Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: verwaltungsrechtliche klage, öffentliches interesse, hessen, kostenvorschuss, grundrecht, weisung, anforderung, aussichtslosigkeit, vorbescheid, willkür

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 400
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 31 GG, Art 1 Verf HE, Art
45 Verf HE, Art 129 Verf HE
Leitsatz
1. Der Staatsgerichtshof ist kein Rechtsmittelgericht. Es ist nicht seine Aufgabe,
Entscheidungen der Gerichte auf die Richtigkeit der Rechtsanwendung auf den
konkreten Fall zu überprüfen.
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2. Ein bundesrechtlich geregeltes Verfahren kann wegen des Vorrangs des
Bundesrechts (Art. 31 GG) an den Maßstäben der Hessischen Verfassung nur dann
gemessen werden, wenn das Gericht sich willkürlich außerhalb der Rechtsanwendung
gestellt, in Wahrheit also gar kein Bundesrecht angewendet hat.
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3. Art. 129 HV enthält keine verfassungsrechtliche Weisung, dem Unbemittelten die
vorschussfreie Verfolgung vermeintlicher Ansprüche vor den Gerichten unabhängig
davon zu gewährleisten, ob diese Ansprüche rechtlich begründet und durchsetzbar
sind.
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4. Der Gleichheitssatz des Art. 1 HV verbietet Willkür. Doch kann eine gerichtliche
Entscheidung nur dann willkürlich genannt werden, wenn sich kein vernünftiger, aus der
Natur der Sache folgender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die
Entscheidung finden lässt.
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5. Eigentum oder eigentumsgleiche Rechte werden durch die Forderung eines
Gebührenvorschusses für eine verwaltungsrechtliche Klage nicht beeinträchtigt.
Gründe
I
Der Bundesminister der Justiz hat dem Antragsteller als Angehörigem des
öffentlichen Dienstes beamtenrechtliche Wiedergutmachung für
nationalsozialistisches Unrecht gewährt, den Wiedergutmachungsbescheid aber
widerrufen, weil der Antragsteller ihn durch Täuschung erschlichen hatte. Auf
Grund des Wiedergutmachungsbescheides zahlte der Regierungspräsident in …
als Pensionsregelungsbehörde zunächst Ruhegehalt an den Antragsteller, stellte
die Zahlung aber ein, nachdem der Bundesminister der Justiz die sofortige
Vollziehung des Widerrufs angeordnet hatte.
Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit zwei Klagen an das
Verwaltungsgericht in …. Im Verfahren … beantragte er, die Bundesrepublik
Deutschland zu verurteilen, den Regierungspräsidenten in … zur Weiterzahlung der
Versorgungsbezüge anzuweisen. Im Verfahren … beantragte er, das Land zu
verurteilen, ihm das Gehalt nach- und weiterzuzahlen sowie festzustellen, dass das
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verurteilen, ihm das Gehalt nach- und weiterzuzahlen sowie festzustellen, dass das
Land Hessen zum Schadensersatz verpflichtet sei.
In beiden Verfahren machte das Verwaltungsgericht in … den Fortgang des
Verfahrens davon abhängig, dass der Antragsteller einen Kostenvorschuss von je
558,-- DM zahle. Der Antragsteller legte gegen beide Beschlüsse Beschwerde ein.
Diese wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit zwei Beschlüssen vom
22.3.1964 gemäß § 20 der Hessischen Verwaltungsgerichtskostenordnung (VGKO)
mit der Begründung zurück, die Klagen seien aussichtslos, die Rechtsverfolgung
erscheine mutwillig; deshalb, und weil der Antragsteller schon in früheren
Verwaltungsstreitverfahren Gerichtskosten nicht gezahlt habe, liege ein
besonderer Fall vor, der die Anforderungen eines Kostenvorschusses rechtfertige.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren … wurde dem
Antragsteller am 19.3.1964 zugestellt. Der Antragsteller behauptet, auch der
Beschluss im Verfahren … sei ihm an diesem Tage zugegangen.
II
Der Antragsteller hat mit einer Eingabe vom 16.4.1964, eingegangen am
20.4.1964, den Staatsgerichtshof angerufen. Er beantragt, die beiden Beschlüsse
des Verwaltungsgerichtshofs vom 12.3.1964 für kraftlos zu erklären und die
Sachen an das Verwaltungsgericht … zur sachlichen Verhandlung und
Entscheidung zurückzuverweisen.
Zur Begründung trägt er vor: Der Verwaltungsgerichtshof habe für den
„besonderen Fall“ im Sinne des § 20 VGKO Regeln aufgestellt, die auf ihn, den
Antragsteller, nicht zuträfen.
Die Beschlüsse des VGH verletzten Art. 129 HV, da sie durch Auferlegung eines
Kostenvorschusses ihn, den Antragsteller, hinderten, seine Rechtsansprüche zu
verfolgen.
Wenn die Anrufung der Verwaltungsgerichte grundsätzlich ohne Kostenvorschuss
möglich sei, dann sei es willkürlich und ein Ermessensmissbrauch, von ihm, dem
Antragsteller, einen Kostenvorschuss zu verlangen. Dadurch sei Art. 1 HV verletzt.
Auch Art. 2 II HV sei verletzt: Er, der Antragsteller, könne nicht zur Zahlung eines
Kostenvorschusses gezwungen werden, wenn die VGKO es nicht ausdrücklich für
seinen Fall zulasse.
Endlich sei auch Art. 45 HV verletzt, denn der unerschwingliche Kostenvorschusse
hindere die Wiederherstellung seiner, des Antragstellers, Eigentumsrechte, laufe
also auf eine entschädigungslose Enteignung hinaus.
Aus diesen Gründen sei die Anforderung der Kostenvorschüsse verfassungswidrig.
Der Antragsteller bringt weiterhin Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des
§ 20 VGKO vor, der unklar sei und einer willkürlichen Auslegung durch die Gerichte
Tür und Tor öffne. Insoweit regt er an, der Staatsgerichtshof möge die Akten dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung der Vorfrage vorlegen, ob §
20 und § 17 III VGKO gültig seien.
III
Der Landesanwalt hält den Antrag für zulässig, aber für unbegründet. Art. 129 HV
gewähre kein Grundrecht. Die in ihm enthaltene Weisung an den Gesetzgeber sei
durch § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erfüllt. Dieser könne als
Bundesrecht vom Staatsgerichtshof nicht auf seine Vereinbarkeit mit der
Hessischen Verfassung überprüft werden. Im übrigen entspreche die Auslegung
des § 20 VGKO den Erwägungen, die für die Bewilligung des Armenrechts
maßgebend seien. Durch die Verneinung der Erfolgsaussichten und durch die
Forderung eines Gebührenvorschusses werde der Antragsteller an der
Weiterverfolgung seiner Ansprüche nicht gehindert. Da § 20 VGKO eine gültige
Rechtsgrundlage der Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs sei, seien auch Art.
2 II und Art. 45 HV nicht verletzt.
IV
1. Der Antrag ist rechtzeitig gestellt. Es ist davon auszugehen, dass die
gleichzeitig ergangenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs dem
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gleichzeitig ergangenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs dem
Antragsteller auch gleichzeitig am 19.3.1964 zugestellt wurden. Da der 19.4.1964
ein Sonntag war, lief die Frist des § 48 III Satz 1 StGHG erst am 20.4.1964 ab (§ 14
I Satz 1 StGHG, § 43 II StPO).
Die Voraussetzung des § 48 III StGHG, dass der Antragsteller die Entscheidung des
höchsten in der Sache zuständigen Gerichts herbeigeführt haben muss, ehe er
den Staatsgerichtshof anrufen kann, ist ebenfalls erfüllt. Die Beschlüsse des
Verwaltungsgerichtshofs können mit keinem Rechtsmittel angefochten werden (§
152 I VwGO).
Der Antragsteller hat auch die Grundrechte der Hessischen Verfassung genannt,
deren Verletzung er rügt (§ 46 I StGHG), und den Antrag gegen das Land Hessen
gerichtet (§ 46 II StGHG).
2. Der Antrag kann jedoch keinen Erfolg haben.
Der Staatsgerichtshof ist kein Rechtsmittelgericht. Es ist nicht seine Aufgabe,
Entscheidungen der Gerichte auf die Richtigkeit der Rechtsanwendung auf den
konkreten Fall zu überprüfen (so die ständige Rechtsprechung des StGH,
insbesondere P.St. 344 vom 6.4.1962, P.St. 383 vom 15.11.1963, des BVerfG - vgl.
BVerfGE 4, 1; 4, 294; 6, 6; 11, 343 - und des Bayer. VerfGH - vgl. BayerVerfGE 12,
128). Insbesondere gilt das für ein bundesrechtlich, hier durch die VwGO,
geregeltes Verfahren, das, wegen des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 31 GG) an
den Maßstäben der Hessischen Verfassung nur dann gemessen werden kann,
wenn das Gericht sich willkürlich außerhalb der Rechtsanwendung gestellt, in
Wahrheit also gar kein Bundesrecht angewendet hat.
Jedenfalls sind die Grundrechte der Hessischen Verfassung durch die Beschlüsse
des Verwaltungsgerichtshofs vom 12.3.1964 nicht verletzt worden.
Die Anforderungen von Kostenvorschüssen beruht auf § 20 VGKO. Danach kann
das Gericht Auslagenvorschüsse, in besonderen Fällen auch Gebührenvorschüsse
fordern und seine weitere Tätigkeit von der Zahlung des Vorschusses abhängig
machen, sofern nicht ein öffentliches Interesse an der Entscheidung besteht.
Diese Vorschrift hat der Verwaltungsgerichtshof ohne Verfassungsverstoß
angewendet.
a) In einem gleichgelagerten Fall (P.St. 337 vom 1.12.1961) hat der
Staatsgerichtshof es dahinstehen lassen, ob Art. 129 HV in Verbindung mit Art. 2
III HV ein Grundrecht gewährt. Die Frage bedarf auch jetzt keiner Entscheidung, da
Art. 129 HV jedenfalls keine verfassungsrechtliche Weisung enthält, dem
Unbemittelten die vorschussfreie Verfolgung vermeintlicher Ansprüche vor den
Gerichten unabhängig davon zu gewährleisten, ob diese Ansprüche rechtlich
begründet und durchsetzbar sind. Indem der Verwaltungsgerichtshof die
Forderung eines Gebührenvorschusses mit der mangelnden Erfolgsaussicht des
Verfahrens begründete, hielt er sich im Rahmen verfassungsrechtlich nicht
angreifbarer Auslegung des § 20 VGKO. Seine Auslegung ist insbesondere nicht
deshalb verfassungswidrig, weil, wie der Antragsteller meint, der
Verwaltungsgerichtshof seither in ständiger Rechtsprechung einen besonderen Fall
im Sinne dieser Vorschrift stets nur dann angenommen habe, wenn nach einem
Vorbescheid mündliche Verhandlung beantragt, das Berufungsvorbringen jedoch
nicht erheblich ergänzt wird, oder wenn nach Ablehnung eines
Armenrechtsgesuches wegen Aussichtslosigkeit des Verfahrens dennoch
fortgesetzt werden soll. In der Tat ist kein solcher Fall gegeben. Weder liegt ein
Vorbescheid vor, noch hat der Antragsteller das Armenrecht beantragt. Die
Auslegung des § 20 VGKO durch den Verwaltungsgerichtshof in ständiger
Rechtsprechung in dem Sinne, dass ein „besonderer Fall“ dann vorliege, wenn die
Rechtsverfolgung aussichtslos und deshalb mutwillig ist, beruht aber auf durchaus
sachgerechten Erwägungen, wie sie von jedem Gericht ständig im vergleichbaren
Fall der Versagung des Armenrechts wegen Aussichtslosigkeit der
Rechtsverfolgung angestellt werden. Aus den gleichen Gründen hat auch das
BVerfG (E 10, 264) verfassungsrechtliche Einwendungen gegen die bayerischen
Vorschriften über die Anforderung von Kostenvorschüssen in der
Verwaltungsgerichtsbarkeit, die noch strenger als § 20 VGKO sind, nicht gelten
lassen.
b) Aus den gleichen Erwägungen ist eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 1
HV) zu verneinen. Der Gleichheitssatz verbietet Willkür. Doch kann eine
gerichtliche Entscheidung nur dann willkürlich genannt werden, wenn sich kein
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gerichtliche Entscheidung nur dann willkürlich genannt werden, wenn sich kein
vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonst sachlich
einleuchtender Grund für die Entscheidung finden lässt (so die ständige
Rechtsprechung des StGH, z.B. P.St. 380). Die Grundsätze, die der
Verwaltungsgerichtshof bei der Auferlegung des Kostenvorschusses angewendet
hat, entsprechen, wie dargelegt, einhelliger gerichtlicher Übung, so dass es nicht
zutrifft, dass der Fall des Antragstellers nach anderen Maßstäben beurteilt worden
wäre, als sie sonst angelegt werden.
c) Worin eine Verletzung des Art. 2 II HV liegen soll, ist nicht ersichtlich. Dass die
Gerichte ihr Tätigwerden von der vorherigen Leistung eines Gebührenvorschusses
abhängig machen, ist kein von der Verfassung verbotener Zweck.
d) Des weiteren liegt kein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 45 HV
vor, denn Eigentum oder eigentumsgleiche Rechte des Antragstellers werden
durch die Forderung eines Gebührenvorschusses für die verwaltungsrechtlichen
Klagen nicht beeinträchtigt.
e) Schließlich sind auch die Bedenken unbegründet, die der Antragsteller gegen
die Anwendung des § 20 VGKO daraus herleiten will, dass diese Bestimmung
unklar sei und eine willkürliche Auslegung ermögliche. Seiner Anregung, insoweit
eine Vorentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs herbeizuführen, kann der
Staatsgerichtshof nicht folgen. Es kann dahinstehen, ob der zum Nachteil des
Antragstellers angewendete § 20 VGKO als Landesrecht fortgilt oder durch die
Vorschrift des § 189 I VwGO Bundesrecht geworden ist. Auch wenn er noch als
Landesrecht gilt, kann er auf seine Vereinbarkeit mit der Hessischen Verfassung
nicht vom Verwaltungsgerichtshof geprüft werden. Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit hessischer Gesetze obliegt allein dem Staatsgerichtshof
(Art. 131 I HV). Der Antragsteller gehört aber nicht zu den Personen, die eine
solche Prüfung beantragen können (Art. 131 II HV, § 41 StGHG).
In einem von der Hessischen Verfassung gewährten Grundrecht ist der
Antragsteller, wie dargelegt, durch die Anwendung des § 20 VGKO nicht verletzt
worden. Eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 1 HV) kann im übrigen nicht darin
erblickt werden, dass ein Gesetz einen unbestimmten Rechtsbegriff (hier
„besonderer Fall“) verwendet; nur wenn die Anwendung dieses Rechtsbegriffs auf
den Einzelfall willkürlich wäre, könnte eine Grundrechtsverletzung in Frage
kommen. Davon kann aber hier nicht die Rede sein.
V
Da der Antrag sonach offensichtlich unbegründet ist, ist er nach § 21 I StGHG
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.