Urteil des StGH Hessen vom 07.12.1999

StGH Hessen: öffentliche gewalt, hessen, verwaltungsbehörde, zahlungsunfähigkeit, befangenheit, antritt, zustellung, erlass, garantie, baurecht

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1454
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 44 StGHG HE, § 43 Abs 2
StGHG HE, § 43 Abs 1 StGHG
HE
Leitsatz
1. Zu dem nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StGHG vor Erhebung der Grundrechtsklage zu
erschöpfenden Rechtsweg gehört auch der Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs
gemäß § 33a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
2. § 43 Abs. 1 und 2 StGHG verlangt vom Grundrechtskläger die substantiierte
Schilderung eines Lebenssachverhalts, aus dem sich - seine Richtigkeit unterstellt -
plausibel die Möglichkeit der Verletzung eines durch die Hessische Verfassung
gewährleisteten Grundrechts durch die öffentliche Gewalt des Landes Hessen ergibt.
Tenor
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
A
I.
Der Antragsteller wendet sich mit der Grundrechtsklage gegen die Anordnung von
Erzwingungshaft.
Das Regierungspräsidium Kassel setzt gegen den Antragsteller mit
Bußgeldbescheid vom 22. Juli 1997 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine
Geldbuße in Höhe von 50,-- DM fest. Der Bußgeldbescheid wurde nach
Einspruchsrücknahme durch den Antragsteller bestandskräftig.
Der Antragsteller zahlte die Geldbuße nicht. Ein Versuch der zwangsweisen
Beitreibung der Geldbuße blieb erfolglos. Der Gerichtsvollzieher vermerkte auf
seinem Erledigungsbericht: "Der Schuldner hat Widerspruch gemäß § 107 GVGA
erhoben. Begründung des Schuldners: Er will sich binnen zwei Wochen mit Gl. in
Verbindung setzen, um die Angelegenheit zu klären“. Nach Anhörung des
Antragstellers ordnete das Amtsgericht Marburg mit Beschluss vom 23. Juli 1998 -
… - wegen Nichtzahlung der Geldbuße eine Erzwingungshaft von drei Tagen an.
Hiergegen legte der Antragsteller sofortige Beschwerde ein. Die Erzwingungshaft
sei schon deshalb willkürlich, weil vorgreiflich ein von ihm beim
Regierungspräsidium Kassel gestellter Niederschlagungsantrag sei, dessen
Bescheidung ausstehe. Der Formularbeschluss des Amtsgerichts enthalte im
Übrigen keine Begründung und damit auch keine Ermessenserwägungen bezüglich
der Anordnung der Erzwingungshaft und deren Bemessung.
Das Landgericht Marburg verwarf die sofortige Beschwerde des Antragstellers mit
Beschluss vom 25. Oktober 1999 - … -. Zur Begründung führte das Landgericht
Marburg im Wesentlichen aus, das Amtsgericht habe gegen den Antragsteller zu
Recht eine ihrer Dauer nach nicht unverhältnismäßige Erzwingungshaft von drei
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Recht eine ihrer Dauer nach nicht unverhältnismäßige Erzwingungshaft von drei
Tagen angeordnet, weil er, bereits durch die auf der Rückseite des
Bußgeldbescheids aufgedruckten Hinweise nach § 66 Abs. 2 Nr. 3 OWiG belehrt,
die festgesetzte Geldbuße nicht entrichtet und auch seine sonst nicht erkennbare
Unfähigkeit, die Geldbuße von 50,- DM notfalls in Raten zu entrichten, nicht
dargelegt habe (§ 96 OWiG). Der Hinweis des Antragstellers auf einen seiner
Auffassung nach vorgreiflichen Niederschlagungsantrag vom 15. Januar 1999, über
dessen Inhalt er nichts mitteile, fruchte schon deshalb nicht, weil nicht erkennbar
sei, dass er einen solchen von ihm nicht vorgelegten Antrag gegenüber dem
Regierungspräsidium in Kassel gestellt habe. Abgesehen davon, dass sich der
darauf bezogene Vortrag des Antragstellers nicht mit dem Vermerk des
Gerichtsvollziehers in seinem Erledigungsbericht in Einklang bringen lasse, habe
das Amtsgericht vor Beschlussfassung mit Verfügung vom 6. Juli 1999 bei der
Verwaltungsbehörde Rückfrage bezüglich eines Niederschlagungsantrags des
Antragstellers gehalten habe, worauf das Regierungspräsidium in Kassel unter
dem 20. Juli 1999 mitgeteilt habe, ein Antrag des Betroffenen vom 15. Januar 1999
liege dort nicht vor.
Der Umstand, dass der Beschluss des Amtsgericht unter Verwendung des dafür
vorgesehenen Vordrucks HESOWI-OWi 101 ergangen sei, führe entgegen der
Auffassung des Antragstellers nicht zu seiner Rechtswidrigkeit. Bezüglich der
Anordnung von Erzwingungshaft habe das Gericht nach § 96 Abs. 1 OWiG lediglich
zu prüfen, ob der Bußgeldbescheid rechtskräftig sei, ob die Geldbuße von dem
zuvor anzuhörenden Betroffenen nicht gezahlt worden sei, ob der nach § 66 Abs. 2
Nr. 3 OWiG belehrte Betroffene seine Zahlungsunfähigkeit dargelegt habe oder
sonst Umstände bekannt seien, welche seine Zahlungsunfähigkeit ergäben. Die
Voraussetzungen für die Anordnung von Erzwingungshaft gegen den Antragsteller
lägen hier, wie sich aus den Beschlussgründen ergebe, sämtlich vor. Der vor
Anordnung der Erzwingungshaft angehörte Antragsteller habe in seiner
Stellungnahme vom 5. Juli 1999 lediglich auf einen angeblich bei der
Verwaltungsbehörde gestellten Antrag vom 15. Januar 1999 verwiesen, aber keine
Umstände dargetan, warum er zur Zahlung der Geldbuße von 50,-- DM nicht im
Stande sei. Solche Umständen seien auch sonst nicht ersichtlich. Einem
Betroffenen sei es in aller Regel zuzumuten, das erforderliche Geld für die Zahlung
einer hier zudem nicht sehr hohen Geldbuße für eine Verkehrsordnungswidrigkeit
notfalls in Raten aufzubringen.
Mit als "Antrag nach § 311a StPO auf Nachholung rechtlichen Gehörs“ und
"Gegenvorstellung“ bezeichnetem Schreiben an das Landgericht Marburg vom 7.
November 1999, dem als Anlage an das Regierungspräsidium Kassel gerichtetes
Ersuchen um Niederschlagung vom 15. Januar 1999 beigefügt ist, rügte der
Antragsteller, Amtsgericht und Landgericht hätten die Garantie des rechtlichen
Gehörs verletzt, indem sie ihm vor Erlass der Entscheidung nicht mitgeteilt hätten,
dass das Regierungspräsidium Kassel auf Anfrage des Amtsgerichts nicht
bestätigt habe, den Niederschlagungsantrag erhalten zu haben. Das Landgericht
habe zudem sein Akteneinsichtsgesuch übergangen. Die Möglichkeit einer
Erzwingungshaft sei verfassungswidrig. Der Antragsteller lehnte einen er
mitwirkenden Richter am Landgericht wegen Besorgnis der Befangenheit ab und
beantragte, den Erzwingungshaftbeschluss des Amtsgerichts Marburg
auszusetzen und zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Erzwingungshaft eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 GG einzuholen.
Die Staatsanwaltschaft Marburg forderte den Antragsteller mit diesem am 12.
November 1999 zugestellter Ladung zum Antritt der Erzwingungshaft binnen einer
Woche nach Zustellung auf. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass
gegen ihn ein Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen werden müsse, wenn er die
Haft nicht rechtzeitig antreten werde.
Am 15. November 1999 hat der Antragsteller Grundrechtsklage erhoben.
Er wiederholt die Rügen aus seinem an das Landgericht gerichteten Schreiben
vom 7. November 1999 und begehrt eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs vor
Rechtswegerschöpfung, da ihm wegen der drohenden Erzwingungshaft weiteres
Zuwarten nicht zumutbar sei.
Der Antragsteller beantragt, die angefochtenen Entscheidungen für kraftlos zu
erklären sowie die Erzwingungshaft unter Subsumtion vor allem unter die §§ 171 ff.
StVollzG als rechts-, gesetz- und grundrechtswidrig zu bewerten sowie hieraus die
verfahrensrechtlichen Konsequenzen zu ziehen, d.h. das Verfahren nach Art. 100
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verfahrensrechtlichen Konsequenzen zu ziehen, d.h. das Verfahren nach Art. 100
GG einzuleiten.
II.
Landesregierung und Landesanwaltschaft, denen Gelegenheit zur Äußerung
gegeben worden ist, haben nicht Stellung genommen.
B
I.
Die Grundrechtsklage ist unzulässig.
Der Antragsteller hat den Rechtsweg gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über
den Staatsgerichtshof - StGHG -, zu dem auch der Antrag auf Nachholung
rechtlichen Gehörs gemäß § 33a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG gehört (vgl.
BVErfGE 33, 192 [194]; 42, 243 [250]; 74, 359 [380]), nicht erschöpft. Für die vom
Antragsteller begehrte Vorabentscheidung des Staatsgerichtshofs nach § 44 Abs.
2 StGHG ist kein Raum.
Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller durch
die Verweisung auf den Rechtsweg ein schwerer und unabwendbarer Nachteil
entsteht. Den vom Antragsteller behaupteten Gehörsverstoß als gegeben
unterstellt, steht ihm der Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs nach § 33a
StPO zu Gebote. In dessen Rahmen ist es dem Antragsteller zumutbar, um
fachgerichtlichen Eilrechtsschutz durch das Stellen eines Antrags auf vorläufige
Aussetzung der Vollziehung des Erzwingungshaftbeschlusses nachzusuchen. Es ist
nicht ersichtlich, dass dieser fachgerichtliche Rechtsschutz, den der Antragsteller
auch ergriffen hat, keinen hinreichenden Grundrechtsschutz bietet.
Die Unzulässigkeit der Grundrechtsklage folgt überdies daraus, dass der
Antragsteller den Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 und 2 StGHG nicht genügt hat.
§ 43 Abs. 1 und 2 StGHG verlangt vom Grundrechtskläger die substantiierte
Schilderung eines Lebenssachverhalts, aus dem sich - seine Richtigkeit unterstellt
- plausibel die Möglichkeit der Verletzung eines durch die Hessische Verfassung
gewährleisteten Grundrechts durch die öffentliche Gewalt des Landes Hessen
ergibt (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. zuletzt Beschluss vom 10.
November 1999 - P.St. 1414 -). Eine für die angegriffenen gerichtlichen
Entscheidungen ursächliche Verletzung rechtlichen Gehörs hat der Antragsteller
nicht hinreichend dargelegt. Hierzu gehört es u.a., im Einzelnen darzutun, was bei
Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre (ständige
Rechtsprechung des StGH, vgl. zuletzt Beschluss vom 10. November 1999 - P.St.
1414 -). Der Antragsteller, der nunmehr Kenntnis davon hat, dass nach Auskunft
des Regierungspräsidiums dort ein Antrag auf Niederschlagung vom 15. Januar
1999 nicht vorliegt, hat es im verfassungsgerichtlichen Verfahren versäumt, die
Umstände seiner Antragstellung bei der Verwaltungsbehörde konkret und
detailliert zu schildern und für den Eingang seiner Antragsschrift dort Beweis
anzutreten.
Die Möglichkeit einer für die angegriffene Entscheidung des Landgerichts Marburg
ursächlichen Verletzung rechtlichen Gehörs scheitert überdies daran, dass das
Stellen eines Niederschlagungsantrags nach der aus den Gründen seines
Beschlusses ersichtlichen Rechtsauffassung keinen Umstand darstellt, der der
Anordnung von Erzwingungshaft entgegensteht.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.