Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: anspruch auf rechtliches gehör, hessen, stützmauer, zustellung, verfassungsrecht, grundstück, ermessensfehler, grundrecht, gestaltung, aufklärungspflicht

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 497
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 31 GG, Art 142 GG, Art 131
Verf HE, § 48 StGHG HE
(Grundrechtsklage - Erschöpfung des Rechtswegs und
Prüfungskompetenz des Hessischen Staatsgerichtshofs)
Leitsatz
1. Die Grundrechtsklage ist wegen ihres grundsätzlich subsidiären Charakters erst
gegeben, wenn die in dem betreffenden Gerichtszweig vorgesehenen Instanzen
ausgeschöpft sind und es sich bei der Entscheidung des höchsten in der Sache
zuständigen Gerichts um ein Gericht des Landes Hessen handelt. Aus § 48 Abs. 3 Satz
1 StGHG ergibt sich das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs, das den
Rechtsuchenden zwingt, von den MÖglichen des ordentlichen Verfahrens Gebrauch zu
machen.
2. Zur Erschöpfung des Rechtswegs gehört auch die Erhebung der Beschwerde gegen
die Nichtzulassung eines Rechtsmittels, da auch damit die Möglichkeit eröffnet wird, im
Verfahren vor den Gerichten des zuständigen Gerichtszweiges die Beseitigung der
behaupteten Grundrechtsverletzung zu erreichen.
Die Frist zur Erhebung der Grundrechtsklage beginnt in diesen Fällen mit der Zustellung
der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde.
3. Der Staatsgerichtshof ist kein Rechtsmittelgericht, das als eine Art
Superrevisionsinstanz allgemein Entscheidungen der Gerichte rechtlich und tatsächlich
nachprüfen könnte. Gestaltung des Verfahrens, Feststellung und Würdigung des
Sachverhalts, Auslegung des Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall sind Sache
der zuständigen allgemeinen Gerichte. Rechtsfehler, die hierbei vorkommen, sind für
den Staatsgerichtshof nur insoweit von Bedeutung, als sie in einem Verstoß gegen
spezifisches Verfassungsrecht liegen.
Tenor
Die Anträge werden auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf 100,– DM festgesetzt.
Gründe
I.
Das Land Hessen baut als Träger der Straßenbaulast die Landesstraße ...
zwischen ... und ... aus. Der Ausbau beginnt in der Ortslage von ... bei km ... und
endet an der Grenze der Landkreise ... und .... Der Antragsteller und seine Ehefrau
sind Eigentümer des Grundstücks Flur ... Flurstück ... und Flurstück ..., das am
Hang über der Landesstraße und außerhalb der Ortsdurchfahrtsgrenze liegt. Auf
dem Flurstück ... ist ihr Wohnhaus errichtet, in dem sie einen Pensionsbetrieb
unterhalten. Sie erreichen ihr Grundstück über einen von der Landesstraße
abzweigenden Privatweg, der parallel zu ihr am Hang hinaufführt und vor ihrem
Grundstück endet.
Die Landesstraße ... soll an der Hangseite unterhalb des Grundstücks des
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Die Landesstraße ... soll an der Hangseite unterhalb des Grundstücks des
Antragstellers verbreitert werden. Dazu muss eine etwa 4 m hohe Stützmauer
errichtet werden. Oberhalb dieser geplanten Stützmauer soll ein 4,50 m breiter
Weg entlangführen; er soll den Anliegerverkehr, der jetzt über den Privatweg und
den Dienstbarkeitsweg führt, sowie den Fußgängerverkehr der Landesstraße auf
diesem Abschnitt aufnehmen. Der geplante Weg soll bei Straßenkilometer 18,28
von der Landesstraße abzweigen, am Hang oberhalb der Stützmauer und u. a.
unterhalb der Grundstücke des Antragstellers und seines Nachbarn parallel zur
Landesstraße einmünden. Der Weg kann nur dann entstehen, wenn von diesen
Grundstücken ein 4,50 m breiter Streifen in Anspruch genommen wird, weil die
Grundstücke bis zur geplanten Stützmauer reichen. In der gleichen Weise sind die
Grundstücke der übrigen Anlieger des geplanten Weges in Anspruch genommen
worden. Diese haben sich gegenüber dem Hessischen Straßenbauamt ... mit der
geplanten Regelung einverstanden erklärt.
Im Lageplan ist der Weg als "neuer Gemeindeweg" gekennzeichnet. Das Land
Hessen will die Kosten für die Herstellung dieses Weges übernehmen;
Unterhaltungskosten soll die Gemeinde ... tragen. Die Gemeindevertretung von ...
hat dem Ausbauplan des Hessischen Straßenbauamtes ... für den Ausbau der ...
Straße bis zur Kreisgrenze zugestimmt und sich sowohl mit einer 4,50 m breiten
Fahrstraße als auch mit einem 2 m breiten Fußweg einverstanden erklärt; später
hat sie der Straßenbauverwaltung vorgeschlagen, den Bürgersteig in der
bisherigen Form unterhalb der Stützmauer weiterzuführen und allen Anliegern in
dem bisherigen Umfang ihre Zufahrten und Zuwege zu ihren Grundstücken
einzuplanen.
Der Antragsteller und seine Ehefrau lehnten es indes ab, den zum Bau des neuen
Weges erforderlichen Streifen ihres Grundstücks an das Land zu verkaufen.
Daraufhin wurde das Planfeststellungsverfahren eingeleitet.
Nachdem der Hessische Minister für Wirtschaft und Verkehr Einwendungen des
Antragstellers, der geplante Weg sei nicht notwendig und stelle eine wesentliche
Beeinträchtigung und Gefahr beim Betreten und Verlassen seines Grundstücks
dar, in seinem Planfeststellungsbeschluss vom 17. September 1965
zurückgewiesen und den Plan für den Ausbau der Landesstraße ... in der Ortslage
... im Teilabschnitt von km 18,28 bis km 18,54 unverändert festgestellt hatte, war
es zu einem Verwaltungsstreitverfahren gekommen.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hob durch Urteil vom 15. Februar 1967 –
OS II 29/66 – das der Anfechtungsklage des Antragstellers stattgebende Urteil des
Verwaltungsgerichts ... auf und wies die auf Aufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr,
soweit durch die Planung eines Gemeindeweges das Grundstück des
Antragstellers beeinträchtigt wird, gerichtete Anfechtungsklage ab. Das
Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde des Antragstellers gegen die
Nichtzulassung der Revision durch Beschluss vom 31. Oktober 1967 – BVerwG IV B
65/67 – im wesentlichen mit der Begründung zurück, die gerügte Verletzung des
Grundsatzes des rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht liege nicht vor,
wie auch die Rüge der mangelnden Sachaufklärung nicht durchgreife; das
Berufungsgericht habe ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht von einer
Beweisaufnahme nach seinem pflichtgemäßen Ermessen absehen dürfen, weil es
aus eigener Sachkunde ohne Einholung von Sachverständigengutachten zu
beurteilen in der Lage gewesen sei, ob der geplante sogenannte neue
Gemeindeweg zur Abwicklung des Anliegerverkehrs im Zuge des Ausbaues der
Landesstraße ... anzulegen sei; es habe die tatsächlichen Verhältnisse auf dem in
die Planfeststellung einbezogenen Gelände anhand der Lagepläne und durch
Augenscheinseinnahme festgestellt und sich im übrigen darauf beschränken
müssen, die Entscheidung der Behörde auf – hier offensichtlich nicht erkennbare –
Ermessensfehler nachzuprüfen. Dieser Beschluss ist an den Antragsteller am 21.
November 1967 abgesandt worden.
II.
Der Antragsteller hat mit mehreren Eingaben den Staatsgerichtshof angerufen.
1. Mit seiner Eingabe vom 11. April 1967, also noch vor rechtskräftigem Abschluss
des Verwaltungsstreitverfahrens, wendet er sich gegen das Urteil des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs und dessen Nichtabhilfe der Nichtzulassungsbeschwerde.
Er meint, die Urteilsbegründung weise erhebliche, gegen die Hessische Verfassung
verstoßende Mängel auf. Die Gemeindevertretung habe in einem Beschluss auf
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verstoßende Mängel auf. Die Gemeindevertretung habe in einem Beschluss auf
den vor seinem Hause geplanten Gehweg verzichtet; das Urteil stütze sich auf
"eine einwandfreie Lüge" des Ministers für Wirtschaft und Verkehr; aus dem Urteil
sei nicht ersichtlich, dass das Planfeststellungsverfahren einen weiteren Anlieger
hätte einbeziehen müssen. Es sei nicht Aufgabe der Straßenbaubehörde, die
Grundstücke einiger Anlieger aufzuwerten, während man ihm und seinem
Nachbarn bestes Land wegnähme. Weiter sei durch die Unterführung der ... Straße
eine neue Situation entstanden, der das Straßenbauamt nicht Rechnung trage. In
den Maßnahmen des Straßenbauamtes und des Ministers für Wirtschaft und
Verkehr sieht er einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 und Art. 45 HV. Er teilt mit, er
habe gleichzeitig beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde erhoben.
Nachdem das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Antragstellers gegen
die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen hatte, vertritt er in seiner Eingabe
vom 2. Dezember 1967, eingegangen am 4. Dezember 1967, den Standpunkt, die
Aufklärungspflicht nach der Verwaltungsgerichtsordnung sei verletzt worden; das
Vorgehen der Behörde, die sich einseitiger Begünstigung schuldig gemacht habe,
sei nicht mit den Grundsätzen der Hessischen Verfassung vereinbar.
In weiteren Eingaben (vom 10. Februar 1968, 16. März 1968, 30. Mai 1968 und 8.
August 1968) vertieft der Antragsteller sein bisheriges Vorbringen. Er weist
besonders darauf hin, dass die Gemeinde den Vorschlag voll unterstütze, einen
Geh- und Fahrweg unterhalb der Stützmauer entlang zu führen; diesbezügliche
Verhandlungen mit dem Straßenbauamt seien bereits abgeschlossen gewesen.
Der Staatsgerichtshof müsse ihm helfen; nur er sei berufen, Gerichtsurteile – nicht
nur des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts – auf Verletzung eines
Grundrechts der Hessischen Verfassung zu überprüfen. Diese sowie das
Grundgesetz seien durch Verweigerung des rechtlichen Gehörs – das
Bundesverwaltungsgericht sei von falschen Tatsachen ausgegangen – und durch
unzulässige Enteignung verletzt worden. Mit seiner letzten Eingabe erstrebt er den
Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung der vom Landesamt für
Straßenbau beim Regierungspräsidenten in ... beantragten vorläufigen
Besitzeinweisung.
Weiter hat der Antragsteller durch einen ihn im Übrigen nicht vertretenden
Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 4. April 1968 dem Staatsgerichtshof mitteilen
lassen, dass er seine Eingaben als Beschwerde gegen die Nichtzulassung der
Revision betrachtet wissen möchte. Entgegen der Ansicht des
Bundesverwaltungsgerichts – so lässt er vortragen – habe das Berufungsgericht
keine eigene Sachkunde gehabt, insbesondere sei ihm nicht bekannt gewesen,
dass gemeinnützige Pläne ausgearbeitet worden seien, und die Planfeststellung im
Verhältnis zu früheren Planungen erhebliche Mängel aufweise, die ausgeprägte
Ermessensfehler darstellten. Die jetzige Trassierung sei kostenaufwendiger und
bürde den Eigentümern nicht notwendige, unverhältnismäßig hohe Opfer auf.
Zur Unterstützung seines Vorbringens hat der Antragsteller zahlreiche Abschriften
und Fotokopien von Behördenvorgängen dem Staatsgerichtshof überreicht.
2. Der Landesanwalt hält den Antrag vom 11. April 1967 für unzulässig, weil zu
dieser Zeit noch das verwaltungsgerichtliche Verfahren anhängig gewesen sei. Der
Rechtsweg sei erst mit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts erschöpft
gewesen. Erst von der Zustellung dieses Beschlusses an habe die Monatsfrist des
§ 48 Abs. 3 StGHG für die Erhebung der Grundrechtsklage gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs gelaufen. Diese Entscheidung sei wegen der
Nichtzulassung der Revision die Entscheidung des höchsten in der Sache
zuständigen Gerichts im Sinne von § 48 Abs. 3 StGHG. Innerhalb dieser Frist sei
aber der Schriftsatz vom 2. Dezember 1967 beim Staatsgerichtshof eingegangen.
Dennoch sei die Grundrechtsklage unzulässig. Die Einwendungen des
Antragstellers beträfen nicht die Verfassungsmäßigkeit des Urteils des
Verwaltungsgerichtshofs, sondern die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des
Planfeststellungsbeschlusses. Der Verwaltungsgerichtshof habe festgestellt, dass
dieser keine Fehler aufweise, welche seine Aufhebung hätten rechtfertigen können.
Dem Staatsgerichtshof seien bei der Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen
enge Grenzen gesetzt; er sei keine weitere Revisionsinstanz. Die Feststellung des
Verwaltungsgerichtshofs, dass die von dem Antragsteller vorgeschlagene
Ersatzlösung aus Gründen des Verkehrs, der Bautechnik und der Kosten nicht
realisierbar sei, unterliege nicht der Nachprüfung des Staatsgerichtshofs.
III.
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Die Anträge können keinen Erfolg haben.
1. Die Eingabe des Antragstellers vom 11. April 1967 ist unzulässig. Der
Antragsteller hat mit ihr den Staatsgerichtshof bereits zu einem Zeitpunkt
angerufen, als das verwaltungsgerichtliche Verfahren noch rechtshängig war. Das
Urteil des Verwaltungsgerichtshofs war zwar bereits ergangen; gegen die
Nichtzulassung der Revision hatte der Antragsteller aber die ihm zustehende
Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Gemäß § 48 Abs. 3 StGHG
findet ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof wegen Verletzung eines
Grundrechts jedoch nur statt, wenn der Antragsteller eine Entscheidung des
höchsten in der Sache zuständigen Gerichts herbeigeführt hat und innerhalb eines
Monats seit Zustellung dieser Entscheidung den Staatsgerichtshof anruft. Die
Grundrechtsklage an den Staatsgerichtshof ist mithin wegen ihres grundsätzlich
subsidiären Charakters erst gegeben, wenn die in dem betreffenden Zweig der
Gerichtsbarkeit gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe und die
durch sie vorgesehenen Instanzen ausgeschöpft sind und es sich bei der
Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts um ein Gericht des
Landes Hessen handelt. Das aus § 48 Abs. 3 Satz 1 StGHG sich ergebende Gebot
der Erschöpfung des Rechtswegs zwingt den Rechtsuchenden in aller Regel, von
den Möglichkeiten des ordentlichen Verfahrens Gebrauch zu machen (vgl. Hess.
StGH, P. St. 274, 284, 316, 320, 393, 463, 502 u. 509). § 48 Abs. 2 StGHG schließt
als Sondervorschrift die Möglichkeit einer Grundrechtsklage sowohl nach § 48 Abs.
1 als auch nach § 48 Abs. 3 StGHG während der Rechtshängigkeit aus (vgl. Hess.
StGH, P. St. 351 und P. St. 384). Zur Erschöpfung des Rechtswegs gehört auch die
Erhebung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung eines Rechtsmittels; denn
auch damit wird die Möglichkeit eröffnet, im Verfahren vor den Gerichten des
zuständigen Gerichtszweiges die Beseitigung der behaupteten
Grundrechtsverletzung zu erreichen (vgl. Hess. StGH, P. St. 502, BVerwG,
Beschluss vom 13. Oktober 1967 – BVerwG VII B 3/64 –). Es wäre wenig sinnvoll,
müsste sich der Staatsgerichtshof mit einer Klage, die die Verletzung eines
Grundrechts durch ein Landesgericht rügt, befassen, bevor feststeht, ob dessen
Urteil in der Revisionsinstanz Bestand hat. Von deren Anrufung hat der
Antragsteller, wenn auch ohne Erfolg, durch Einlegung der
Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht Gebrauch gemacht.
Es kann deshalb hier dahingestellt bleiben, ob das Gebot der Erschöpfung des
Rechtsweges den Rechtsuchenden auch dann dazu zwingt, die Möglichkeiten des
ordentlichen Verfahrens auszuschöpfen, wenn die Zulässigkeit eines Rechtsmittels
in der Hauptsache in einem besonderen Zulassungsverfahren mit ungewissem
Ausgang erst erstritten werden muss und die Einlegung einer
Nichtzulassungsbeschwerde den Rechtsuchenden unter dem Gesichtspunkt der
Zumutbarkeit nicht geboten erschien (vgl. Hess. StGH, P. St. 470, 463 und 502;
BVerfGE 9, 3 (7 f); 10, 302 (308 f); 16, 1 (2 f); 18, 1 (16) und 224 (231)). Ebenso
wenig kommt es hier darauf an, ob § 48 Abs. 4 StGHG bei bundesgesetzlich
geregelten Verfahren noch angewendet werden kann oder gegenstandslos
geworden ist (P. St. 466 in ESVGH 18, 6 ff). Einen Antrag auf Aussetzung des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor Abgabe der Sache an das
Bundesverwaltungsgericht hat der Antragsteller jedenfalls nicht gestellt.
2. Die Eingabe des Antragstellers an den Staatsgerichtshof vom 2. Dezember
1967, die am 4. Dezember 1967 eingegangen ist, ist rechtzeitig. Wie nach BVerfGE
16, 1 ff die Zurückweisung des Rechtsmittels die Monatsfrist des § 93 Abs. 1
BVerfGG neu in Lauf setzt, so begann auch im vorliegenden Falle die Frist des § 48
Abs. 3 Satz 1 StGHG mit der Zustellung des Verwerfungsbeschlusses des
Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Oktober 1967, der an den Antragsteller am
21. November 1967 abgesandt worden ist. Nunmehr war der Rechtsweg im Sinne
des § 48 Abs. 3 StGHG erschöpft und bestand die Möglichkeit der Erhebung einer
Grundrechtsklage gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs.
Dem steht nicht entgegen, dass das Bundesverwaltungsgericht als höchstes
zuständiges Bundesgericht in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren sich
mit der Sache befasst hat, sonst wäre immer dann, wenn die Grundrechtsklage
fristgerecht nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben worden ist, eine Prüfung
der Verletzung von Grundrechten der Hessischen Verfassung ausgeschlossen.
Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 19. Juli 1967 – 2 BvR 639/66 –,
BVerfGE 22, 267 (270 – 272) = DÖV 1967, 750 = NJW 1967, 1955) hat zwar
dahingestellt sein lassen, welche Folgerungen sich daraus für das Verhältnis der
Verfassungsbeschwerde nach Bundesrecht und nach Landesrecht im einzelnen
ergeben; es hat aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass zwischen dem
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ergeben; es hat aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass zwischen dem
materiellen Gehalt eines Grundrechts und der Möglichkeit seiner mehrfachen
Garantie unterschieden werden muss. Das bedeutet, dass über die Verletzung
eines vom Grundgesetz garantierten Grundrechts ausschließlich das
Bundesverfassungsgericht, über ein von der Verfassung des Landes Hessen
gewährleistetes inhaltsgleiches, nach Art. 31, 142 in Verbindung mit Art. 1 bis 18
GG fortgeltendes Grundrecht ausschließlich der Staatsgerichtshof des Landes
Hessen (Art. 131 HV) verbindlich zu entscheiden haben, selbst dann, wenn die
Grundrechtsvorschriften des Grundgesetzes und die gemäß Art. 142 GG in Kraft
gebliebenen Bestimmungen der Landesverfassungen je nur ein und dasselbe
Grundrecht schützen.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die
Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers ist weder einer Grundrechtsklage
vor dem Staatsgerichtshof vorgreiflich, noch ist eine widersprüchliche Auslegung
von Grundrechtsvorschriften zu befürchten; denn das Bundesverwaltungsgericht
ist nicht befugt, Entscheidungen auf etwaige Verletzung von Landesrecht – also
auch von Grundrechtsvorschriften der Landesverfassung – hin zu überprüfen.
Seine Entscheidung kann nicht an der Hessischen Verfassung gemessen werden.
An ihr kann nur die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
gemessen werden, und zwar nur insoweit, als er hessisches Landesrecht und nicht
Bundesrecht angewendet hat (vgl. Hess. StGH, P. St. 225, 304, 347, 348, 353,
391, 392, 501, 504, 521 und 523). Im Grundrechtsbereich verbleibt es dabei, dass
die Verfassungsräume von Bund und Ländern selbständig nebeneinander stehen
(so auch BVerfGE 4, 178 (189); 6, 376 (382) und 9, 268 (278); Schäfer, JZ 1951,
200). Der Staatsgerichtshof ist deshalb auch in der Auslegung der
Landesgrundrechtsbestimmungen unabhängig vom Grundgesetz (vgl. Rüfner,
DÖV 1967, 668 ff). Dass das Bundesverwaltungsgericht es abgelehnt hat, die
Revision zuzulassen, bedeutet eine Bestätigung des Urteils des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs, der somit formal als höchstes Gericht in der Sache
selbst entschieden hat (vgl. P. St. 463). Dies ist indes im Hinblick auf die
voneinander unabhängigen Grundrechtsräume nicht von entscheidender
Bedeutung. Wesentlich ist vielmehr, dass zwischen Erschöpfung des Rechtsweges
(im Zusammenhang mit der Fristwahrung) und der Prüfungskompetenz
(Jurisdiktionsbefugnis innerhalb des jeweiligen Verfassungsraumes) unterschieden
werden muss. Das bedeutet, dass trotz des grundsätzlichen und auch – wie
dargelegt – sinnvollen Erfordernisses der Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts
als des hier zuständigen Revisionsgerichts nicht dieses, sondern der Hessische
Verwaltungsgerichtshof als das höchste zuständige Gericht anzusehen ist, das –
jedenfalls im Sinne des § 48 Abs. 3 Satz 1 StGHG – in der Sache entschieden hat.
3. Gleichwohl ist die auf der Eingabe des Antragstellers vom 2. Dezember 1967
und seinen weiteren Eingaben beruhende Grundrechtsklage unzulässig.
Soweit das Vorbringen des Antragstellers in seiner Eingabe vom 11. April 1967 und
in allen seinen späteren Eingaben und Anträgen sich gegen Maßnahmen und
Entscheidungen des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr, des
Hessischen Straßenbauamtes in ... und des Hessischen Landesamts für
Straßenbau in Wiesbaden richten, die vor dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
liegen, sind sie schon deshalb unzulässig, weil der Staatsgerichtshof nur
nachprüfen kann, ob diese Entscheidung auf der Verletzung eines von der
Hessischen Verfassung gewährten Grundrechts beruht (§ 48 Abs. 3 Satz 2
StGHG); nur diese Entscheidung, aber keine ihr vorangegangene Maßnahme kann
vom Staatsgerichtshof aufgehoben werden (§ 49 Abs. 2 StGHG).
Der Staatsgerichtshof ist auch kein Rechtsmittelgericht, das als eine Art
Superrevisionsinstanz allgemein Entscheidungen der Gerichte rechtlich und
tatsächlich nachprüfen könnte, wie offenbar der Antragsteller annimmt. Gestaltung
des Verfahrens, Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, Auslegung des
Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall sind Sache der zuständigen
allgemeinen Gerichte. Rechtsfehler, die hierbei vorkommen, sind für den
Staatsgerichtshof nur insoweit von Bedeutung, als sie in einem Verstoß gegen
spezifisches Verfassungsrecht liegen (Hess. StGH, P. St. 190, 344, 347, 383, 427,
477, 488, 503 – 505 – 512, 508 und 528; vgl. auch BVerfGE 18, 92 f; 21, 216). Das
Vorbringen des Antragstellers gibt für eine solche Annahme keine Veranlassung.
Die Verfassungsmäßigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs wird nicht
dadurch berührt, dass dieses Gericht, wie der Antragsteller meint, seine
Aufklärungs- und Ermittlungspflicht und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs
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Aufklärungs- und Ermittlungspflicht und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs
verletzt habe. Abgesehen davon, dass einen solchen Verstoß bereits das
Bundesverwaltungsgericht verneint hat, handelt es sich hierbei nicht um eine
Verletzung der Grundrechte der Hessischen Verfassung. Der Anspruch auf
rechtliches Gehör ist nur im Grundgesetz als Grundrecht normiert (Art. 103 Abs. 1
GG), nicht aber in der Hessischen Verfassung (vgl. Hess. StGH, P. St. 310, 330,
331, 389, 516, 518). Eine Prüfung der Verletzung von Bestimmungen der
Verwaltungsgerichtsordnung durch den Staatsgerichtshof ist gleichfalls nicht
zulässig.
Die weiteren Einwendungen des Antragstellers gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs betreffen ebenfalls nicht dessen Verfassungsmäßigkeit,
sondern beziehen sich auf die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des
Planfeststellungsbeschlusses vom 17. September 1967, auf dem die
Inanspruchnahme von Teilen des Grundstücks beruht. Die Rechtmäßigkeit des
Planfeststellungsverfahrens ist vom Verwaltungsgerichtshof ebenso überprüft
worden wie etwaige Ermessensfehler der Behörden, nachdem er die tatsächlichen
Verhältnisse des auf dem in die Planfeststellung einbezogenen Geländes anhand
der Lagepläne und durch Augenscheinseinnahme festgestellt hatte. Die
Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die von dem Antragsteller
vorgeschlagene Ersatzlösung aus Gründen des Verkehrs, der Bautechnik und der
Kosten nicht realisierbar sei, unterliegt nicht der beschränkten Nachprüfung durch
den Staatsgerichtshof. Soweit der Antragsteller auf frühere Verhandlungen und
deren Ergebnis Bezug nimmt und deswegen die Hilfe des Staatsgerichtshofs
erbittet, kann nur darauf hingewiesen werden dass jener die Befugnisse eines
Verfassungsgerichts verkennt. Gerade weil die von dem Antragsteller angestrebte
Lösung mangels Übereinstimmung der Beteiligten und aus Gründen des
öffentlichen Wohls und der Verkehrssicherheit nicht möglich gewesen ist, ist das
Planfeststellungsverfahren durchgeführt worden, das der Verwaltungsgerichtshof
für rechtmäßig erachtet hat. Seine Entscheidung beruht auf der Auslegung und
Anwendung einfachen Gesetzesrechts und ist einer verfassungsrechtlichen
Prüfung insoweit nicht zugänglich. Der vom Antragsteller behauptete Verstoß
gegen Art. 2 Abs. 2 und Art. 45 HV ist nicht schlüssig dargetan. Er wird überdies
auch nicht dem Verwaltungsgerichtshof, sondern dem Minister für Wirtschaft und
Verkehr und den Straßenbaubehörden vorgeworfen.
Da nach alledem die Anträge der Grundrechtsklage unzulässig sind, können sie
durch Beschluss zurückgewiesen werden. Damit wird auch die von dem
Antragsteller beantragte einstweilige Anordnung zur Abwendung der von dem
Landesamt für Straßenbau betriebenen vorläufigen Besitzeinweisung
gegenstandslos.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.