Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: lwg, hessen, nachfolge, wähler, regierung, amtszeit, demokratie, abgeordneter, ex nunc, wahlergebnis

Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 783
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 1 Verf HE, Art 65 Verf HE,
Art 70 Verf HE, Art 71 Verf HE,
Art 73 Abs 2 Verf HE
Diese Entscheidung hat
Gesetzeskraft.
(Verfassungswidrigkeit des sog ruhenden Mandats)
Leitsatz
1. Bei der Entscheidung, ob eine Wahl der Landtagsabgeordneten unmittelbar vom Volk
vollzogen wird, ist entscheidend auf die Wahlhandlung selbst abzustellen. Jede
abgegebene Stimme muß bestimmten oder bestimmten Wahlbewerbern zugerechnet
werden, ohne daß nach der Stimmabgabe noch eine Zwischeninstanz nach ihrem
Ermessen die Abgeordneten auswählt (st Rspr des BVerfG).
2. Wie bei der Bestimmung der gewählten Kandidaten unmittelbar nach der Wahl muß
auch bei der späteren Nachfolge für ausgeschiedene Kandidaten der Grundsatz der
Unmittelbarkeit der Wahl gewahrt bleiben. Dieser Zusammenhang wird durch das sog
"ruhende Mandat" iS von WahlG HE § 40a unterbrochen, wonach die
Abgeordneteneigenschaft nach ihrem Verlust durch eine entsprechende Erklärung des
ehemaligen Abgeordneten zurückerworben werden kann.
3. Der Verfassungsgrundsatz der Unmittelbarkeit des Stimmrechts (Verf HE Art 73 Abs
2) erfordert auch, daß die Mandatsverteilung, Verlust und Nachfolge des Mandats nach
den am Wahltag geltenden Normen vollzogen werden (Grundsatz der Vorherigkeit des
Wahlgesetzes).
4. Das ruhende Mandat iSv WahlG HE § 40a verstößt gegen den auch für die Ausübung
des Abgeordnetenmandats geltenden Grundsatz der Gleichheit der Wahl (Verf HE Art
73 Abs 2) und verletzt den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Es läßt sich nicht mit
dem Hinweis auf die Trennung zwischen Regierungsamt und Abgeordnetenmandat
rechtfertigen, da das parlamentarische Regierungssystem die Kompatibilität von
Regierungsamt und Abgeordnetenmandat gewohnheitsrechtlich voraussetzt.
5. Die Befugnis von Minister-Abgeordneten, Beginn und Ende der Mandatsausübung
durch den Nachfolger-Abgeordneten frei zu bestimmen, verstößt gegen die Garantie
des freien Mandats (Verf HE Art 65, Verf HE Art 76, Verf HE Art 77, Verf HE 79). Auch in
Hessen schließt das Prinzip des freien Mandats eine grundsätzliche Parteibindung des
Mandatsträgers aus.
Tenor
§ 40 a des Landtagswahlgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur
Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975 - GVBl. 1975 I S. 20 -ist
mit der Verfassung des Landes Hessen nicht vereinbar und nichtig.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Die notwendigen Auslagen der Antragsteller trägt die Staatskasse.
Gründe
A
I.
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Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975
(GVBl. I S. 20) fügte in das Landtagswahlgesetz in der Neufassung vom 10. Januar
1974 (GVBl. I S. 42) § 40 a mit folgendem Wortlaut ein:
"(1) Ein Abgeordneter, der Mitglied der Landesregierung ist, kann gegenüber
dem Präsidenten des Landtags schriftlich erklären, daß sein Mandat für die Dauer
seiner Amtszeit ruhen soll. Die Erklärung ist nicht widerruflich.
(2) War der Abgeordnete im Wahlkreis gewählt, so übt während seiner Amtszeit
als Mitglied der Landesregierung der im Kreiswahlvorschlag benannte
Ersatzbewerber das Mandat aus.
(3) War der Abgeordnete auf einer Landesliste gewählt, so übt während seiner
Amtszeit als Mitglied der Landesregierung der nächstberufene Bewerber das
Mandat aus. Wird dieser Bewerber für gewählt erklärt, weil ein Abgeordneter
während der Wahlperiode ausgeschieden ist, so übt an seiner Stelle der nunmehr
nächstberufene Bewerber das Mandat aus.
(4) § 40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 gilt entsprechend.
(5) Lehnt ein Bewerber die Ausübung des Mandats ab, so scheidet er auch für
die Nachfolge (§ 40) aus.
(6) Scheidet im Falle des Ruhens der Abgeordnetenmandate mehrerer
Mitglieder der Landesregierung ein Mitglied aus der Landesregierung mit der
Wirkung aus, das das Ruhen seines Mandats endet, so tritt von mehreren aus
einer Landesliste zur Ausübung des Mandats berufenen Bewerbern derjenige
zurück, der als letzter berufen worden war.
(7) Das Ruhen eines Abgeordnetenmandats, seine Ausübung durch einen
nachfolgenden Bewerber, das Ende des Ruhens und das Zurücktreten eines
Bewerbers werden vom Landeswahlleiter festgestellt. § 40 Abs. 4 Satz 2 und 3
findet Anwendung."
Nach Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar
1975 trat Art. 1 am Tage nach seiner Verkündung in Kraft; das Gesetz ist im
Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil I, Nr. 3 vom 4. Februar
1975 verkündet worden.
Mit Schreiben vom 5. Februar 1975 gaben die Minister... und ... eine gleichlautende
Erklärung ab, wonach ihr Mandat als Landtagsabgeordnete gemäß § 40 a des
Landtagswahlgesetzes für die Dauer ihrer Amtszeit als Mitglieder der
Landesregierung ruhen solle. Laut Bekanntmachung des Landeswahlleiters vom 7.
Februar 1975 übten die Abgeordneten... und ... die Mandate aus (StAnz. 1975,
351, 352). In seiner Bekanntmachung vom 20. Oktober 1976 (StAnz. 1976, 1966)
stellte der Landeswahlleiter fest, daß mit dem Ausscheiden des Staatsministers...
aus der Landesregierung am 20. Oktober 1976 das Ruhen seines Mandats als
Abgeordneter des Hessischen Landtags beendet und der Abgeordnete... als der
letzte aus der Landesliste der Freien Demokratischen Partei berufene Bewerber
von der Ausübung des Mandats zurückgetreten sei.
II.
Die 51 Antragsteller, Mitglieder der CDU-Fraktion des Hessischen Landtags,
beantragen, § 40 a des Landtagswahlgesetzes in der Fassung vom 28. Januar
1975 (GVBl. I S. 20) für nichtig zu erklären.
Zur Begründung haben sie im wesentlichen vorgetragen: § 40 a LWG verstoße
sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht gegen die Verfassung des
Landes Hessen (HV).
1. In Wahrheit habe die Vorschrift verfassungsändernden Charakter; das Verfahren
zur Verfassungsänderung nach Art. 123 HV sei aber nicht beachtet worden.
Die grundlegenden Bestimmungen über die Wahlberechtigung (Art. 73 HV), die
Wählbarkeit (Art. 75 Abs. 2, 76 HV), die Wahlrechtsgrundsätze (Art. 73 Abs. 2 HV)
und die Wahlprüfung (Art. 78 HV) seien in der Verfassung selbst geregelt. Das
Landtagswahlgesetz, das sich auf die Gesetzesvorbehalte der Art. 73 Abs. 3, 75
Abs. 3 Satz 1 und 76 Abs. 2 HV stütze, könne die Wahlrechtsartikel der Verfassung
nur sinngemäß ergänzen, insbesondere das Wahlrecht ausgestalten, die
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nur sinngemäß ergänzen, insbesondere das Wahlrecht ausgestalten, die
Wahlrechtsgrundsätze konkretisieren und das Wahlsystem bestimmen. Das
"ruhende Mandat", wie § 40 a LWG es ausgestaltet habe, gehe aber über diese
Regelungsbefugnis hinaus, weil es keinen Wahlgesetzgegenstand, sondern
Verfassungsfragen regele. Bereits die Wortlautexegese des § 40 a LWG führe zu
dieser Einsicht. Die Fragen, ob der Minister sein Mandat behalte und ob ein
Mandatsausüber ein Abgeordneter oder eine Art Verwalter im Mandat sei, stellten
sich als Verfassungsfragen. Die Entstehungsgeschichte des § 40 a LWG belege
nicht, daß diese Vorschrift einen Wahlgesetzgegenstand regele. Sie lehre nur, daß
die Gesetzesänderung im Zusammenhang mit einer Koalitions- und
Regierungsbildung stehe. Auch nach seinem Sinn und Zweck habe das "ruhende
Mandat" mit Wahlrecht nichts zu tun. Es solle vielmehr die Parlamentsarbeit einer
kleinen Fraktion, etwa bei der Besetzung der Ausschüsse, verbessern. Die
Arbeitsweise der Fraktionen, der Parlamentsausschüsse und dergleichen werde
aber von der Geschäftsordnung des Landtags geregelt.
Wahlrechtsveränderungen dürften nicht versuchen, das Wahlergebnis insoweit
"nachzubessern". Das Landtagswahlgesetz müsse zwar die Nachfolge für
ausscheidende Abgeordnete lösen, um die Zahl der gesetzlichen Mitglieder des
Landtags zu erhalten. Das sei in § 40 LWG unter Beachtung der Grundsätze der
allgemeinen, freien, unmittelbaren, gleichen und geheimen Wahl geschehen. § 40
a LWG stelle demgegenüber keine systematisch oder aus zwingenden Gründen
der Vollzähligkeit des Parlaments notwendige Nachfolgeregel für einen
ausscheidenden Minister-Abgeordneten dar.
Interessanterweise sei der Tatbestand des "ruhenden Mandats" auch nicht in § 39
LWG geregelt worden, der die Mandatsverlustgründe in seinem Abs. 1 Ziff. 1 bis 4
enumerativ und abschließend aufzähle. Andernfalls wäre deutlicher geworden, daß
der Mandatsverlust für eine bestimmte Abgeordnetengruppe erweitert worden sei.
Weiterhin verwendeten die Abs. 6 und 7 des § 40 a LWG das Wort "zurücktreten".
Dieser Begriff setze einen Entschluß voraus; der nachgerückte Abgeordnete habe
jedoch überhaupt keine Entschlußfreiheit. Vielmehr müsse er das Parlament bei
Ausscheiden des Ministers aus der Landesregierung verlassen. Damit sei der
Status des Abgeordneten in sehr unsystematischer Weise berührt. Eine
entsprechende Regeltang sei der einfach-gesetzlichen Lösung auf keinen Fall
zugänglich; sie sei vielmehr bei Art. 75 und 77 HV anzusiedeln.
Darüber hinaus modifiziere § 40 a LWG das Regierungssystem. Er enthalte
Bestimmungen, die das gegenseitige Verhältnis von Regierung und Parlament
berührten und die konkrete Ausgestaltung des Gewaltenteilungsprinzips nach
hessischem Verfassungsrecht beeinflußten. Konsequenterweise habe deshalb die
Verfassung für Rheinland-Pfalz eine vergleichbare Bestimmung (Art. 81 Abs. 2) in
den Verfassungstext aufgenommen.
Der Verfassungsauftrag zur Wahlgesetzgebung der Verfassung des Landes
Hessen decke das "ruhende Mandat" nicht ab. Da andere Gesetzesvorbehalte der
Verfassung nicht ersichtlich seien, durch § 40 a LWG aber Verfassungsnormen
zumindest ausgestaltet würden, ohne daß der Landtag ein verfassungsänderndes
Gesetz beschlossen und eine Volksabstimmung herbeigeführt habe, sei diese
Vorschrift schon aus formellen Gründen verfassungswidrig.
2. Die Vorschrift des § 40 a LWG verstoße auch in materieller Hinsicht gegen
Bestimmungen der Verfassung des Landes Hessen.
a) Der Mandatserwerb nach § 40 a LWG sei mit dem Grundsatz der
Unmittelbarkeit der Wahl (Art. 73 Abs. 2, Art. 153 Abs. 2 HV in Verbindung mit Art.
38, 28 Grundgesetz - GG -) nicht vereinbar. Das Stimmrecht des Volkes sei
unmittelbar. Der Wähler müsse das letzte, das entscheidende Wort haben. Es
dürfe kein fremder Wille zwischen Wahl und Ergebnis geschaltet werden; vielmehr
dürften nach der Wahl zur Ermittlung des Ergebnisses nur noch Logik und
Mathematik gelten. Unbezweifelbar schiebe sich aber nach § 40 a LWG der freie
Wille und die fremde Entscheidung des Abgeordneten-Ministers zwischen die
Stimmabgabe des Volkes und die Ermittlung der Abgeordneten und beeinflusse
die Zusammensetzung des Landtags. Dadurch werde der
Unmittelbarkeitsgrundsatz des Art. 73 Abs. 2 HV verletzt.
Der Einwand, ein Abgeordneten-Minister könne durch freie Entscheidung auf sein
Mandat verzichten und dadurch die Zusammensetzung des Parlaments nach der
Wahl verändern, widerlege nicht die Annahme, daß seine Erklärung, sein Mandat
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Wahl verändern, widerlege nicht die Annahme, daß seine Erklärung, sein Mandat
für die Dauer seiner Amtszeit ruhen zu lassen, den Unmittelbarkeitsgrundsatz
verletze. Kein Abgeordneter könne gegen seinen Willen gezwungen werden,
Abgeordneter zu bleiben, wie überhaupt kein öffentliches Amt gegen den Willen
des Amtsinhabers behalten werden müsse. Deshalb sei für den Mandatsverzicht
eine Nachfolgeregelung erforderlich, für das "Ruhen des Mandats" gebe es aber
keine zwingende Begründung; reine Opportunität habe es hervorgebracht.
b) Die Einführung des § 40 a LWG verletze den Grundsatz der "Vorherigkeit" des
Wahlgesetzes bzw. der Wahlgesetzänderung. Von einer demokratischen Wahl
könne nur gesprochen werden, wenn die Bedingungen der Wahl in dem Wahlgesetz
vor der Stimmabgabe festgelegt seien. Dieser verfassungsimmanente Grundsatz
schließe nachträgliche Änderungen, die Erwerb und Verlust des Mandats beträfen,
schlechthin aus. Im Lichte dieses Grundsatzes sei die Änderung des
Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975 verfassungswidrig, weil sie in zwei
Fällen Mandatsverschiebungen im Vergleich zu dem Wahlergebnis vom 27.
Oktober 1974 ermöglicht habe.
Unter demselben Gesichtspunkt sei auch die Regelung des § 40 a Abs. 5 LWG sehr
bedenklich, weil sie Beschränkungen für den Bewerber in der Nachfolgeregelung
enthalte, die zur Zeit der Wahl noch nicht gegolten hätten.
c) Der Mandatsverlust nach § 40 a Abs. 6 und 7 LWG sei mit dem freien
Abgeordnetenmandat der Art. 75, 77, 153 Abs. 2 HV in Verbindung mit Art. 38, 28
GG unvereinbar. Art. 75 HV kenne nur den einheitlichen Typ von Abgeordneten mit
absolut gleichem Status untereinander. § 40 a LWG schaffe aber für den in das
Parlament nachgerückten Abgeordneten einen zusätzlichen Mandatsverlustgrund:
das Ausscheiden des Abgeordneten-Ministers, dessen Abgeordnetenmandat ruhe,
aus der Regierung. Das rheinlandpfälzische Wahlprüfungsgericht habe in seinem
Urteil vom 25. März 1954 dazu erklärt, das Widerausscheiden des Ersatzmannes
aus dem Parlament dürfe nicht von dem subjektiven Entschluß des Minister-
Abgeordneten abhängig sein, dessen Mandat geruht habe. Zwar versuche § 40 a
Abs. 1 Satz 2 LWG die Manipulierungsgefahr einzuschränken, indem er die
Erklärung über das Ruhen des Mandats als nicht widerruflich gestaltet habe, doch
seien damit die unzulässigen Einflußmöglichkeiten auf den Mandatsausüber
keineswegs ausgeschaltet. Vielmehr bleibe der Fingerzeig der Rücktrittsdrohung
als unzulässiges Zucht- und Disziplinierungsmittel eines Ministers gegenüber dem
sein Mandat ausübenden Abgeordneten. Schließlich stelle sich auch die Frage, wie
frei ein Mandatsausüber innerlich bei der Abstimmung über einen
Mißtrauensantrag sei, weil sein Verbleiben im Parlament von der weiteren
Amtsausübung des Ministers abhängig sei. Praktisch stehe der Mandatsausüber
zur jederzeitigen Disposition des Ministers. Zur Abgeordnetenfreiheit des Art. 77
HV gehöre aber auch die Sicherheit seines Status als Abgeordneter; über dessen
Beendigung müsse er selbst allein entscheiden können. Der Status des
Mandatsausübers nähere sich jedoch bedenklich dem eines Vertreters in der
Ausübung der Mandatsrechte, der mit dem Prinzip der Repräsentation unvereinbar
sei.
Schließlich werde dem Mandatsausüber auch ein Fraktionswechsel unmöglich
gemacht, weil der Minister-Abgeordnete jederzeit seinen Rücktritt androhen oder
erklären könne, was letztlich zum Ausscheiden des Mandatsausübers aus dem
Parlament führe.
d) Das Ruhen des Mandats des Minister-Abgeordneten sei mit den Prinzipien des
parlamentarischen Regierungssystems, wie es in den Art. 65, 70, 75, 101, 114 HV
ausgestaltet sei, nicht vereinbar.
Eine zwingende oder fakultative Unvereinbarkeit von Ministeramt und Mandat
verändere das parlamentarische Regierungssystem entscheidend. Deshalb könne
das "ruhende Mandat" nicht mit dem Gewaltenteilungsprinzip gerechtfertigt
werden. Um so weniger dürften die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten der
die Regierung tragenden Abgeordneten beschnitten werden, zumal die in der
Verfassungswirklichkeit festzustellende Verzahnung von Regierung und
Parlamentsmehrheit durch die Verfassung selbst vorgeprägt sei. Daraus ergebe
sich ein bestimmtes tatsächliches Machtübergewicht der Regierung, bedingt durch
die Verwaltungsführung, die Gesetzesinitiative sowie die Benutzung des
Regierungs- und Verwaltungsapparates. § 40 a LWG schaffe dagegen eine
besondere Klasse von Regierungskoalitionsabgeordneten, deren parlamentarische
Kontrollmöglichkeiten durch ihre Abhängigkeit von den Regierungsmitgliedern
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Kontrollmöglichkeiten durch ihre Abhängigkeit von den Regierungsmitgliedern
beschnitten werde.
Die angegriffene Regelung sei auch unter dem Gesichtspunkt der
Chancengleichheit der Opposition bedenklich; denn auch für sie könne das
Bedürfnis bestehen, zeitweise einen Abgeordneten für andere Aufgaben
freizustellen.
Entscheidend sei jedoch die Abhängigkeit der Mandatsausüber von den
Regierungsmitgliedern mit ruhendem Abgeordnetenmandat. Sie könnten jederzeit
auf eine fremde Stimme einwirken. Dieses Disziplinierungsmittel sei um so stärker,
je einvernehmlicher das Verhältnis des jeweiligen Ministers zu dem
Ministerpräsidenten sei, der sie nach ihrem Rücktritt und dem damit verbundenen
Ausscheiden des Dissidenten aus dem Parlament jederzeit wieder ernennen
könne. Diese politische Gestaltungsmöglichkeit sei gerade bei knappen
Mehrheitsverhältnissen durchaus nicht theoretisch, weil eine Regierung und die sie
tragende Parlamentsmehrheit dazu neige, ihre rechtlichen Möglichkeiten extensiv
zu nutzen, um die Regierungsmacht zu behalten.
III.
Der Staatsgerichtshof hat dem Hessischen Landtag, dem Vorsitzenden und
Berichterstatter des Landtagsausschusses, der mit den Vorarbeiten für das
Gesetz zur Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975 befaßt war,
sowie den Mitgliedern der Hessischen Landesregierung gemäß Art. 131, 132 HV, §
42 Abs. 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG - Gelegenheit zur
Äußerung gegeben. Der Vorsitzende und Berichterstatter des zuständigen
Landtagsausschusses hat sich nicht geäußert. Außer dem Ministerpräsidenten
haben die Mitglieder der Landesregierung keine gesonderte Stellungnahme
abgegeben.
1. Der Hessische Landtag hat - im Gegensatz zu den Antragstellern - beantragt
festzustellen,
§ 40 a des Landtagswahlgesetzes in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur
Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975 (GVBl. I S. 20) ist mit
der Verfassung des Landes Hessen vereinbar.
Er hat geltend gemacht: Die Regelung, das ein Ministar während seiner Amtszeit
auf sein Abgeordnetenmandat verzichten könne, entspreche der aus dem
Grundsatz der Gewaltenteilung abzuleitenden Inkompatibilität. Sie hätte in einem
einfachen Gesetz geregelt werden können. Das folge aus Art. 75 Abs. 3 HV. Die
Niederlegung des Abgeordnetenmandats wegen Übernahme eines Ministeramtes
zähle sicher zu den Handlungen, die eine Reihenfolgevariation der Liste erlaubten,
ohne den Unmittelbarkeitsgrundsatz zu verletzen. Auch der in § 40 a Abs. 6 LWG
1975 geregelte Abgeordnetenrückkehrautomatismus verletze den
Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht. Wenn ein ursprünglich Gewählter nach seinem
Ausscheiden wieder auf seinen nach gewählter Liste festgelegten Platz
zurückkehre, stelle er das originäre Wahlergebnis wieder her; er komme dadurch
sogar dem Wählerwillen näher; seine Entscheidung sei insofern identisch mit dem
Willen des Wählers.
§ 40 a LWG verletze auch nicht den Grundsatz der Vorherigkeit des Wahlgesetzes.
Die Regelung betreffe Rechte und Pf lichten nach der Wahl für die Gewählten.
Insofern könne die Rechtzeitigkeit für ein Wahlgesetz sehr wohl auseinanderfallen,
insbesondere für Regelungen, die nicht mehr dem Wahlrecht, sondern dem
Parlamentsrecht angehörten.
Ebensowenig verstoße § 40 a LWG 1975 gegen den Grundsatz des freien Mandats.
Eine solche Regel, die dem Parlamentsrecht zuzurechnen sei, könne nur dann
auch für die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesländer von Bedeutung sein,
wenn sie zu den Essentialien des demokratischen Prinzips gezählt werden müßte.
Eine Weisungs- und Auftragsungebundenheit des Abgeordneten gehöre
demgegenüber aber nicht zu den Grundfundamenten eines demokratischen
Prinzips, weil die Parlamentswirklichkeit, die von vielen Parteien getragen und
bestimmt werde, über Art. 21 GG zulässigerweise diese begrenze.
Schließlich verstoße § 40 a LWG auch nicht gegen den formalisierten
Gleichheitssatz. Die Innehaltung und Ausübung des Mandats innerhalb der
Abgeordnetentätigkeit sei für alle gleich, wobei alle auch gleichermaßen solches
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Abgeordnetentätigkeit sei für alle gleich, wobei alle auch gleichermaßen solches
Recht durch Fremdbestimmung vorzeitig verlieren könnten (Art. 80 HV). Daher
treffe auch die These von den drei Klassen von Parlamentariern nicht zu, wie es
auch den "privilegierten Minister-Abgeordneten" nicht gebe, sofern er sein Mandat
aufgegeben habe.
Im übrigen nimmt der Hessische Landtag zur Begründung auf das in seinem
Auftrage von Professor Dr. Dr. Leibholz im April 1977 erstellte Gutachten Bezug, in
dem die Verfassungsmäßigkeit des § 40 a des Hessischen Landtagswahlgesetzes
insbesondere unter dem Blickpunkt der parteienstaatlichen Demokratie bestätigt
wird.
2. Der Hessische Ministerpräsident hat beantragt,
der Staatsgerichtshof möge feststellen, § 40 a des Landtagswahlgesetzes in
der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes
vom 28. Januar 1975 (GVBl. I S. 20) ist mit der Verfassung des Landes Hessen
vereinbar.
Zur Begründung hat er sich auf das von ihm eingeholte Gutachten von Professor
Dr. Heinhard Steiger, LL.M. (Harvard), Gießen, vom 26. Januar 1976 berufen. Das
Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß § 40 a LWG nach den Grundsätzen der
verfassungskonformen Auslegung mit der Verfassung des Landes Hessen
vereinbar ist.
Ergänzend hat der Hessische Ministerpräsident vorgetragen:
Es gebe keinen Verfassungssatz, der vorschreibe, daß eine Regelung über das
Ruhen des Mandats nur durch formelle Änderung des Verfassungstextes
geschaffen werden könne. Das geborene und natürliche Organ der Rechtssetzung
sei der einfache Gesetzgeber. Seine Regelungskompetenz umfasse grundsätzlich
alles, was nicht bereits in der Verfassungsurkunde selbst über eine Materie
bestimmt sei. Die Hessische Verfassung überlasse das Wahlrecht der Regelung
durch Gesetz; sie beschränke sich in den Art. 71 bis 77 und 79 auf wenige
grundlegende Bestimmungen. Der Frage eines Verfassungsvorbehaltes zur
Regelung des ruhenden Mandats komme keine selbständige Bedeutung zu.
Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl werde durch eine Erklärung nach § 40
a LWG nicht berührt, weil der Erwerb des Abgeordnetenmandats durch den
Nachfolger eindeutig auf die Wählerentscheidung zurückzuführen sei, die
nachrückende Abgeordnete ebenso legitimiere wie ihre Vormänner. Trete ein
Regierungsmitglied nach dem Ausscheiden aus der Regierung wieder in das
Abgeordnetenamt ein, so werde die ursprüngliche Zusammensetzung des
Parlaments wieder hergestellt. Die Unmittelbarkeit der Wahl könne nicht auf den
Abgeordnetenstatus bezogen werden, weil dadurch der Grundsatz der
Unmittelbarkeit der Wahl mit der Mandatsfreiheit vermischt werde.
Eine Verletzung der Mandatsfreiheit könne weder in der Ungewißheit über die
zeitliche Dauer des Amtes des nachrückenden Abgeordneten noch in der
angeblichen inneren Abhängigkeit des Nachrückers von dem mit der Rückkehr in
den Landtag drohenden Minister gesehen werden. Die Festlegung der Wahlperiode
in Art. 79 Satz 1 HV beziehe sich nicht auf den einzelnen Abgeordneten, wie sich
aus der zwangsläufig kürzeren Amtszeit aller Nachrücker, der Möglichkeit
vorzeitiger Parlamentsauflösung und den schon bisher im Wahlgesetz
vorgesehenen Gründen des Mandatsverlustes ergebe. Für den Abgeordneten folge
aus der Vorschrift lediglich die abschließende zeitliche Begrenzung seines
Abgeordnetenmandats.
Die Freiheit der Mandatsausübung sei auch nach hessischem Verfassungsrecht
geschützt, werde aber durch § 40 a LWG nicht gefährdet.
In Interessenkonflikte, die sich einmal bei allen Entscheidungen ergeben könnten,
die den Verbleib des Ministers, der sein Mandat ruhen läßt, in der Regierung
gefährden könnten, und die sich zum anderen durch die Rücktrittsdrohung des
Ministers bei mangelndem Wohlverhalten gegenüber der Partei oder Fraktion
ergeben könnten, sei jeder Abgeordnete-gestellt, insbesondere wenn er über die
Auflösung des Landtages abzustimmen habe. Am schwersten wögen die
Interessenkonflikte der Minister-Abgeordneten bei der Vertrauensabstimmung, bei
Mißtrauensanträgen oder bei der Zustimmung des Landtages zu ihrer eigenen
Entlassung durch den Ministerpräsidenten wiegen. Die "Disziplinierung" eines sich
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Entlassung durch den Ministerpräsidenten wiegen. Die "Disziplinierung" eines sich
nicht konform verhaltenden Abgeordneten sei rechtlich und tatsächlich
ausgeschlossen. Voraussetzung wäre der Rücktritt des Ministers, der jedoch einen
solchen Entschluß kaum aus derartigen Motiven fassen und zudem eine mehr
oder weniger schwere Regierungskrise auslösen würde. Schließlich schiebe die
Unwiderruflichkeit der Erklärung über das Ruhenlassen des Mandats subjektiver
Willkür einen wirksamen Riegel vor. Ein Mißbrauch des ruhenden Mandats zur
"Disziplinierung" eines Abgeordneten lasse sich - letztlich durch das
Wahlprüfungsgericht - gleichfalls wirksam kontrollieren und verhindern.
Selbst wenn in der Verpflichtung des nachgerückten Abgeordneten zum
Freimachen des Mandats für den in das Parlament zurückkehrenden Minister ein
Eingriff in die Freiheit des Mandats gesehen werden sollte, wäre dieser
gerechtfertigt. Bei der Lösung der Konfliktslage zwischen Art. 38 und 21 GG müsse
hier der Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung das höhere
Gewicht zukommen. § 40 a LWG diene diesem Zweck, weil er den kleineren
Parteien helfen solle, ihren Part in Parlament und Regierung zu spielen. Die einzige
Alternative zum Ruhenlassen des Mandats sei seine Beibehaltung. Darüber hinaus
bleibe das Anwartschaftsrecht des Nachrückers auf ein unaufhebbares Mandat
bestehen. Die Möglichkeit, schon früher die volle Rechtsstellung eines
Abgeordneten zu erlangen, könne sich aus der Sicht des Bewerbers nur als Vorteil
darstellen.
Die Regelung des § 40 a LWG führe auch nicht zu einer Ungleichbehandlung von
Minister-Abgeordneten und Nachrückern. Hierbei müsse berücksichtigt werden,
daß die Mandatsruhe für die Minister-Abgeordneten auch erhebliche
Rechtseinbußen zur Folgte habe; sie verlören ihre parlamentarischen
Mitwirkungsrechte, die Rechte auf Indemnität und Immunität und ihren Anspruch
auf Zahlung von Diäten. Zudem sei die unterschiedliche Rechtsstellung des
Nachrückers, der sein Mandat nach Wiedereintritt des Ministers in den Landtag
freimachen müsse, im Verhältnis zu den anderen Abgeordneten sachlich
gerechtfertigt. Der Kern des Abgeordnetenstatus werde jedoch dadurch nicht
berührt; vielmehr erlange der Nachrücker die vollen parlamentarischen Rechte. Die
Regelung diene somit im Ergebnis der Effektivität der Parlamentsarbeit.
Schließlich verstoße das Inkrafttreten des § 40 a LWG in der laufenden
Legislaturperiode nicht gegen einen Verfassungsgrundsatz der "Vorherigkeit des
Wahlgesetzes". Ein solcher Verstoß könne zudem allenfalls zu einem
Anwendungsverbot für die laufende Legislaturperiode, nicht aber zur Nichtigkeit
der Regelung insgesamt führen. Die Regelung entfalte nur eine unechte
Rückwirkung; der Vertrauensschutz für die gewählten Abgeordneten, für die auf ihr
Nachrücken wartenden Bewerber und für die Wähler sei voll gewahrt.
IV.
Der Landesanwalt hat sich dem Normenkontrollverfahren angeschlossen und
beantragt,
der Staatsgerichtshof des Landes Hessen möge erkennen, § 40 a des
Landtagswahlgesetzes in der Fassung des Art. 1 des Änderungsgesetzes vom 28.
Januar 1975 (GVBl. I S. 20) ist mit Art. 65, Art. 76, Art. 77 i. V. m. Art. 79, Art. 73
Abs. 2, Art. 75 i. V. m. Art. 70 und Art. 71 sowie mit Art. 1 der Hessischen
Verfassung unvereinbar und nichtig.
Der Landesanwalt hat ein Rechtsgutachten von Professor Dr. Peter Schneider,
Mainz, erstatten lassen und dieses Gutachten über Mandatsruhe, Mandatsfreiheit
und Wählerperspektive vom 5. Juli 1976 zum Gegenstand seines Vorbringens
gemacht. Der Gutachter hält das Institut des ruhenden Mandats wegen Verletzung
der Mandatsfreiheit und Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der
Wahl und gegen das Prinzip der Vorgängigkeit des Wahlgesetzes mit Art. 75, 76,
77, 79, 1, 65, 70, 71, 73 Abs. 2 der Verfassung des Landes Hessen für nicht
vereinbar und damit für verfassungswidrig.
Der Landesanwalt hat als Verfassungsverstöße besonders hervorgehoben:
1. Die mit der angefochtenen Regelung des ruhenden Mandats für Minister-
Abgeordnete geschaffene Möglichkeit, Beginn und Ende der "Mandatsausübung"
durch nachrückende Abgeordnete frei bestimmen und damit deren politische
Entscheidungsfreiheit beeinflussen zu können, verstoße gegen die in Art. 65, 76,
77 HV in Verbindung mit Art. 79 HV verankerte Garantie der parlamentarischen.
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Mandatsfreiheit. Der Verfassungsrechtliche Status des freien Mandats garantiere
innerhalb der festgelegten Mandatszeit nicht nur die Unabhängigkeit und
Unverantwortlichkeit der Mandatsausübung gegenüber außerparlamentarischer
Fremdbestimmung, sondern schütze den Abgeordneten vor allem für die Dauer
der Legislaturperiode im Bestand des Mandats gegen unfreiwilligen Verlust durch
Entscheidung Dritter. Dieser verfassungsrechtliche Status der Mandatsfreiheit
werde in dreifacher Weise verletzt: Zunächst ermögliche die freie Auswahl
zwischen Mandatsverzicht oder Mandatsruhe den Minister-Abgeordneten nach
ihrem Ermessen das Anwartschaftsrecht des Nachfolgers auf Erwerb eines
vollwertigen, unentziehbaren Mandats (Folge eines Mandatsverzichts) in ein
Anwartschaftsrecht auf Eintritt in eine entziehbare Mandatsausübungskompetenz
(Folge einer Mandatsruhe) umzuwandeln. Erkläre sich ein Minister-Abgeordneter
für das Ruhen seines Mandats, so sei der nachrückende Mandatsanwärter
gezwungen, entweder den reduzierten Rechtsstatus eines abrufbaren
Mandatsausübers anzunehmen oder aus der Nachfolge ganz auszuscheiden.
Schließlich könnten die Minister, deren Abgeordnetenmandat ruhe, je nach freier
(koalitions-) politischer Lagebeurteilung durch Ausscheiden aus dem
Regierungsamt ipso iure ihren parlamentarischen Amtsverwesern die
Mandatsausübungsbefugnis wieder entziehen. Durch diese den Minister-
Abgeordneten gewährte kumulierte Rechtsmacht seien die Mandatsausüber schon
wegen der Aussicht auf ihre mögliche Abberufung politischen Disziplinierungen
ohne statusrechtlichen Schutz preisgegeben. Die dem Minister-Abgeordneten
gewährte Ermächtigung zur Abberufung aus dem Mandat (revokatives Mandat) sei
ein aus dem antiparlamentarischen Verfassungssystem entlehntes Institut, das
die parlamentarische Repräsentationsordnung prinzipiell verändere.
Die Grundposition vom "parteigebundenen Mandat", die Leibholz in seinem
Gutachten vertrete, sei für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen
Norm irrelevant.
Das parteigebundene Mandat sei nichts anderes als die Reinform des "imperativen
Mandats", bei dem die Abberufbarkeit des Gewählten ebenso in den logischen
Zusammenhang gehöre wie die Bewertung des Parlaments als eines Forums zur
gleichsam staatsnotariellen Beurkundung außerparlamentarischer
Vorentscheidungen von Parteigremien. § 40 a LWG gewähre aber keine
parteigebundene, sondern eine personale Kompetenz für Minister-Abgeordnete,
das Ruhen ihres Mandats erklären und die Mandatsruhe beenden zu können. Es
sei daher unmöglich, daß sich eine Kette von politischen Aufträgen vom Volkswillen
über den Willen der Parteienmehrheit, der mit dem Volkswillen "identisch" sei und
diesen in den Staat "integriere" (im Sinne von Leibholz), bis unmittelbar in die
personale Entscheidung von Minister-Abgeordneten über Eintritt und Beendigung
der Mandatsruhe fortsetze. Wenn das Wiedereintrittsrecht des Ministers zum
"Wesen" des ruhenden Mandats gehöre, sei diese Befugnis alles andere als ein
schlüssiger Nachweis, daß der ins Parlament zurückkehrende Minister rechtlich als
Vollstrecker des Volkswillens handele. Auch der Hinweis auf den unveränderten
parlamentarischen Fraktionsproporz sei untauglich, weil dieser sich in Systemen
mit einem imperativen Mandat im Falle der Auswechselung eines Abgeordneten
ebenfalls nicht ändere.
Zudem widerspräche die These vom parteigebundenen Mandat geltendem
Verfassungsrecht und der einschlägigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts. Leibholz unterscheide im Blick auf die Funktion der
Parteien nicht zwischen staatsfreier Willensbildung des Volkes und
Staatswillensbildung durch kompetenzrechtlich verfaßte Organe. Ungeachtet der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in enger Anlehnung an das
Wort von der "Mitwirkung" bei der Willensbildung des Volkes in Art. 21 GG den
Parteien die Rolle von außerstaatlichen Handlungseinheiten zuweise, die
Mittlerdienste für die politische Willensbildung des Volkes auf dem Wege zur
demokratischen Organkreation und Staatswillensbildung leisteten, trage Leibholz
seine Ursprungstheorie vor, wonach über die Parteien die Willensbildung des
Volkes mit der staatsorganisatorischen Willensbildung verschränkt sei. Nur so
werde verständlich, daß er der konkreten Entscheidung eines Ministers über Eintritt
und Ende der Mandatsruhe jeweils im voraus die Übereinstimmung mit dem
Partei-, d. h. dem Volkswillen, bescheinige. Indessen hätten sich sowohl das
Grundgesetz als auch die Hessische Verfassung zu keinem konstitutionellen
Prinzip so uneingeschränkt bekannt wie zu dem der repräsentativen Form der
Demokratie, ohne die Gesetzlichkeiten des pluralistischen Parteienstaates zu
verkennen. Nur die Verbindung parteien-demokratischer und repräsentativer
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verkennen. Nur die Verbindung parteien-demokratischer und repräsentativer
Elemente im demokratisch legitimierten freien Mandat gestatte es, daß einerseits
staatliche Herrschaft unter unabhängiger demokratischer Kontrolle entfaltet und
gegenüber dem Volk als Souverän sachbezogen verantwortet werden könne,
andererseits die reale demokratische Chance zur innerparteilichen Ausbildung
politischer Alternativpositionen und zur Abwehr von Oligarchietendenzen erhalten
bleibe. Es erscheine daher verfehlt, Art. 21 GG und Art. 38 GG in einen
unaufhebbaren "antinomischen Grundgegensatz" zu bringen. Vielmehr stelle der
verfassungsrechtlich verbürgte Schutz des Bestandes und der
eigenverantwortlichen Ausübung des Mandats gerade im Hinblick auf die faktische
Parteigebundenheit der Abgeordneten eine Freiheitsgewähr dar, die für die offene
demokratische Willensbildung in Fraktion und Partei bestimmend sei. Deshalb sei
mit dem Bundesverfassungsgericht bei der Lösung des jeweiligen Falles im
Spannungsfeld beider Normen zu ermitteln, welches Prinzip "bei der Entscheidung
einer konkreten verfassungsrechtlichen Frage" jeweils das höhere Gewicht habe.
Im Gutachten Leibholz gebe es jedoch weder eine Güterabwägung noch überhaupt
den Versuch einer fallbezogenen Gewichtung. Was dem Abgeordneten bleibe, sei
nur eine unter dem immanenten Vorbehalt stehende Freiheit, sich "parteikonform
zu verhalten". Dieses partei-imperative (parteigebundene) Mandat in einem
System der "gebundenen Repräsentation" (Max Weber) ergebe eine andere
Republik.
Neu, aber unhaltbar sei auch die These, die Hessische Verfassung bekenne sich
mangels einer dem Art. 38 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz GG vergleichbaren Norm zur
parteienstaatlichen Demokratie und damit auch zur grundsätzlichen
Parteigebundenheit des Mandats. Der zum traditionellen Besitzstand des freien
Mandats gehörige Satz von der Unabhängigkeit des Abgeordneten gegenüber
Aufträgen und Weisungen und seiner ausschließlichen Gewissensunterworfenheit
gehöre zu den immanenten Konstitutionsprinzipien der Art. 65, 76, 77 in
Verbindung mit Art. 79 HV; zudem gehöre das Prinzip des freien Mandats auch zu
den Essentialien des Homogenitätsgebots in Art. 23 Abs. 1 GG.
Im Übrigen sei der Hinweis, das "ruhende Mandat" diene dem Zweck, kleine
Fraktionen instandzusetzen, der Arbeitsüberlastung in Parlament und (Koalitions-)
Regierung zu begegnen und den Wählerauftrag zur Regierungsbildung in
Parlament und Exekutive "effektiv" zu erfüllen, nicht tragfähig, weil diese
"Überlastung" im parlamentarischen Regierungssystem der Hessischen
Verfassung eine selbstverständliche und systemimmanente Folge der prinzipiellen
Kompatibilität von Mandat und Regierungsamt, im übrigen eine Folge der Tatsache
sei, daß die betreffende Partei eben nur einen kleinen Wähleranteil habe.
Ebensowenig sei das Überlastungsargument geeignet, das parlamentarische
Wiedereintrittsrecht "ruhender Mandatare" zu erklären oder gar zu rechtfertigen.
Dafür werde vielmehr das Gebot geschaffen, daß die bisher regierenden und -
nach einem Koalitionsbruch - nunmehr opponierenden Parteiführer im Landtag
wieder aktionsfähig sein müßten. Dieses neue parlamentarische
Funktionserfordernis sei aber als Legitimationsbasis für das Wiedereintrittsrecht
des ehemaligen Ministers brüchig, weil er sich während der Zeit seiner
Regierungsverantwortung gerade von den Lasten des parlamentarischen
Präsenzrechts entpflichtet habe. Auch die parteienstaatlichen Tatsachen würden
bei diesem Rechtfertigungsversuch unzutreffend bewertet. Es treffe nicht zu, daß
die Mitwirkung der Parteiführer am parlamentarischen Entscheidungsprozeß ein
unerläßliches und regelmäßig erfülltes Funktionserfordernis darstelle. In Hessen z.
B. gehörten die Landesvorsitzenden aller drei im Landtag vertretenen Parteien
nicht dem Parlament an.
2. Die mit dem Institut des ruhenden Mandats verbundene Befugnis der Minister-
Abgeordneten, nach der Wahl durch ihre Willensentscheidung die personelle
Zusammensetzung des Parlaments und den Rechtsstatus ihrer Nachfolger sowohl
bestimmen als auch wieder ändern zu können, durchbreche den
Legitimationszusammenhang zwischen Wählern und Gewählten. Sie verletze den
in Art. 75 Abs. 2 HV normierten Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Dieser
Grundsatz besage vor allem, daß sich die personelle Zusammensetzung und der
Rechtsstatus der Abgeordneten einer Volksvertretung direkt auf die Legitimation
durch Volks wähl zurückführen lassen müsse und durch Willensentscheidungen
anderer nach der Wahl nicht mehr beeinflußt werden dürfe. Darüber hinaus fordere
er, daß das vom Bewerber im Nachfolgefall konkret erlangte Mandat in seiner
Rechtsqualität identisch sei mit dem Abgeordnetenamt, auf das er mit der Wahl
ein Anwartschaftsrecht erworben habe. Insoweit werde aber die Unmittelbarkeit
der Wahl verletzt, weil Minister-Abgeordnete einerseits befugt seien, nach freiem
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der Wahl verletzt, weil Minister-Abgeordnete einerseits befugt seien, nach freiem
Ermessen an Stelle eines Mandatsverzichts ihr Mandat ruhen zu lassen. Dadurch
werde ihrem Nachfolger der Eintritt in ein vollwertiges unentziehbares Mandat
verschlossen und die Entscheidung zwischen der Übernahme einer entziehbaren
Ausübungskompetenz oder dem Verlust ihres - durch Volkswahl bestätigten -
Anwartschaftsrechts auf Erwerb eines unentziehbaren Abgeordnetenmandats
aufgenötigte Diese qualitative Veränderung des Mandatsstatus lasse Leibholz
durchgängig beiseite Die Erklärung der Mandatsruhe sei keine "ähnliche Handlung
des Gewählten selbst", die nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nicht
verletze, weil sie eine Verfügung Über das Anwartschaftsrecht des Nachfolgers auf
Erwerb eines unbedingten Mandats enthalte. Andererseits werde den Minister-
Abgeordneten die Möglichkeit eingeräumt, durch den subjektiven Entschluß des
Rücktritts vom Regierungsamt den Nachfolgern die Mandatsausübungskompetenz
zu entziehen, um selbst im Parlament wieder als Mandatare auferstehen zu
können. Diese Vorgänge seien gelöst vom Wählerwillen, allein bedingt durch einen
an privilegierte Minister-Abgeordnete nachträglich offerierten gesetzlichen
Wechselmechanismus.
3. Der durch das angegriffene Änderungsgesetz nach der Landtagswahl vom 27.
Oktober 1974 eingeführte neue parlamentarische Rechtsstatus der widerrufbaren
Mandatsausübung widerspreche dem in Art. 75 in Verbindung mit Art. 70 und 71
HV ausgeformten demokratischen Grundsatz der Vorherigkeit des Wahlgesetzes.
Danach dürften die vom Volk gewählten Abgeordneten ihre Mandate nur nach
dem am Wahltag geltenden Wahlgesetz erwerben, ausüben und bis zum Ende der
Legislaturperiode unabhängig von Entscheidungen Dritter innehaben. Die Wahl
verliere in der parlamentarischen Demokratie ihre legitimierende Funktion, wenn
die Mandate der parlamentarischen Repräsentanten nicht mehr ausschließlich der
Entscheidung der Wähler zugerechnet werden könnten. Gleiches gelte, wenn für
die Wähler bei der Wahl nicht mehr berechenbar sei, welche Mandatare mit
welchem Rechtsstatus auf Grund welcher Fremdentscheidungen ins Parlament
einrückten und ausschieden. Schließlich enthalte das für alle Staatsorgane
geltende Demokratiegebot, sich nicht "in bezug auf den Prozeß der Meinungs- und
Willensbildung des Volkes zu betätigen", zugleich - erst recht - ein ausnahmsloses
Ingerenzverbot in bezug auf den Mandatsstatus gewählter Volksvertreter. Für die
gewählte Gesetzgebungskörperschaft seien daher - mit Wirkung für die laufende
Legislaturperiode - die Regeln für Erwerb, Innehabung, Ausübung und Verlust der
Mandate gewählter Volksvertreter unantastbar und unverfügbar. Leibholz würdige
den gerügten Verstoß gegen die Vorherigkeit des Wahlgesetzes nur unter dem
Aspekt, ob durch die angefochtene Norm der in der parlamentarischen
Sitzverteilung sich ausdrückende Wahlproporz verändert worden sei. Damit stelle
er sich aber nicht dem Verfassungsprinzip, wonach für die gewählte
Gesetzgebungskörperschaft - mit Wirkung für die laufende Legislaturperiode - die
statusrechtlichen Regeln über die Abgeordnetenmandate unantastbar seien.
4. Aus der Zulässigkeit der Verlängerung laufender Wahlperioden kommunaler
Vertretungen folge kein präjudizieller Legalitätsschein für die nachträgliche
Einführung des ruhenden Mandats. Während die Verschiebung fälliger
Kommunalwahlen nur bei umfassenden Gebietsreformen - unter eng umgrenzten
Voraussetzungen - durch zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls gerechtfertigt
sei, diene die nachträgliche Einführung des ruhenden Mandats unabhängig von der
verfassungsrechtlichen Beurteilung des Instituts gerade nicht dem Gemeinwohl,
sondern spezifisch parteipolitischen Interessen des kleineren Koalitionspartners
und seiner Führungsmannschaft. Vor allem werde aber in die personelle
Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaft und in den Mandatsstatus
ihrer gewählten Mandatare nachträglich eingegriffen.
5. Die mit der Novelle zum ruhenden Mandat bewirkte Aufspaltung der
Parlamentarier in drei Klassen, nämlich in "normale" Abgeordnete, in privilegierte
Minister-Abgeordnete und in nachrückende Mandatsverweser, sei unvereinbar mit
dem auch für die Mandatsausübung geltenden formalisierten Gleichheitssatz (Art.
1 und 73 Abs. 2 HV), nach dem alle Mitglieder des Parlaments einander formal
gleichgestellt und Differenzierungen in bezug auf den Abgeordnetenstatus
unzulässig seien. Die Ansicht von Leibholz, der Gleichheitssatz bleibe unversehrt,
da das Mandat im demokratischen Parteienstaat primär der Partei zuzurechnen
sei, habe in bezug auf den gerügten Gleichheitsverstoß keinen schlüssigen
Beweiswert. In der logischen Konsequenz dieser Doktrin liege es, die Partei mit
einer Weisungs- und Widerrufsbefugnis über die Ausübung aller der Partei
"zuzurechnenden" Mandate auszustatten. Dies sei aber die Verfassungslogik einer
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"zuzurechnenden" Mandate auszustatten. Dies sei aber die Verfassungslogik einer
anderen Republik.
6. Die dem Institut des ruhenden Mandats immanente Befugnis der "ruhenden
Mandatare" zur Rückkehr in das Parlament gebe ihnen eine unstreitig
verfassungswidrige Verfügungsmacht, weil sie ihre mit der Mandatsausübung
"belehnten" parlamentarischen Amtsverweser wegen nicht partei-, fraktions- oder
koalitionskonformen Verhaltens aus dem Parlament verdrängen könnten
(imperativ-revokatives Mandat). Ein rechtlicher Ausschluß dieser politischen
Disziplinierungschance durch verfassungskonforme Einschränkung des
Anwendungsbereichs auf Fälle der zweck- und funktionsgerechten Ausübung des
Rücktrittsrechts sei nicht denkbar. Zweck und Funktion des ruhenden Mandats
beständen vornehmlich darin, das politische Mandatsverlustrisiko für Minister -
Abgeordnete auszuschalten. Deshalb verknüpfe das Gesetz das Ausscheiden
ruhender Mandatare aus dem Regierungsamt unmittelbar und zwingend mit dem
Verlust der Mandatsausübungskompetenz für die Nachfolger. Die politische
Zwackrichtung oder gar die subjektive Motivation für die Ausübung des
Rücktrittsrechts seien für den Eintritt der gesetzlichen Rechtswirkung unwesentlich,
nicht objektiv überprüfbar und für eine verfassungskonforme Auslegung
unverwertbar. Andernfalls würden Zweck und Inhalt der angegriffenen Norm
zentral verändert werden. Eine politische Finalitätskontrolle des parlamentarischen
Wiedereintritts "ruhender Mandatare" sei offensichtlich auch nicht gewollt. Sie wäre
zudem mit der Mandatsfreiheit unvereinbar. Evident werde die
Verfassungswidrigkeit des Normzwecks, wenn man die systemspezifische Funktion
der Regelung gerade darin sehe, eine (kleine) Regierungspartei für den Fall des
Koalitionsbruchs zu befähigen, "ihre politischen Vorstellungen durch ihre führenden
Repräsentanten im Landtag selbst zur Geltung zu bringen". Bei dieser
Funktionsbestimmung werde die allgemeine Integrationsfunktion der
demokratischen Parteien in eine Führungskompetenz der Parteiminister verändert
und diese mit dem Gemeinwohl ("allgemeines Interesse") gleichgesetzt; das sei
eine in antidemokratischen Regimen geläufige Legitimationsideologie.
7. Abschließend weist der Landesanwalt darauf hin, die Entscheidung des
Staatsgerichtshofs in dem anhängigen Normenkontrollverfahren beziehe sich nur
auf die Rechtsfrage, ob § 40 a LWG gültig oder verfassungswidrig und nichtig sei.
Über die Auswirkungen der Entscheidung sei im anschließenden
Wahlprüfungsverfahren zu befinden. Bis zur Rechtskraft der "Entscheidung des
Wahlprüfungsgerichts, die rechtsgestaltender Natur sei und ex nunc wirke, bleibe
der Mandatsstatus der "Mandatsausüber" gültig, so daß auch die bis dahin unter
ihrer Mitwirkung gefaßten Organbeschlüsse des Landtags in ihrem Rechtsbestand
nicht versehrt würden, zumal die verfassungswidrige Norm nicht die proportionale
Sitzverteilung im Landtag an sich, sondern ausschließlich Person und Rechtsstatus
bestimmter Mandatsträger berühre. Es gebe keine Regel, nach der ein Staatsakt
deshalb unwirksam sei, weil das Organ, das ihn erlassen habe, falsch
zusammengesetzt gewesen sei.
V.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und der
Darlegungen in den von ihnen eingereichten Rechtsgutachten wird auf den Inhalt
der Akten und Gutachten verwiesen. Alle Verfahrensbeteiligten haben zu den
Rechtsgutachten, insbesondere soweit sie eine ihrem Rechtsstandpunkt
entgegengesetzte Meinung vertreten haben, Stellung genommen. Die Gutachten
sind in der Hauptverhandlung ausführlich zum Gegenstand der Erörterung
gemacht worden.
B.
I.
Der Antrag ist zulässig.
Nach Art. 131, 132 der Hessischen Verfassung - HV - trifft nur der
Staatsgerichtshof eine Entscheidung darüber, ob ein Gesetz oder eine
Rechtsverordnung mit der Verfassung im Widerspruch steht. Die Antragsteller
gehören nach Art. 131 Abs. 2 HV, § 17 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes über den
Staatsgerichtshof - StGHG - zu dem Kreis der Antragsberechtigten, die ein
Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor dem
Staatsgerichtshof einleiten können; sie umfassen mehr als ein Zehntel der
gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Hessischen Landtags. Das Recht des
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75
76
gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Hessischen Landtags. Das Recht des
Hessischen Landtags, des Hessischen Ministerpräsidenten und des
Landesanwalts, sich dem Verfahren anzuschließen und Anträge zu stellen, folgt
aus §§ 17 Abs. 2 Nr. 2, 5 und 6, 18 Abs. 2 StGHG.
Für einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle, bei der ausschließlich über die
Geltung und Wirksamkeit der Norm entschieden wird, ist kein besonderes
Rechtsschutzbedürfnis nachzuweisen. Es genügt das objektive Interesse an der
Klarstellung der Gültigkeit der Norm (ständige Rechtsprechung des StGH, zuletzt
im Urteil vom 7. April 1976 - P. St. 798 -, StAnz. 1976, 815 = ESVGH 26, 22 mit
weiteren Nachweisen). Ein derartiges Überprüfungsbedürfnis ist hier gegeben; es
sind Meinungsverschiedenheiten und Zweifel an der Gültigkeit der Norm
entstanden.
II.
Der Antrag ist auch begründet.
§ 40 a des Gesetzes über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen
(Landtagswahlgesetz - LWG -) in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur
Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975 (GVBl. I S. 20) ist mit
Art. 1, 65, 70, 71, 73 Abs. 2, 75, 76, 77, 79 der Verfassung des Landes Hessen
nicht vereinbar und nichtig (Art. 132 HV, § 43 StGHG).
Der durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28.
Januar 1975 (GVBl. I S. 20) eingefügte § 40 a in die Fassung des
Landtagswahlgesetzes vom 10. Januar 1974 (GVBl. I S. 42) - LWG - beruht auf Art.
73 Abs. 3, Art. 75 Abs. 3, Art. 76 Abs. 2 HV, wonach das Nähere über die Wahl der
Landtags abgeordneten durch das Wahlgesetz bestimmt wird. Ebenso wie die
Erstfassung des Landtagswahlgesetzes muß sich auch jede Äderung im Rahmen
der Rechtssätze und Grundgedanken der ermächtigenden Verfassungsnormen
und der Gesamtverfassung halten (vgl. StGH, Urteil vom 19. Mai 1976 - P. St. 757
-, StAnz. 1976, 1134 [1138]). Mit der Einführung des § 40 a LWG hat der
Gesetzgeber jedoch die von der Verfassung des Landes Hessen für die Wahl der
Landtagsabgeordneten gezogenen Grenzen überschritten.
III.
Die Verfassung des Landes Hessen hat sich zu einer "demokratischen und
parlamentarischen Republik" bekannt (Art. 65, 70, 150 HV). Diese
Grundsatzbestimmungen zur Idee der Staatsform und ihrer staatsrechtlichen
Verwirklichung beruhen auf politischen Grundvorstellungen, wie denn auch die
Normen. einer Verfassung als Verwirklichung einer politischen Idee zu betrachten
sind. Im Demokratieverständnis des hessischen Vorfassungsgebers gelangen
sowohl plebiszitäre (Art. 71, 1. Halbsatz, 116, 124 HV) als auch repräsentative
(Art. 71, 2. Halbsatz, 75 Abs. 1, 77 HV) Elemente zum Ausdruck.
Soweit das Volk selbst als handelndes Subjekt der Staatsgewalt auftritt, sind der
ideelle Träger und der tatsächliche Ausüber der Staatsgewalt identisch. Wenn das
Volk aber durch die Beschlüsse der verfassungsmäßig berufenen Organe handelt,
so wird: es durch diese repräsentiert.
Diese Spannungslage ist bei der Auslegung von Wahlrechtsvorschriften nur
dadurch aufzulösen, daß ermittelt wird, welches Prinzip im Einzelfall das höhere
Gewicht hat (vgl. BVerfGE 2, 1 [72 f]). Sie kann nicht dadurch aufgehoben werden,
wie Leibholz (Gutachten S. 23 f, 28) meint, daß der moderne Mehrparteienstaat
letztlich seinem Wesen wie seiner Form nach nichts anderes als eine
Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie oder - wenn man so will - ein
Surrogat der direkten Demokratie im Flächenstaat ist, in dem der Wille des Volkes
in Wirklichkeit mit Hilfe des Identitätsprinzips ohne Beimischung repräsentativer
Strukturelemente entsteht, und in dem das Parlament zur Stätte wird, an der sich
gebundene Parteibeauftragte treffen, um anderweitig, z. B. in Ausschüssen,
Fraktionen oder Parteikonferenzen getroffene Beschlüsse registrieren zu lassen.
Eine geschlossene staatsrechtliche Erklärung der Wahlen, des Parlaments und der
Stellung der Abgeordneten läßt sich auch in Hessen nur in der parlamentarischen
Repräsentation als Idee und als Institution finden. Zwar kommt den politischen
Parteien der durch Art. 21 Grundgesetz - GG -verliehene Status auch in der
Verfassungsordnung des Landes Hessen zu, weil die verfassungsrechtliche
Stellung der Parteien durch die Einwirkung des Art. 21 GG über Art. 28 Abs. 1 GG
auf die Verfassungen der Länder bestimmt wird (vgl. Zinn-Stein, Die Verfassung
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auf die Verfassungen der Länder bestimmt wird (vgl. Zinn-Stein, Die Verfassung
des Landes Hessen, Kommentar, 1963 ff., Vorb. III 5 vor Art. 75; BVerfGE 1, 208
[227]; 4, 375 [378]; 6, 367 [375]; 27, 10 [17]); doch wirken die Parteien
ausschließlich bei der Willensbildung des Volkes mit, während die Willensbildung
des Staates selbst durch die Organe des Staates, vornehmlich durch das
Parlament erfolgt.
Die politische Willensbildung des Volkes ist ihrem Wesen entsprechend als eine
Erscheinung des gesellschaftlich-politischen und nicht des staatsorganschaftlichen
Bereichs zu begreifen. In sie gehen neben anderen Faktoren die vielfältigen, sich
möglicherweise Widersprechenden, ergänzenden, gegenseitig beeinflussenden
Wertungen, Auffassungen und Äußerungen des Einzelnen, der Gruppe, der
politischen Parteien, der Verbände oder sonstiger gesellschaftlichen Gebilde ein,
die ihrerseits von einer Vielzahl von (politisch relevanten) Tatsachen beeinflußt
sind, zu denen auch Entscheidungen des Staates und Äußerungen und
Maßnahmen staatlicher Organe gehören (vgl. BVerfGE 8, 104 [113]; BVerfG, Urteil
vom 2. März 1977 - 2 BvE 1/76 -, DVBl. 1977, 419 [420]. Jene politische
Willensbildung des "Volkes kann trotz der Vermittlung durch die Parteien nicht mit
der Willensbildung des Parlaments als demokratische egalitäre Volksvertretung
identifiziert werden, weil diese auch auf Kompromissen zwischen den Fraktionen
der Regierungsparteien und der Oppositionsparteien beruht, so daß der endgültig
gebildete, im Abstimmungsergebnis niedergelegte staatliche Wille sich erheblich
von dem vorgeformten parteilichen Willen unterscheiden kann (so Achterberg, Das
rahmengebundene Mandat, 1975, S. 10; vgl. auch Steiger, Organisatorische
Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, S. 172 f.).
Wenn sich die Willensbildung des Volkes und die Willensbildung in den
Staatsorganen auch in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung vollziehen,
wobei die Parteien als "Sprachrohr" die politisch mündig gewordenen Aktivbürger
erst organisieren und aktionsfähig machen und den Bürgerwillen auch zwischen
den Wahlen zu verwirklichen vermögen (so Leibholz, Gutachten S. 19, 21), so
werden doch auch im demokratischen Parteienstaat durch die Wahl lediglich
Mandatsinhaber, d. h. vom Vertrauen der Wähler berufene Träger eines
öffentlichen Amtes als Vertreter des ganzen Volkes (vgl. BVerfGE 40, 296 [314])
bestellt. Ihnen wird nur eine globale, abstrakte Unterstützung gewährt, sie erhalten
aber vom Wähler keine Einzelaufträge zu seiner konkreten Interessenbefriedigung.
Das erklärt sich einmal aus dem Umstand, daß Mitglieder und Wähler der Parteien
zwei ganz verschiedene Gruppen - oft auch in der Interessenrichtung - sind, zum
anderen daraus, daß die Wähler sich keineswegs mit den Parteien identifizieren,
sondern allenfalls ihrem aktuellen (Wahl-) Programm zustimmen, oft sogar nur
Teilen desselben (vgl. Steiger, Organisatorische Grundlagen des
parlamentarischen Regierungssystems, S. 176 ff. mit weiteren Nachweisen,
insbesondere S. 178 FN 55). Auch bleibt die Wahl im Parteienstaat noch
personenbezogen, anderenfalls wäre nicht zu erklären, warum die Parteien ihre
Spitzenkandidaten auf die vordersten Positionen ihrer Listen setzen. Die
Zustimmung des Wählers kann zudem von dem Wahlprogramm der Partei, deren
Kandidaten er wählt, jedenfalls abweichen, wie denn auch Richtschnur für seine
Wahlentscheidung die Auswirkungen der von dem Kandidaten und seiner Partei
vertretenen Politik sein werden. Gerade in der Gegenwart kann nicht übersehen
werden, daß vor allem in den parlamentarisch bedeutsamen Parteien dem
Pluralismus Raum gegeben werden muß, weil nur dann die divergierenden
Meinungen einen politischen Standort finden.
In diesem Zusammenhang ist auch auf ein Phänomen hinzuweisen, das sich mit
der Vorstellung des demokratischen Parteienstaates und dem mit ihm
verbundenen existenziellen Begriff der Identität nicht vereinbaren läßt, nämlich die
Macht der Verbände und ihre mannigfaltigen Einflußmöglichkeiten. Diese finden
entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten bei Leibholz (Gutachten S. 24) keinen
Raum.
Der Staatsgerichtshof kann nur von dem Demokratieverständnis ausgehen, wie es
den maßgeblichen Vorschriften der Verfassung, die die demokratische Struktur
des Landes Hessen bestimmen, zugrunde liegt. Entsprechend sind die
Vorschriften über die Wahl und die Ausübung des Abgeordnetenmandats der
Hessischen Verfassung auszulegen.
IV.
§ 40 a LWG verletzt den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nach Art. 73 Abs.
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§ 40 a LWG verletzt den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nach Art. 73 Abs.
2 HV.
Nach Art. 77 HV sind die Abgeordneten die Vertreter des ganzen Volkes. Sie
werden vom Volke gewählt (Art. 75 Abs. 1 HV). Das hierbei auszuübende
Stimmrecht ist gemäß Art; 73 Abs. 2 HV allgemein, gleich, geheim und
unmittelbar. Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes sind diese
Wahlrechtsgrundsätze auch gemäß Art. 28 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 38
Abs. 1 GG für die Hessische Landtagswahlen anzuwendendes Verfassungsrecht.
1. Bei der Entscheidung, ob eine Wahl der Landtagsabgeordneten unmittelbar vom
Volk vollzogen ist, wird entscheidend auf die Wahlhandlung selbst abgestellt. Jede
abgegebene Stimme muß bestimmten oder bestimmbaren Wahlbewerbern
zugerechnet werden, ohne daß nach der Stimmabgabe noch eine Zwischeninstanz
nach ihrem Ermessen die Abgeordneten auswählt (ständige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts: BVerfGE 7, 63 [68]; 7, 77 [85]; 21, 355 [356];
überwiegende Meinung im Schrifttum: Hamann-Lenz, Kommentar zum
Grundgesetz, 3. Aufl. 1970, Art. 38 B 3; Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum
Grundgesetz, 4. Aufl., 1976, Art. 38, RdNr. 43; von Mangoldt-Klein, Das Bonner
Grundgesetz, Band II [1964], Art. 38 Anm. 3 2 d; Seifert, Bundeswahlrecht,
Kommentar, 3. Aufl., 1976, Art. 38 Anm. 10).
In Hessen wird die Landtagswahl nach einem modifizierten Verhältniswahlsystem
durchgeführt (§ 36 LWG 1974). Mit der Verteilung der Wählerstimmen auf
Wahlkreis- und Listenbewerber ist der unmittelbare Einfluß der Wahlhandlung der
Wähler auf das Wahlergebnis nicht in irgendeiner Form unterbrochen; denn bei
dieser unterschiedlichen Verteilung der abgegebenen Wählerstimmen bleibt das
Ergebnis weiterhin von der im Wahlakt bekundeten Willensentscheidung der Wähler
abhängig (BVerfGE 3, 45 [50]; 7, 63 [69]; 7, 77 [85]).
Der Wähler bestimmt, wem seine Stimme zugute kommen soll. Bei der Listenwahl
wird zwar dem Wähler die Möglichkeit beschränkt, eine bestimmte Einzelperson zu
wählen. Die Unmittelbarkeit der Wahl der Abgeordneten durch den Wähler wird
aber deshalb nicht aufgehoben, weil - wie die Antragsteller zutreffend ausführen -
das Wahlergebnis auch in diesem Fall von der Stimmabgabe ab nur unter Mithilfe
von Mathematik und Logik festgestellt wird. Die Zwischenschaltung eines vom
Wähler verschiedenen Willens ist ausgeschlossen. Mithin wird auch die Reihenfolge
der Kandidaten auf der Liste, in der sie für die Besetzung der Abgeordnetensitze
im Parlament heranzuziehen sind, von dem Wahlrechtsgrundsatz der
Unmittelbarkeit umfaßt.
Wie bei der Bestimmung der gewählten Kandidaten unmittelbar nach der Wahl
muß auch bei der späteren Nachfolge für ausgeschiedene Kandidaten der
Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl gewahrt bleiben (BVerfGE 3, 45 /51/).
Dieser Zusammenhang ist durch die in § 40 a LWG getroffene Regelung
unterbrochen.
Allerdings verletzt die nach § 40 a Abs. 1 LWG unwiderrufliche Ruhenserklärung des
Abgeordneten, der zugleich Mitglied der Landesregierung ist, den unmittelbaren
Einfluß des Wählers auf das Wahlergebnis noch nicht. Ebenso wie die
Nichtannahme des Gewählten, dessen Verzicht oder Rücktritt ist auch die
Ruhenserklärung nicht auf die Handlungsweise eines Dritten zurückzuführen. Mag
auch die Motivierung in der Verwirklichung parteiinterner Interessen zu suchen
sein, so beruht der Ausspruch doch letztlich auf einem freiwilligen Entschluß. Die
Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens des Gewählten ist aber dem Wähler
ebenso wie die Person des Nachfolgers bekannt, sei es im Wahlkreis, sei es auf der
Landesliste. Durch die Erklärung des Gewählten tritt insoweit keine Korrektur,
sondern nur eine Bedingung für den Erwerb des Abgeordnetensitzes für den
Nachfolger ein. Der Vorgang des Nachrückens wird noch vom Wählerwillen umfaßt;
der Wechsel in der Mandatsausübung zu diesem Zeitpunkt ist kein sich zwischen
Wahlakt und Wahlergebnis schiebender Vorgang. Vielmehr ist die Ruhenserklärung,
die sich auf die gesamte Dauer der Amtszeit als Minister bezieht, mit einer
Verzichtserklärung vergleichbar (vgl. dazu Wahlprüfungsgericht beim Landtag
Rheinland-Pfalz, AS Rh-Pf Bd. 3, 399 [400] und 407 [409]).
2. Eine Durchbrechung des Einflusses des Wählerwillens auf das Wahlergebnis ist
aber dann festzustellen, wenn der ehemalige Abgeordnete aus der
Landesregierung ausscheidet und wieder in das Parlament eintreten will (§ 40 a
Abs. 6 und Abs. 7 LWG). Dem Wiedereintritt muß vorausgehen entweder der
Rücktritt des Ministerpräsidenten, der zum Rücktritt der gesamten Regierung führt
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Rücktritt des Ministerpräsidenten, der zum Rücktritt der gesamten Regierung führt
(Art. 113 Abs. 1, 114 Abs. 4 HV), oder die Entlassung (Art. 112 HV) oder der
Rücktritt des Mitgliedes aus der Landesregierung (Art. 113 Abs. 1 HV), das die
Ruhenserklärung nach § 40 a Abs. 1 LWG abgegeben hatte. Dieses Ergebnis, das
zumindest in zwei der drei genannten Ausscheidensgründe nicht auf einer
Willensentscheidung des ehemaligen Abgeordneten beruht, führt aber nicht
automatisch zur Wiederübertragung des Abgeordnetenmandats. Mithin hat auch
dieser Teil des Instituts "ruhendes Mandat" keine unmittelbare Einwirkung auf das
Wahlergebnis. Das Ende des Ruhens und die sich daraus ergebenden Folgerungen
bestimmen sich nach §§ 40 a Abs. 7, 40 Abs. 4 Satz 2 und 3 in Verbindung mit §§
37 Abs. 2 und 38 LWG. Für den Wiedereintritt des ehemaligen Abgeordneten in den
Landtag bedarf es der Feststellung des Landeswahlleiters über das Ende des
Ruhens, des Zurücktretens des zuletzt berufenen Bewerbers und der
Benachrichtigung des ehemaligen Abgeordneten durch den Landeswahlleiter mit
der Aufforderung, sich binnen einer Woche schriftlich darüber zu erklären, ob er
das Mandat wieder ausüben will. Stillschweigen auf diese Aufforderung hin gilt als
Annahme (§ 38 Satz 2 LWG). Ebenso wie das Ausscheiden aus der
Landesregierung sind die Feststellung über das Ende des Ruhens und das
zurücktreten des zuletzt berufenen Bewerbers nur die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Wiedererlangung eines Abgeordnetenmandats; sie
vermögen nicht zugleich die Abgeordneteneigenschaft zu vermitteln. Hierfür ist
vielmehr allein die erneute Willensentscheidung des ehemaligen Abgeordneten
maßgebend, die er dem Landeswahlleiter gegenüber kundgeben muß. Denn erst
mit dem Eingang der Annahmeerklärung bzw. einer Nichtbeantwortung bis
Fristablauf erwirbt der ausgeschiedene Minister wieder die Rechtsstellung eines
Abgeordneten (§ 38 LWG). Auch für die Rückkehr auf den Abgeordnetensitz muß
die im Wahlakt bekundete Willensentscheidung des Wählers bestimmend sein,
wenn sie dem Grundsatz der Unmittelbarkeit entsprechen soll (BVerfGE 7, 77
[85]). Eine solche Beziehung kann hier jedoch nicht mehr festgestellt werden Die
im Zeitpunkt der Wahl festgelegte Nachfolge für ausscheidende Abgeordnete wird
durch die Rückkehrmöglichkeit unterbrochen, die erst nach der Stimmabgabe des
Wählers bei der Landtagswahl im Oktober 1974 durch § 40 a LWG dem ehemaligen
Abgeordneten eingeräumt worden ist.
Steiger (Gutachten S. 89) kann nicht darin zugestimmt werden, daß hier das durch
die unmittelbare Wahl begründete Grundverhältnis fortwirke und mithin die
unmittelbare Auswahl der Person des Amtswalters nicht vom Willen Dritter
abhänge. Ein solches Weiterbestehen entspricht nicht der Rechtswirklichkeit. Mit
dem Wirksamwerden der Ruhenserklärung ist der ein Ministeramt innehabende
Abgeordnete aus dem Parlament ausgeschieden. Seine Einwirkungen auf das
Wahlergebnis durch die Kundgabe seines Rückkehrwillens sind mithin Äußerung
eines Externen, eines Dritten. Der vom Ministerpräsidenten geäußerten
Auffassung, daß der Wiedereintritt in das Abgeordnetenamt eindeutig auf die
Wählerentscheidung zurückzuführen sei, weil die ursprüngliche Zusammensetzung
des Landtags mit der Rückkehr wiederhergestellt werde und auch der
rückkehrende Abgeordnete sein Mandat von der Wählerentscheidung ableite, kann
ebenfalls nicht gefolgt werden. Vom Wählerwillen wird keine beliebige
Auswechselbarkeit der Abgeordnetenanwärter umfaßt. Der Wille des Wählers
bezieht sich für den Fall des Ausscheidens eines gewählten Abgeordneten nur
unmittelbar und unteilbar auf dessen Nachfolger. Der ausscheidende Abgeordnete
ist vom Wähler nur solange legitimiert, als er sein Abgeordnetenmandat auch
selbst wahrnimmt. Die Rückkehr durch Ausübung eines subjektiven Ermessens
Dritter ist eine fremde Einflußnahme auf das Wahlergebnis.
3. Eine andere. Auslegung erfährt der Unmittelbarkeitsgrundsatz bei
Parlamentswahlen auch nicht deshalb, weil im geltenden Verfassungsrecht die
beiden Strukturprinzipien des repräsentativen Parlamentarismus und der
parteienstaatlichen Demokratie das Staatsleben beeinflussen (Art. 65, 70, 71 HV;
Zinn-Stein, a.a.O., Teil B, Einf. IV; vgl. auch Leibholz, Parteienstaat und
Demokratie, DVBl. 1951, 1, 67; ders., Der Strukturwandel der modernen
Demokratie, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 2,
1952; ders., Die Repräsentation in der Demokratie, 1973 [Sammlung Göschen, Bd.
6001]; Rinck, Der Grundsatz der unmittelbaren Wahl im Parteienstaat, JZ 1958,
193). Die Parlamentswahlen stellen den für die Willensbildung im demokratischen
Staat entscheidenden Akt dar. Sie sind in der repräsentativen Demokratie die dem
Volk gegebene Möglichkeit, seinen Willen kundzutun. Ohne die politischen Parteien
können allerdings in der modernen Massendemokratie Wahlen nicht mehr
durchgeführt werden. Durch die Wahlen entscheiden die Bürger über den Wert des
Programms einer politischen Partei und üben ihren Einfluß auf die Bildung des
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Programms einer politischen Partei und üben ihren Einfluß auf die Bildung des
Staatswillens aus. Für die Bürger wird die Wahlentscheidung dadurch vorbereitet,
daß ihnen im Wahlkampf die Programme und Ziele der verschiedenen politischen
Partelen dargelegt werden (BVerfGE 8, 51, [63]; 13, 54 [82 f]; 14, 121 [133]; 20,
56, [113]).
Zwar kann Steiger (Gutachten S. 10) darin zugestimmt werden, daß die Parteien in
der Regel durch ihre Führungselite in den Volksvertretungen tätig sind. Wegen ihrer
politisch-fachlichen Qualifikation und ihrer darauf beruhenden führenden Stellung
in der Partei und vor allem auch in der Fraktion werden die betreffenden
Abgeordneten bei entsprechender Mehrheit oft auch Mitglieder der
Landesregierung; denn sie gelten im allgemeinen als am besten geeignet, das
jeweilige Parteiprogramm und die jeweiligen aktuellen politischen Vorstellungen der
Partei im Wege der Personalunion von Staats- und Parteiamt zu verwirklichen.
Doch führt dieser hervorragende Einfluß der Parteien auf die Wahlen, die Auswahl
der Abgeordneten und die Regierungsbildung in Hessen in letzter Konsequenz
nicht zu dem Ergebnis, daß die Parteiführung die Parlamentsarbeit lenkt. Leibholz
(Gutachten S. 24 ff.) definiert eine moderne parteienstaatliche Demokratie als
einen Staat, in dem die Wähler einer Partei oder einer Koalition einen zeitlich
begrenzten Auftrag erteilen, der Bewerber mithin nur als Exponent seiner Partei
ohne besondere eigene politische Ausstrahlungskraft gesehen wird, der einer Fülle
von parteimäßigen Bindungen unterworfen ist, die entscheidend seihe Rede und
Abstimmung beeinflussen. In der Wahl sieht Leibholz nur eine Bestätigung einer in
den zuständigen Parteigremien getroffenen Vorentscheidung; Adressat der Wahl
sind nach seiner Auffassung in erster Linie die politischen Parteien, wobei er
allerdings anerkennt, daß ihnen untersagt ist, nach dem Wahlvorgang noch
Veränderungen der nominierten Kandidaten vorzunehmen (Gutachten S. 66, 67).
Offensichtlich hält er aber auch den Parteieneinfluß für so bestimmend, daß er in
der Äußerung des Rückkehrwillens eines Abgeordneten keine Zwischeninstanz
sieht, sondern die Wiederherstellung eines Zustandes, der exakt dem Wählerwillen
entspricht (Gutachten S. 68). Dieser perfekte Parteienstaat, der den
Abgeordneten nur ein parteigebundenes Mandat verleiht, entspricht indessen
weder der Verfassungswirklichkeit in Hessen noch der Struktur der
Landesverfassung.
Im Lande Hessen, einer demokratischen, parlamentarischen Republik (Art. 65 HV),
in der die Staatsgewalt unveräußerlich beim Volke liegt (Art. 70, 71 HV), leitet sich
die Legitimation des Abgeordneten zur Ausübung staatlicher Gewalt unmittelbar
aus der Volkswahl und nicht aus innerparteilichen Wahlen ab. Desgleichen darf
auch nicht unter dem Etikett staatlicher Hoheitsmacht auf die Wahlen zur
Vertretung des Volkes, als den Grundakt demokratischer Legitimation
parteiergreifend eingewirkt werden (BVerfG, Urteil vom 2. März 1977 - 2 BvE 1/76,
a.a.O., S. 421). Immerhin setzt die moderne parlamentarische Demokratie die
Existenz politischer Parteien voraus. Vor den Parlamentswahlen sammeln sie die
Meinungen, Interessen und Bestrebungen der Aktivbürger zu einem Programm der
zukünftigen Regierung. Die Aktivbürger ihrerseits bestimmen in den Wahlen den
Umfang der Einwirkung der politischen Parteien auf die Willensbildung und
Entscheidungen in den Staatsorganen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen
repräsentativen und plebiszitären Elementen bei der Bildung des Parlaments
fordert für den Bestand der Demokratie, daß der Erwerb der
Parlamentszugehörigkeit unmittelbar durch das Volk legitimiert ist und die
Rückbindung an den Volkswillen gewährleistet wird (Beratungen und Empfehlungen
zur Verfassungsreform, Schlußbericht der Enquete-Kommission
Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, Teil I: Parlament und Regierung,
herausgegeben vom Presse- und Informationszentrum des Deutschen
Bundestages in der Schriftenreihe "Zur Sache" 3/76, S. 49 f.). Der Parteiwille endet
daher mit der Aufstellung der Kandidatenliste. Die Entscheidung über den Erwerb
der Abgeordneteneigenschaft trifft der Wähler unmittelbar; sie kann dagegen nicht
nach ihrem Verlust während der Wahlperiode - durch eine entsprechende
Erklärung des ehemaligen Abgeordneten zurückerworben werden.
4. Der Verfassungsgrundsatz der Unmittelbarkeit des Stimmrechts (Art. 73 Abs. 2
HV) erfordert auch, daß die Mandatsverteilung, Verlust und Nachfolge nach den
am Wahltag geltenden Normen vollzogen werden (vgl. Nell, Ruhendes Mandat, JZ
1975, 519, 521, Fußnote 31 unter Hinweis auf BVerfGE 1, 14 [33], wo allerdings
allgemein mit dem Grundsatz der Demokratie argumentiert wird). Das trifft auf §
40 a LWG nicht zu; diese Vorschrift hat vielmehr rückwirkende Kraft. Sie ist nach
Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975
(GVBl. I S. 20) am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten. Verkündet ist das
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(GVBl. I S. 20) am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten. Verkündet ist das
Gesetz im Gesetz- und Verordnungsblatt, Teil I Nr. 3 vom 4. Februar 1975; der
Zeitpunkt des Inkrafttretens bestimmt sich daher auf den 5. Februar 1975. § 40 a
LWG findet jedoch bereits auf die am 27. Oktober 1974 gewählten Mitglieder des
Landtages Anwendung. Die Rechtsnorm wirkt auf gegenwärtige, noch nicht
abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und
berührt damit zugleich die Rechtsposition der betroffenen Abgeordneten
nachträglich im Ganzen. Der Wähler überträgt mit seinem Votum Staatsgewalt auf
den Abgeordneten. Folglich müssen sich seine Erwartungen an dem jeweiligen
Wahlgesetz orientieren können. Bei der Wahl konnte er nur damit rechnen, daß der
Gewählte auf sein Mandat verzichtet, die Wahl nicht annimmt oder daß das
Mandat durch den Tod des Abgeordneten erlischt, sieht man von einem
Selbstauflösungsbeschluß des Landtags nach Art. 80 HV ab.
§ 40 a LWG bringt dagegen eine neue Form des vorübergehenden Ausscheidens
bzw. einer zeitweisen Mandatsausübung. Hiermit ist eine so tiefgreifende
Änderung des Mandatsumfangs geschaffen worden, daß sie nicht den bisherigen
Formen der Beendigung zugeordnet werden kann. Das Wirksamwerden des § 40 a
LWG für die Wahlperiode 1974/1978 verletzt deshalb den
Unmittelbarkeitsgrundsatz des Art. 73 Abs. 2 HV auch unter dem Gesichtspunkt
der Vorherigkeit des Wahlgesetzes.
V.
§ 40 a LWG verstößt weiter gegen den für das Stimmrecht besonders wichtigen
Grundsatz der Gleichheit der Wahl nach Art. 73 Abs. 2 HV und verletzt den
allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 1 HV.
1. Nach dem Grundsatz der gleichen Wahl, wie er in Art. 73 Abs. 2 HV verankert
ist, muß jedermann seine staatsbürgerlichen Rechte in formal möglichst gleicher
Weise ausüben können, d. h. alle Wahlberechtigten müssen bei der Wahl gleich
behandelt werden, jeder Wähler muß über die gleiche Stimmkraft verfügen (so
BVerfG in ständiger Rechtsprechung, u. a. in BVerfGE 11, 266 [272]; 34, 81 [98];
vgl. auch Seifert, a.a.O., Art. 38 GG, RdNr. 21, S 50 f.). Dieser Grundsatz hat in der
neueren Entwicklung einen weit über diese seine geschichtliche Bedeutung
hinausgehenden Inhalt erfahren. Er gilt nicht nur für die Ausübung des aktiven und
passiven Wahlrechts im engeren Sinne, sondern auch für die Ausübung des
Abgeordnetenmandats (vgl. BVerfGE 40, 296 [317] für die Abgeordneten des
Bundestages).
Ebensowenig wie das Grundgesetz kennt die Verfassung des Landes Hessen im
Wahlrecht (insbesondere Art. 71, 73 Abs. 2 HV) oder im Parlamentsrecht
(insbesondere Art. 75, 76, 77 HV) irgendwelche für das Amt des Abgeordneten
erhebliche, in seiner Person liegende Umstände, die eine Differenzierung innerhalb
seines Status rechtfertigen könnten. Auch hat die Verfassung des Landes Hessen
die Frage, ob die Zugehörigkeit zur Landesregierung mit der gleichzeitigen
Ausübung eines Landtagsabgeordnetenmandates vereinbar ist, im Gegensatz zu
Art. 108 Abs. 1 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen und Art. 38 a
der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg nicht ausdrücklich
beantwortet. Die Festlegung von Unvereinbarkeiten ist als Durchbrechung des
Prinzips der allgemeinen (und gleichen) Wählbarkeit nur statthaft, wenn sie durch
die Verfassung angeordnet und zugelassen ist (vgl. Seifert, a.a.O., Art. 38, RdNr. 9,
S. 45). Indessen besteht Einigkeit darüber, daß das parlamentarisch-
demokratische Prinzip (vgl. Art. 65 HV) eine solche Ämtervereinigung nicht nur
zuläßt, sondern zur Regel macht; das parlamentarische Regierungssystem setzt
gewohnheitsrechtlich die Kompatibilität von Regierungsamt und
Abgeordnetenmandat als Selbstverständlichkeit voraus (vgl. Friesenhahn,
VVDStRL Bd. 16 [1958] S. 9 [34 f.]; Sturm, Die Inkompatibilität, 1967, S. 91 f.;
Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O., Art. 66, Rdnr. I; v. Mangolde - Klein, a.a.O., Art. 66,
Anm. IV, 2 a; Liesegang in Grundgesetz-Kommentar, Hrsg. Ingo von Münch, Bd. 2,
1976, Art. 66 GG, Rdnr. 5). In Hessen ist daher die gleichzeitige Mitgliedschaft in
Landtag und Landesregierung zulässig, obgleich sie dazu führt, daß dieselben
Personen die Funktionen von Legislative und Exekutive ausüben (vgl. Zinn-Stein,
a.a.O., Art. 75, Anm. 24).
Die Trennung zwischen Regierungsamt und Abgeordnetenmandat, mit der die
Einführung des ruhenden Mandats auch gerechtfertigt worden ist (vgl. Hess.
Landtag, 8. Wahlperiode, 3. Sitzung, Stenographischer Bericht 8/3, S. 37), mag
zwar vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung als "idealtypisch" anerkennenswert
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zwar vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung als "idealtypisch" anerkennenswert
sein, entspricht aber weder der Verfassungsrechtslage noch der
Verfassungswirklichkeit in Hessen. Bisher waren jedenfalls die Mitglieder der
Landesregierung regelmäßig auch Mitglieder des Landtages. Der Sinn des
Gewaltenteilungsprinzips, das auch der Verfassung des Landes Hessen zugrunde
liegt (StGH, Urteil vom 24. November 1966 - P. St. 414 - ESVGH 17, 1 [15]=
StAnz. 1966, 1612 = DÖV 1967, 51), ist nicht die scharfe Trennung der Funktionen
der Staatsgewalt, sondern ihre Begrenzung und gegenseitige Kontrolle (so StGH,
Urteil vom 19. Mai 1976 - P. St. 757 -, StAnz. 1976, 1134 [1142]). Gewisse
Grenzüberschreitungen sind zulässig; erst wenn eine Gewalt in den Bereich der
anderen gestaltend eingreift, ist eine Verletzung des Grundsatzes der
Gewaltenteilung festzustellen (vgl. Nell, JZ 1975, 519 unter Hinweis auf Scheuner,
DÖV 1957, 633 [635]; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der
Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl. 1975, § 15 II 5, S. 238 f.). Die personelle
Verflechtung von Regierung und Regierungsfraktionen ermöglicht den
Abgeordneten indes nach wie vor besondere Einflußnahme, Kontrolle und Kritik der
Regierung. Deshalb werden die Regierungsmitglieder im Regelfall aus den
Parlamentsfraktionen entnommen, die die Regierung tragen. Sie haben dadurch
auch die Möglichkeit, die Fraktion - unbeschadet ihrer Bindung an die
Kabinettsdisziplin - für ihre Vorstellungen zu gewinnen (vgl. dazu Lohmeier, DVBl.
1977, 405 [406 f.] mit weiteren Nachweisen). In diesem Sinne kann die
Kompatibilität zwischen Regierungsamt und Abgeordnetenmandat als Bestandteil
des parlamentarischen Systems angesehen werden. Sie stärkt den Kontakt
zwischen der Regierung und den sie tragenden Abgeordneten und führt zur
gegenseitigen Absprache bei den zu treffenden Entscheidungen. Insoweit spricht
sie eher gegen die Einführung des ruhenden Mandats, weil es den Minister-
Abgeordneten gerade dieser Wechselwirkung von Parlament und Regierung
entzieht (vgl. Schneider, Gutachten, S. 22; StGH, Urteil vom 7. Januar 1970 - P. St.
539 -, StAnz. 1970, 342 [348] = ESVGH 20, 206 [216] = DÖV 1970, 243 = DVBl.
1970, 524 [L]).
2. Der Grundsatz der gleichen Wahl unterscheidet sich vom allgemeinen
Gleichheitssatz durch seinen formalen Charakter (vgl. BVerfGE 13, 243 [246]; 28,
220 [225]. Für den Staus der Abgeordneten bedeutet er, daß alle Mitglieder des
Landtages einander formal gleichgestellt sind (vgl. BVerfGE 40, 296 [318]), ein
Gesichtspunkt, den Leibholz in seinem Gutachten nicht berücksichtigt, weil er allein
den in das Verfassungssystem eingebetteten Wahlvorgang als den
entscheidenden Anknüpfungspunkt sieht, an dem der Grundsatz der Gleichheit der
Wahl und seine potentielle Verletzung letzthin gemessen werden müsse
(Gutachten S. 70). Entscheidend ist aber in diesem Zusammenhang nicht der
Zähl- und Erfolgswert der Wählerstimmen, wie auch Steiger (Gutachten S. 91)
annimmt, sondern der Unterschied im Status der Abgeordneten.
Mit der Einführung des ruhenden Mandats durch § 40 a LWG hat der Gesetzgeber
unverkennbar drei Gruppen von Landtagsabgeordneten geschaffen, deren
Mandatsausübung von Beginn und Ende her unterschiedlich bestimmt bzw.
bestimmbar ist. Die unmittelbar gewählten Abgeordneten können ihr Mandat
während der gesamten Wahlperiode auf vier Jahre innehaben und ausüben (Art. 79
HV); die Minister-Abgeordneten können dagegen ihr Mandat durch
Ruhenserklärung vorzeitig beenden und nach Ablauf ihrer Amtszeit in der
Landesregierung wieder ausüben (§ 40 a Abs. 1 und Abs. 7 Satz 2 in Verbindung
mit §§ 37 Abs. 2, 38 LWG), während schließlich ein zur Mandatsausübung
berufener Nachfolger, der die Ausübung des Mandats ablehnt, auch für die
Nachfolge nach § 40 LWG ausscheidet (§ 40 a Abs. 5 LWG) oder bei
Wiederaufnahme des Mandats durch den ehemaligen Minister aus dem Landtag
zurücktritt (argumentum aus § 40 a Abs. 6 LWG). Diese Aufspaltung der
Mandatsausübungskompetenzen verletzt den Grundsatz der gleichen Wahl des
Art. 73 Abs. 2 HV. Sie wirkt sich für den Minister-Abgeordneten dahin aus, daß er -
statt des Verzichts nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 LWG, der sein endgültiges Ausscheiden
aus dem Landtag bedeuten würde - sein Mandat ruhen lassen und nach Ende
seiner Amtszeit in der Landesregierung wieder annehmen kann. Damit steht das
Mandat des nachrückenden Abgeordneten anders als die Mandate aller übrigen
Abgeordneten - zugleich unter einer auflösenden Bedingung, ein Gegensatz, den
auch Leibholz (Gutachten S. 72) und Steiger (Gutachten S. 97) einräumen. Der
Unterschied im Status des Nachfolge-Abgeordneten läßt sich aber nicht dadurch
ausgleichen, daß die Wähler letztlich für die Partei gestimmt und damit schon bei
der Wahl mit den als Wahlbewerbern auftretenden Kandidaten als Abgeordneten
gerechnet haben. Diese allein aus der Vorstellung des demokratischen
Parteienstaates gewonnene Erkenntnis verkürzt den Grundsatz der Wahlgleichheit,
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Parteienstaates gewonnene Erkenntnis verkürzt den Grundsatz der Wahlgleichheit,
weil er sich auch auf die Ausübung der Mandate und damit auf Beginn und Ende
des Abgeordnetenstatus auswirkt. Die Möglichkeit des vorzeitigen Verlustes durch
die Erklärung eines Dritten begründet die Ungleichheit des Mandats für den
Nachfolge-Abgeordneten.
Die Befugnis des Minister-Abgeordneten, sein Mandat nach § 40 a Abs. 1 LWG
ruhen zu lassen, verletzt den Anspruch der Abgeordneten auf ein gleiches Mandat,
weil sie anderen Abgeordneten, mögen sie den Regierungsfraktionen angehören
oder der Opposition, nicht zusteht. Sie bezieht sich auch auf die Ausübung des
Amtes als Abgeordneter, weil jeder Abgeordnete die Pflicht hat, das Mandat, das
ihm vom Wähler Überträgen worden ist und das er einmal angenommen hat, auch
auszuüben. Eine irgendwie geartete Stellvertretung im weitesten Sinne gibt es für
das Abgeordnetenmandat nicht (vgl. Wahlprüfungsgericht beim Landtag
Rheinland-Pfalz in AS Rh.-Pf. Bd. 3, 399 [403]). Begrenzt wird diese Pflicht zur
Wahrnehmung des Mandats lediglich durch den Ablauf der Wahlperiode (Art. 79
Satz 1 HV), die Selbstauflösung des Landtags (Art. 80 HV) und durch die
Mandatsfreiheit, zu der nach herrschender Auffassung auch das Recht zum
Verzicht gehört.
Der zusätzliche Verlustgrund (Wiederaufnahme des Mandats nach Ende der
Amtszeit des Ministar-Abgeordneten) für den Nachfolger in ein ruhendes Mandat
stellt sich unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit aller Mandate ebenfalls als eine
unzulässige Ungleichbehandlung dar. Die Mandatsdauer der übrigen
Abgeordneten ist allein von dem Ablauf der Wahlperiode (Art. 79 Abs. 1 Satz 1 HV)
begrenzt, sieht man von der Möglichkeit des Verzichts auf das Mandat oder von
dem Ausnahmefall eines Auflösungsbeschlusses des Landtags nach Art. 80 HV ab.
Der Abgeordnete kann also nach seiner Wahl mit einer zeitlich festgelegten
Amtsdauer rechnen und seine Aktivitäten darauf einstellen, seine politischer.
Vorstellungen in der Parlamentsarbeit durchzusetzen, die ihm. von der -
Wählerschaft übertragenen Aufgaben zu erfüllen und seine politischen Ziele zu
verwirklichen. Das Risiko seiner Wiederwahl hat er allein zu tragen. Demgegenüber
sieht sich der Nachfolge-Abgeordnete, der während der Amtszeit eines Minister-
Abgeordneten dessen Mandat ausübt, in einer ungleich ungewisseren Position. Er
muß immer damit rechnen, durch die Willensentscheidung eines Dritten, nämlich
die Erklärung des ehemaligen Ministers, sein Abgeordnetenmandat wieder
auszuüben (vgl. § 40 a Abs. 7 Satz 2 in Verbindung mit §§ 37 Abs. 2 und 38. LWG)
die nicht auf dem Wählerwillen beruht, sein Mandat wieder. zu verlieren und aus
dem Landtag auszuscheiden. Im Gegensatz zu den anderen Abgeordneten kann
er seine Parlamentsarbeit nicht langfristig, bezogen auf die gesamte Wahlperiode,
planen und einteilen. Sein Status ist also insofern ein anderer, wenn er auch sonst
in seinen Rechter als Abgeordneter (Rede- und Abstimmungsbefugnis,
Mitgliedschaft in Ausschüssen usw.) den anderen Mitgliedern des Landtags
gleichgestellt ist.
3. Ausnahmen von der formalisierten Statusgleichheit aller Abgeordneten
bedürfen besonderer rechtfertigender Gründe, so daß dem Gesetzgeber bei der
Ordnung des Wahlrechts, zu dar auch die Regelungen über den Status der
Abgeordneten gehören, nur ein eng bemessener -Spielraum für Differenzierungen
verbleibt (vgl. BVerfGE 11, 266 [272], 351 [361]; 34, 81 [99]). Für die Einführung
des ruhenden Mandats und die damit verbundene Sonderstellung des Minister-
Abgeordneten und seines Nachfolgers ist ein zwingender Grund jedoch nicht
ersichtlich.
a) Wenn auch das Institut des ruhenden Mandats an die besonderen funktionalen
Beziehungen zwischen dem Minister- und dem Abgeordnetenamt anknüpft, die in
dieser Weise für die anderen Abgeordneten nicht bestehen, weil sie nicht
gleichzeitig Mitglieder zweier Verfassungsorgane sind (so Leibholz, Gutachten S.
72, und Steiger, Gutachten S. 94), so sind diese besonderen Verhältnisse im
Hinblick auf die Pflicht zur Wahrnehmung des Abgeordnetenmandates kein
sachlich zureichender Grund, um eine unterschiedliche Behandlung bei Beginn und
Ende des Abgeordnetenamtes und damit bei der Ausübung des
Abgeordnetenmandats zu tragen. Die Verfassung des Landes Hessen kennt - wie
dargelegt - keine Inkompatibilität zwischen Ministeramt und Abgeordnetenmandat.
Deshalb läßt sich das Institut des ruhenden Mandats auch nicht mit der Erwägung.
rechtfertigen, wie Steiger (Gutachten S. 94 f.) es versucht, die Beschränkung der
Rechte aus § 40 a Abs. 1 LWG auf die Minister-Abgeordneten sei weniger als die
Inkompatibilität, diese widerspreche aber nicht dem Abgeordnetenverhältnis und
sei auch keineswegs immer in den Verfassungsgesetzen enthalten (vgl. § 7 Abs. 3
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sei auch keineswegs immer in den Verfassungsgesetzen enthalten (vgl. § 7 Abs. 3
Hessisches Beamtengesetz - HBG - in der Fassung vom 16. Februar 1970, GVBl. I
S. 110). Vielmehr bürdet die Verfassung des Landes Hessen die besonderen
Aufgaben, die mit der Wahrnehmung politischer Führung und Gestaltung im
parlamentarischen. Regierungssystem verbunden sind, den jeweiligen
Abgeordneten auf. Die für das ruhende Mandat in Anspruch genommene Funktion,
das parlamentarische Regierungssystem effektiver zu gestalten, läuft der der
Kompatibilität von Amt und Mandat zugrundeliegenden Vorstellung geradezu
zuwider, einen engen Kontakt zwischen der Regierung und den die Regierung
stützenden Fraktionen zu sichern (vgl. dazu Zinn-Stein, a.a.O., Art. 75 Anm. 24).
Der Umstand, daß für jeden, der ein durch eine Erklärung nach § 40 a Abs. 1 LWG
frei gewordenes Mandat übernimmt, auch persönlich von vornherein klar ist, daß
er es gegebenenfalls wieder aufgeben und aus dem Landtag ausscheiden muß,
vermag den Unterschied im Status der Abgeordneten nicht zu rechtfertigen, weil
eine Ausnahme von dem formalisierten Grundsatz der Gleichheit der Mandate im
Sinne eines vernünftigen Grundes, wie ihn Steiger (Gutachten S. 97) annimmt,
nicht zu erkennen ist. Zum einen widerspricht die Absicht, durch das Institut des
ruhenden Mandats die besonderen funktionellen und sachlichen Probleme des
parlamentarischen Regierungssystems aufzulösen, den Grundvorstellungen der
Verfassung des Landes Hessen, die gerade von der Kompatibilität von
Regierungsamt und Abgeordnetenmandat ausgeht. Zum anderen kann das
Argument, das ruhende Mandat diene in diesem Verbindungssystem dem Zweck,
die systemimmanente Härte der Doppelbelastung zu vermeiden, den zusätzlichen
Verlustgrund für den Nachfolger des Minister-Abgeordneten und das
Wiedereintrittsrecht des ehemaligen Mitgliedes der Landesregierung nicht mehr
rechtfertigen. Endlich führt auch die Erwägung, die Möglichkeit der vorzeitigen
Mandatsausübung durch den Bewerber im Falle der Mandatsruhe sei ein Ausgleich
für das Risiko, aus dem Landtag zurücktreten zu müssen, wenn der ehemalige
Minister sein Abgeordnetenmandat wieder aufnimmt, nicht zur Gleichheit im
Mandat. Der zeitliche Vorteil gleicht den Nachteil der Ungewißheit über die Dauer
seiner Rechtsstellung als Abgeordneter nicht aus; denn der Eintritt des
Nachfolgefalles ist auch sonst zeitlich unbestimmt, während das Ende der
Mandatsausübung in der Regel allein von dem Ablauf der Wahlperiode bestimmt
wird.
b) Die durch die Einführung des ruhenden Mandats bewirkte Ungleichheit im
Abgeordnetenstatus läßt sich auch nicht dadurch wieder aufheben, daß man die
Rechtsstellung des Abgeordneten in das Grundverhältnis, das Amts Verhältnis und
das Statusverhältnis gliedert (so Steiger, Gutachten S. 27 ff.). Geht man von
dieser Konstruktion aus, so verliert der Minister-Abgeordnete, der sein Mandat
ruhen läßt, die Amtswalterschaft; das Grundverhältnis bleibt bestehen; es ist die
Grundlage für seinen Wiedereintritt in den Landtag nach seinem Ausscheiden aus
der Landesregierung. Der Nachfolge-Abgeordnete kann deshalb nicht in das
Grundverhältnis des "freigewordenen" Mandats einrücken, sein "Mandat" ist also
ein Amts- und Statusverhältnis ohne Grundverhältnis. Ein solches Mandat kann
jedoch unter dem Blickwinkel der Gleichheit aller Abgeordnetenmandate nicht als
ein Mandat wie alle anderen qualifiziert werden (vgl. dazu Schneider, Gutachten S.
36).
Versucht man nun, auch die Stellung des Nachfolge-Abgeordneten von einem
Grundverhältnis her zu verstehen, was für die Innehabung eines "Vollmandats".
Voraussetzung wäre, so müßte man die Zahl der Grundverhältnisse mit dem
Eintritt des Nachrückers um eines vermehren, was. nach der Ansicht von Steiger,
(Gutachten S. 47) unerheblich ist. Indessen ist das Grundverhältnis auf die
Wahrnehmung oder Innehabung eines Mandates mit den entsprechenden Rechten
und Pflichten oder Zuständigkeiten gerichtet (ebenso Steiger, Gutachten S. 27
unter Hinweis auf Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl. 1970, § 73 III b 3, S. 34). Bei
der Mandatsruhe bestünden dann aber zwei Gründverhältnisse und damit zwei
subjektive Rechte von Abgeordneten auf ein und dasselbe. Mandat. Insoweit wirkt
sich die Vermehrung der Grundverhältnisse aus. Nimmt der ehemalige Minister
sein Abgeordnetenmandat wieder an, so tritt der Mandatsausüber wieder zurück (§
40 a Abs. 6, 7 LWG), sein Grundverhältnis wird wieder zum - allerdings wesentlich
schwächeren - Nachfolgerecht (so auch Steiger, Gutachten S. 47). Diese Regelung
wirkt zu Gunsten des Minister-Abgeordneten und zu Lasten des Nachrückers. Ihre
Ungleichheit im Mandat wird offenbar.
Der Minister-Abgeordnete, der sein Mandat ruhen läßt, kann auch nicht als
"gewählter Bewerber" mit dem Nachrücker vor Eintritt der Mandatsruhe verglichen
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"gewählter Bewerber" mit dem Nachrücker vor Eintritt der Mandatsruhe verglichen
werden. Der Hauptunterschied zwischen dem "gewählten Bewerber" und dem
"bedingt mitgewählten Listenbewerber" besteht darin, daß das Anwartschaftsrecht
des Listenbewerbers ein Nachfolgerecht ist; dagegen ist das Recht des Minister-
Abgeordneten aus dem auch während des Ruhens seines Mandats als
fortbestehend angenommenen Grundverhältnis ein Recht auf Wiedereintritt in das
Mandat (vgl. Schneider, Gutachten S. 38). Beide Grundverhältnisse gewähren also
unterschiedliche Rechtspositionen, die nicht vergleichbar sind.
4. § 40 a LWG läßt sich auch nicht mit dem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz
(Art. 1 HV) entwickelten Differenzierungsgebot rechtfertigen, Ungleiches ungleich
zu behandeln, um der Doppelbelastung der Minister-Abgeordneten durch ihr
Ministeramt und ihr Abgeordnetenmandat entgegenzuwirken und um die
Arbeitsfähigkeit kleinerer Fraktionen, die an der Regierungsverantwortung
teilhaben, oder gar die Parlamentsarbeit insgesamt zu verbessern.
Läßt schon die Verfassung des Landes Hessen die Doppelbelastung der Minister-
Abgeordneten durch zwei öffentliche Ämter zu, so zeigt auch die
Verfassungswirklichkeit, daß ein Minister die gesamten personellen und
technischen Kapazitäten seines Ministeriums als Hilfe für seine Tätigkeit als
Abgeordneter im Parlament nutzen kann und nutzt, ein Vorteil, den auch
parlamentarische Hilfsdienste nicht zu ersetzen vermögen. Selbst eine faktische
Mehrbelastung des Minister-Abgeordneten wäre hiernach rechtlich nicht als
Ungleichheit im Verhältnis zu den übrigen Abgeordneten zu bewerten.
Dasselbe gilt auch für das Argument, das ruhende Mandat diene dem Zweck, die
Parlamentsarbeit kleinerer Regierungskoalitionsfraktionen effektiver zu gestalten.
Zudem liegt es in der Natur der Sache und entspricht es dem parlamentarischen
Grundprinzip, daß kleinere Fraktionen (Parteien) - ihrem Anteil an den
Wählerstimmen entsprechend - sich nicht in gleichem Maße im Parlament
darstellen und ihre Vorstellungen verwirklichen können, wie es die größeren
vermögen.
Schließlich vermag auch die Begründung, daß mit der Erhaltung der
Arbeitsfähigkeit der kleineren Fraktionen durch das Institut des ruhenden Mandats
die Arbeitskraft des Parlaments im Ganzen erhöht wird, nicht zu überzeugen. Zwar
sind die Parlamentsfraktionen notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens
und haben den technischen Ablauf der Parlamentsarbeit in gewissem Grade zu
steuern und damit zu erleichtern (vgl. BVerfGE 10, 4 [14]; 20, 56 [104]), doch
begünstigt das ruhende Mandat nach Sinn und Zweck faktisch den Minister-
Abgeordneten der kleineren Regierungskoalitionsfraktion, weil dadurch seine
politische Präsenz im Landtag nach seinem Ausscheiden aus der Landesregierung
abgesichert wird (vgl. Nell, JZ 1975, 519). Diese Bevorzugung läßt sich aber durch
sachliche, die Funktionsfähigkeit des Parlaments als Ganzes berücksichtigende
Erwägungen nicht rechtfertigen.
VI.
Die mit der Vorschrift des § 40 a LWG für Minister Abgeordnete geschaffene
Möglichkeit, Beginn und Ende der Mandatsausübung durch den Nachfolge-
Abgeordneten frei zu bestimmen, verstößt überdies gegen die in Art. 65, 76, 77 in
Verbindung mit Art. 79 HV verankerte Garantie des freien Mandats.
1. Art. 76 Abs. 1 HV sichert den besonderen verfassungsrechtlichen Status des
Abgeordneten. Seine Schutzwirkung setzt schon vor der Annahme des
Abgeordnetenmandats ein, weil jedermann die Möglichkeit zu sichern ist, in den
Landtag gewählt zu werden. Sie erweitert aber auch in gewissem Umfange die
Mandatsfreiheit insoweit als jeder Abgeordnete sein Mandat ungehindert und ohne
Nachteile soll ausüben können. Art. 76 Abs. 1 HV verfolgt - ähnlich wie Art. 48 Abs.
2 GG - den Zweck, die ungestörte Übernahme und Wahrnehmung des
Landtagsmandates sicherzustellen. Die Merkmals "ungehindert und ohne Nachteil"
umfassen jedes Androhen oder Inaussichtstellen irgendwelcher Einbußen oder
Schäden, seien sie wirtschaftlicher, beruflicher, gesellschaftlicher oder sonstiger
Art (vgl. die Kommentierungen zu der entsprechenden Bestimmung des
Grundgesetzes, zu Art. 48 Abs. 2 GG, u.a. von Mangoldt-Klein, a.a.O., Art. 48,
Anm. III. 4, S. 991; Maunz-Dürig-Herzog, Art. 48, Rdnr. 8; Hamann/Lenz, a.a.O.,
Art. 48, Anm. B 2). Soweit die Annahme des Mandats in Betracht kommt, ist Art.
76 Abs. 1 HV sowohl im Zusammenhang mit Art. 71 HV (Abstimmungsfreiheit) zu
sehen als auch mit Art. 77 HV, wenn die Ausübung des Mandats in Frage steht.
Danach ist jeder unmittelbare oder mittelbare Zwang oder Druck auf den
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Danach ist jeder unmittelbare oder mittelbare Zwang oder Druck auf den
Gewählten, das Mandat nicht zu übernehmen oder nicht auszuüben, auch jede
Erschwerung der Mandatsausübung unzulässig (vgl. Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O.,
Art. 48, Rdnr. 7, 8).
Diese Wirkung zeigt aber das Institut des ruhenden Mandats. Es beeinträchtigt die
Stellung des Nachfolge-Abgeordneten, weil der Minister-Abgeordnete - ihm steht
die Wahl zwischen Mandatsverzicht und Mandatsruhe zu - nach seinem. Ermessen
das Anwartschaftsrecht des Listennachfolgers auf ein vollwertiges, unentziehbares
(unbedingtes) Mandat als Folge eines Mandatsverzichts durch seine Erklärung
nach § 40 a Abs. 1 LWG in ein Anwartschaftsrecht auf Eintritt in eine entziehbare
(bedingte) Mandatsausübungskompetenz umwandeln kann. Schon dadurch wird
die Entscheidung des Nachfolge-Abgeordneten über die Annahme des Mandats
erschwert. Darüber hinaus bewirkt die Ruhenserklärung des Minister-
Abgeordneten, daß der nachrückende Mandats-Anwärter gezwungen wird,
entweder den verminderten Rechtsstatus eines abrufbaren Mandatsausübers
anzunehmen oder aus der Nachfolge ganz auszuscheiden (§ 40 a Abs. 5 LWG). Da
er, vom Wählerwillen legitimiert, darauf bedacht sein wird, ein freigewordenes
Mandat auch zu übernehmen, wird auf ihn ein unzulässiger Druck ausgeübt. Diese
Situation ist mit der Rechtsstellung der übrigen Nachfolger auf den Listen nicht
vergleichbar, weil deren Mandatszeit nicht von der Dauer der Amtszeit eines
Ministers, sondern allein von der Dauer der Wahlperiode des Landtages abhängt.
2. Die Abgeordneten des Hessischen Landtags sind wie diejenigen des Bundestags
und der übrigen deutschen Landtage Vertreter des ganzen Volkes. Wenn auch Art.
77 HV den in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG (und in den meisten anderen
Landesverfassungen) aufgenommenen Zusatz "Sie sind an Aufträge und
Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" nicht enthält, so
ist doch davon auszugehen, daß auch für die hessischen Abgeordneten die
Ausübung oder Wahrnehmung des Mandates insofern "frei" ist, als sie durch
Aufträge und Weisungen nicht rechtlich verpflichtet werden können und nur ihrem
Gewissen unterworfen sind (vgl. Steiger, Gutachten S. 99). Der Auffassung von
Leibholz (Gutachten S. 45 ff.), die Verfassung des Landes Hessen habe sich zu der
von der repräsentativparlamentarischen strukturell verschiedenen
parteienstaatlichen Demokratie und damit auch zur grundsätzlichen Parteibindung
der Mandatsträger bekennen wollen, kann nicht gefolgt werden. Das Fehlen eines
Satzes entsprechend Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, der von der
Verfassungsberatenden Landesversammlung teils als aus anderen politischen
Situationen überkommen, teils als vereinbar mit der Bindung an
Fraktionsbeschlüsse angesehen worden ist, weil der Abgeordnete sich freiwillig
einer Partei oder Fraktion anschließe und sich aus freier Entschließung einem
Fraktionszwang füge (vgl. dazu Stenographische Berichte über die Verhandlungen
des Verfassungsausschusses der Verfassungsberatenden Landesversammlung
Groß-Hessen, 1. - 18. Sitzung, Drucksachen-Abteilung III a, S. 80 f., 182, 289 f.),
vermag diese Ansicht nicht zu rechtfertigen. Gleichwohl bestand Übereinstimmung
darin, daß durch den Fortfall des Zusatzes "Sie stimmen nach freier Überzeugung
und sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden" nicht zum Ausdruck
gebracht werden sollte, die Abgeordneten sollten etwa nicht nach freier
Überzeugung stimmen oder an Aufträge und Weisungen gebunden sein (a.a.O.,
Drucksachen-Abteilung III a, S. 182). In diesem Sinne entspricht allein das freie
Mandat dem Willen des hessischen Verfassungsgesetzgebers und der Gesamtheit
der Regelungen der Abgeordnetenstellung in der Landesverfassung (vgl. auch Nell,
JZ 1975, 519 [521]; Lohmeier, DVBl. 1977, 405 [407] unter Hinweis auf Ridder,
DÖV 1970, 617 [619]). Es kommt daher nicht darauf an, ob Art. 76 und 77 HV ein
Homogenitätsgebot des Grundgesetzes verwirklichen, ob Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG
zu den Grundsätzen nach Art. 28 Abs. 1 GG gehört (vgl. dazu Wilhelm, Staats- und
Kommunalverwaltung 1975, 354 [356] mit weiteren Nachweisen) oder ob der
Grundsatz des freien Mandats "gemeindeutsches" Verfassungsrecht geworden ist
(so Nell, JZ 1975, S. 519 [521] Fußnote 32 unter Hinweis auf P. Häberle, JZ 1969,
613 [617]). Zudem ist das freie Mandat als Kernstück der parlamentarisch-
repräsentativen Demokratie unverzichtbar wie auch für die Funktionsfähigkeit der
innerparteilichen Demokratie von wesentlicher Bedeutung. Es begünstigt und
fördert die Offenheit der Willensbildung in Partei und Fraktion und erleichtert es,
Einzelinteressen zu verdeutlichen, während es in parteipolitischen
Grundsatzentscheidungen dazu zwingt, eine breite innerparteiliche
Übereinstimmung herzustellen, die in der parlamentarischen Arbeit in die Praxis
umgesetzt werden soll. Das freie Mandat ist daher eine notwendige Ergänzung zu
den bestehenden Parteibindungen und auch geeignet, die Parteien und Fraktionen
als Konsensgemeinschaften - auch gegenüber außerparlamentarischen Initiativen
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als Konsensgemeinschaften - auch gegenüber außerparlamentarischen Initiativen
- zu erhalten. Dies ist eine parteienstaatliche Voraussetzung für das Funktionieren
einer parlamentarisch-repräsentativen Demokratie (vgl. Beratungen und
Empfehlungen zur Verfassungsreform, Schlußbericht der Enquete-Kommission
Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, a.a.O., S. 78).
3. Inhaltlich gewährt das freie Mandat jedem Abgeordneten einen "eigenen
verfassungsrechtlichen Status" (vgl. BVerfGE 2, 143 [164]), der die Ausübung und
den Bestand des Mandats sichert. Die durch das freie Mandat begründete
Unabhängigkeit des Abgeordneten in der Ausübung seines Mandates bedeutet
das Verbot bestimmter, insbesonders rechtlich bindender Beeinflussung durch
Dritte (vgl. Badura in Bonner Kommentar, Art. 38, Rdnr. 58; von Mangoldt-Klein,
a.a.O., Art. 38, Anm. IV 4 a, S. 889; Seifert, a.a.O., Art. 38 GG, Rdnr. 41 mit
weiteren Nachweisen). Das freie Mandat schützt den Abgeordneten darüber
hinaus auch im Bestand des Mandats gegen einen unfreiwilligen Verlust, der durch
irgendwelche Personen oder Gruppen herbeigeführt werden könnte, um ein
bestimmtes parlamentarisches Verhalten des Abgeordneten zu erzwingen (vgl.
Badura, a.a.O., Art. 38, Rdnr. 61). Diese Schutzwirkung des freien Mandats
entfaltet sich jedoch nur für Abgeordnete, d. h. für diejenigen, die bereits Mitglieder
des Landtags sind. Sie sollen unabhängig von Aufträgen und Weisungen in freier
Gewissensentscheidung ihr Amt als Vertreter des ganzen Volkes ausüben können.
Die lediglich als Ersatzleute gewählten Listenbewerber erhalten diese
Unabhängigkeit erst, wenn sie den Status eines Abgeordneten erlangt haben (vgl.
BVerfGE 7, 63 [73]).
§ 40. a Abs. 1 LWG hat die Erklärung des Minister-Abgeordneten, daß sein Mandat
für die Dauer seiner Amtszeit ruhen soll, als frei und unwiderruflich ausgestaltet.
Sie ist insoweit, jedenfalls hinsichtlich der freien Entscheidung über ihre Abgabe,
mit der Verzichtserklärung eines Abgeordneten auf sein Mandat vergleichbar. Gibt
er sie ab, so ist er kein Abgeordneter mehr, die Schutzwirkung des freien Mandats
gilt also für ihn nicht mehr. Deshalb kann er auch aus diesem Institut keinen
Anspruch auf Wiedereintritt in den Landtag ableiten.
Der verfassungsrechtliche Status des freien Mandats gilt nunmehr nur noch für
den Nachfolge-Abgeordneten; seine Mandatsfreiheit wird aber durch die Regelung
des § 40 a LWG verletzt, weil der Minister-Abgeordnete, dessen Mandat ruht,
gemäß seiner freien (koalitions-) politischen Lagebeurteilung nach seinem Rücktritt
oder seinem sonstigen Ausscheiden aus dem Regierungsamt seinem Nachfolger
die Mandatsausübungsbefugnis wieder entziehen kann, indem er sein
Landtagsmandat erneut annimmt. Durch diese Wechselwirkung zwischen
Mandatsruhe und Rückkehr des Minister-Abgeordneten in den Landtag (vgl. § 40 a
Abs. 1 und 7 Satz 2 LWG) wird ein widerrufbares Abgeordnetenmandat geschaffen.
Sein Inhaber ist von Anfang an durch die Aussicht auf seinen jederzeitigen Abruf
der möglichen Einflußnahme auf seine Entscheidungen im Landtag ohne
statusrechtlichen Schutz ausgesetzt.
Auch zeitlich sind Amt und Mandat des Abgeordneten in der Regel allein durch den
Ablauf der vierjährigen Wahlperiode (Art. 79 Satz 1 HV) begrenzt und damit nicht
weiter begrenzbar. Diese zeitliche Begrenzung der Mandatsfreiheit gehört zu den
grundlegenden Prinzipien des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates, nach
denen die Volksvertretungen in regelmäßigen, im voraus bestimmten Abständen
durch Wahlen abzulösen und neu zu legitimieren sind (vgl. StGH, Urteil vom 7.
April 1976 - P. St. 798 -, StAnz. 1976, 815 [819] = ESVGH 26, 22 unter Hinweis auf
BVerfGE 18, 151 [154]). Sie bewirkt zwar zugleich den Zwang für jeden
Abgeordneten, seine Tätigkeit im Parlament auf. die Chance der Wiederwahl bzw.
auf die Chance einzustellen, für eine Wiederwahl erneut aufgestellt zu werden, was
auch zu Bindungen gegenüber Partei und Wählerschaft führt, die zeitliche
Begrenzung der Mandatsfreiheit enthält aber als ihr notwendiges Korrelat auch
eine Freiheitsgarantie (vgl. Schneider, Gutachten S. 27). In diesem Sinne ist sie
maßgebend für die Dauer der besonderen statusrechtlichen Stellung des
Abgeordneten, ihrerseits nur begrenzt durch das Selbstauflösungsrecht des
Landtags nach Art. 80 HV und die Auflösung des Landtags nach Art. 114 Abs. 5 HV
sowie durch Tod oder Verzicht des Abgeordneten. Ansonsten kann sich der
Abgeordnete auf seine vierjährige Mandatszeit verlassen und seine Politik auf
diese Zeit einrichten, um seine Vorstellungen im Parlament, in der Fraktion und
der Partei und gegenüber der Wählerschaft zu verwirklichen. Diese zeitlich
festgelegte Freiheitsgarantie für die Ausübung des Mandats wird durch das Institut
des ruhenden Mandats vom Beginn und Ende her unterlaufen. Der Minister-
Abgeordnete kann durch die Abgabe der Erklärung nach § 40 a Abs. 1 LWG nicht
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Abgeordnete kann durch die Abgabe der Erklärung nach § 40 a Abs. 1 LWG nicht
nur den Anfang der Mandatszeit seines Nachfolgers frei bestimmen, sondern auch
deren Ende, d. h.: der Nachfolger-Abgeordnete muß jederzeit damit rechnen, daß
seine Mandatszeit nicht erst mit dem Ablauf der Wahlperiode, sondern schon eher
nach Maßgabe der Willensentscheidung eines Dritten endet (vgl. Schneider,
Gutachten S. 29 f.), wenn der Minister-Abgeordnete nach dem Ende seiner
Amtszeit als Mitglied der Landesregierung in den Landtag zurückkehrt.
Auch Steiger (Gutachten S. 110) räumt ein, daß dieser mittelbare Recall mit dem
Grundsatz der Mandatsfreiheit nicht vereinbar ist. Indessen kann die dem Institut
des ruhenden Mandats immanente Befugnis zur Rückkehr des Mitglieds der
Landesregierung in den Landtag nach dem objektiven Regelungstatbestand des §
40 a LWG nicht in der Weise durch die Rechtsgedanken des sog.
"Rechtsmißbrauchs" oder der "unzulässigen Rechtsausübung" mit der
angestrebten Folgerung eingeschränkt werden daß das neue Institut des ruhenden
Mandats als solches verfassungsrechtlich unbedenklich und damit zulässig sei, wie
Steiger (Gutachten S. 112 ff.) meint. Einmal hat sich das Institut des ruhenden
Mandats schon unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Wahl und der
Gleichheit aller Abgeordnetenmandate als verfassungs- und systemwidrig
erwiesen. Zum anderen läßt sich die Erwägung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 7, 63 [75]), das jedenfalls die Möglichkeit der Manipulation allein für nicht
ausreichend hält, um eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, hier nicht
einwenden, weil es bei dem Wiedereintritt des ehemaligen Ministers in den Landtag
nicht um einen Ausnahmefall, sondern um die eigentliche. Anwendung der Norm in
dem Regelfall geht, auf den sie bezogen ist. Da gerade das Wiedereintrittsrecht in
den Landtag am Ende der Amtszeit des Ministers mit der Ruhenserklärung
untrennbar verbunden ist (§ 40 a Abs. 1 und Abs. 7 Satz 2 LWG "für die Dauer
seiner Amtszeit"), wird es zum Regelfall. Die Ausnahme, daß der ehemalige
Minister das Abgeordnetenmandat nicht mehr ausüben will, läßt sich problemlos.
dadurch lösen, daß er darauf verzichtet.
Das Ausscheiden des Minister-Abgeordneten aus der Landesregierung und sein
Wiedereintritt in den Landtag vor Ablauf der laufenden Wahlperiode bewirken
gegenüber dem Nachfolge-Abgeordneten die vorzeitige Abberufung (recall) aus
seinem Abgeordnetenmandat. Jede Abberufung eines Abgeordneten im Laufe
seiner Amtszeit ist aber mit dem freien Mandat unverträglich (vgl. Badura, a.a.O.,
Art. 38, Rdnr. 62 mit weiteren Nachweisen; Seifert, a.a.O., Art. 38 GG, Rdnr. 42).
Auch im modernen Parteienstaat sind parlamentarische Repräsentation und freies
Mandat wesentliche Strukturelemente einer demokratischen Verfassung, wenn sie
auch zueinander in einem besonderen Spannungsverhältnis stehen. Dem freien
Mandat ist aber noch insofern besondere verfassungsrechtliche. Bedeutung
zuzumessen, als es die Funktion hat, bestimmte äußerste Konsequenzen des
demokratischen Parteienstaates und des diesem zugrunde liegenden Prinzips der
Identität zugunsten des repräsentativen Prinzips abzuwehren (so auch Leibholz,
Gutachten S. 41).
VII.
1. Die erwähnten Regelungen der bremischen und hamburgischen Verfassung
lassen sich weder für noch gegen die Regelung des § 40 a LWG ins Feld führen. Art.
108 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen und Art. 38 a der
Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg gehen von der Unvereinbarkeit
eines Senatsamtes (Mitglied des Senats oder Senator) mit einem
Bürgerschaftsmandat aus. Die Verfassungslage stellt sich also anders dar als in
Hessen: einmal erklärt sich das Postulat der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat
in den Stadtstaaten aus der Nähe zum Kommunalverfassungsrecht; zum anderen.
soll mit dem Wiedereintrittsrecht des zurücktretenden V. Senators (Art. 108 Abs. 2
der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen) bzw. dem Ruhen des
Bürgerschaftsmandats während der Amtszeit als Senator (Art. 38 a Abs. 2 der
Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg) die mit dem
Inkompatibilitätsprinzip verbundene Härte des Mandatsverlusts aufgefangen
werden. Dieses Problem stellt sich aber nicht in einem System, das - wie in Hessen
- von der Vereinbarkeit von (Minister-) Amt und (Abgeordneten-) Mandat ausgeht.
2. Ebenso wie die Verfassung des Landes Hessen geht auch die Verfassung für
Rheinland-Pfalz von der Vereinbarkeit des Ministeramtes mit dem
Abgeordnetenmandat aus. Indessen kennt Art. 81 Abs. 2 der Verfassung für
Rheinland-Pfalz die Möglichkeit, das Mandat eines Abgeordneten, der ein
Ministeramt oder die Stellvertretung innehat, auf seinen Antrag hin für die Dauer
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Ministeramt oder die Stellvertretung innehat, auf seinen Antrag hin für die Dauer
dieses Amtes mit der Maßgabe ruhen zu lassen, daß es für die Dauer des Ruhens
dem nächstberufenen Listennachfolger zusteht. Als Zweck dieser Regelung wird
die Entlastung von der Doppelstellung in Regierungsamt und
Abgeordnetenmandat angesehen. Sie ist - ähnlich wie § 40 a hess. LWG - vor
allem im Interesse der kleineren Parteien vom Verfassungsgeber (nicht im Wege
des einfachen Gesetzes) erlassen, deren Arbeitsfähigkeit in den
Landtagsausschüssen und in der Fraktion durch die Ernennung eines
Abgeordneten zum Minister leidet, da dieser durch sein Ministeramt für die
eigentliche Parlamentsarbeit ausfällt (vgl. Süsterhenn-Schäfer, Kommentar der
Verfassung für Rheinland-Pfalz, 1950, Art. 81, Anm. 3 a). Ähnliche Regelungen
kannten bereits die Verfassungen einiger Länder zur Zeit der Weimarer Republik
(Anhalt, Lippe, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg und Schaumburg-Lippe, vgl. die
Darstellung bei Steiger, Gutachten S. 16 ff. mit weiteren Nachweisen).
Der Staatsgerichtshof hat wegen der Bedenken, die gegen sie bestehen, über
diese Regelungen nicht zu entscheiden. Sie können für ihn kein Maßstab sein und
die hessische Regelung nicht rechtfertigen, wie es in den parlamentarischen
Beratungen geschehen ist und wie es ein Teil der Beteiligten in ihren Gutachten
tut. Die Bedenken richten sich vor allem auf zwei Punkte: auf die Stellung des
Nachfolge-Abgeordneten, dessen Mandatsausübung zeitlich vom "Willen Dritter"
abhängig gemacht wird, was ihm einen anderen Status gibt als den übrigen
Abgeordneten, und auf die Position des Wählers, der davon ausgeht, daß sein in
seiner Wahlentscheidung ausgedrückter Wille unmittelbar umgesetzt und nicht
durch Vermittlung Dritter geändert wird (vgl. Schneider, Gutachten S. 9). Auch das
Wahlprüfungsgericht beim Landtag Rheinland-Pfalz hebt in seiner Entscheidung zu
Art. 81 Abs. 2 der Verfassung von Rheinland-Pfalz (AS Rh.-Pf. Band 3, 399, 402 f.)
hervor, daß mit dem Wesen des Abgeordnetenmandates unvereinbar sei, wenn es
einem Minister, der sein Mandat zum Ruhen gebracht habe, jederzeit erlaubt sei,
das ruhende Mandat wieder aufzunehmen. Jeder Abgeordnete habe als "Vertreter
des ganzen Volkes" (vgl. Art. 77 HV) die verfassungsmäßige Pflicht, seine
Entscheidungen unter eigener Gewissensverantwortung im Hinblick auf die
Erfordernisse des Gemeinwohls zu treffen. Wenn aber ein Abgeordneter, der für
einen Minister-Abgeordneten als Ersatzmann eingetreten sei, jederzeit damit
rechnen müsse, daß der Minister-Abgeordnete das zum Ruhen gebrachte Mandat
wieder aufnehmen und auf diese Weise den Ersatzmann seiner
Abgeordneteneigenschaft wieder entkleiden könne, dann sei die von der
Verfassung vorausgesetzte und geforderte Unabhängigkeit des Abgeordneten in
erheblichem Umfange gefährdet. Daraus folgt, daß auch das Wahlprüfungsgericht
beim Landtag Rheinland-Pfalz die Stellung des Nachfolge-Abgeordneten als
ungleich unsicherer ansieht als den Status der übrigen Abgeordneten.
Zudem betont auch das Wahlprüfungsgericht beim Landtag Rheinland-Pfalz
(a.a.O., S. 403 f.) den Anspruch des Wählers darauf, daß die Bestimmung des
Abgeordneten und seines Ersatzmannes unter strenger Beachtung der
Vorschriften der Verfassung und des Landeswahlgesetzes zu erfolgen habe. Mit
der Absicht des Gesetzgebers, die Feststellung der gewählten Kandidaten und die
Einberufung von Ersatzmännern von vornherein festzulegen und von genau
umrissenen, objektiven gesetzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen, sei
es nicht vereinbar, das Ausscheiden von Ersatzmännern vom subjektiven
Ermessen des Minister-Abgeordneten abhängig zu machen. Gerade aber diese
Möglichkeit bietet § 40 a LWG dem Minister-Abgeordneten, weil er nach dem
Ausscheiden aus der Landesregierung sein Abgeordnetenmandat wieder
annehmen kann.
C.
Hat sich § 40 a LWG unter den auf gezeigten Gesichtspunkten als
verfassungswidrig erwiesen, so läßt sich die Frage, ob der hessische Gesetzgeber
das ruhende Mandat als einfaches Gesetz einführen konnte oder ob dafür die
Verfassung des Landes Hessen hätte geändert werden müssen, nicht mehr
sinnvoll stellen- Im abstrakten Normenkontrollverfahren, das ein bereits
erlassenes Gesetz zum Gegenstand hat, ist zunächst der Inhalt des Gesetzes an
den Bestimmungen und Wertentscheidungen der Verfassung des Landes Hessen
zu messen. Die Frage, ob die Regelung derselben Materie durch die Änderung des
Verfassungstextes oder den Beschluß eines Zusatzartikels eingeführt werden
kann, läuft auf eine vorbeugende Normenkontrolle hinaus, die der Verfassung des
Landes Hessen und dem Gesetz über den Staatsgerichtshof - im Gegensatz zu
Art. 64 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und Art. 75
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Art. 64 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und Art. 75
Abs. 3 der Verfassung des Freistaates Bayern - unbekannt ist und daher als
unzulässig angesehen werden muß. Der Staatsgerichtshof muß sich vielmehr im
abstrakten Normenkontrollverfahren auf die Feststellung beschränken, daß das
angegriffene Gesetz öder die Gesetzesvorschrift mit der Verfassung des Landes
Hessen nicht vereinbar und daher nichtig ist. Seine Entscheidung erlangt mit ihrer
Verkündung Gesetzeskraft (§§ 21 Abs. 4 Satz 2, 43 Abs. 1 StGHG). Der
Staatsgerichtshof sieht keine Veranlassung, seinem Urteil rückwirkende Kraft zu
verleihen (§ 43 Abs. 2 StGHG), zumal über die Auswirkungen der Nichtigkeit des §
40 a LWG das Wahlprüfungsgericht beim Landtag noch in einem anschließenden
Wahlprüfungsverfahren zu befinden hat.
Von der Möglichkeit, dem Staatsgerichtshof die Wahlprüfung zu übertragen, hat
die Verfassung des Landes Hessen im Gegensatz zum Grundgesetz (Art. 41 Abs.
2 GG), das die Beschwerde gegen die Wahlprüfungsentscheidung des
Bundestages an das Bundesverfassungsgericht zuläßt, und anderen
Landesverfassungen (Art. 31 Abs. 2 Verfassung des Landes Baden-Württemberg;
Art. 33, 63 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 9 Abs. 2 Verfassung der Freien
und Hansestadt Hamburg; Art. 5 Abs. 2 Vorläufige Nieder-sächsische Verfassung;
Art. 33 Abs. 3 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen; Art. 77 Abs. 2
Verfassung des Saarlandes) keinen Gebrauch gemacht. Über die Gültigkeit der
Landtagswahlen und über die Frage, ob ein Abgeordneter seinen Sitz verloren hat,
entscheidet nach Art. 78 Abs. 1 HV in Verbindung mit dem Wahlprüfungsgesetz
vom 5. August 1948 (GVBl. 1948 S. 93) ausschließlich das beim Landtag gebildete
Wahlprüfungsgericht (vgl. StGH, Beschluß vom 26. Juli 1967 - P. St. 484 -, ESVGH
Bd. 18, 14 [15] = DÖV 1969, 113 [L]). Hat demnach der Staatsgerichtshof eine
Wahlrechtsbestimmung für nichtig erklärt, so ist damit noch nichts über den
Rechtsbestand der nach dieser Vorschrift durchgeführten Wahlen oder gemäße
Zusammensetzung des Landtages gesagt. Zur Behebung von Zweifeln weist der
Staatsgerichtshof darauf hin, daß es in diesem Falle noch eines
Wahlprüfungsverfahrens bedarf, um die sich ergebenden Folgerungen für die
Gültigkeit der Wahl oder die richtige Mandatsverteilung festzustellen (vgl. Zinn-
Stein, a.a.O., Art. 78 Erl. 5 b; Seifert, a.a.O., S. 415 mit weiteren Hinweisen;
BVerfGE 3, 45 [52]; ebenso schon RStGH in JW 1929, 53 [56 f.]; RGZ 118, Anhang
S. 22 [39 f.]. Das gleiche gilt nach § 6 Abs. 2 Wahlprüfungsgesetz auch, wenn die
verfassungswidrige Norm ausschließlich die Person und den Rechtsstatus
bestimmter Abgeordneter berührt (vgl. Zinn-Stein, a.a.O., Art. 78, Erl. 5 c). Die
Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts ist rechtsgestaltender Natur und wirkt ex
nunc (vgl. Zinn-Stein, a.a.O., Art. 78, Erl. 10; Seifert, a.a.O., Art. 41 GG, Rdnr. 14
mit weiteren Nachweisen). Bis zur Rechtskraft des Urteils des
Wahlprüfungsgerichts bleiben die Nachfolge-Abgeordneten Mitglieder des
Landtags mit allen Rechten und Pflichten, die sich aus ihrem bisherigen
Rechtsstatus ergeben (vgl. Zinn-Stein, a.a.O., Art. 78, Erl. 10 mit weiteren
Nachweisen).
Die Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts, die auf Grund der
Nichtigkeitserklärung des § 40 a LWG durch den Staatsgerichtshof ergeht, vermag
auch die Rechtswirksamkeit der Gesetzesbeschlüsse sowie die sonstigen
Handlungen und Maßnahmen des Hessischen Landtags, an denen die Nachfolge-
Abgeordneten mitgewirkt haben, nicht zu berühren (vgl. dazu Zinn-Stein, a.a.O.,
Art. 78, Erl. 10; Seifert, a.a.O., Art. 41 GG, Rdnr. 14 mit weiteren Nachweisen aus
Rechtsprechung und Literatur; BVerfGE 1, 14 [38]; 31, 47 [53]; 34, 81 [95 f., 103]).
Zur Behebung von Zweifeln erschien es geboten, auch auf diese Grenzen, die der
Wirkung der Nichtigkeit des § 40 a LWG gezogen sind, hinzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.