Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: abstrakte normenkontrolle, hessen, verkündung, fraktion, sachliche zuständigkeit, ungeschriebenes verfassungsrecht, gesetzgebung, amtsblatt, mitbestimmungsrecht, ministerpräsident

1
Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 62
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 30 Abs 1 BetrRG 1948, § 32
Abs 1 BetrRG 1948, § 52
BetrRG 1948, Art 45 Verf HE,
Art 120 Verf HE
Leitsatz
1. a) Der Begriff "Verfassungsstreit" im Sinne des Art. 131 Abs. 1 HV ist nach dem
Streitgegenstand und nicht nach den streitenden Parteien zu bestimmen.
b) Zur Annahme einer Verfassungsstreitigkeit ist also kein kontradiktorischer
Parteienstreit erforderlich.
c) Eine Verfassungsstreitigkeit muß gleichwohl auf den Einzelfall abgestellt sein und darf
nicht eine abstrakte Normenkontrolle zum Gegenstand haben.
2. Der Hessische Staatsgerichtshof kann in einem Verfahren über die
Verfassungsmäßigkeit der Gesetze (Art. 131 Abs.1 HV) nur prüfen, ob Landesrecht mit
der Hessischen Verfassung in Einklang steht. Der Staatsgerichtshof kann insbesondere
nicht prüfen, ob das Landesrecht dem GG oder einfachem Bundesrecht widerspricht.
3. Überpositive Normen gehören nicht zu den Maßstäben der Normenkontrolle.
4. Der Ministerpräsident hat, bevor er ein Gesetz nach Art. 120 HV ausfertigt und
verkündet, das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob das Gesetz verfassungsmäßig
zustande gekommen ist. Das Prüfungsrecht beschränkt sich nicht auf die formelle
Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes,sondern erstreckt sich auch auf die materielle
Übereinstimmung mit der Verfassung.
5. Die Art. 30 Abs. 1, 32 Abs. 1 und 52 bis 55 des Betriebsrätegesetzes für das Land
Hessen vom 31. Mai 1948, die das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht betreffen, und
ihre Verkündung am 12.04.1950 im GVBl. S. 49 verstoßen nicht gegen die Verfassung
des Landes Hessen (auch nicht gegen die Art. 45 oder 151).
Tenor
1. Der Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die §§ 30 Abs. 1, 32 Abs. 1 und 52 bis 55 des Betriebsrätegesetzes für das Land
Hessen vom 31. Mai 1948 und ihre Verkündung widersprechen der Verfassung des
Landes Hessen nichts.
3. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Hessische Landtag beschloss am 31. Mai 1948 das Betriebsrätegesetz für das
Land Hessen (HBRG). Mit Schreiben des Generals Lucius D. Clay an den
Hessischen Ministerpräsidenten vom 3. September 1948 wurden die §§ 30 Abs. 1,
32 Abs. 1 und 52 bis 55 HBRG, die das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht
betreffen, suspendiert, bis das Grundgesetz der deutschen Länder der drei
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
betreffen, suspendiert, bis das Grundgesetz der deutschen Länder der drei
westlichen Zonen (vorläufige Verfassung) eine Zuständigkeit des Landes Hessen
zum Erlass dieser Vorschriften begründet haben werde. Daraufhin wurden bei der
Verkündung des Gesetzes im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen
(GVBl. 1948 Nr. 23 vom 1. Oktober 1948) die beanstandeten Bestimmungen nicht
im Fortgang des Gesetzeswortlauts veröffentlicht, sondern unter dem Strich
mitgeteilt. Es wurde den Paragraphenbezeichnungen der erwähnten Vorschriften
lediglich jeweils angefügt:
§ ..... ist durch einen Befehl der Militärregierung suspendiert, bis das Grundgesetz
(vorläufige Verfassung), über das der Parlamentarische Hat (Gesetz vom
13.8.1948 GVBl. S. 94) zur Zeit berät, eine Zuständigkeit des Landes Hessen zum
Erlass dieser Vorschriften begründet.
Am 7. April 1950 richtete der Hohe Kommissar Mc. Cloy an den Hessischen
Ministerpräsidenten ein Schreiben, das in deutscher Übersetzung folgenden
Wortlaut hat (vgl. Drucksachen des Hessischen Landtags Abt. III Nr. 77 S. 2717
rechte Spalte):
Hinsichtlich General Clay's Schreiben vom 3. Dezember 1948, mit dem das
Inkrafttreten des vom Hessischen Landtag am 31. Mai 1948 beschlossenen
Gesetzes suspendiert wurde, welche die gesetzliche Grundlage für die Betriebsräte
bildet, habe ich jetzt festgestellt, dass für die Aufrechterhaltung der
Suspendierung kein Grund mehr besteht. Wenn es auch in General Clay's
Suspendierungsschreiben nicht ausdrücklich so gesagt ist, habe ich doch gefühlt,
dass es eine notwendige Folgerung der in dem Schreiben enthaltenen
Suspendierungsausdrücke war, dass das Gesetz bis zur Annahme des
Grundgesetzes nicht wirksam werden sollte, und dass der Bundesregierung ein
gewisser. Zeitraum gegeben werden müsse, innerhalb deren sie handeln kann.
Nachdem seit der Bildung der Bundesregierung ein erheblicher Zeitraum
verstrichen ist, habe ich das Empfinden, dass ich es nicht mehr rechtfertigen kann,
das Inkrafttreten der Gesetzgebung des Landes Hessen über diesen Gegenstand
zu suspendieren. Demgemäß können Sie dieses Schreiben als Ermächtigung
ansehen, das Gesetz ohne weitere Mitteilung an mich in Kraft zu setzen. Hiermit
wird Ihnen auch mitgeteilt, dass gemäß Ihrer Bitte an mich der alliierte Hohe
Kommissar die Bestimmungen des Kontrollratsgesetzes Nr. 22 im Lande Hessen
Außer Kraft gesetzt hat. Ihr ergebener Mc Cloy.
Infolge eines Versehens wurde das Datum des Schreibens des Generals Clay mit
dem 3. Dezember 1948 angegeben, tatsächlich handelt es sich um das bereits
erwähnte Schreiben vom 3. September 1948.
Im Anschluss an das Schreiben des Hohen Kommissars vom 7. April 1950 wurden
die suspendierten Bestimmungen des HBRG im Gesetz- und Verordnungsblatt am
13. April 1950 mit folgendem Zusatz verkündet (GVBl. 1950 Nr. 11 vom 13. April
1950):
Die §§ 30 Absatz 1, 32 Absatz 1, 52 bis 55 des durch den Hessischen Landtag
beschlossenen Betriebsrätegesetzes für das Land Hessen vom 31. Mai 1948
(GVBl. S. 117) waren durch Befehl des Generals Lucius D. Clay an den
Ministerpräsidenten des Landes Hessen vom 3. September 1948 suspendiert
worden.
Der Hohe Kommissar John McCloy hat mit Schreiben vom 7. April 1950 an den
Ministerpräsidenten des Landes Hessen die Suspendierung und gleichzeitig die
Wirksamkeit des Kontrollratsgesetzes Nr. 22 vom 10. April 1946 für das Land
Hessen aufgehoben.
Das Gesetz Nr. A-4 der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland (AHK) über
das Außerkrafttreten des Kontrollratsgesetzes (KRG) Nr. 22 vom 10. April 1946 für
Hessen wurde am 6. April 1950 in Bonn, Petersberg, ausgefertigt und im Amtsblatt
der AHK Nr. 16, das am 26. April 1950 ausgegeben wurde, veröffentlicht.
Bereits vor dem 13. April 1950 wurde, wie gerichtsbekannt ist, das
Außerkrafttreten des KRG Nr. 22 für Hessen durch den Rundfunk bekannt
gegeben.
II.
Die FDP-Fraktion im Hessischen Landtag ist der Meinung, dass die Bestimmungen
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
Die FDP-Fraktion im Hessischen Landtag ist der Meinung, dass die Bestimmungen
des HBRG über das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht verfassungswidrig und
damit rechtsungültig seien. Sie begründet ihre Auffassung damit, dass die
erwähnten Vorschriften Verstöße gegen folgende Normen enthielten:
1) Gegen das Naturrecht; denn Papst Pius XII. habe jüngst in einer Ansprache an
den Internationalen Kongress für soziale Studien erklärt, dass allein der
Unternehmer im Betrieb in wirtschaftlichen Fragen zu entscheiden habe, weil der
Lohnvertrag die rechtliche Grundlage für die Betriebszugehörigkeit sei.
2.) Gegen das KRG Nr. 22, das in dem hier entscheidenden Zeitpunkt, dem 31. Mai
1948, in Hessen noch in Kraft gewesen sei.
Nach dem englischen Text des Art. V KRG Nr. 22 sei eine Erweiterung der
Befugnisse des Betriebsrats durch deutsche Gesetze nicht gestattet. Da aber die
angegriffenen Bestimmungen des HBRG eine derartige Erweiterung enthielten,
seien sie wegen Verstoßes gegen das KRG Nr. 22 unwirksam.
3.) Gegen Art. 72 in Verbindung mit Art. 74 des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland (GG), gegen Art. 125 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 74
GG und gegen Art. 14 GG (Gewährleistung des Eigentums).
a) Die Bundesrepublik habe von ihrem Recht nur Gesetzgebung auf dem Gebiet
des Betriebsräterechts, das unter Art. 74 Ziff. 12 GG falle, dadurch bereits
Gebrauch gemacht, dass sie sich im Zeitpunkt der Verkündung der angegriffenen
Bestimmungen des HBRG ernsthaft mit der Absicht, ein bundeseinheitliches
Betriebsräterecht zu schaffen, getragen und diese Absicht auch unzweideutig der
Hessischen Landesregierung zu erkennen gegeben habe mit dem ausdrücklichen
Wunsch, die Hessische Regierung möge dem in Angriff genommenen
Bundesgesetz nicht mit einem Hessischen Landesgesetz vorsprengen.
b) Ein Verstoß gegen Art. 125 Ziff. 1 GG liege deswegen vor, weil mit dem
Inkrafttreten des Grundgesetzes das KRG Nr. 22, welches das Betriebsräterecht für
sämtliche Besatzungszonen Deutschlands geregelt habe, ipso jure Bundesrecht
geworden sei, das der hessische Gesetzgeber nicht habe ändern dürfen. Dabei sei
die Tatsache unerheblich, dass das KRG Nr. 22 im Mai 1950 aufgehoben worden
sei.
Speziell enthalte der § 55 HBRG eine Verletzung des Art. 125 Ziff. 1 GG, weil er
den im Aktiengesetz getroffenen Bestimmungen über die Zusammensetzung des
Aufsichtsrats, also einer reichsgesetzlichen Regelung, zuwiderlaufe.
4.) Gegen Art. 151, 153 Abs. 2 und 45 der Verfassung des Bandes Hessen (HV).
Art. 151 HV enthalte keinen Programmsatz, sondern aktuell geltendes Recht. und
die in den Artikeln 151 ff HV erwähnte Deutsche Republik umfasse unter dem
Gesichtspunkt des Schlusses a majore ad minus die Bundesrepublik Deutschland
als Teileinheit.
In der Hauptverhandlung trug die FDP-Fraktion des weiteren vor, der hessische
Gesetzgeber habe zumindest gegen das ungeschriebene bundesstaatliche
Verfassungsrecht Verstoßen, zu dessen Grundsätzen die Loyalität gehöre, die ein
Land gegenüber dem Bund üben müsse. Dem Grundsatz der Loyalität
widerspreche es aber, wenn ein Land eine Materie der konkurrierenden
Gesetzgebung regele, die der Bund erkennbar für sich in Anspruch nehmen wolle.
III.
Die Hessische Landesregierung und der Landesanwalt haben sich dem Verfahren
angeschlossen.
Die Landesregierung hat beantragt,
die Verkündung der Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes über das
wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht für verfassungsmäßig zu erklären.
Der Landesanwalt hat beantragt, zu erkennen:
Die Verkündung der im Antrag der FDP-Fraktion des Hessischen Landtags vom
26.4.1950 genannten §§ des Betriebsrätegesetzes für das Land Hessen verletzt
nicht die Hessische Verfassung und ist nicht rechtsungültig.
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
Der Antrag der FDP-Fraktion des Hessischen Landtags vom 26.4.1950 wird als
unbegründet abgewiesen.
IV.
In der Hauptverhandlung legte der Landesanwalt ein von dem ordentlichen
Professor der Rechte Dr. Hans Carl Nipperdey am 5. Juli 1950 im Auftrag des
Deutschen Gewerkschaftsbundes, Landesbezirk Hessen, erstattetes Gutachten
vor.
Professor Dr. Nipperdey und der ordentliche Professor der Rechte Dr. Walter
Jellinek wurden als Sachverständige gehört.
Der Lektor der englischen Sprache an der Universität Frankfurt a.Main... war als
Sachverständiger für die Übersetzung englischer Texte ins Deutsche zugezogen.
Als Zeugen wurden vernommen der Staatssekretär im
Bundesarbeitsministerium... und der Abgeordnete des Hessischen Landtags...
V.
Das Antragsrecht der FDP-Fraktion ergibt sich aus Art. 131. Abs. 2 HV und § 17
Abs. 2 Ziff. 3 des Hessischen Gesetzes über den Staatsgerichtshof (StGHG), weil
zwölf Mitglieder dieser Fraktion, also mehr als ein Zehntel der gesetzlichen
Mitgliederzahl des Hessischen Landtags, den Antrag unterzeichnet haben. Die
Antragsberechtigung der Landesregierung ist gegeben auf Grund Art. 131 Abs. 2
HV und § 17 Abs. 2 Ziff. 4 StGHG. Der Landesanwalt konnte sich dem Verfahren
anschließen und Anträge stellen gemäß §§ 17 Abs. 2 Ziff. 6, 18 Abs. 2 StGHG.
VI.
Die sachliche Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen (StGH) ist
im wesentlichen geregelt in den Artikeln 131, 132 HV und im StGHG, Von den in
Art. 131 HV genannten fünf Fällen können hier nur in Frage kommen die
Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, über die Verletzung
der Grundrechte und über Verfassungsstreitigkeiten.
Die Frage, ob und inwieweit angesichts eines wiederauflebenden naturrechtlichen
Denkens überpositive Normen zu den Maßstäben der Normenkontrolle gehören,
wird an anderer Stelle zu erörtern sein.
a) Unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtsverletzung ist die Zuständigkeit des
StGH nicht gegeben.
In einem Grundrechtsklageverfahren (§§ 45 ff StGHG) wird nur über den konkreten
Einzelfall entschieden, wenn auch nach dem System des hessischen
Verfassungsrechts nicht nur ein spezieller hoheitlicher Akt, sondern auch eine
Rechtsnorm Gegenstand der Grundrechtsklage sein kann.
b) Die Zuständigkeit des StGH kann auch nicht damit begründet werden, dass es
sich um eine Verfassungsstreitigkeit handele.
Allerdings hat der StGH in seiner Entscheidung P.St. 29 mit Rücksicht auf die in §§
44 Satz 3, 41 Abs. 3 StGHG getroffene Regelung, dass eine Verfassungsstreitigkeit
auch dann vorliegt, wenn über Auslegung oder Anwendung einer
Verfassungsbestimmung Unsicherheit (nicht Streit) herrscht, in Anlehnung an die
anfängliche Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und
die ältere Literatur zu Art. 19 der Weimarer Reichsverfassung (vgl. Anschütz, Die
Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Auflage, Anm. 3 III zu Art. 19) ausgeführt,
dass der Begriff der Verfassungsstreitigkeit nach dem Streitgegenstand und nicht
nach den Streitenden zu bestimmen sei. Der StGH hat also die spätere
Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich (vgl. Anschütz,
a.a.O. Anm. 4 ff), wonach begrifflich zur Annahme einer Verfassungsstreitigkeit ein
kontradiktorischer Parteienrechtsstreit erforderlich sei, nicht übernommen.
Gleichwohl ist festzustellen, dass eine Verfassungsstreitigkeit konkreter Art, also
ebenfalls auf den Einzelfall abgestellt sein muss und nicht eine abstrakte
Normenkontrolle zum Gegenstand haben kann. Das galt schon unter dem
Herrschaftsbereich der Weimarer Reichsverfassung, welche die
Verfassungsstreitigkeiten in Art. 19 regelte und deren Entscheidung dem
39
40
41
42
43
44
45
46
Verfassungsstreitigkeiten in Art. 19 regelte und deren Entscheidung dem
Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich zuwies, während die abstrakte
Normenkontrolle dem Verfahren des Art. 13 Abs. 2 vorbehalten war und zur
Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörte (vgl. hierzu z.B. Urteil des
Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich vom 25.10.1932 in RGZ 138 Anhang S.
1 ff, insbesondere S. 27 ff, wo es heißt: "Dass die Streitigkeiten des Art. 19 nicht
Meinungsverschiedenheiten über abstrakte Rechtsfragen sein können, vielmehr
konkrete Rechtsverhältnisse betreffen müssen, ist im Verfassungsausschuss der
Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung wiederholt.... betont
worden").
c) Mithin kann es sich nur darum handeln, dass der Antrag der FDP-Fraktion unter
dem Gesichtspunkt der allgemeinen, abstrakten Normenkontrolle zu würdigen ist,
dass also der Zuständigkeitsfall des Art. 131 HV, über die Verfassungsmäßigkeit
gesetzlicher Bestimmungen, hier der angegriffenen Vorschriften des HBRG, zu
entscheiden, gegeben ist. Darauf ist denn auch ersichtlich der Antrag der FDP-
Fraktion gerichtet.
Art. 131 HV erklärt sicht ausdrücklich, dass die Zuständigkeit des Hessischen
Staatsgerichtshofs auf die Prüfung der Übereinstimmung von Landesgesetzen mit
der Hessischen Verfassung beschränkt ist. (Anders die Verfassung für das Land
Nordrhein-Westfalen, die in Art. 75 Ziff. 3 bestimmt, dass der Staatsgerichtshof bei
Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die Vereinbarkeit von Landesrecht
mit dieser Verfassung entscheidet: GVBl. für das Land Nordrhein-Westfalen
Ausgabe A 1950 S. 132). Gleichwohl kann kein Zweifel darüber bestehen, dass sich
bei Betrachtung der Normen der HV und des StGHG im Zusammenhang die
Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze im Sinne des Art. 131
HV nur auf eine Prüfung der Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Hessischen
Verfassung erstrecken kann. Vom Standpunkt des hessischen
Verfassungsgesetzgebers aus gesehen, war denn auch keine Möglichkeit
gegeben, die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Landesgesetzen unter
anderen als hessischen verfassungsrechtlichen Normen zu eröffnen. (Über die
Bedeutung des Art. 152 Abs. 2 HV vgl. unten unter VII 2 c). Bei analoger
Rechtslage hat auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner
Entscheidung vom 4. April 1950 (vgl. Die öffentliche Verwaltung, 3. Jahrgang, Heft
11 S. 342) ausgesprochen, dass seine Zuständigkeit auf die Prüfung der
Übereinstimmung der Gesetze mit der Bayerischen Verfassung beschränkt ist.
Eine andere Frage ist es, ob ein anderer, dem Landesverfassungsgesetzgeber
übergeordneter Gesetzgeber den Landesverfassungsgerichtshöfen und
Landesstaatsgerichtshöfen die Prüfung der Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit
gegenüber den Landesverfassungsbestimmungen höherwertigen Normen
gestattet.
Aus allen diesen Erwägungen ergibt sich folgendes:
1.) Der StGH ist nach hessischem Verfassungsrecht nicht berufen zur Prüfung der
Frage, ob landesrechtliche Gesetze und Bestimmungen dem Besatzungsrecht, wie
beispielsweise einem Kontrollratsgesetz, widersprechen.
Aber auch das Besatzungsrecht gewährt ersichtlich eine solche Möglichkeit nicht.
Hieran ändert auch nichts Art. 152 HV, der vom StGH in die Erörterung
einzubeziehen war.
Art. 199 erklärt zwar, dass der vom Kontrollrat für Deutschland und von der
Militärregierung für ihre Anordnungen nach Völker- und Kriegsrecht beanspruchte
Vorrang vor der Hessischen Verfassung, den verfassungsmäßig erlassenen
Gesetzen und sonstigem deutschen Recht unberührt bleibt. Gleichwohl schafft Art.
159 keinen Rechtszustand und enthält keinen aus der Verfassung fließenden
Rechtssatz, er stellt vielmehr allein einen Rechtszustand fest, der sich aus dem
Staats- und völkerrechtlichen Status Deutschlands als eines von den
Siegernachten besetzten Landes ohnehin ergibt. Wie aber bereits ausgeführt, ist
für den StGH keine Möglichkeit gegeben, ein Landesgesetz auf seine
Übereinstimmung mit dem mit Vorrang ausgestatteten Besatzungsrecht zu
prüfen.
Mithin ist es dem StGH verwehrt, in eine Prüfung der materiellen Rechtslage in der
Hinsicht einzutreten, ob Art. VKRG Nr. 22 nach Maßgabe der amtlichen deutschen
Übersetzung oder in dem von der Antragstellerin entwickelten Sinne zu verstehen
ist und eine Konfliktsituation zwischen hessischem Landesrecht und
47
48
49
50
51
52
53
54
ist und eine Konfliktsituation zwischen hessischem Landesrecht und
Besatzungsrecht geschaffen hat.
2.) Was die von der Antragstellerin behauptete Unvereinbarkeit der angegriffenen
Bestimmungen des HBRG mit dem Grundgesetz und sonstigem Bundesrecht
anlangt, so ist festzustellen, dass der StGH nach hessischem Verfassungsrecht
nicht zuständig ist zur Entscheidung der Frage, ob die erwähnten Vorschriften
wegen Verstoßes gegen die Artikel 72, 74, 14, 125 Ziff. 1 GG und die
aktienrechtlichen Bestimmungen über den Aufsichtsrat unwirksam sind. Es erhebt
sich aber die Frage, ob das Grundgesetz den Verfassungs- und
Staatsgerichtshöfen der Länder die Prüfung der Grundgesetzmäßigkeit und
Bundesrechtsmäßigkeit von Bestimmungen des jeweiligen Landesrechts gestattet.
Diese Frage ist für die abstrakte Normenkontrolle zu verneinen.
Mit der Normenkontrolle schlechthin befassen sich Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 und Art.
100 GG.
a) Eine von dem konkreten Fall oder Rechtsstreit unabhängige abstrakte
Normenkontrolle findet nur gemäß Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG statt (so auch Ipsen,
Grundgesetz und richterliche Prüfungszuständigkeit in: Deutsche Verwaltung 1949
S. 486 ff., insbesondere S. 488 rechte Spalte, sowie im Ergebnis die Entscheidung
des Württ.-Bad. VGH, Stuttgarter Senat, vom 10. März 1949 in: Die öffentliche
Verwaltung 1950 S. 346 f und die Entscheidung des OVG für die Länder
Niedersachsen und Schleswig-Holstein, II. OVG - A 243/50 vom 19. Juni 1950). Zur
Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG ist aber nach dem klaren
Wortlaut der Bestimmung und ihrer Stellung im System der
Verfassungsgerichtsbarkeit ausschließlich das Bundesverfassungsgericht
zuständig.
b) Was Art. 100 GG betrifft, so führt Ipsen, a.a.O. mit Recht aus, dass dieser keine
allgemein zugelassene, vom konkreten Rechtsstreit unabhängige abstrakte
Normenkontrolle eröffnet, die dem einzelnen die Anrufung des Bundes- oder
Landesverfassungsgerichts mit dem Antrag gestatten würde, die Bundesrechts-
oder Verfassungswidrigkeit in abstracto festgestellt zu wissen. Da die
Prüfungsbefugnis im Sinne des Art. 100 mithin nur im Zusammen hang mit einem
konkreten Rechtsstreit besteht, handelte es sich hier um den Fall der Ausübung
der Inzidentkontrolle, also um die im Einzelrechtsstreit gegebenenfalls - incidenter
- notwendig werdende Entscheidung der Frage, ob ein Gesetz verfassungswidrig
ist.
In diesem Zusammenhang verbietet das Grundgesetz (Art. 100 Abs. 1, 2) die
Ausübung des herkömmlichen richterlichen Prüfungsrechts durch Zivil-, Straf- und
Verwaltungsgerichte und überträgt das Prüfungsrecht ausschließlich dem
Bundesverfassungsgericht oder den Verfassungsgerichten der Länder, je nachdem
ob es sich um die Verletzung des Grundgesetzes oder der Verfassung eines
Landes handelt (vgl. hierzu Ipsen a.a.O. S. 488 f und Giese, Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland Anm. II 1, 6 zu Art. 100). Dabei kann nach Art. 100
Abs. 3 auch das Verfassungsgericht eines Landes über die Auslegung des
Grundgesetzes und damit über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem
Grundgesetz entscheiden, allerdings mit der Maßgabe, dass im Interesse der
einheitlichen Auslegung hei der Gefahr voneinander abweichender Entscheidungen
der Verfassungsgerichte der Länder und des Bundesverfassungsgerichts das
Bundesverfassungsgericht für zuständig erklärt wird (Art. 100 Abs. 3 Satz 1 GG).
In allen Fällen des Art. 100 GG handelt es sich um die Inzidentkontrolle, um
Vortragen im Rahmen eines konkreten Rechtsstreits (vgl. hierzu auch die bereits
erwähnte Entscheidung des Württ.-Bad. VGH sowie die Entscheidung des
Bayer.Verf.GH vom 21. Nov. 1949 in: Sammlung von Entscheidungen des
Bayer.VGH mit Entscheidungen des Bayer.Verf.GH Neue Folge Zweiter Band 1949
2. Heft).
Im vorliegenden Falle handelt es sich aber bei der Frage, ob die angegriffenen
Bestimmungen des HBRG mit dem Grundgesetz im Einklang stehen, nicht um
eine incidenter zu entscheidende Vorfrage, sondern um die den Gegenstand des
Verfahrens bildende Hauptfrage, also um den Fall der vom konkreten Rechtsstreit
unabhängigen abstrakten Normenkontrolle, für die Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG eine
Zuständigkeit der Landesverfassungs- und Staatsgerichtshöfe nicht eröffnet.
Auch die weitere in diesem Zusammenhang zu stellende Frage, ob die dem
Bundesverfassungsgericht in Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG vorbehaltene abstrakte
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
Bundesverfassungsgericht in Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG vorbehaltene abstrakte
Normenkontrolle wenigstens solange von den Verfassungs- und
Staatsgerichtshöfen der Länder ausgeübt werden könne, als das
Bundesverfassungsgericht noch nicht errichtet ist, vermag der StGH nicht zu
bejahen.
Demgegenüber haben der Bayer.VerfGH und der Württ.-Bad. VGH in ihren
letztgenannten Entscheidungen die uneingeschränkte Aktualität des Art. 100 GG
bis zur Errichtung des Bundesverfassungsgerichts verneint. Es bleibt indessen zu
berücksichtigen, dass, wie bereits ausgeführt, Art. 100 GG im Rahmen der
Inzidentkontrolle den Landesverfassungs- und Staatsgerichtshöfen unter gewissen
Voraussetzungen die Möglichkeit verleiht, Landesrecht auf seine Vereinbarkeit mit
dem Grundgesetz und sonstigem Bundesrecht hin zu prüfen, was bei der
abstrakten Normenkontrolle ausgeschlossen ist.
Der StGH ist nach alledem auch nicht befugt, die materielle Rechtslage daraufhin
zu prüfen, ob der Bund im Sinne der Auffassung der Antragstellerin von seinem
Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiete des Betriebsräterechts bereits Gebrauch
gemacht hat (Art. 72 Abs. 1, 74 Ziff. 12 GG), obwohl ein die Materie des
Betriebsräterechts regelndes Bundesgesetz noch nicht erlassen ist, ob das KRG
Nr. 22 als Besatzungsrecht gemäß Art. 125 Ziff. 1 GG Bundesrecht geworden ist,
ob die angegriffenen Bestimmungen des HBRG die Eigentumsordnung des Art. 14
GG verletzen, und ob speziell § 55 HBRG eine Verletzung der reichsrechtlichen
Regelung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach dem Aktiengesetz (Art.
125 GG) enthält.
VII.
Die letzte und maßgebliche Frage, zu deren Prüfung und Entscheidung der StGH
zuständig ist, ob die angegriffenen Bestimmungen des HBRG mit der HV in
Einklang stehen, ist zu bejahen.
1.) Überpositive Normen gehören nicht zu den Maßstäben der Normenkontrolle,
die sich auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit gesetzgeberischer Akte zu
beschränken hat. Nur was an Wertungen in der Verfassung seinen Ausdruck findet,
ist für die Prüfung beachtlich - nicht weniger, aber auch nicht mehr (so auch Ipsen
a.a.O. S. 490). Die hier maßgebliche Wertung hat aber in Art. 37 Abs. 2 HV ihren
positiven Ausdruck gefunden, wo bestimmt ist, dass die Betriebsvertretungen
dazu berufen sind, im Benehmen mit den Gewerkschaften gleichberechtigt mit
den Unternehmern in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen des
Betriebes mit zu bestimmen.
Es kann daher die logisch primäre Frage auf sich beruhen, ob die Auslegung
zutrifft, welche die Antragstellerin der erwähnten Ansprache des Papstes gegeben
hat.
2.) Die angegriffenen Bestimmungen des HBRG vorletzten das positive hessische
Verfassungsrecht nicht.
a.) Es wurde bereits festgestellt, dass Art. 159 HV keinen Rechtssatz, der verletzt
werden könnte, darstellt.
b) Art. 151 HV enthält ein politisches, vornehmlich rechtspolitisches Programm.
Der hessische Verfassungsgesetzgeber wollte einer politischen und
staatsrechtlichen Situation Rechnung tragen, wie er sie zur Entstehungszeit der
Verfassung vorgefunden hat. Hiervon ausgehend, bekundete er seinen Willen zur
gesamtdeutschen Einheit. Unmittelbar geltendes Recht im Sinne aktualisierbarer
Gebots- oder Verbotsnormen zu schaffen, konnte nicht in seiner Absicht gelegen
haben.
Auf die Zukunft abgestellt ist Art. 151 Abs. 1 HV, ohne dass vom
Verfassungsgesetzgeber damals vorausgesehen werden konnte, welche
Zuständigkeiten das künftige gesamtdeutsche Staatswesen in Anspruch nehmen
werde.
Auf die Wahrung des gegenwärtigen Rechtszustandes nimmt Art. 151 Abs. 2
Bedacht, wonach Hessen die bestehende Rechtseinheit nicht ohne zwingenden
Grund antasten werde. Die Entscheidung, ob ein zwingender Grund vorliegt, ist
hierbei ausdrücklich dem Gesetzgeber überlassen, mithin verfassungsgerichtlicher
Nachprüfung entzogen.
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
Heute ist Art. 151 Abs. 2 auf dem Gebiet des Betriebsräterechts fraglos nicht
mehr praktisch. Auf diesem Gebiet ist nämlich die Rechtseinheit bereits
weitgehend zerstört, da sieben von den elf Ländern der Bundesrepublik eigene,
zum Teil erheblich voneinander abweichende Betriebsrätegesetzes besitzen (vgl.
hierzu Nipperdey, Sammlung Arbeitsrecht Nr. 581 ff).
Hinzu kommt, dass Art. 151, da er in der Gesamtheit seiner Bestimmungen jene
politisch-programmatische Bedeutung hat, nur politische
Ermessensentscheidungen vorsieht, die vom Gesetzgeber zu treffen und im HBRG
tatsächlich getroffen sind.
Selbst wenn solche Akte der Legislative, was dahingestellt bleiben möge, einer
Kontrolle durch die Verfassungs- und Staatsgerichtshöfe unter dem Gesichtspunkt
der Ermessensüberschreitung oder des Ermessensmissbrauchs unterworfen sind
(vgl. hierzu Bundesrecht und Gesetzgebung; Bericht über die Weinheimer Tagung
des Instituts zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten in Frankfurt am Main,
Wolfgang Metzner Verlag, S. 99, 109, 120, 123 ff, 126, 172 ff, 180 f, 199 ff), wäre
angesichts der in Art. 37 Abs. 2 HV getroffenen Regelung kein Verstoß gegen die
Grundsätze der ordnungsgemäßen Handhabung des Ermessens durch den
Hessischen Gesetzgeber festzustellen.
Nach allem kann die Frage unerörtert bleiben, ob die von dem Minister der Justiz
verfochtene These zutreffend ist, dass der Wille des Verfassungsgesetzgebers
geradezu verfälscht würde, wenn man die notwendig unvollkommene
westdeutsche Staatserrichtung von 1949 bereits als die in Art. 151 HV erstrebte
gesamtdeutsche Einheit betrachten wollte.
c) Art. 153 Abs. 2 HV ist ebenfalls nicht verletzt. Auch eröffnet sich über ihn für den
StGH keine Möglichkeit, in die Prüfung der Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem
Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht gemäß Art. 131 HV einzutreten.
Art. 153 Abs. 2 HV, der vorsieht, dass künftiges Recht der Deutschen Republik
Landesrecht bricht, ist, welchen Charakter er auch ursprünglich gehabt haben
mag, mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gegenstandslos geworden, das in
Art. 31 bestimmt: Bundesrecht bricht Landesrecht. Eine Nachprüfung der
Vereinbarkeit hessischer Gesetze mit dem Grundgesetz und sonstigem
Bundesrecht kann mithin nicht mehr unter dem Gesichtspunkt des Art. 153 Abs. 2
HV erfolgen, sondern nur noch auf Grund des Art. 31 GG. Zu einer solchen Prüfung
ist aber im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle der StGH, wie bereits
dargelegt, nicht zuständig.
d) Ob durch die gesetzliche Regelung des wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechts
im HBRG Art. 45 HV verletzt sein könnte, bedarf keiner Prüfung, weil
verfassungsmäßig die Ermächtigungsgrundlage in Art. 37 Abs. 2 HV bereits
gegeben ist.
e) gemäß Art. 120 HV hat der Ministerpräsident mit den zuständigen Ministern die
verfassungsmäßig zuständegekommenen Gesetze auszufertigen und binnen zwei
Wochen im Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden.
Es steht Außer Zweifel, dass das HBRG vom 31. Mai 1948 verfassungsmäßig im
Sinne der Art. 116 ff HV zustande gekommen ist.
Der Ministerpräsident hat - unter verfassungsmäßiger Mitwirkung der zuständigen
Minister - das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob das ihm zur Ausfertigung
vorgelegte Gesetz verfassungsmäßig zustande gekommen ist. Im vorliegenden
Falle gilt das auch für die Ausfertigung und Verkündung der Bestimmungen das
HBRG, die zunächst suspendiert waren. Bereits unter Geltung der Weimarer
Reichsverfassung entsprach es der überwiegenden Rechtsmeinung, dass sich auf
Grund des Art. 70 WRV Prüfungsrecht und Prüfungspflicht des Reichspräsidenten
nicht auf die formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu beschränken,
sondern auch auf die materielle (inhaltliche) Übereinstimmung des Gesetzes mit
der Verfassung zu erstrecken hatte (vgl. hierzu Anschütz, a.a.O., Anm. 2 zu Art.
70). Der StGH trägt kein Bedenken, sich dieser Auffassung für den Bereich des
hessischen Verfassungsrechts anzuschließen. Ein materieller Verstoß der
Bestimmungen des HBRG gegen die HV liegt aber nach den vorstehenden
Darlegungen ebensowenig vor wie ein formeller Mangel. Es ist daher unerheblich,
ob im Zeitpunkt der Ausfertigung und Verkündung der angegriffenen
Bestimmungen des HBRG das KRG Nr. 22 für Hessen bereits Außer Kraft war oder
75
76
77
78
Bestimmungen des HBRG das KRG Nr. 22 für Hessen bereits Außer Kraft war oder
erst mit der Ausgabe des Amtsblatts der AHK 1950 Nr. 16 am 26.4.1950 Außer
Kraft trat (vgl. Art. 2 des Gesetzes Nr. A - 4 der AHK). Denn zur Prüfung der Frage,
ob die angegriffenen Bestimmungen des HBRG im Widerspruch zum EEG Nr. 22
stehen oder standen, ist der StGH, wie bereits festgestellt, nicht befugt. Im
übrigen ist das Außerkrafttreten des KRG Nr. 22 für Hessen vor dem 13. April
1950, also vor der Verkündung der suspendiert gewesenen Bestimmungen des
HBRG, durch Rundfunk bekannt gegeben worden. Art. 6 Satz 2 des Gesetzes Nr. 1
der AHK (Amtsblatt der AHK 1949 Nr. 1 S. 3) bestimmt aber, dass Texte, die der
Öffentlichkeit durch Anschlag oder sonstwie vor ihrer. Veröffentlichung im
Amtsblatt zur Kenntnis gebracht werden, mit dem Zeitpunkt in Kraft treten, der bei
ihrer Bekanntmachung angegeben wird, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihres
Erscheinens im Amtsblatt. Besonders bemerkenswert 'ist darüber hinaus, dass
gemäß Ziff. 1 Buchstabe b) i) der Direktive Nr. 2 der AHK betreffend Prüfung von
Landesverfassungen, Änderungen derselben und von Gesetzgebung der Länder in
der Neufassung vom 1. Juni 1950 (Amtsblatt der AHK 1950 Nr. 25 S. 449) ein
durch die Besatzungsbehörden vorläufig abgelehntes Gesetz -nach Erteilung eines
Bescheids der Besatzungsbehörden, dass die vorläufige Ablehnung
zurückgenommen worden ist, verkündet werden darf.
3.) Smend hat in der Festgabe für Otto Mayer, Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck).
1916 (Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat S. 245
ff) für das Bismaroksche Reich den Gedanken entwickelt, dass jeder der
Verbündeten (also jeder Einzelstaat) den anderen und dem Ganzen die Bundes-,
die "Vertrags"-Treue schulde und seine reichsverfassungsmäßigen Pflichten zu
erfüllen habe. Der Grundsatz der Vertragstreue und bundesfreundlichen
Gesinnung sei für die Einzelstaaten dem Reich gegenüber maßgebend, und zwar
rechtlich maßgebend. Im Leben der inneren Reichspolitik werde die Befolgung
dieser Grundsätze nicht nur als politisch zweckmäßig oder nur als durch
bundesstaatliche Sitte und Herkommen festgelegt betrachtet, sondern als die
dauernde Rechtsgrundlage und Rechtsform des bundesstaatlichen
Gesamtverhältnisses.
Es kann dahingestellt bleiben, ob unter Zugrundelegung der Auffassung von
Smend das Vorhandensein eines einen Teil des materiellen
Landesverfassungsrechts bildenden ungeschriebenen Verfassungsrechts im Sinne
der Loyalität des Landes gegenüber dem Bund anzuerkennen ist.
Einmal hätte eine Verletzung dieser Grundsätze durch die angegriffenen
Bestimmungen des HBRG nicht die Unwirksamkeit dieser Vorschriften zur Folge,
sondern könnte nur im Wege der Bundesaufsicht (Art. 37 GG) korrigiert werden.
Zum anderen enthält die Verkündung der erwähnten Bestimmungen einen
Verstoß der gekennzeichneten Art nicht. Im Zeitpunkt der Verkündung der
angegriffenen Vorschriften des HBRG - am 13. April 1950 - war nämlich, wie
Staatssekretär Sauerborn bekundet hat, der Bundesregierung noch nicht einmal
ein Entwurf eines Bundesbetriebsrätegesetzes zugeleitet. Es war lediglich vom
Bundesarbeitsministerium ein Entwurf ausgearbeitet worden, der indessen je nach
dem Ergebnis der Verhandlungen der Sozialpartner über das wirtschaftliche
Mitbestimmungsrecht ergänzt oder geändert werden konnte und sollte. Das
Vorliegen eines nur einem kleinen Kreis von Ministerialbeamten bekannten
Referentenentwurfs kann jedenfalls dann nicht den Vorwurf rechtfertigen, die
Hessische Landesregierung habe mit der Veröffentlichung der beanstandeten
Vorschriften des HBRG im Sinne jenes ungeschriebenen Verfassungsrechts illoyal
gegenüber der Bundesrepublik gehandelt, wenn, wie hier, die fraglichen
Bestimmungen schon lange vor Errichtung des Bundes - nämlich am 31. Mai 1948
- vom Hessischen Landtag beschlossen waren und ihre Veröffentlichung einer
verfassungsmäßigen Verpflichtung entspracht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.