Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: hessen, ermächtigung, gerichtliche zuständigkeit, rechtsverordnung, exekutive, verfahrensordnung, kreis, gestaltung, begriff, gewaltenteilung

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 562
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 1 Verf HE, Art 107 Verf HE,
Art 118 Verf HE, Art 133 Verf
HE
Leitsatz
1. Nach Art. 133 HV ist Voraussetzung für die Vorlage, dass ein Gericht eine
Rechtsverordnung für verfassungswidrig hält, auf deren Gültigkeit es bei einer
Entscheidung ankommt. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist die
Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern sie nicht offensichtlich
unhaltbar ist. Nur bei offensichtlicher Unhaltbarkeit muss die Ansicht des vorlegenden
Gerichts außer Betracht bleiben.
2. Art. 107 HV und Art. 118 HV bilden einen gemeinsamen Rahmen für das in Hessen
geltende Verordnungsrecht. Der Verfassungsgeber hat mit ihnen eine Begrenzung der
Befugnis der Exekutive zum Erlass von Verordnungen festgelegt, die sich sowohl auf
den Kreis der Ermächtigten als auch auf den Inhalt des durch Verordnungen zu
regelnden Rechts bezieht.
Aus Art. 118 HV ist als allgemeiner Grundsatz abzuleiten, dass bei dem in Hessen zu
erlassenden Verordnungsrecht das Gewaltenteilungsprinzip zu beachten ist.
Aus dem Wortlaut des Art. 107 HV ergibt sich für den Inhalt der
Ausführungsverordnungen dieser Grundsatz zwar nicht. Er gilt dennoch für diese
Ausführungsverordnungen, denn der Maßstab für die inhaltliche Gestaltung dieses
Verordnungsrechts ist auch zugleich der aus Art. 118 HV abzuleitende allgemeine
Grundsatz der Gewaltenteilung. Darin ist das die Hessische Verfassung beherrschende
Strukturprinzip der grundsätzlichen Unabhängigkeit der drei Gewalten zum Ausdruck
gekommen, von dem hessisches Verordnungsrecht nicht ausgeschlossen werden kann,
wenn es verfassungsgemäß gestaltet werden soll.
Tenor
1. § 2 der Hessischen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung zum
Bundesentschädigungsgesetz vom 8. Juli 1968 (GVBl. I S. 197) ist mit der
Verfassung des Landes Hessen vereinbar.
2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1.) In ihrer Entschädigungssache erhob ..., geb. ... mit Schriftsatz vom 30. Juli
1968 Klage bei der 3. Entschädigungskammer des Landgerichts Darmstadt,
mit der sie unter Abänderung des Bescheides der Entschädigungsbehörde
beim Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 24. Juni 1968 die Verurteilung
des Landes Hessen zur Zahlung weiterer 3.150,– DM wegen Schadens an
Freiheit begehrte. Sie beantragte, den Rechtsstreit an das Landgericht
Wiesbaden zu verweisen. Die 3. Entschädigungskammer des Landgerichts
Darmstadt beschloß am 12. September 1968 gemäß Art. 133 der Hessischen
Verfassung – HV –, daß auf dem Dienstwege eine Entscheidung des
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Verfassung – HV –, daß auf dem Dienstwege eine Entscheidung des
Hessischen Staatsgerichtshofs zur Frage eingeholt werden solle, ob § 2 der
Hessischen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung zum
Bundesentschädigungsgesetz – HZVO – vom 8. Juli 1968 (GVBl. I S. 197)
gegen Art. 107 HV verstoße. In den Gründen des Vorlagebeschlusses ist
ausgeführt: An der Stattgabe des Verweisungsantrages sehe sich die
erkennende Kammer gehindert, weil sie der Auffassung sei, § 2 HZVO 1968
sei wegen Vorstoßes gegen Art. 107 HV verfassungswidrig. Diese Verordnung
sei zwar von der Landesregierung als Verordnunggeber erlassen worden; § 2
HZVO sei aber zur Ausführung des Bundesentschädigungsgesetzes – BEG –
in der Fassung vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 562), zuletzt geändert durch
Gesetz vom 26. August 1966 (BGBl. I S. 525), weder bestimmt noch geeignet
noch erforderlich. Das ergebe sich schon daraus, daß diese Vorschrift durch
die in § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG erteilte Ermächtigung nicht gedeckt werde.
Diese Bestimmung gehe davon aus, daß eine organisatorische
Zusammenfassung von Entschädigungssachen nötig werden könnte. Deshalb
werde den Ländern die Möglichkeit eröffnet, einem Landgericht die
Entschädigungssachen von mehreren Landgerichtsbezirken zuzuweisen. Eine
Zusammenfassung der Bezirke Darmstadt und Wiesbaden sei jedoch bei der
Schaffung des § 2 HZVO begrifflich nicht mehr möglich gewesen, weil im Juli
1968 infolge der Vereinigung der Regierungsbezirke Wiesbaden und
Darmstadt mit Wirkung vom 6. Mai 1968 eine Entschädigungsbehörde in
Wiesbaden nicht mehr bestanden habe. Entschädigungssachen im Sinne des
§ 208 Abs. 2 Satz 1 BEG seien zu dem genannten Zeitpunkt nur noch beim
Landgericht Darmstadt angefallen; eine Verlagerung der Zuständigkeit könne
aber auf § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG nicht gestützt werden.
An dieser Beurteilung vermöge auch die Tatsache nichts zu ändern, daß beim
Landgericht in Wiesbaden noch Sachen nach § 211 Abs. 2 und 3 BEG anhängig
werden könnten. Für diese zahlenmäßig geringen Ausnahmefälle sei ohnehin beim
Landgericht am Sitz der Regierung eine eigene Zuständigkeit bestimmt, die mit
dem Begriff "Entschädigungssachen" in § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG nicht gemeint sei.
Selbst wenn man aber den Begriff der Ermächtigung so weit fassen wollte, fehle es
in § 2 HZVO an der in der Ermächtigung genannten Voraussetzung, daß die
Zusammenfassung für eine sachdienliche Förderung und schnellere Erledigung der
Verfahren erforderlich sei. Die betroffenen Streitigkeiten könnten dadurch weder
beschleunigt noch gefördert werden. Da die Mehrzahl der Fälle gewisse
Spezialkenntnisse erfordere, diese Prozesse aber bisher nie in Wiesbaden
bearbeitet worden seien, sei zu befürchten, daß die Entscheidungen wegen der
notwendigen Einarbeitung neuer Richter in Wiesbaden später als in Darmstadt
getroffen würden. Die Kammer betrachtet deshalb die Bestimmung des § 2 HZVO
als Ausfluß sachfremder Erwägungen und als nicht im Rahmen der durch Art. 107
HV bestimmten Funktionen ergangen.
Der Oberlandesgerichtspräsident in Frankfurt/Main hat unter Bezugnahme auf den
Vorlagebeschluß um Entscheidung gebeten.
2.) Der Hessische Ministerpräsident hat beantragt, der Staatsgerichtshof möge
feststellen:
Die Vorlage des Landgerichts Darmstadt vom 12. September 1968 ist unzulässig,
hilfsweise,
§ 2 der Hessischen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung zum
Bundesentschädigungsgesetz – HZVO – vom 8. Juli 1968 (GVBl. I S. 197) ist mit
der Verfassung des Landes Hessen vereinbar.
Er hat ausgeführt: Aus der Begründung des Vorlagebeschlusses ergebe sich, daß
die Bedenken sich nicht auf die Verfassungsmäßigkeit, sondern auf die
Gesetzmäßigkeit der Vorschrift bezögen. Das Gericht sei in Wahrheit der
Auffassung, die Landesregierung habe mit dem Erlaß des § 2 HZVO den ihr vom
Gesetzgeber eingeräumten Rechtsetzungsspielraum überschritten. Das sei keine
verfassungsrechtliche Frage; sie müsse vom Gericht selbst entschieden werden.
Neben der gesetzlichen Ermächtigung in § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG könne auch
nicht die verfassungsunmittelbare Ermächtigung in Art. 107 HV herangezogen
werden; Art. 107 HV beziehe sich nur auf Landesgesetze. Die Frage, welches
Landesorgan Rechtsverordnungen zur Ausführung von Bundesgesetzen erlassen
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Landesorgan Rechtsverordnungen zur Ausführung von Bundesgesetzen erlassen
könne, werde dagegen von Art. 80 Abs. 1 GG beantwortet. Art. 107 HV könne auch
nicht als Prüfungsmaßstab für die Ermächtigungsnorm in § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG
dienen. Art. 107 HV komme vielmehr nur als Ermächtigungsrahmen für die auf ihn
gestützten Verordnungen in Betracht.
Hieraus könne kein allgemeiner Verfassungsgrundsatz hergeleitet werden, der
Grenzen für die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen zöge. Selbst
wenn das der Fall wäre, könnte er allenfalls Maßstab für die einer
Rechtsverordnung zu Grunde liegende Ermächtigung sein. Eine solche Prüfung
verbiete sich aber hier, weil die Ermächtigung Bundesrecht sei und deshalb vom
Staatsgerichtshof nicht auf ihre Vereinbarkeit mit allgemeinen Grundsätzen der
Hessischen Verfassung überprüft werden könne. Der gestellte Antrag müsse
daher als unzulässig zurückgewiesen werden.
Die Vorlage sei aber auch unbegründet, weil § 2 HZVO den Ermächtigungsrahmen
des § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG nicht überschreite.
Das Ziel der Zusammenfassung der Rechtsprechung sei in § 208 Abs. 2 Satz 1
BEG deutlich angesprochen. Könne ihm nur durch eine Verlagerung der
Zuständigkeit nähergekommen werden, so stehe der Gebrauch des Wortes
"Zusammenfassung" dem Wortlaut das § 208 Abs. 2 BEG nicht entgegen. Selbst
wenn § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG eine Verlagerung von Zuständigkeiten ohne
gleichzeitige Konzentrationswirkung nicht zuließe, stünde § 2 HZVO zu dieser
Vorschrift nicht in Widerspruch. Die HZVO gehe von einem Rechtszustand aus, der
eine Folge der Vereinigung der Regierungsbezirke Wiesbaden und Darmstadt sei.
Entschädigungsbehörde für Hessen sei nunmehr allein der Regierungspräsident in
Darmstadt; die danach noch bestehende Zuständigkeit der
Entschädigungsgerichte in Kassel und Darmstadt sei nunmehr beim Landgericht in
Wiesbaden zusammengefaßt worden. Mithin seien Entschädigungssachen von
mindestens zwei Landgerichten einem Landgericht zugewiesen. Diese Regelung
sei auch sachdienlich, weil das Landgericht in Wiesbaden in den letzten drei Jahren
an Entschädigungssachen eine größere Anzahl von Verfahren erledigt habe als die
Landgerichte in Kassel und Darmstadt.
Es gehe fehl, daß die von den §§ 171, 183 BEG angesprochenen Materien keine
Entschädigungssachen im Sinne des § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG seien.
Der Härteausgleich nach § 171 BEG erstrecke sich auf Fälle, die ebensogut in die
einzelnen Sondertatbestände des Gesetzes hätten einbezogen werden können.
Die Verfahren nach § 183 BEG beträfen die Prozeßvertretung; diese seien nach §
211 Abs. 1 Satz 2 BEG den Härtefällen nach § 171 BEG gleichgestellt.
Im übrigen sei die Zuständigkeitsregelung aber auch deshalb sachgerecht, weil die
Entschädigungsbehörde des Regierungspräsidenten in Darmstadt, die eine
Vereinigung der bisherigen Dezernate in Kassel, Darmstadt und Wiesbaden sei,
ihre Diensträume in Wiesbaden habe. Sie bereite die Überleitung der laufenden
Verwaltung des nach Abschluß der Wiedergutmachungsverfahren zu erwartenden
Bestandes von etwa 25000 Rentenfällen auf die Pensionsregelungsbehörde vor,
die sich des Landesrechenzentrums in Wiesbaden bei der Abwicklung bedienen
müsse. Die Konzentration von Verwaltung und Gericht an einem Ort sei aber auf
jeden Fall eine vorteilhafte Maßnahme. Den Vorwurf, daß sachfremde Erwägungen
obgewaltet hätten, weist er zurück.
3.a) Der Hessische Minister des Innern hat sich dem Vortrag und dem Antrag
des Hessischen Ministerpräsidenten angeschlossen.
b) Der Präsident des Hessischen Landtages und die übrigen Mitglieder der
Landesregierung haben sich nicht geäußert. Die Klägerin Rosenstrauch hat auf
eine Äußerung verzichtet.
4.) Der Landesanwalt hat beantragt, der Staatsgerichtshof möge erkennen:
§ 2 der Hessischen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung zum
Bundesentschädigungsgesetz – HZVO – vom 8. Juli 1968 (GVBl. I S. 197) ist mit
der Verfassung des Landes Hessen vereinbar.
Er hat vorgetragen: Die HZVO sei eine Verordnung des hessischen Landesrechts,
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Er hat vorgetragen: Die HZVO sei eine Verordnung des hessischen Landesrechts,
die auf eine Vereinbarkeit mit der Hessischen Verfassung geprüft werden könne.
Innerhalb des Rahmens der Ermächtigungsnorm habe der Verordnunggeber ein
gesetzgeberisches Ermessen, das durch die Grundrechte, insbesondere das aus
dem Gleichheitssatz abgeleitete Willkürverbot, ferner durch das allgemeine
Rechtsprinzip der Verhältnismäßigkeit und durch andere Grundsatznormen
beschränkt werde. Die Frage, ob der Verordnunggeber den Rahmen der
Ermächtigung des § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG überschritten habe, scheide aus. Der
Staatsgerichtshof prüfe nach Art. 132 HV lediglich die Vereinbarkeit der
Verordnung mit der Landesverfassung, nicht jedoch die Übereinstimmung der
Norm mit der bundesgesetzlichen Ermächtigung. Art. 107 HV scheide als
Prüfungsmaßstab ebenfalls aus. Die Verordnung verstoße auch nicht gegen den
Gleichheitsgrundsatz; § 2 HZVO beruhe auf sachbezogenen Gesichtspunkten, sei
vernünftig und zweckmäßig. Art. 20 Abs. 1 Satz 1 HV sei nicht verletzt. Es könne
deshalb dahingestellt bleiben, ob diese Bestimmung durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG außer Kraft gesetzt sei.
II.
Die vom Oberlandesgerichtspräsidenten an den Staatsgerichtshof nach § 41 Abs.
1 StGHG weitergeleitete Vorlage ist zulässig.
Nach Art. 131, 132 HV trifft nur der Staatsgerichtshof eine Entscheidung darüber,
ob ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung mit der Verfassung in Widerspruch
steht.
§ 2 HZVO bestimmt, daß die Entschädigungssachen des Landgerichtsbezirks
Darmstadt dem Landgericht in Wiesbaden als Entschädigungsgericht
(Entschädigungskammer) zugewiesen werden. Diese Verordnung ist auf Grund der
§§ 184 Abs. 1, 208 Abs. 2 BEG von der Landesregierung erlassen worden. Sie ist
eine Rechtsverordnung. Rechtsverordnungen sind generelle Rechtssätze, die nicht
im förmlichen Gesetzgebungsverfahren entstehen, aber dennoch allgemein
verbindlich sind (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 9. Aufl., I. Bd. S. 125 f;
Maunz-Dürig, Komm. z. GG, RdNr. 1 zu Art. 80). Sie gliedern sich entsprechend
ihrem Inhalt in verschiedene Gruppen. Die HZVO 1968 ist eine
Ausführungsverordnung, denn sie regelt für Hessen Zuständigkeits- und
Verfahrensfragen für die nach dem Bundesentschädigungsgesetz geltend zu
machenden Ansprüche.
Die Zuständigkeit des angerufenen Staatsgerichtshofs ist nicht deshalb
auszuschließen, weil die HZVO 1968 auf Grund einer bundesrechtlichen
Ermächtigungsnorm ergangen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Beschluß vom 23. März 1965 (BVerfGE 18, 407) entschieden, daß
Rechtsverordnungen, die auf einer bundesgesetzlichen Ermächtigung gemäß Art.
80 Abs. 1 Satz 1 GG beruhen, Landesrecht sind. Dieser Auffassung hat sich der
Staatsgerichtshof unter Aufgabe seiner früheren Rechtsansicht angeschlossen
(Urteil vom 15. Oktober 1969 – P. St. 569 –). Nach Art. 133 HV ist Voraussetzung
für die Vorlage, daß ein Gericht eine Rechtsverordnung für verfassungswidrig hält,
auf deren Gültigkeit es bei einer Entscheidung ankommt. Für die Beurteilung der
Entscheidungserheblichkeit ist die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts
maßgebend, sofern sie nicht offensichtlich unhaltbar ist. Nur bei offensichtlicher
Unhaltbarkeit muß die Ansicht des vorlegenden Gerichts außer Betracht bleiben
(Barwinski in Zinn-Stein, Komm. z. Verfassung des Landes Hessen, Erl. II 7 zu Art.
131 bis 133). Von diesem Grundsatz geht auch das Bundesverfassungsgericht aus
(zuletzt in BVerfGE 18, 274 (280, 281)); ihm hat sich der Staatsgerichtshof
angeschlossen (Urteil vom 4. Dezember 1968 – P. St. 512 und 520 –, StAnz. 1969
S. 33 = ESVGH Bd. 19 S. 140).
Die 3. Entschädigungskammer des Landgerichts Darmstadt hat über den
Verweisungsantrag der Klägerin ... zu befinden, dem sie nach § 209 Abs. 1 BEG, §
276 Abs. 1 ZPO entsprechen müßte, wenn § 2 HZVO gültig wäre; andernfalls wäre
ihre Zuständigkeit gegeben (§§ 208 Abs. 1, 210 Abs. 1 BEG). Ihre Auffassung, es
komme für ihre Entscheidung auf die Verfassungsmäßigkeit der genannten
Rechtsnorm an, ist also nicht offensichtlich unhaltbar.
III.
Die Bedenken der 3. Entschädigungskammer des Landgerichts Darmstadt gegen
die Verfassungsmäßigkeit des § 2 HZVO 1968 greifen nicht durch.
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Das vorlegende Gericht rügt die Verletzung des Art. 107 HV. Dieser bestimmt, daß
die Landesregierung die zur Ausführung eines Gesetzes erforderlichen Rechts- und
Verwaltungsverordnungen erläßt, soweit das Gesetz diese Aufgaben nicht
einzelnen Ministern zuweist. Diese Grundsatzregelung für den Verordnunggeber ist
durch die HZVO nicht verletzt worden, denn die Landesregierung hat die
Verordnung erlassen. Die Entschädigungskammer räumt auch ein, daß Art. 107
HV formell beachtet ist; mit ihrer Begründung, § 2 HZVO 1968 sei zur Ausführung
des BEG weder bestimmt noch geeignet noch erforderlich, will sie offensichtlich die
Verletzung eines allgemeinen, aus Art. 107 HV abzuleitenden
Verfassungsgrundsatzes rügen. Darin kann ihr aber nicht beigepflichtet werden.
Wie der Staatsgerichtshof in seinem Urteil vom 4. Dezember 1968 – P. St. 512 und
520 – (StAnz. 1969 S. 33) ausgeführt hat, bilden die beiden Verfassungsartikel 118
und 107 HV einen gemeinsamen Rahmen für das in Hessen geltende
Verordnungsrecht. Der Verfassunggeber hat mit ihnen eine Begrenzung der
Befugnis der Exekutive zum Erlaß von Verordnungen festgelegt, die sich sowohl
auf den Kreis der Ermächtigten als auch auf den Inhalt des durch Verordnungen zu
regelnden Rechts bezieht. Aus Art. 118 HV ist als allgemeiner Grundsatz
abzuleiten, daß bei dem in Hessen zu erlassenden Verordnungsrecht das
Gewaltenteilungsprinzip zu beachten ist. Aus dem Wortlaut des Art. 107 HV ergibt
sich für den Inhalt der Ausführungsverordnungen dieser Grundsatz zwar nicht. Er
gilt dennoch für diese Ausführungsverordnungen, denn der Maßstab für die
inhaltliche Gestaltung dieses Verordnungsrechts ist auch zugleich der aus Art. 118
HV abzuleitende allgemeine Grundsatz der Gewaltenteilung. Darin ist das die
Hessische Verfassung beherrschende Strukturprinzip der grundsätzlichen
Unabhängigkeit der drei Gewalten zum Ausdruck gekommen, von dem hessisches
Verordnungsrecht nicht teilweise ausgeschlossen werden kann, wenn es
verfassungsgemäß gestaltet werden soll.
Dieser Gewaltenteilungsgrundsatz ist durch § 2 HZVO 1968 nicht verletzt worden.
Die Zuständigkeit des anzurufenden Entschädigungsgerichts ist nicht zugunsten
der Exekutive oder der Legislative bestimmt worden; mit dieser Vorschrift ist
vielmehr nur eine Zuständigkeitsverschiebung der rechtsprechenden Gewalt für
Entschädigungssachen innerhalb Hessens in Kraft gesetzt worden.
Die von dem Vorlagegericht geltend gemachten Zweifel an der Geeignetheit und
Erforderlichkeit der getroffenen Regelung vermögen auch nicht den Vorwurf eines
Verstoßes gegen einen anderen Verfassungsartikel des Landes Hessen zu
rechtfertigen. Mit dem in der Ermächtigungsnorm des § 208 Abs. 2 Satz 1 BEG
gegebenen Hinweis, die Zuständigkeit für Entschädigungssachen bei einem
einzigen Landgericht dann zusammenzufassen, wenn dies für eine sachdienliche
Förderung und schnellere Erledigung der Verfahren erforderlich ist, wird für den
Verordnunggeber ein Ermessensspielraum abgegrenzt. Das
Bundesverfassungsgericht hat wiederholt ausgesprochen, daß die normsetzende
Exekutive in diesem Gestaltungsraum im wesentlichen frei ist; sie muß nach dem
Gleichheitssatz im wohlverstandenen Sinne der erteilten Ermächtigung handeln
und hat sich von sachfremden Erwägungen freizuhalten (BVerfGE 13, 248 (255,
257); 16, 332 (338, 339); 18, 315 (331); zustimmend Leibholz/Rinck, Komm. z. GG,
RdNr. 10 zu Art. 3; Maunz-Dürig, Komm. z. GG, RdNr. 123 zu Art. 20). Der
Staatsgerichtshof hat keine Bedenken, sich dieser Auffassung anzuschließen. Eine
Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 1 HV) ist aber nicht festzustellen; denn
hierfür ist nicht entscheidend, ob die getroffene Regelung die zweckmäßigste und
vernünftigste war. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Verordnunggeber sich
von sachfremden Gesichtspunkten hat leiten lassen. Dafür sind keine Anzeichen
gegeben.
Das Gesetz über die Grenzen der Regierungsbezirke und den Dienstsitz des
Regierungspräsidenten vom 29. April 1968 (GVBl. I S. 119) hat die
Regierungsbezirke von Darmstadt und Wiesbaden vereinigt und die
Zuständigkeiten des Regierungspräsidenten in Wiesbaden auf den
Regierungspräsidenten in Darmstadt mit Wirkung vom 6. Mai 1968 übertragen.
Damit gab es nur noch eine Entschädigungsbehörde in Darmstadt und eine in
Kassel (§ 1 Abs. 2 HZVO vom 28. Mai 1957, GVBl. 1957 S. 68), gegen deren
Bescheide gemäß § 210 Abs. 1 BEG Klagen bei den Landgerichten in Darmstadt
und Kassel erhoben werden konnten. Die HZVO 1968 faßt nunmehr die
Entschädigungsbehörden zusammen und überträgt diese Aufgaben allein dem
Regierungspräsidenten in Darmstadt (§ 1 Abs. 2). Die Diensträume dieser Behörde
befinden sich in Wiesbaden. Es ist daher zweckmäßig, daß die gerichtliche
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befinden sich in Wiesbaden. Es ist daher zweckmäßig, daß die gerichtliche
Zuständigkeit für Entschädigungssachen nach § 2 HZVO 1968 allein dem
Landgericht in Wiesbaden übertragen worden ist; denn damit befinden sich
Entschädigungsbehörde und Entschädigungsgericht am gleichen Ort.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.