Urteil des StGH Hessen vom 12.12.2005

StGH Hessen: öffentliche sicherheit, abweichende meinung, wahrscheinlichkeit, hessen, rasterfahndung, verfassungskonforme auslegung, mehrheit, zukunft, staatsangehörigkeit, gefahr

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1914
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 43 Abs 1 S 1 StGHG, § 43
Abs 2 StGHG, § 45 Abs 2
StGHG, § 26 SOG HE
Leitsatz
1. Bei Grundrechtsklage unmittelbar gegen ein Gesetz ist die Antragsbefugnis auf die
Fälle beschränkt, in denen eine eigene, gegenwärtige und unmittelbare
Grundrechtsbetroffenheit durch die gesetzliche Bestimmung, deren
Verfassungswidrigkeit behauptet wird, substanziiert und innerhalb der geltenden
Jahresfrist dargelegt ist.
2. Die danach erforderliche eigene Betroffenheit ist nur gegeben, wenn gerade der
Antragsteller selbst mit einiger Wahrscheinlichkeit durch den (drohenden) Vollzugsakt in
seinen Grundrechten betroffen ist. Der Kreis der Antragsberechtigten ist in den Fällen
der unmittelbar gegen ein Gesetz gerichteten Grundrechtsklage auf diejenigen
beschränkt, die zum Anwendungsbereich der Norm in einer spezifischen Nähe stehen.
3. Das Merkmal der gegenwärtigen Betroffenheit stellt sicher, dass ein konkreter
zeitlicher Kontext zwischen Grundrechtsklage und möglicher Grundrechtsbetroffenheit
besteht.
4. Durch die gesetzliche Ermächtigung zur Rasterfahndung (§ 26 HSOG i.d.F. des
Fünften Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche
Sicherheit und Ordnung vom 09.02.2002, GVBl. I S. 546) ist ein in Deutschland
geborener männlicher Student deutscher Staatsangehörigkeit nicht mit einiger
Wahrscheinlichkeit selbst in seinen durch die Verfassung des Landes Hessen gewährten
Grundrechten betroffen.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Tatbestand
A.
I.
Der Antragsteller ist nach seinem eigenen Vortrag am ... in Z geboren und
deutscher Staatsangehörigkeit. Er studiert an der ... Universität Z und ist dort für
die Magisterstudiengänge Politikwissenschaft, Teile der Rechtswissenschaft und
Soziologie eingeschrieben.
Mit seiner am 22. August 2003 erhobenen Grundrechtsklage wendet er sich gegen
die Neuregelung besonderer Formen des Datenabgleichs (sog. Rasterfahndung)
durch § 26 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung -
HSOG - i. d. F. des am 12. September 2002 in Kraft getretenen Fünften Gesetzes
zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und
Ordnung vom 6. September 2002 (GVBl. I S. 546). § 26 HSOG in der
angefochtenen Fassung lautet wie folgt:
㤠26 Besondere Formen des Datenabgleichs
(1) Die Polizeibehörden können von öffentlichen Stellen oder Stellen außerhalb des
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(1) Die Polizeibehörden können von öffentlichen Stellen oder Stellen außerhalb des
öffentlichen Bereichs zur Verhütung von Straftaten erheblicher Bedeutung 1.
gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder 2. bei
denen Schäden für Leben, Gesundheit oder Freiheit oder gleichgewichtige
Schäden für die Umwelt zu erwarten sind, die Übermittlung von
personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen zum Zwecke des
automatisierten Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen, wenn
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Verhütung
dieser Straftaten erforderlich und dies auf andere Weise nicht möglich ist.
(2) Das Übermittlungsersuchen ist auf Namen, Anschriften, Tag und Ort der
Geburt sowie auf im einzelnen Falle festzulegende Merkmale zu beschränken.
Werden wegen technischer Schwierigkeiten, die mit angemessenem Zeit- oder
Kostenaufwand nicht beseitigt werden können, weitere Daten übermittelt, dürfen
diese nicht verwertet werden.
(3) Ist der Zweck der Maßnahme erreicht oder zeigt sich, daß er nicht erreicht
werden kann, sind die übermittelten und im Zusammenhang mit der Maßnahme
zusätzlich angefallenen Daten auf dem Datenträger zu löschen und die
Unterlagen, soweit sie nicht für ein mit dem Sachverhalt zusammenhängendes
Verfahren erforderlich sind, unverzüglich zu vernichten. Über die getroffenen
Maßnahmen ist eine Niederschrift anzufertigen. Diese Niederschrift ist gesondert
aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern
und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Vernichtung der Unterlagen
nach Satz 1 folgt, zu vernichten.
(4) Die Maßnahme nach Abs. 1 bedarf der schriftlich begründeten Anordnung
durch die Behördenleitung und der Zustimmung des Landespolizeipräsidiums. Von
der Maßnahme ist die oder der Hessische Datenschutzbeauftragte unverzüglich zu
unterrichten.
(5) Personen, gegen die nach Abschluss einer Maßnahme nach Abs. 1 weitere
Maßnahmen durchgeführt werden, sind hierüber durch die Polizei zu unterrichten,
sobald dies ohne Gefährdung des Zweckes der weiteren Datennutzung erfolgen
kann. § 15 Abs. 7 HSOG gilt entsprechend.“
In der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung des Achten
Gesetzes zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit
und Ordnung vom 15. Dezember 2004 (GVBl. I S. 444), neu bekannt gemacht am
14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14), ist § 26 HSOG alter Fassung in Abs. 1 folgender
Satz 2 angefügt worden:„Rechtsvorschriften über ein Berufs- oder besonderes
Amtsgeheimnis bleiben unberührt.“Absatz 5 ist durch Satz 2 wie folgt ergänzt
worden:„§ 29 Abs. 6 Satz 4 und 5 und Abs. 7 gilt entsprechend.“
Auf Anfrage des Staatsgerichtshofs hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 2.
Dezember 2004 die folgende Stellungnahme des Hessischen Ministeriums des
Innern und für Sport vom 24. November 2004 mitgeteilt: „Durch das Land Hessen
sind in der Vergangenheit keine Maßnahmen auf der Grundlage des § 26 HSOG
durchgeführt worden, die in Deutschland geborene männliche Studenten
deutscher Staatsangehörigkeit der Magisterstudiengänge Politikwissenschaften,
Teilbereiche der Rechtswissenschaften sowie Soziologie betrafen. Solche
Maßnahmen sind auch nicht geplant.“
Der Antragsteller macht geltend, die Grundrechtsklage sei zulässig. Insbesondere
könne ihm nicht zugemutet werden, gegen polizeiliche Maßnahmen auf der
Grundlage des § 26 HSOG vorzugehen, da derartige Maßnahmen nicht öffentlich
bekannt gemacht werden müssten und in der Vergangenheit auch nicht bekannt
gemacht worden seien. Aufgrund fehlender Kenntnis solcher Maßnahmen werde
ihm sowohl vorheriger als auch nachträglicher Rechtsschutz vorenthalten. Für
seine Antragsbefugnis müsse ausreichend sein, dass er künftig von Maßnahmen
der Rasterfahndung betroffen sein könne. Das Verbot der Popularklage stehe der
Zulässigkeit seines Antrags nicht entgegen. Aufgrund der großen Streubreite des
Eingriffs und der weit gefassten Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 HSOG
könne er nämlich jederzeit betroffen sein. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass
er zu einer betroffenen Personengruppe gehören könne. Die Merkmale, nach
denen diese Personengruppen ausgewählt würden, ließen sich nicht von
vornherein feststellen. Insofern unterliege er bereits deshalb der Gefahr, Objekt
einer Rasterfahndung zu werden, weil er in Hessen wohne. Die Grundrechtsklage
sei auch begründet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Antragsschrift
vom 20. August 2003 sowie des Schriftsatzes vom 29. Dezember 2004 verwiesen.
Der Antragsteller beantragt,
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festzustellen, dass § 26 HSOG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur
Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung
vom 6. September 2002 (GVBl. I S. 546) nichtig ist.
II.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Grundrechtsklage sei unzulässig. Der Antragsteller habe
bereits seinen formalen Darlegungsobliegenheiten nicht genügt. Er fechte eine
gesetzliche Regelung an, so dass ein strenger Plausibilitätsmaßstab anzulegen sei.
Seine mögliche Betroffenheit habe er nicht - wie erforderlich - innerhalb der für die
Grundrechtsklage geltenden Jahresfrist in der Antragsschrift dargelegt. Späteres
Vorbringen, etwa durch Schriftsatz vom 29. Dezember 2004, könne dies nicht
ersetzen. Davon abgesehen sei der Antragsteller durch die angegriffene
gesetzliche Regelung nicht in der notwendigen Weise beschwert. Er habe nicht
dargetan, dass auch in seiner Person die Wahrscheinlichkeit einer
Grundrechtsbetroffenheit durch die angegriffene Vorschrift bestehe. Insbesondere
habe er auf die vom Antragsgegner mitgeteilte Stellungnahme des Hessischen
Ministeriums des Innern und für Sport einen plausiblen rechtstatsächlichen
Zusammenhang zwischen Vollzugspraxis und Betroffenheit nicht dargelegt. Diese
Stellungnahme sei zu verstehen als eine auf den gegenwärtigen Zeithorizont
bezogene prozessuale Auskunftserklärung ohne selbstverpflichtende bzw.
rechtliche Außenwirkung. Die Grundrechtsklage erweise sich bereits deshalb als
unzulässig, weil nach der zum Zeitpunkt ihrer Anhängigkeit mitgeteilten
gegenwärtigen Vollzugspraxis keine Gefahr für den Antragsteller bestehe,
Betroffener einer Rasterfahndung zu werden. Die Grundrechtsklage sei außerdem
unbegründet, wie näher dargelegt wird.
III.
Die Landesanwältin stellt keinen Antrag. Sie hält die Grundrechtsklage für zulässig.
Zwar fehle es an der unmittelbaren, eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit des
Antragstellers. Auf diese Voraussetzungen dürfe aber vorliegend nicht abgestellt
werden, weil ansonsten das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt werde. Weil
das angefochtene Gesetz tatbestandlich nicht begrenzt sei, müsse für diesen Fall
die Popularklage zugelassen werden. Dass der Antragsteller seine Betroffenheit in
der Antragsschrift nicht hinreichend dargelegt habe, sei unschädlich, weil
vorliegend nur der Antragsgegner dazu konkrete Angaben machen könne. Ihn
treffe insoweit die Darlegungslast. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den
Schriftsatz der Landesanwältin vom 12. Mai 2005 verwiesen.
IV.
Dem Hessischen Landtag ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Die Grundrechtsklage ist unzulässig.
1. Der Antragsteller hat nicht mit der nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des
Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG - erforderlichen Plausibilität die
Möglichkeit einer Verletzung eines seiner durch die Hessische Verfassung
geschützten Grundrechte durch die angegriffene Norm dargelegt. Hiernach ist
eine Grundrechtsklage nur zulässig, wenn in der Antragsschrift substanziiert ein
Sachverhalt geschildert wird, aus dem sich - seine Richtigkeit unterstellt - plausibel
die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch den angegriffenen Akt der
öffentlichen Gewalt ergibt (ständige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs -
StGH -, vgl. etwa Beschluss vom 14.05.2003 - P.St. 1833 -, StAnz. 2003, S. 2504
[2505]). Bei Grundrechtsklagen unmittelbar gegen ein Gesetz ist die
Antragsbefugnis zur Wahrung des allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatzes und der
Beachtung der Entscheidung des Gesetzgebers, nur einem bestimmten, eng
umgrenzten Kreis die Antragsbefugnis im Verfahren der abstrakten
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umgrenzten Kreis die Antragsbefugnis im Verfahren der abstrakten
Normenkontrolle (§ 39 StGHG) zuzuerkennen, sowie zur Vermeidung von
Popularklagen auf die Fälle beschränkt, in denen eine eigene, gegenwärtige und
unmittelbare Grundrechtsbetroffenheit durch die gesetzliche Bestimmung, deren
Verfassungswidrigkeit behauptet wird, substanziiert dargelegt ist (vgl. StGH,
Beschluss vom 14.05.2003, a.a.O., S. 2505; BVerfG, Beschluss vom 09.03.1994 - 1
BvR 1369/90 -, BVerfGE 90, 128 [135], Urteil vom 14.07.1999 - 1 BvR 2226/94,
2420 und 2437/95 -, BVerfGE 100, 313 [354, 357], Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR
2378/98, 1084/99 -, BVerfGE 109, 279 [305, 307 f.]; siehe auch Günther,
Verfassungsgerichtsbarkeit in Hessen, 2004, § 43 Rdnrn. 61 ff. m.w.N., und
Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Auflage 1991, § 12 Rdnrn. 27 ff., 35, 40,
44).
Diesen Darlegungserfordernissen, denen gem. § 45 Abs. 2 StGHG innerhalb eines
Jahres genügt werden muss (StGH, Urteil vom 04.05.2004 - P.St. 1714 -, StAnz.
2004, S. 2113 [2118]; Günther, a.a.O., Rdnr. 29), ist der Antragsteller nicht in der
gebotenen Weise nachgekommen. In der Grundrechtsklageschrift vom 20. August
2003 fehlt es an jeglicher - auch nur ansatzweisen - Darlegung, dass er durch die
angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem seiner
Grundrechte betroffen sein kann. Erstmals im Schriftsatz vom 29. Dezember 2004
finden sich hierzu Ausführungen, die jedoch allein schon wegen Ablaufs der
Jahresfrist keine Berücksichtigung finden können mit der Folge, dass aus den
vorgenannten Gründen die Grundrechtsklage unzulässig ist.
2. Auch bei fristgerechtem Vortrag wäre der Antragsteller nicht antragsbefugt.
a) Bedarf die mit der Grundrechtsklage angegriffene Rechtsnorm zu ihrer
Anwendung auf den Einzelfall eines Vollziehungsaktes durch die Verwaltung, muss
der Antragsteller grundsätzlich zunächst diesen angreifen und den hierfür
eröffneten fachgerichtlichen Rechtsweg erschöpfen, bevor er Grundrechtsklage
erheben kann. So ist es auch im Fall des § 26 HSOG, da der Datenabgleich die
Entscheidung der Polizeibehörde voraussetzt, die Übermittlung von
personenbezogenen Daten zu verlangen, und diese Entscheidung fachgerichtlicher
Überprüfung zugänglich ist. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der vorrangigen
Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen den die angegriffene
Norm konkretisierenden Vollzugsakt ist nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts jedoch dann anzunehmen, wenn ein Antragsteller den
Rechtsweg gegen den Vollzugsakt deshalb nicht beschreiten kann, weil er keine
Kenntnis von der Maßnahme erlangt, er also von dem Eingriff in seine Rechte
nichts erfährt (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.12.1970 - 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68 und
308/69 -, BVerfGE 30, 1 [16 f.], Beschluss vom 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 -,
BVerfGE 67, 157 [169 f.], Urteile vom 14.07.1999, a.a.O., S. 354, vom 03.03.2004,
a.a.O., S. 306, Beschluss vom 22. März 2005 - 1 BvR 2357/04 -, NJW 2005, S. 1179
[1181], und Urteil vom 27.07.2005 - 1 BvR 668/04 -, www.bverfg.de, Abs.-Nr. 73).
Es spricht einiges dafür, dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind. Nach §
26 Abs. 5 HSOG sind im Falle des automatisierten Abgleichs durch die Polizei die
Betroffenen weder vor noch während der Durchführung dieser Maßnahme zu
unterrichten. Vielmehr sind die Daten nach Beendigung der Maßnahme zu löschen
(Absatz 3 Satz 1). Nur Personen, gegen die aufgrund des Abgleichs weitere
Maßnahmen eingeleitet werden, sind zu informieren, wenn dies ohne Gefährdung
des Zweckes der weiteren Datennutzung erfolgen kann. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (Urteile vom 03.03.2004, a.a.O., S. 307, und vom
27.07.2005, a.a.O., Abs.-Nr. 73 m.w.N.) soll die Erhebung einer
Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz auch dann zulässig sein,
wenn eine Benachrichtigung zwar vorgesehen ist, von ihr aber aufgrund
weitreichender Ausnahmetatbestände auch langfristig abgesehen werden kann.
Eine vergleichbare Sachlage liegt hier möglicherweise vor, weil durch § 26 HSOG
nicht sichergestellt ist, dass von einem automatisierten Datenabgleich Betroffene
rechtzeitig effektiven fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können.
Ob dem Bundesverfassungsgericht zu folgen ist und ob diese Voraussetzungen
hier vorliegen, kann dahingestellt bleiben.
b) Es fehlt jedenfalls an der eigenen Betroffenheit. Denn der Antragsteller ist nicht
mit einiger Wahrscheinlichkeit selbst durch auf der angegriffenen Rechtsnorm
beruhende Maßnahmen in seinen Grundrechten betroffen. Zwar wird der
geforderte Grad der Wahrscheinlichkeit davon beeinflusst, welche Möglichkeiten
der Antragsteller hat, seine Betroffenheit darzulegen. So ist bedeutsam, ob die
Maßnahme auf einen tatbestandlich eng umgrenzten Personenkreis zielt oder ob
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Maßnahme auf einen tatbestandlich eng umgrenzten Personenkreis zielt oder ob
sie eine große Streubreite hat und Dritte auch zufällig erfassen kann (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 20.06.1984, a.a.O., S. 170, Urteile vom 14.07.1999, a.a.O., S. 354,
vom 03.03.2004, a.a.O., S. 307 f., und vom 27.07.2005, a.a.O., Abs.-Nr. 76
m.w.N.). Zur akustischen Wohnraumüberwachung hat das
Bundesverfassungsgericht ausgeführt, die Möglichkeit, Objekt einer derartigen
Überwachungsmaßnahme zu werden, bestehe praktisch für jedermann, somit
auch für die Beschwerdeführer. Denn es könnten sämtliche Räumlichkeiten Dritter
überwacht werden, sofern sich ein Beschuldigter darin vermutlich aufhalte, so dass
auch alle unverdächtigen Kontaktpersonen unvermeidlich Mitbetroffene seien (vgl.
Urteil vom 03.03.2004, a.a.O., S. 308). In gleicher Weise bejaht das
Bundesverfassungsgericht auch für die Fälle der Telekommunikationsüberwachung
die eigene und gegenwärtige Betroffenheit. Denn auch insofern könne praktisch
jedermann Objekt einer solchen Überwachungsmaßnahme werden (Urteil vom
27.07.2005, a.a.O., Abs.-Nr. 77).
Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt hier jedoch nicht zur
Annahme der Zulässigkeit der Grundrechtsklage. Denn die vom
Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fälle sind mit dem vorliegenden Fall
nicht vergleichbar. Während dort Dritte gleichsam zufällig von den
Überwachungsmaßnahmen betroffen sein können, also auch solche Personen, auf
die die Maßnahme nicht zielt, ist bei der Rasterfahndung die Maßnahme von
vornherein auf einen bestimmten Personenkreis gerichtet. § 26 Abs. 1 HSOG
spricht von der „Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter
Personengruppen". Eine zufällige Betroffenheit beliebiger Dritter gibt es hier nicht.
Der Staatsgerichtshof hält auch bei der vorliegenden Fallkonstellation daran fest,
dass eine unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift gerichtete
Grundrechtsklage nur dann zulässig ist, wenn vorgetragen oder sonst erkennbar
ist, dass gerade der Antragsteller selbst mit einiger Wahrscheinlichkeit durch den
(drohenden) Vollzugsakt in seinen Grundrechten betroffen ist. Dies gilt auch dann,
wenn er im Einzelnen nicht vortragen kann, tatsächlich von der Maßnahme
betroffen zu sein (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 20.06.1984, a.a.O., S. 170,
Urteil vom 14.07.1999, a.a.O., S. 354). Denn das Merkmal der Selbstbetroffenheit
dient der Vermeidung von Popularanträgen, die zur Klärung von abstrakten
Rechtsfragen oder stellvertretend für möglicherweise betroffene Dritte gestellt
werden. Dies soll erreicht werden durch eine Beschränkung des Kreises der
Antragsberechtigten auf diejenigen, die zum Rechtsanwendungskreis der
angegriffenen Rechtsnorm in einer spezifischen Nähe stehen. Nur eine solche
Nähe lässt es gerechtfertigt erscheinen, um der Effektivität des
Grundrechtsschutzes willen ausnahmsweise eine Klagebefugnis gegen eine
abstrakt-generelle Norm einzuräumen.
Diese Voraussetzung liegt bei dem Antragsteller ersichtlich nicht vor.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller überhaupt
oder jedenfalls mit größerer Wahrscheinlichkeit als jeder andere Bürger in Hessen
von der angegriffenen Vorschrift oder - nach der bisherigen oder der erkennbar
beabsichtigten Praxis der Polizeibehörden in Hessen - von Maßnahmen nach § 26
HSOG betroffen sein kann. Die Schilderung der bisher vorgetragenen Fälle der
Rasterfahndung im Schriftsatz vom 29. Dezember 2004 lässt keinerlei Bezug zu
der Person des Antragstellers oder seinen persönlichen Merkmalen erkennen und
ist deshalb auch nicht geeignet, die Wahrscheinlichkeit gerade der eigenen
Betroffenheit darzutun. Entsprechendes gilt für den pauschalen Hinweis in der
Antragsschrift, es seien bereits alle Hochschulen angeschrieben worden, damit
diese die Daten ihrer Studierenden übermitteln sollten, zumal er selbst darauf
hinweist, es solle ein Abgleich der Daten von Studierenden aus islamischen
Ländern in Hessen durchgeführt werden. Er trägt also selbst vor, diese Maßnahme
ziele auf einen tatbestandlich eng umgrenzten Personenkreis, zu dem er selbst
jedenfalls nicht gehört. Mit dem eigenen Vortrag des Antragstellers stimmt im
Übrigen die Mitteilung des Antragsgegners überein, dass Maßnahmen nach § 26
HSOG, die in Deutschland geborene männliche Studenten deutscher
Staatsangehörigkeit betreffen, die dieselben Fächer wie der Antragsteller
studieren, weder in der Vergangenheit durchgeführt worden noch zukünftig geplant
seien.
Dieser Darlegung entspricht auch der Inhalt der Gesetzesmaterialien. Danach
bildeten die Ereignisse vom 11. September 2001 den Hintergrund der gesetzlichen
Neuregelung (vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP vom 12.
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Neuregelung (vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP vom 12.
März 2002, LT-Drs. 15/3755). Ziel war es, nach Erstellung eines Personenprofils
durch die Polizeibehörden mit Hilfe des gesetzlich vorgesehenen Dateiabgleichs
die als „Schläfer“ bezeichnete Personengruppe von in Deutschland lebenden, sich
unauffällig verhaltenden El-Kaida-Kämpfern aus islamischen Ländern aufzuspüren.
Vor diesem aktuellen politischen Hintergrund, auf den der Antragsteller selbst
Bezug nimmt, besteht für ihn nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit die Gefahr, von
Maßnahmen nach § 26 HSOG erfasst zu werden. In diesem Zusammenhang
kommt es nicht darauf an, dass in der angefochtenen gesetzlichen Vorschrift
selbst eine derartige tatbestandliche Begrenzung nicht enthalten ist (kritisch
Herold, „Rasterfahndung“ - eine computergestützte Fahndungsform der Polizei,
Recht und Politik 1985, S. 84 [88 f., 95]). Ob § 26 HSOG deshalb einer
Beschränkung durch verfassungskonforme Auslegung bedarf, ist eine materiell-
rechtliche Frage, die vorliegend nicht entschieden werden muss.
c) Die Unzulässigkeit der Grundrechtsklage folgt auch daraus, dass der
Antragsteller durch die Anwendung der angegriffenen Rechtsvorschrift nicht
gegenwärtig betroffen ist. Der Staatsgerichtshof vermag nicht festzustellen, dass
der Antragsteller mit einiger Wahrscheinlichkeit aktuell, also in absehbarer Zeit von
einer Maßnahme nach § 26 HSOG betroffen sein kann. Für die gegenwärtige
Betroffenheit genügt es gerade nicht, dass ein Grundrechtskläger irgendwann
einmal in der Zukunft („virtuell“) betroffen sein kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom
19.12.1951 - 1 BvR 220/51 -, BVerfGE 1, 97 [102], und vom 18.05.1982 - 1 BvR
602/78 -, BVerfGE 60, 360 [371]; Pestalozza, a.a.O., Rdnr. 44).
Auch das Merkmal der gegenwärtigen Betroffenheit hat eine steuernde Funktion:
Zusätzlich zu der Beschränkung des antragsbefugten Personenkreises durch das
Erfordernis der Selbstbetroffenheit soll es sicherstellen, dass ein konkreter
zeitlicher Kontext zwischen Grundrechtsklage und möglicher
Grundrechtsbetroffenheit besteht. Vor dem Hintergrund des konkreten zeitlichen
Bezugs zu durchgeführten oder beabsichtigten Maßnahmen nach § 26 HSOG, den
das Merkmal der gegenwärtigen Betroffenheit fordert, ist nicht erkennbar, dass
sich die Gefahr der Betroffenheit durch derartige Maßnahmen bei ihm konkretisiert
hätte oder zeitlich absehbar konkretisieren könnte. Die theoretische Möglichkeit,
irgendwann in der Zukunft von einer derartigen Maßnahme betroffen zu sein,
reicht gerade nicht aus, derzeit dem Antragsteller die Antragsbefugnis für die
erhobene Grundrechtsklage gegen eine gesetzliche Regelung einzuräumen, zu
deren Anwendungsbereich er weder persönlich noch zeitlich in einer spezifischen
Nähe und damit Gefährdungslage steht.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG.
Abweichende Meinung
Abweichende Meinung der Mitglieder des Staatsgerichtshofs Lange und von
Plottnitz zu dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 12. Dezember 2005 - P.St.
1914 -
1. Der Entscheidung kann nicht zugestimmt werden. Sie versagt dem Antragsteller
die Prüfung einer von ihm geltend gemachten Grundrechtsverletzung, zu der der
Staatsgerichtshof verpflichtet ist und auf die der Antragsteller einen Anspruch hat.
2. Die Entscheidung wird darauf gestützt, dass der Antragsteller nicht selbst und
gegenwärtig in seinen Grundrechten betroffen sei. Das vermag nicht zu
überzeugen.
a) Die gegenwärtige Selbstbetroffenheit des Antragstellers gehört ebenso wie der
Umstand, dass der Antragsteller durch das von ihm angegriffene Gesetz
unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen sein muss, zu den
Zulässigkeitsvoraussetzungen, die zunächst das Bundesverfassungsgericht
hinsichtlich der Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze entwickelt hat (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 - 1 BvR 220/51 -, BVerfGE 1, 97 [101]) und die
der Staatsgerichtshof im Anschluss daran für die Grundrechtsklage gegen Gesetze
in Hessen übernommen hat (vgl. StGH, Urteil vom 24.06.1955 - P.St. 68 -, StAnz.
1955, S. 827 [828]).
b) Mit dem Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit des Antragstellers soll
verhindert werden, dass das Verfassungsgericht bei Gesetzen, die erst eines
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verhindert werden, dass das Verfassungsgericht bei Gesetzen, die erst eines
Vollzugsaktes bedürfen, ohne Vorklärung der Tatsachen und Rechtsfragen durch
die zuständigen Fachgerichte in Anspruch genommen wird, obwohl dem
Betroffenen gegen den Vollzugsakt hinreichender Rechtsschutz zu Gebote steht
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1981 - 1 BvR 874/77, 322, 324, 472, 543, 694,
752, 753, 754/78; 1 BvL 33/80, 10, 11/81 -, BVerfGE 58, 81 [104 f.]; Beschluss vom
17.10.1984 - 1 BvR 527/80, 528/81 und 441/82 -, BVerfGE 68, 143 [150];
Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 5. Aufl. 2001, Rdnr. 230). Das
Bundesverfassungsgericht macht, wie in der Mehrheitsentscheidung dargelegt,
von dem Grundsatz der vorrangigen Inanspruchnahme fachgerichtlichen
Rechtsschutzes gegen den die angegriffene Norm konkretisierenden Vollzugsakt
jedoch eine Ausnahme, wenn ein Antragsteller den Rechtsweg gegen den
Vollzugsakt deshalb nicht beschreiten kann, weil er keine Kenntnis von der
Maßnahme erlangt, also von dem Eingriff in seine Rechte nichts erfährt.
Dass die Mehrheit der Mitglieder des Staatsgerichtshofs dahingestellt sein und
damit offen lässt, ob dem Bundesverfassungsgericht hinsichtlich dieser Ausnahme
vom Unmittelbarkeitserfordernis zu folgen ist und die Voraussetzung dafür hier
vorliegt, ist unverständlich. Selbstverständlich kann die Grundrechtsklage gegen
ein Gesetz nicht daran scheitern, dass der Betroffene sich zunächst gegen einen
das Gesetz konkretisierenden Vollzugsakt wenden müsste, wenn ihm das mangels
Kenntnis von dem Vollzugsakt tatsächlich überhaupt nicht möglich ist. Da eine
Information der Betroffenen von der Durchführung eines automatisierten
Datenabgleichs nach § 26 HSOG nicht sichergestellt ist, ist es ausgeschlossen, die
Grundrechtsklage gegen die dem automatisierten Datenabgleich zugrunde
liegende Rechtsnorm am Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit scheitern zu
lassen.
c) Mit der von der Mehrheit als nicht erfüllt angesehenen
Zulässigkeitsvoraussetzung der Selbstbetroffenheit soll verhindert werden, dass
Grundrechtsklagen erhoben werden, mit denen keine Grundrechtsverletzung des
Antragstellers, sondern lediglich Grundrechtsverletzungen anderer
Grundrechtsträger geltend gemacht werden. Hier hat der Antragsteller aber
bereits in seiner Antragsschrift vorgetragen, dass er sich selbst als in eigenen
Grundrechten verletzt ansieht. Anhaltspunkte dafür, dass er Grundrechte anderer
Personen einklagen will, sind nicht ersichtlich. Die Verneinung der
Selbstbetroffenheit des Antragstellers durch die Mehrheit der Mitglieder des
Staatsgerichtshofs beruht lediglich darauf, dass der Antragsteller nur vortragen
kann, wie jeder andere durch die gesetzliche Zulassung des automatisierten
Datenabgleichs betroffen zu sein, aber keine besondere Wahrscheinlichkeit für
seine Einbeziehung in einen konkreten derartigen Datenabgleich darzulegen
vermag. Dies ist indessen deshalb weder möglich noch nötig, weil nach dem
Gesetz jeder, ohne davon zu erfahren, von Maßnahmen nach § 26 HSOG erfasst
werden kann. Wenn aus diesem Grunde in dem vorliegenden Verfahren eine
Ausnahme von der unmittelbaren Grundrechtsbetroffenheit durch das Gesetz
anzunehmen ist - und von der Mehrheit ja auch nicht ausgeschlossen wird -, dann
ist es auch inkonsequent, dem Antragsteller die Selbstbetroffenheit abzusprechen.
d) Ebenso wenig wie an der Selbstbetroffenheit fehlt es an der Gegenwärtigkeit der
Grundrechtsbetroffenheit des Antragstellers. Mit dieser
Zulässigkeitsvoraussetzung soll nur verhindert werden, dass jemand, der erst in
der Zukunft von einer Grundrechtsverletzung betroffen sein kann, bereits vorher
Grundrechtsklage erhebt. Hier ist es aber jederzeit und nicht erst in der Zukunft
möglich, dass der Antragsteller in einen automatisierten Datenabgleich
einbezogen wird. Dass das nach Auskunft des Hessischen Ministeriums des Innern
und für Sport bisher nicht der Fall war und auch für die Zukunft nicht geplant sein
soll, schließt in Anbetracht der offenen Fassung des Gesetzes nicht aus, dass
jederzeit ein auch den Antragsteller betreffender, ihm aber nicht bekannter
automatisierter Datenabgleich eingeleitet wird. Entfällt deshalb die
Zulässigkeitsvoraussetzung der Unmittelbarkeit der Grundrechtsbetroffenheit, so
ist es ebenfalls inkonsequent, deren Gegenwärtigkeit in Abrede zu stellen.
e) Wenn ein Gesetz so weit gefasst ist, dass es Eingriffe in die Grundrechte eines
jeden gestattet - und das ist bei der weiten Fassung des § 26 HSOG der Fall -,
diese Eingriffe den Betroffenen aber grundsätzlich gar nicht bekannt werden, dann
verlangt ein effektiver verfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, dass die
Grundrechtsklage von jedem gegen das Gesetz erhoben werden kann. Um eine
Popularklage handelt es sich dabei eben deshalb nicht, weil jeder von den
gesetzlich vorgesehenen Grundrechtseingriffen betroffen sein kann. Die von der
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gesetzlich vorgesehenen Grundrechtseingriffen betroffen sein kann. Die von der
Mehrheit aufgestellten Zulässigkeitsanforderungen machen eine Grundrechtsklage
gegen Gesetze, von denen eine Grundrechtsverletzung ausgehen kann,
unmöglich, obwohl eine Grundrechtsklage gegen Gesetze in § 45 Abs. 2 StGHG
i.V.m. Art. 131 Abs. 3 HV ausdrücklich vorgesehen ist.
f) Damit übersteigert der Staatsgerichtshof die vom Bundesverfassungsgericht
entwickelten und von ihm übernommenen Zulässigkeitsvoraussetzungen von
Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze. Ohne durch die hessische Verfassungs-
oder Gesetzeslage dazu veranlasst zu sein, verschärft er die Anforderungen an die
gegenwärtige Selbstbetroffenheit eines Antragstellers in einer Weise, die zu einer
Verweigerung grundrechtlichen Rechtsschutzes führt, den das
Bundesverfassungsgericht in vergleichbaren Fällen gewährt.
Es trifft nicht zu, dass die Fälle der akustischen Wohnraumüberwachung und der
Telekommunikationsüberwachung, gegen die das Bundesverfassungsgericht
Verfassungsbeschwerden als zulässig angesehen hat (BVerfG, Urteil vom
03.03.2004 - 1 BvR 2378/98, 1084/99 -, BVerfGE 109, 279 [306 ff.]; BVerfG, Urteil
vom 27.07.2005 - 1 BvR 668/04 -), insofern anders gelagert wären als der hier zu
entscheidende Fall, weil dort Dritte gleichsam zufällig von den
Überwachungsmaßnahmen betroffen sein könnten. Das gilt auch für den
automatisierten Datenabgleich, von dem Personen erfasst werden können, an
deren Erfassung keinerlei konkretes polizeiliches Interesse besteht, die also
ebenso gleichsam zufällig von den Überwachungsmaßnahmen betroffen sein
können. In allen Fällen wird wissentlich und willentlich in Kauf genommen, dass
unabhängig von individuellen Verdachtsmomenten jeder, der die
Tatbestandsvoraussetzungen der Überwachungsmaßnahme erfüllt - sei es der
Aufenthalt in einer Wohnung, die Benutzung einer Telekommunikationseinrichtung
oder die Übereinstimmung mit den einem automatisierten Datenabgleich
zugrunde gelegten Daten -, von der Überwachungsmaßnahme erfasst wird.
Wenn man freilich die mögliche Betroffenheit eines jeden durch einen
automatisierten Datenabgleich anders als in den vom Bundesverfassungsgericht
entschiedenen Konstellationen nicht als zufällig, sondern als gewollt ansieht,
besteht noch weniger Anlass zur Verneinung einer für die Zulässigkeit einer
Grundrechtsklage ausreichenden Grundrechtsbetroffenheit als in den vom
Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen.
3. Die Antragsbefugnis ist auch nicht erst nach Ablauf der Jahresfrist des § 45 Abs.
2 StGHG und damit verspätet dargelegt worden. Da die gegenwärtige
Selbstbetroffenheit des Antragstellers nicht von der besonderen
Wahrscheinlichkeit seiner Einbeziehung in einen automatisierten Datenabgleich
abhängt, brauchte diese weder vor noch nach Ablauf der Jahresfrist vorgetragen zu
werden. Wenn die Mehrheit dem Antragsteller entgegenhält, er habe nicht
fristgerecht die Unmittelbarkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung dargelegt, so
ist das nicht nur aus den genannten Gründen unzutreffend, sondern widerspricht
auch dem Umstand, dass die Mehrheit ausdrücklich dahingestellt lässt und damit
nicht ausschließt, dass diese Zulässigkeitsvoraussetzung wegen der - von dem
Antragsteller bereits in seiner fristgerecht eingereichten Antragsschrift geltend
gemachten - mangelnden Information der Betroffenen über Maßnahmen des
automatisierten Datenabgleichs hier entfällt. Die Mehrheit geht damit zu Recht
selbst nicht davon aus, dass der Vortrag des Antragstellers zur unmittelbaren
Grundrechtsbetroffenheit unzureichend sei.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.