Urteil des StGH Hessen vom 11.02.1987
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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1036
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 1 Verf HE, Art 55 S 1 Verf
HE, Art 56 Abs 1 S 2 Verf HE,
Art 56 Abs 4 Verf HE, Art 56
Abs 5 Verf HE
(Grundsätzliche Vereinbarkeit der Einführung der
flächendeckenden obligatorischen Förderstufe in Hessen -
Unvereinbarkeit von SchulVwG HE § 12 Abs 5 S 2 und
SchulPflG HE § 5 Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1 in der Fassung
des FoeStAbschlG HE mit Verf HE - Elternrecht und
Schulwahl - kommunales Selbstverwaltungsrecht und
Schulorganisation - Feststellung der Verfassungswidrigkeit
ohne Nichtigkeitserklärung der Norm)
Leitsatz
1. Die Einführung der landesweiten flächendeckenden obligatorischen Förderstufe ist im
wesentlichen mit Verf HE - insbesondere dem Elternrecht (Verf HE Art 56 Abs 1 S 2)
und dem Vorbehalt des Gesetzes - vereinbar. Insbesondere sind verfassungsmäßig:
- die Aufgabenbeschreibung der Förderstufe
-die endgültige Schullaufbahnwahl nach der Förderstufe durch die
Erziehungsberechtigten,
-die Unterrichtung von Mathematik und erster Fremdsprache (Englisch) in Kursgruppen,
aller übrigen Fächer einschließlich des Fachs Deutsch im Kernunterricht nach den
Formen innerer Differenzierung,
-die Unterrichtung in möglichst hohem Maße durch den Klassenlehrer nach Maßgabe
der Urteilsgründe (Qualifikation und Fähigkeit des Lehrers als Grenze),
-die ausnahmsweise mögliche Differenzierung in nur zwei Anspruchsebenen nach
Maßgabe der Gründe (Ausnahme nur für jeweils eine konkrete Förderstufe),
-die Voraussetzungen der Ersteinstufung und
-die Zuordnung der Förderstufe zu bestehenden Schulformen
Vergleiche SchulVwG HE § 12 Abs 1 S 2 und 3, Abs 2, Abs 3 S 1 und 2, Abs 4 S 2, Abs 5
S 1, Abs 8 S 2 in der Fassung des FoeStAbschlG HE.
2. Verfassungswidrig und nichtig wegen Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit
ist SchulVwG § 12 Abs 5 S 2 in der Fassung des FoeStAbschlG HE (Möglichkeit der
Vorverlegung der Ersteinstufung).
3. Mit der hessischen Verfassung unvereinbar wegen Verstoß gegen das Gebot der
Normenklarheit sind:
-SchulPflG HE § 5 Abs 1 S 1, soweit nach dem Wortlaut die Wahl einer außerhessischen
weiterführenden öffentlichen Schule anstelle der Förderstufe ausgeschlossen ist;
- SchulPflG HE § 5 Abs 2 S 1 (Schulbezirkspflicht), soweit die Wahlmöglichkeit einer
außerhessischen öffentlichen Grundschule bzw die Wahl einer Schule in einem anderen
Schulbezirk wegen anderer Sprachenfolge oder Erprobung neuer Unterrichtsformen
ausgeschlossen ist.
4. Die Vorschriften des FoeStAbschlG HE verletzen nicht das verfassungsrechtlich
gewährleistete kommunale Selbstverwaltungsrecht (Verf HE Art 137 Abs 3). Dies gilt
insbesondere auch, soweit die Bildung der Schulbezirke für die Förderstufen durch die
kommunalen Schulträger der Genehmigung bedarf (SchulVwG § 41 in der Fassung des
FoeStAbschlG HE Art 2 Nr 5) und für die Ermächtigung in FoeStAbschlG HE Art 1 § 1
Abs 3, nach der bei Nichterfüllung der Verpflichtung aus FoeStAbschlG HE der
Kultusminister als oberste Schulaufsichtsbehörde die notwendigen Entscheidungen im
Wege des Erlasses einer Rechtsverordnung unmittelbar selbst treffen kann (Vergleiche
auch BVerfG, 1986-09-25, 2 BvR 689/86).
5. Verf HE schreibt keinen bestimmten Schulaufbau vor und enthält keine
Bestandsgarantie für bestimmte Schularten, auch nicht für eine vierjährige Grundschule
(Vergleiche StGH Wiesbaden, 1984-04-04, P St 1002, ESVGH 35, 1).
6. Offen bleibt, ob Verf HE Art 59 Abs 2 das Prinzip der Eignung zwingend festlegt oder
ob es nur für den Fall, daß überhaupt Zugangskriterien aufgestellt werden, als solches
zugelassen ist.
7. Im Zusammenhang mit der Einführung und Ausgestaltung der Förderstufe hat der
Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative; die Prüfung durch den
Staatsgerichtshof Wiesbaden ist darauf beschränkt, ob die Grenzen der
Unausgewogenheit offenbar überschritten sind.
8. Der Staatsgerichtshof Wiesbaden kann einen Verfassungsverstoß als solchen
feststellen, ohne eine Norm für nichtig zu erklären mit der Folge, daß diese zunächst
formell weiterbesteht und der hessische Landesgesetzgeber unverzüglich einen
verfassungsmäßigen Zustand herzustellen hat.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.