10, 200 (212)); dieser Fehler kann auch
den Folgeentscheidungen der für unzuständig erklärten Gerichte anhaften. Für
eine Grundrechtsklage gegen den Verweisungsbeschluß vom 20. Juli 1977 ist
allerdings die Monatsfrist des § 48 Abs 3 Satz 1 StGHG verstrichen.
b)
Der Antragsteller wird durch die angegriffene Zuständigkeitsregelung in
anderer Hinsicht, nämlich insoweit unmittelbar betroffen, als er die Zuständigkeit
des Amtsgerichts Biedenkopf als Familiengericht in allen Fällen, in denen er selbst
einschlägige Verfahren anhängig machen will oder an solchen Verfahren beteiligt
wird, beachten muß. Er hat jedoch nicht geltend gemacht, daß innerhalb der
Jahresfrist für die Grundrechtsklage unmittelbar gegen die Rechtsverordnung ein
solcher Fall eingetreten sei. Die Zuständigkeitsbestimmung für denkbare, aber
eben nur mögliche, in der Zukunft liegende, vielleicht auch nie eintretende
Streitfälle bewirkt keine gegenwärtige Rechtsbetroffenheit, so daß es insofern an
diesem Merkmal einer zulässigen Grundrechtsklage fehlt.
7.
Schließlich erweist sich die Grundrechtsklage des Antragstellers auch deshalb
als unzulässig, weil der Verfassungsverstoß aus einer angenommenen Verletzung
von Bundesrecht hergeleitet wird. Der Staatsgerichtshof als Verfassungsgericht
des Landes Hessen kann die Gültigkeit des § 1 Nr 7a der Verordnung an der
Verfassung des Landes Hessen, nicht aber an der bundesgesetzlichen
Ermächtigungsnorm des § 23c GVG messen, wie es der Antragsteller begehrt. Der
Staatsgerichtshof hat in einem Grundrechtsklageverfahren, das eine
Rechtsverordnung oder eine einzelne Vorschrift derselben zum Gegenstand hat,
auch die Frage ihrer Gesetzmäßigkeit jedenfalls dann wie in einem
Normenkontrollverfahren nach Art 131 Abs 1 Verf HE in Verbindung mit § 41
StGHG zu prüfen, wenn die verfassungsrechtlich garantierte Handlungsfreiheit
oder - wie hier - das Recht auf den gesetzlichen Richter berührt sein kann (ebenso
BVerfGE 2, 307 (312f); Bayer VerfGH, E vom 29. September 1977 - Vf 11 - VII - 76
- , Abdruck S 19 unter Hinweis auf Bayer VerfGH in BayVBl 1977, 81; im Ergebnis
ebenso: Zinn-Stein, Verfassung des Landes Hessen, Kommentar, 1963ff Art 131 -
133, Erl B IV 17, S 33). Doch steht Bundesrecht dem Staatsgerichtshof als
Prüfungsmaßstab nicht zur Verfügung. Der Antragsteller begründet seine
Grundrechtsklage im wesentlichen damit, der Verordnungsgeber habe bei Erlaß
der angegriffenen Verordnung den Ermächtigungsrahmen des § 23c GVG
überschritten. Diese Frage kann der Staatsgerichtshof nicht prüfen, weil es hierbei
um die Vereinbarkeit der angegriffenen Norm mit Bundesrecht geht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.