Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: rechtsgleichheit, verweigerung, grundrecht, hessen, gesundheit, erlass, ministerpräsident, mitgliedschaft, rechtsstaatsprinzip, baurecht

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 162
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
Art 3 Verf HE
Leitsatz
Das Rechtsstaatsprinzip bedingt, daß aus Gründen der Rechtsgleichheit und
Rechtssicherung ein geregelter Verlauf des Rechtsfindungsverfahrens gewährleistet
bleibt.
Tenor
Die Anträge werden als offenbar unbegründet zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf DM 100 festgesetzt und ist vom Antragsteller zu tragen.
Gründe
I.
a) Der Antragsteller hat mit Antrag vom 28.3.1950 Ansprüche nach dem
hessischen Entschädigungsgesetz (EG) vom 10.8.1949 (GVBl. S. 101) wegen
Schadens an Gesundheit, an Freiheit und im wirtschaftlichen Fortkommen geltend
gemacht. Mit Bescheid vom 17.8.1951 hat der Regierungspräsident in ... als
Fachbehörde die Ansprüche abgelehnt. Die Ablehnung stützt sich darauf, dass es
sich beim Antragsteller nicht am einen überzeugten und aus diesem Grunde einer
Verfolgung ausgesetzt gewesenen Gegner des Nationalsozialismus gehandelt
habe. Hervorgehoben wird, dass sich der Antragsteller als Mitglied zur NSDAP
angemeldet, auch die Mitgliedschaft in einem SA-Sturm erworben habe. Der
Umstand, dass bei ihm die Mitgliedschaft keine dauernde geblieben sei, gehe nur
auf rein persönliche Differenzen mit örtlichen Parteidienststellen zurück. Darüber
hinaus müsse die Anwärterschaft des Antragstellers zur NSDAP als eine
"Vorschubleistung" im Sinne des § 1 Abs. 2 Ziff. 1 EG angesprochen werden, so
dass ihm schon deshalb kein Recht auf Wiedergutmachung zustehe.
b) Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller die zuständige
Wiedergutmachungskammer (E) des Landgerichts ... angerufen, welche auf Grund
mündlicher Verhandlung vom 24.6.1952 einen am gleichen Tage verkündeten
Beschluss erlassen hat, wonach dem Antragsteller keine aus dem EG abgeleiteten
Entschädigungsansprüche zustehen.
Der Antragsteller war zu diesem Termin ordnungsmäßig geladen worden, hat aber
der Ladung keine Folge geleistet, sich vielmehr damit begnügt, seine Ansprüche in
ausführlicher Weise schriftlich zu rechtfertigen.
Die Wiedergutmachungskammer hat auch, wie die Gründe ihres Beschlusses vom
24.6.1952 erkennen lassen, sich eingehend mit dieser Rechtfertigung befasst.
Berücksichtigt sind die tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers, dass er im
ersten Jahre der national sozialistischen Gewaltherrschaft wegen Bekundung
gegnerischer Einstellung vom Dezember 1933 an mehrere Monats interniert,
infolgedessen in seiner Gesundheit geschädigt worden sei, wie später auch im
beruflichen Fortkommen Nachteile erlitten habe.
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Andererseits ergeben die Entscheidungsgründe weite hin, dass ohne Rücksicht
hierauf die Antragsteller nach Überzeugung des Gerichts etwaige
Wiedergutmachungsansprüche schon darum nach § 1 Abs. 2 Ziff. 2 EG verwirkt
hat, weil er im März 1933 als Propagandaredner der NSDAP eingesetzt und tätig
war.
c) Durch Beschluss des 8. Fer.Zivil-Senats des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main
vom 18.8.1953 ist ein Armenrechtsgesuch des Antragstellers, der gegen den zu b)
genannten Beschluss eine Rechtsbeschwerde durchführen wollte, mit der
Begründung zurückgewiesen worden, dass für die Rechtsverfolgung keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg gegeben sei.
In sachlicher Würdigung des Tatbestandes ist das Oberlandesgericht den Gründen
jenes Beschlusses vom 24.6.1952 beigetreten.
Die Verfahrensrügen des Antragstellers, insbesondere, dass ihm das rechtliche
Gehör verweigert, auch von der Wiedergutmachungskammer die ihr gemäß § 43
Abs. 3 EG vbd. mit § 12 FGG obliegende Aufklärungspflicht verletzt worden sei,
haben keinen Erfolg gehabt.
II.
a) Der Antragsteller hat die zu 1) c genannte Entscheidung am 7.9.1953 erhalten
Er hat mit seiner am 28.9.1953 beim StGH eingegangenen Grundrechtsklage
folgende Anträge gestellt.
"1) Aufhebung des angegriffenen Beschlusses des Oberlandesgerichts
Frankfurt vom 18.8.1953
2) Aufhebung des Beschlusses der Entschädigungskammer ... vom 24.6.1952,
Az. Wi K E 1006,
3) Zurückweisung an den Herrn Regierungspräsidenten in ..., Fachbehörde
nach dem Hess. Entschädigungsgesetz nationalsozialistischen Unrechts, ..., unter
Aktenzeichen Reg. Nr. ... mit der Maßgabe zur nochmaligen Entscheidung."
Zur Begründung seiner Anträge beruft sich der Antragsteller wiederum
hauptsächlich darauf, dass vor Erlass der angefochtenen Entscheidungen ihm das
rechtliche Gehör, auf das er nach Art. 1 HV und Art. 103 Abs. 1 GG ein Recht habe,
nicht gewährt worden sei.
Auch macht er geltend, dass ihm gegenüber die Verweigerung des Armenrechts
eine Verletzung des Art. 1 und Art. 129 HV darstelle.
Im übrigen erschöpfen sich die Ausführungen des Antragstellers darin, wiederholt
auf die Berechtigung seiner Wiedergutmachungsansprüche hinzuweisen.
b) Der Ministerpräsident (Staatskanzlei) sowie der Landesanwalt haben zur
Grundrechtsklage Stellung genommen. Während der Ministerpräsident eine
Zurückweisung derselben nach § 21 Abs. 1 des Gesetzes über den
Staatsgerichtshof (StGHG) vom 12.12.1947 (GVBl. 48 S. 3) beantragt hat, ist vom
Landesanwalt erklärt worden, dass er nicht beabsichtige, sich an dem Verfahren zu
beteiligen.
III.
a) Soweit sich der Antragsteller wegen angeblicher Verweigerung des rechtlichen
Gehörs auf eine Verletzung des Grundrechts der Rechtsgleichheit, wie sie zugleich
in Art. 1 HV einerseits sowie in Art. 3 Abs. 1 GG andererseits als
übereinstimmendes Grundrecht gemäß Art. 142 GG gewährleistet wird, ist
unbedenklich zur Entscheidung hierüber die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs
nach Art. 131 Abs. 1 HV vbd. mit § 45 Abs. 2 StGHG gegeben. Dem steht auch
nicht entgegen, dass vom Antragsteller in erster Linie eine Verletzung der
grundgesetzlichen Norm des Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht wird. Diese
Norm gibt nur dem Gedanken jener Rechtsgleichheit im sinne des genannten Art.
3 Abs. 1 GG Aasdruck (so v. Mangoldt, das Bonner Grundgesetz, Berlin-Frankfurt
1950, S. 52), lässt also den Anwendungsbereich des Art. 142 GG für das
inhaltsgleiche Landesgrundrecht des Art. 1 HV unberührt.
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b) Der vom Antragsteller mit seinem Armenrechtsgesuch beschrittene Rechtsweg
kann auch als erschöpft gelten, nachdem vom Oberlandesgericht Frankfurt/M.
letztinstanzlich wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbeschwerde jenes Gesuch
zurückgewiesen worden ist (vgl. Lechner, B.Verf.G.Ges., München-Berlin 1954 S.
267).
Ebenso ist die Vorschrift des § 48 Abs. 3 StGHG, wonach die Grundrechtsklage
innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Monat seit jener Entscheidung erhoben
werden musste, gewahrt.
c) Gleichwohl konnten die Anträge der Grundrechtsklage, soweit sie auf
Verweigerung rechtlichen Gehöre und Verletzung der Rechtsgleichheit gestützt
worden sind, schon aus folgenden Erwägungen keinen Erfolg haben:
Nach ständiger Rechtsprechung des StGH (vgl. Entscheidungen in P.St. 12, 20, 51,
57, 116 und 147) kann die Behauptung, dass ein von der HV gewährtes
Grundrecht verletzt sei, nicht dazu führen, dass eine neue Rechtsmittelinstanz,
welche allgemein die Entscheidungen der Gerichte in tatsächlicher und rechtlicher
Beziehung nachzuprüfen hätte, eröffnet wird. Voraussetzung für die Zulässigkeit
solcher Nachprüfung ist vielmehr, dass Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens,
in welchem die von einem Grundrechtskläger angefochtene Entscheidung
ergangen, eben das Grundrecht, dessen Verletzung im Antrag geltend gemacht
wird, gewesen ist.
Ohne Rücksicht auf diese hier nicht gegebene Voraussetzung bedingt freilich das
Rechtsstaatsprinzip, wie es der Gesamtkonzeption der HV und des GG zugrunde
liegt, dass schon im Interesse der Rechtsgleichheit und Rechtssicherung ein
"geregelter Verlauf des Rechtsfindungsverfahrens" gewährleistet bleibt (vgl.
BVerf.G.E. 2, 403 und Entscheidung des StGH in P.St. 156).
Deshalb ist zwar die Geltendmachung einer den Verfahrensverlauf
beeinflussenden Grundrechtsverletzung überall dort zu berücksichtigen, wo jenes
Verfahren einen Abschloss gefunden hat, dessen Rechtsbeständigkeit nicht mehr
gesichert, die getroffene Entscheidung daher nicht mehr als rechtsstaatlicher Akt
anzuerkennen ist (vgl. Römer in SJZ 1949 Sp. 187 - 190).
Indes kann im vorliegenden Fall überhaupt nicht von einer auf Verweigerung
rechtlichen Gehörs beruhenden Grundrechtsverletzung, geschweige denn von
einer Fehlentscheidung jener Art die Rede sein.
Vielmehr ist, wie die einschlägigen Wiedergutmachungsakten ausweisen, das in
Frage kommende Verfahren ordnungsmäßig durchgeführt und zum Abschluss
gebracht worden.
Insbesondere hat vor Erlass der beiden angefochtenen Beschlüsse vom 24.6.1952
und 18.8.1953 der Antragsteller Gelegenheit gehabt, sein Anliegen schriftlich
vorzubringen, von dieser Gelegenheit auch in einer Weise Gebrauch gemacht,
welche den Gerichten vor ihrer Entscheidung keinen Anlass geben konnte, noch
Ergänzungen seiner Eingaben zu verlangen.
Es kann dahin gestellt bleiben, was den Antragsteller bewogen hat, dem
landgerichtlichen Verhandlungstermin, wozu er geladen war, fernzubleiben Endlich
lassen die Einwände, welche der Antragsteller gegen die Sachfeststellung beider
Entscheidungen erhebt, völlig unklar, weshalb Entscheidungen hier vorliegen
sollen, die als Willkürakte anzusprechen, deshalb unvereinbar mit
rechtsstaatlichem Denken wären.
Nur solche Entscheidungen würden aber, wie ausgeführt, verfahrensrechtlich
anfechtbar sein.
IV.
Soweit sich der Antragsteller auf eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Norm
des Art. 129 HV beruft, ist sein Vorbringen schon deshalb unbeachtlich, weil diese
Vorschrift des Grundrechtscharakters entbehrt, vielmehr lediglich, worin den
Ausführungen des Ministerpräsidenten beizupflichten ist, "eine Direktive an den
Gesetzgeber enthält, durch staatliche Maßnahmen dem Mittellosen die Möglichkeit
zu geben, sein Recht zu verfolgen."
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gemäß § 45 Abs. 2 stGHG kann aber vor dem Staatsgerichtshof nur die Verletzung
solcher Normen, die zur Grundrechtsordnung der HV gehören, geltend gemacht
werden.
V.
Hiernach waren die Anträge gemäß § 21 Abs. 1 StGHG als offenbar unbegründet
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 stGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.