Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: hessen, erlass, form, gleichheit, amt, verfügung, grundrecht, behörde, behandlung, notariat

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 133
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
Art 1 Verf HE
Leitsatz
Es verstößt nicht gegen die Gleichheit vor dem Gesetz, wenn von einer Notarin verlangt
wird, auf ihren Stempeln und Siegeln die Bezeichnung "Notarin" zu führen.
Tenor
Der Antrag wird als offenbar unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten werden auf 300.– DM festgesetzt; sie sind von der Antragstellerin zu
tragen.
Gründe
Die Antragstellerin hatte bei dem Hessischen Minister der Justiz nachgesucht, zur
"Notarin" bestellt zu werden. Diesem Antrage war durch Erlass vom 18.I.1951
entsprochen worden. In der Bestallungsurkunde heißt es, dass die Bestellung zur
"Notarin" erfolge. Unter dem 26.I.1951 teilte die Antragstellerin dem
Landgerichtspräsidenten in ... mit, dass sie als "Notarin" ihre Unterschrift, wie folgt,
geben werde: "Dr. ..., Notarin". Die Antragstellerin beschaffte sich die zur Führung
des Amtes erforderlichen Stempel und Siegel. Auf diesen heißt es: "Dr. ..., Notar,
...". An ihrer Kanzlei brachte die Antragstellerin das Amtsschild "Notar" an.
Der Landgerichtspräsident in ... verlangte mit Verfügung vom 15.II.1951, dass die
Antragstellerin auf ihren Stempeln und Siegeln die Bezeichnung "Notarin" zu
führen habe, denn die Ernennung sei ausdrücklich zur "Notarin" erfolgt.
Gegen diese Verfügung richtete sich die Gegenvorstellung der Antragstellerin vom
6.III.1951 sowie ihre Beschwerde vom 6.VIII.1951. Die Beschwerde wurde durch den
Oberlandesgerichtspräsidenten unter dem 7. Januar 1952 – ... – als unbegründet
zurückgewiesen.
Hiergegen legte die Antragstellerin bei dem Hessischen Minister der Justiz
Dienstaufsichtsbeschwerde ein mit dem Antrage, ihr die Amtsbezeichnung als
Notar oder Notarin freizustellen. Der Minister der Justiz sah keinen Anlass, die
Verfügung des Oberlandesgerichtspräsidenten aufzuheben.
Gegen diesen Erlass des Ministers der Justiz vom 13.V.1952 richtet sich die
vorliegende Grundrechtsklage. Die Antragstellerin rügt eine Verletzung des Art 1
HV sowie des Art 3 Abs. 2 und 3 GG mit folgender Begründung: In allen
gesetzlichen Bestimmungen, die auf das Notariat Bezug nähmen, sei nur von dem
"Notar" die Rede. Deshalb bestehe für die Antragstellerin kein rechtlicher Zwang,
ihre Amtsbezeichnung in der weiblichen Form zu führen. Ob die weibliche oder
männliche Form als Amtsbezeichnung gewählt werde, sei allein eine sprachliche
Ansichtssache. Wenn also die Antragstellerin in ihrer Bestallungsurkunde
ausdrücklich zur "Notarin" ernannt worden sei, so habe dies keine konstituierende
Wirkung in dem Sinne, dass sie zur Führung der weiblichen Amtsbezeichnung
verpflichtet sei. Die biologische Verschiedenheit von Männern und Frauen dürfe
keinen Anlass zu einer verschiedenartigen Behandlung geben; für Männer und
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keinen Anlass zu einer verschiedenartigen Behandlung geben; für Männer und
Frauen sei gleiches Recht anzuwenden bzw. zu schaffen.
Der Minister der Justiz führt in seiner Erwiderung vom 30.VIII.1952 aus:
Der Erlass vom 13.V.1952 sei im Rahmen der Dienstaufsicht, also im Rahmen
eines besonderen Gewaltverhältnisses ergangen. Dieses schließe die
Geltendmachung von Grundrechten, die durch das besondere Gewaltverhältnis
eingeschränkt seien, regelmäßig aus.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs sei eine
Grundrechtsklage nur dann zulässig, wenn neben den §§ 45 Abs. 2 und 46 auch
die Voraussetzungen des § 48 StGHG erfüllt seien. Im vorliegenden Falle könne
lediglich § 48 Abs. 1 StGHG zur Anwendung kommen, da bisher ein gerichtliches
Verfahren noch nicht anhängig gewesen sei. Die Antragstellerin könne noch jetzt
ein solches Verfahren in Gang bringen. Die Bedeutung der vorliegenden Sache
gehe nicht über den Einzelfall hinaus, da die weiblichen Notare in Hessen sämtlich
zur "Notarin" und nicht zum "Notar" bestellt worden seien und von 17 bestellten
Notarinnen 16, d. h. also alle mit Ausnahme der Antragstellerin, Beanstandungen
gegen die Art der Bestellung nicht erhoben hätten.
Die Einwendungen seien nicht begründet. Art 1 HV besage lediglich, dass Männer
und Frauen vor dem Gesetz einander gleichgestellt seien. Dies sei vorliegend der
Fall. Die verschiedene Behandlung der Geschlechter durch die Sitte werde durch
ihre rechtliche Gleichstellung nicht aufgehoben. Bei der verschiedenen Art der
Handhabung der Amtsbezeichnung bei Männern und Frauen handele es sich
ausschließlich um eine Angelegenheit der Sprache, welche unabhängig von der
Rechtsordnung eigenen Gesetzen unterstehe. Gegenstand des Rechtsstreits sei
also nicht ein Grundrecht, sondern der Sprachgebrauch. Für eine Entscheidung
über den Sprachgebrauch aber sei der Staatsgerichtshof nicht zuständig.
Sämtliche weibliche Beamte und Richter der Justizverwaltung in Hessen führten
ihre Amtsbezeichnung in der weiblichen Form. Dies gelte auch für die anderen
Verwaltungszweige. Auch im Bund sei die weibliche Form üblich. Dasselbe müsse
für die Rechtsanwälte und Notare gelten. Anders liege es nur, wenn nicht die
Person, sondern die Behörde bezeichnet werden solle, z. B. wenn eine Frau das
Amt als Minister, als Regierungspräsident, als Landrat bekleide. In diesen Fällen
solle eben nicht die Person, die das Amt bekleidet, sondern die Behörde
bezeichnet werden. Das Amt des Notars sei aber keine Behörde, die von der
Person des Inhabers unabhängig sei, sondern ein Amt, das in Hessen nur einer
bestimmten Person verliehen werde. Es sei an die Person des Notars gebunden
und erlösche mit dessen Ausscheiden. Soweit in den gesetzlichen Bestimmungen
lediglich von dem "Notar" die Rede sei, beruhe dies auf der Tatsache, dass diese
Bestimmungen aus einer Zeit übernommen seien, in der die Frau nicht zu den
öffentlichen Ämtern gelangen konnte.
Dem Antrag war der Erfolg zu versagen.
Wird der Staatsgerichtshof wegen einer angeblichen Grundrechtsverletzung
angerufen, so sieht § 48 StGHG zwei Möglichkeiten vor: Ist ein gerichtliches
Verfahren noch nicht anhängig, so soll der Staatsgerichtshof den Antragsteller an
das zuständige Gericht verweisen und die Sache dorthin abgeben. Der
Staatsgerichtshof kann aber auch selbst entscheiden, jedoch nur, wenn die
Bedeutung der Sache über den Einzelfall hinausgeht, insbesondere mit einer
Wiederholung zu rechnen ist und daher eine allgemeine Regelung erforderlich
erscheint.
Eine Verweisung der Antragstellerin an das zuständige Gericht gemäß § 48 Abs. 1
Satz 1 StGHG kam nicht in Frage, da die gegenüber der Antragstellerin als Notarin
ergangene Verfügung des Landgerichtspräsidenten in ... vom 15. Februar 1951
und ebenso der angefochtene Erlass des Hessischen Ministers der Justiz einen Akt
der Dienstaufsicht und nicht einen Verwaltungsakt im Sinne des Gesetzes
darstellten, gegen die eine Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht oder
eine Klage vor dem ordentlichen Gericht gegeben wäre (vgl. Eyermann-Fröhler,
Verwaltungsgerichtsgesetz, München und Berlin 1950 S. 69).
Auf der andern Seite konnte der Staatsgerichtshof auch nicht eine Entscheidung
gemäß § 48 Abs. 1 Satz 3 StGHG in Betracht ziehen, da die Bedeutung der Sache
über den Einzelfall nicht hinausgeht und ebenso wenig eine allgemeine Regelung
erforderlich erscheint insofern, als sämtliche in Hessen bestellten Notarinnen
außer der Antragstellerin die gleiche Entscheidung des Ministers der Justiz
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außer der Antragstellerin die gleiche Entscheidung des Ministers der Justiz
angenommen haben. Die Bedeutung der Sache beschränkt sich damit auf den
Einzelfall der Antragstellerin.
Indes hätte auch aus sachlichen Gründen dem Begehren der Antragstellerin nicht
entsprechen werden können, da das Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz
durch den Minister der Justiz offensichtlich nicht verletzt worden war. Die Gleichheit
vor dem Gesetz verlangte im vorliegenden Falle, dass die Antragstellerin unter den
gleichen rechtlichen Bedingungen und Voraussetzungen das Amt des Notars
erlangte wie jeder andere. Diesem Erfordernis hatte der Minister der Justiz durch
seinen Erlass vom 18.I.1951 entsprochen. Gerade die Tatsache, dass der Minister
der Justiz die Antragstellerin nicht zum Notar, sondern zur "Notarin" bestellte,
Zeigt, dass er dem Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz in richtiger Weise
Geltung verschaffen wollte. Durch diese Art der Bestellung gab er zu erkennen,
dass die Frauen den Männern gleichzustellen seien. Wäre umgekehrt die
Antragstellerin nicht zur "Notarin" sondern zum "Notar" bestellt worden, hätte sie
sich mit Recht durch die Außerachtlassung ihrer Eigenschaft als Frau, deren
Gleichberechtigung durch die Verfassung gewährleistet ist, beschwert fühlen
können. Es kommt hinzu, dass die Handhabung der Bestellung für Notarinnen
derjenigen entspricht, die für weibliche Beamte und Richter sowohl in Hessen wie in
der Bundesrepublik eingeführt und üblich ist. Hiernach ist unerfindlich, weshalb es
geboten sein sollte, für eine Notarin die männliche Form der Amtsbezeichnung
zuzulassen.
Der unter Ziff. 1 des Antrags angefochtene Erlass des Hessischen Ministers der
Justiz verletzt daher nicht das verfassungsmäßig gewährleistete Grundrecht der
Gleichheit vor dem Gesetz. Damit erledigt sich die unter Ziff. 2 des Antrags
begehrte Feststellung.
Der Antrag war daher gemäß § 21 Abs. 1 StGHG als offenbar unbegründet mit der
Kostenfolge aus § 24 StGHG zurückzuweisen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.