Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: treu und glauben, bereinigung, grundrecht, hessen, streichung, direktor, gleichbehandlung, leiter, gerechtigkeit, aussetzung

Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 602, P.St.
603, P.St. 604,
P.St. 607
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 1 Verf HE, Art 3 Verf HE, §
46 Abs 1 StGHG , § 48 Abs 1
StGHG
Leitsatz
1. Voraussetzung für eine gegen ein Gesetz gerichtete Grundrechtsklage ist, dass der
Antragsteller tatsächlich selbst, gegenwärtig und unmittelbar rechtlich betroffen wird.
2. Eine Vorschrift wie § 93 Abs. 2 BVerfGG, wonach die Verfassungsbeschwerde gegen
ein Gesetz nur binnen eines Jahres seit seinem Inkrafttreten erhoben werden kann,
enthält das Gesetz über den Staatsgerichtshof nicht.
Selbst wenn man davon ausginge, die das Recht zur Erhebung einer Grundrechtsklage
gegen ein Gesetz unterliege der Verwirkung, setzt dies in erster Linie den Ablauf eines
längeren Zeitraums voraus. Dieser Zeitraum wird in Anbetracht der für das Verfahren
vor dem Bundesverfassungsgericht gesetzlich geregelten Jahresfrist (§ 93 Abs. 2
BVerfGG) nicht weniger als ein Jahr betragen dürfen. Jeder kürzere Zeitraum liefe auf
eine verfassungsrechtlich bedenkliche Beschneidung des durch die Hessische
Verfassung gewährten Grundrechtsschutzes hinaus.
3. Art. 1 HV ist inhaltsgleich mit Art. 3 GG.
4. Der allgemeine Gleichheitssatz bindet auch den Gesetzgeber. Allerdings bietet er
dem Verfassungsgericht keine Möglichkeit, ein Gesetz unter dem Gesichtspunkt
"allgemeiner Gerechtigkeit" nachzuprüfen und damit seine Auffassung von
Gerechtigkeit an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen.
5. Der Gleichheitssatz lässt dem einen weiten Bereich des Ermessens offen. Er zieht
ihm nur äußerste Grenzen. Ob diese äußerste Grenze überschritten ist oder nicht, kann
beim Vorliegen differenzierender Regeln nur daran gemessen werden, ob für diese
Differenzierung sachlich einleuchtende Gründe bestehen, die dem Gerechtigkeitsgefühl
entsprechen und keine Willkür erkennen lassen.
Eine differenzierende Regelung muss dann als willkürlich bezeichnet werden, wenn sich
ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie
einleuchtender Grund für die Differenzierung nicht finden lässt.
6. Eine willkürlich ungleiche Behandlung im wesentlichen gleicher Sachverhalte
untersagt der Gleichheitssatz. Ob die Ungleichbehandlung mit Nachteilen verbunden
ist, ist gleichgültig. Es genügt die Ungleichbehandlung.
Der Gleichheitssatz kann sowohl durch die Gleichbehandlung ungleicher Fälle wie auch
durch die Ungleichbehandlung gleicher Fälle verletzt werden, wenn es für die
Gleichbehandlung im ersten und für die Ungleichbehandlung im zweiten Fall an
verständlichen, vernünftigen, aus der Natur der Sache sich ergebenden Gründen fehlt.
7. Indem Art. 3 HV Ehre und Würde des Menschen für unantastbar erklärt, begründet
diese Vorschrift ein Grundrecht auf Achtung der Eigensphäre.
a) Art. 3 HV stimmt inhaltlich mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überein und
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a) Art. 3 HV stimmt inhaltlich mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überein und
gilt daher gemäß Art. 142 GG als Landesgrundrecht fort.
b) Die Interpretation des Würdebegriffs macht eine Analyse der herrschenden
rechtstethischen Vorstellungen erforderlich. Maßgeblich sind hierbei nicht nur die
Vorstellungen, die bei der Schaffung der Verfassung obwalteten, sondern es sind auch
die inzwischen eingetretenen Konkretisierungen, Differenzierungen und Wandlungen
dieser Vorstellungen zu berücksichtigen.
c) Bei aller Unschärfe des Würdebegriffs und der daraus resultierenden Schwierigkeit
der Interpretation kann doch mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass die
Würde des Menschen nicht in erster Linie in seiner Geltung nach außen, sondern mehr
und mehr im sittlichen Eigenwert, der dem Menschen um seiner selbst und nicht um
anderer Güter und Zwecke willen zukommt, zu finden ist.
Tenor
1. Das Siebente Gesetz zur Änderung des Hessischen Besoldungsgesetzes vom
16. Dezember 1969 (GVBl. I, 325) hat das Grundrecht der Antragsteller aus
Art. 1 der Hessischen Verfassung dadurch verletzt, daß es in Art. 2 unter Nr.
21 a die Amtsbezeichnung des Antragstellers zu 1. "Städtischer
Obermedizinaldirektor" und die Amtsbezeichnung der Antragsteller zu 2. bis 4.
"Städtischer Oberbaudirektor" gestrichen und statt dessen unter Nr. 21 b) für
den Antragsteller zu 1. die Amtsbezeichnung "Medizinaldirektor" und für die
Antragsteller zu 2. bis 4. die Amtsbezeichnung "Baudirektor" eingeführt hat.
2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Das Land Hessen trägt die
notwendigen Auslagen der Antragsteller.
Gründe
A.
Am 16. Dezember 1969 erging das Siebente Gesetz zur Änderung des Hessischen
Besoldungsgesetzes (BÄG). Dieses Gesetz ordnete in Art. 2 zahlreiche
Änderungen der Besoldungsordnungen – Anlage I des Hessischen
Besoldungsgesetzes – an. Hierbei nahm das Gesetz eine Bereinigung der bis
dahin bestehenden rund 800 Amtsbezeichnungen vor, indem es rund 230
Amtsbezeichnungen strich und weitere rund 170 Amtsbezeichnungen änderte.
Sodann bestimmte Artikel 5 Abs. 1 des Gesetzes:
"Die nach diesem Gesetz unmittelbar eintretenden Änderungen in der Einordnung
der Beamten und Richter in die Besoldungsgruppen sowie die Änderungen der
Amtsbezeichnungen ergeben sich aus der als Anlage 1 beigegebenen Übersicht.
Ist in der Überleitungsübersicht für eine bisherige Amtsbezeichnung nur eine für
die Landesverwaltung geltende neue Amtsbezeichnung vorgesehen, führen die
entsprechenden Beamten der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des
öffentlichen Rechts die für ihren Bereich geltende allgemeine Amtsbezeichnung."
B.
I.
Die Antragsteller haben mit ihren am 17. Februar, 2., 3. und 6. März 1970 beim
Staatsgerichtshof eingegangenen Eingaben vorgetragen, sie seien durch das
Siebente Gesetz zur Änderung des Hessischen Besoldungsgesetzes dadurch in
ihren Grundrechten verletzt, daß sie mit Wirkung vom 1. Januar 1970 gezwungen
worden seien, Amtsbezeichnungen ohne den früheren Zusatz "Ober" zu führen.
Der Antragsteller zu 1. ist seit ... Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt ... und
wurde mit Wirkung vom ... zum "Städtischen Obermedizinaldirektor" ernannt
(BesGruppe A 16).
Der Antragsteller zu 2. ist seit ... Leiter des Stadtplanungsamtes der ... und wurde
mit Wirkung vom ... zum "Städtischen Oberbaudirektor" (BesGruppe A 16) ernannt.
Der Antragsteller zu 3. ist seit ... Leiter des Stadtreinigungsamtes der Stadt ... und
wurde mit Wirkung vom ... ebenfalls zum "Städtischen Oberbaudirektor"
(BesGruppe A 16) ernannt.
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Der Antragsteller zu 4. ist seit ... Leiter des Stadtentwässerungsamtes der Stadt ...
und wurde mit Wirkung vom ... ebenfalls zum "Städtischen Oberbaudirektor"
(BesGruppe A 16) ernannt.
Gemäß Art. 5 des genannten Gesetzes führt der Antragsteller zu 1. an Stelle von
"Städtischer Obermedizinaldirektor" die Amtsbezeichnung "Medizinaldirektor", die
anderen drei Antragsteller führen an Stelle von "Städtischer Oberbaudirektor" die
Amtsbezeichnung "Baudirektor".
Diese Regelung verletze, so meinen die Antragsteller, den Gleichheitssatz des Art.
1 der Hessischen Verfassung (HV); der Antragsteller zu 1. beruft sich außerdem
auf "die in Art. 33 GG festgelegten hergebrachten Grundsätze des
Berufsbeamtentums, die inzidenter durch Art. 1 HV geschützt" würden. Das
Gesetz habe nämlich keineswegs bei allen Amtsbezeichnungen den Zusatz "Ober"
gestrichen. Es gebe weiterhin z. B. den "Oberlandforstmeister", den "Obersekretär"
und den "technischen Obersekretär". Auch sei es dem Gesetzgeber erkennbar
nicht darauf angekommen, bei den Amtsbezeichnungen die Kombination des
Zusatzes "Ober" mit "Direktor" einheitlich zu beseitigen, denn es gebe weiterhin –
und zwar sogar in der Besoldungsgruppe A 16 – den "Oberbranddirektor in ...", den
"Obermagistratsdirektor" und den "Oberverwaltungsdirektor bei der
Landesversicherungsanstalt". Das Gesetz habe in der Besoldungsgruppe A 16
sogar eine Amtsbezeichnung "Oberbergamtsdirektor" neu eingefügt. Unter diesen
Umständen müsse die vom Gesetz angeordnete Streichung des Zusatzes "Ober"
in der Öffentlichkeit den Eindruck einer disziplinarischen Dienstgradherabsetzung
erwecken, zumal das Besoldungsgesetz auch weiterhin Amtsbezeichnungen mit
dem Zusatz "Ober" für ranghöhere Beamte verwende, z. B.
Aufseher (A 3)
– Oberaufseher (A 4)
Amtsmeister (A 4)
– Oberamtsmeister (A 5)
Inspektor (A 9)
– Oberinspektor (A 10)
Amtsanwalt (A 12)
– Oberamtsanwalt (A 13)
Regierungsrat (A 13) – Oberregierungsrat (A 14)
Baurat (A 13)
– Oberbaurat (A 14)
Magistratsrat (A 13) – Obermagistratsrat (A 14).
Gerade gegenüber nichtstaatlichen Stellen und gegenüber internationalen
Organisationen könne der Eindruck einer disziplinarischen Dienstgradherabsetzung
entstehen.
Der Antragsteller zu 1. trägt weiter vor, er sei Vorsitzender des Hygiene- und
Seuchenausschusses des Landesgesundheitsrates Hessen und überdies – gerade
im Hinblick auf die Beachtung der Internationalen Gesundheitsvorschriften vom 25.
Mai 1951 (BGBl. II, 1060) auf dem größten Flughafen der Bundesrepublik – zu
enger Zusammenarbeit mit den Vertretern der Weltgesundheitsorganisation, vor
allem der Länder USA, Großbritannien, Schweiz, UdSSR und Japan, verpflichtet.
Der Antragsteller zu 2. trägt vor, er sei Mitglied der Deutschen Akademie für
Städtebau und Landesplanung und mehrerer Prüfungs- und Arbeitsausschüsse.
Der Antragsteller zu 3. verweist darauf, er sei Präsident des Verbandes
kommunaler Fuhrparks- und Stadtreinigungsbetriebe und Vorstandsmitglied
zahlreicher nationaler und internationaler Arbeitsgemeinschaften (z. B.
Ehrenmitglied des "Institute of Public Cleansing" in London).
Der Antragsteller zu 4. legt dar, er sei ebenfalls Mitglied bzw. Vorstandsmitglied
mehrerer Beiräte, Wasserverbände und Prüfungsausschüsse.
Die Antragsteller zu 2. bis 4. weisen darauf hin, daß in den anderen Ländern der
Bundesrepublik die Amtsbezeichnungen "Oberbaudirektor" bzw. "Erster
Baudirektor" nach wie vor bestehen. Der Antragsteller zu 1. meint, der Verlust der
alten Amtsbezeichnung könne für ihn auch im allgemeinen Geschäftsleben, z. B.
bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit, Nachteile haben.
Zwar, so erklären sämtliche Antragsteller, legten sie im innerdienstlichen Verkehr
auf die Anrede mit der Amtsbezeichnung keinen Wert; jedoch hätten sie in den
vergangenen Monaten wiederholt durch entsprechende Erklärungen gegenüber
Außenstehenden richtigstellen müssen, daß es sich bei ihnen nicht um eine
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Außenstehenden richtigstellen müssen, daß es sich bei ihnen nicht um eine
disziplinarische Dienstgradherabsetzung, sondern um die Auswirkung einer
gesetzlich verfügten Änderung der Amtsbezeichnung gehandelt habe.
II.
Der Staatsgerichtshof hat gemäß § 42 StGHG den Mitgliedern der
Landesregierung sowie dem Vorsitzenden und dem Berichterstatter des
Landtagsausschusses, der mit den Vorarbeiten für das Gesetz befaßt war,
Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
Der Präsident des Hessischen Landtages hat mitgeteilt, daß der Landtag nicht
beabsichtige, sich zu diesen Verfahren zu äußern. Weitere Äußerungen sind beim
Staatsgerichtshof nicht eingegangen.
III.
Der Hessische Ministerpräsident hält die Anträge als Grundrechtsklagen für
zulässig, jedoch seien die Anträge, die richtigerweise gegen das Land Hessen
gerichtet seien, dahin auszulegen, daß sie nicht die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit des ganzen Siebenten Gesetzes zur Änderung des
Hessischen Besoldungsgesetzes begehrten, sondern nur die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit der Aufführung der bisherigen und der neuen
Amtsbezeichnungen der Antragsteller in Art. 1 Nr. 21 des Gesetzes.
Die Grundrechtsklagen seien aber nicht begründet. Der Gleichheitssatz
beschränke den Ermessensspielraum des Gesetzgebers nur in der Weise, daß ihm
Willkür verboten sei. Hier jedoch beruhe die angegriffene Regelung auf
sachgerechten Erwägungen. Verfassungsrechtlich seien Beamte nicht gegen eine
Änderung ihrer Amtsbezeichnungen geschützt. Dies habe das
Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 16. April 1970 – 2 BvR 152/70 –
ausgesprochen. Der hessische Gesetzgeber habe die übergroße und sachlich nicht
erforderliche Vielzahl von bisher 800 verschiedenen Amtsbezeichnungen um rund
230 vermindert; das sei ein sachgerechtes Vereinfachungsbestreben. Hierbei
seien die Antragsteller nicht ungleich behandelt worden, denn alle hessischen
Medizinal- und Baubeamten unterlägen der gleichen Regelung. Die Beibehaltung
des Zusatzes "Ober" in Kombination mit dem Wortteil "Direktor" betreffe
Angehörige anderer Laufbahnen oder solche Ämter, die in Hessen nur einmal
vorhanden seien. Die Amtsbezeichnung "Obermagistratsdirektor" gehöre zu einer
anderen Laufbahn, und die Träger dieser Amtsbezeichnung seien von der Funktion
her mit den Antragstellern nicht vergleichbar. Beim "Oberbranddirektor in ..." und
beim "Oberverwaltungsdirektor bei der Landesversicherungsanstalt" handele es
sich um typische Einzelämter, deren Heraushebung nicht als sachfremd
anzusehen sei. Die Amtsbezeichnung "Oberbergamtsdirektor" ergebe sich
zwangsläufig aus der Benennung der Behörde als Oberbergamt (§ 1 Abs. 1 VO
über die Errichtung eines Hessischen Oberbergamtes vom 25. 6. 1949 – GVBl. S.
60). Die Differenzierung zwischen "Oberlandforstmeister" (A 16) und
"Landforstmeister" (A 15) betreffe ebenfalls eine andere Laufbahn. Außerdem
handele es sich hierbei nicht um die sprachlich mißglückte und schwerfällige
Wortbildung "Ober...direktor".
Im Besoldungsrecht sei es schon immer üblich gewesen, leitende Beamte unter
der gleichen Amtsbezeichnung in unterschiedliche Besoldungsgruppen
einzustufen. Nach bisherigem Besoldungsrecht habe es
Oberstaatsanwälte
in den Besoldungsgruppen A 15 a, A 16, B 3,
Landgerichtspräsidenten in den Besoldungsgruppen B 2, B 3, B 4, B 5,
Polizeipräsidenten
in den Besoldungsgruppen B 1, B 2, B 3,
Polizeivizepräsidenten
in den Besoldungsgruppen A 15, A 16,
Sparkassendirektoren
in den Besoldungsgruppen A 15, A 16, B 2, B 3, B 4, B 5,
B 6, B 7
gegeben. Der Antragsteller ... führe jetzt die gleiche Amtsbezeichnung wie
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gegeben. Der Antragsteller ... führe jetzt die gleiche Amtsbezeichnung wie
Medizinaldirektoren der Besoldungsgruppe B 3.
Im übrigen sei mit dem Siebenten Besoldungsänderungsgesetz nur ein erster
Schritt zur Vereinfachung der Amtsbezeichnungen gegangen worden. Die
überkommenen Zufälligkeiten, Widersprüche und Ungereimtheiten ließen sich nur
schrittweise beseitigen. Auf die Lage in anderen Bundesländern komme es nicht
an. Art. 33 Abs. 5 GG komme als Prüfungsmaßstab für den Staatsgerichtshof nicht
in Betracht. Die Änderung der Amtsbezeichnung habe weder Rechtsstellung,
amtliche Funktion noch Ansehen der Antragsteller geschmälert. Insbesondere
beruhe das Ansehen der Antragsteller in Verbänden nicht auf der
Amtsbezeichnung, sondern auf der fachlichen Qualifikation. Die Kreditwürdigkeit
hänge nur von der Höhe der Besoldung ab. Die Amtsbezeichnung habe überdies
im Verlaufe der letzten Jahrzehnte ihre Bedeutung als Statussymbol weitgehend
verloren.
Im übrigen berate der Landtag soeben über den von allen drei Fraktionen
eingebrachten Entwurf für ein Erstes Gesetz zur Anpassung an das Erste Gesetz
zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern
(Landtagsdrucksache 7/322). Der Entwurf sehe in Art. 4 Nr. 15 eine weitere
Änderung des Anhangs zur Besoldungsordnung A vor. Danach sollten in der
Besoldungsgruppe A 16 die Amtsbezeichnungen "Oberbranddirektor in ...",
"Oberlandforstmeister", "Obermagistratsdirektor, soweit nicht in der
Besoldungsgruppe B 3" und "Oberverwaltungsdirektor bei der
Landesversicherungsanstalt" gestrichen und durch die Amtsbezeichnungen
"Branddirektor in ...", "Magistratsdirektor, soweit nicht in der Besoldungsgruppe B
3", "Verwaltungsdirektor bei der Landesversicherungsanstalt" ersetzt werden. Auch
in der Besoldungsgruppe B 3 werde die Amtsbezeichnung
"Obermagistratsdirektor" durch "Magistratsdirektor" ersetzt.
Da anzunehmen sei, daß dieser Entwurf bereits in Kürze Gesetz werde, sei die
Aussetzung des Verfahrens vor dem Staatsgerichtshof geboten, weil andernfalls
die Gefahr bestehe, daß ein Urteil des Staatsgerichtshofes bei seiner Verkündung
ins Leere gehe.
IV.
Der Landesanwalt hat sich den Ausführungen des Ministerpräsidenten
angeschlossen und ferner vorgetragen, es handele sich bei den
Amtsbezeichnungen lediglich um ein Hilfsmittel der Verwaltungsorganisation.
Wenn sogar die Eingruppierung in die Besoldungsgruppen zur Verfügung des
Gesetzgebers stehe, so müsse dies erst recht für die Amtsbezeichnungen gelten.
Auch er hat die Aussetzung des Verfahrens angeregt.
V.
Die Antragsteller sind den Ausführungen des Hessischen Ministerpräsidenten und
des Landesanwalts entgegengetreten. Eine Aussetzung des Verfahrens halten sie
nicht für geboten.
C.
I
Die Grundrechtsklagen sind zulässig.
1. Die Antragsteller haben die Grundrechte bezeichnet, deren Verletzung sie
rügen, und haben auch die Tatsachen dargelegt, aus denen sich die
Verletzung der Grundrechte ergeben soll (§ 46 Abs. 1 StGHG).
2. Abgesehen vom Fall des § 48 Abs. 1 StGHG – wenn nämlich die Bedeutung der
Sache über den Einzelfall hinausgeht, insbesondere mit einer Wiederholung zu
rechnen ist und daher eine allgemeine Regelung erforderlich erscheint – findet
ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof wegen Verletzung eines Grundrechts
nur nach Ausschöpfung des Rechtsweges vor den Gerichten statt. Indes gilt
dies dann nicht, wenn eine Rechtsnorm gegenwärtig und unmittelbar in ein
Grundrecht eines Bürgers eingreift, ohne daß eine Ausführungsnorm oder ein
Vollziehungsakt hinzutreten müßte. In einem solchen Ausnahmefall fehlt dem
Betroffenen überhaupt die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten, so daß
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Betroffenen überhaupt die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten, so daß
nur die unmittelbare Anrufung der Verfassungsgerichtsbarkeit den Schutz der
Grundrechte gewährleisten kann (Hess. StGH in ständiger Rechtsprechung,
zuletzt im Urteil vom 7. Januar 1970 – P. St. 539 –, ESVGH 20, 206 = StAnz.
1970, 342 = DÖV 1970, 243 mit zahlreichen Nachweisen).
So liegt es hier. Das Siebente Besoldungsänderungsgesetz legt sich mit Art. 5 die
Kraft zu, die Amtsbezeichnungen der von Änderungen betroffenen Beamten,
unbeschadet des Umstandes, daß diesen Beamten durch Aushändigung einer
Ernennungsurkunde die bisherige Amtsbezeichnung rechtswirksam verliehen
worden ist, unmittelbar zu ändern mit der Wirkung, daß diese Beamten mit dem
Inkrafttreten des Gesetzes ihre alten Amtsbezeichnungen verlieren und die neuen
Amtsbezeichnungen zu tragen haben. Ob in einem solchen Fall der Dienstherr die
betroffenen Beamten auf die Änderung der Amtsbezeichnung hinweist oder nicht,
ist rechtlich ohne Bedeutung, denn selbst dann, wenn der Dienstherr dem
Beamten eine solche Mitteilung zukommen läßt, fehlt ihr die für jeden
Verwaltungsakt notwendige unmittelbare rechtliche Wirkung, so daß sie nicht im
Verwaltungsrechtswege anfechtbar wäre. Hätten die Antragsteller gleichwohl den
Verwaltungsrechtsweg beschritten, so hätte das Verwaltungsgericht das Verfahren
an den Staatsgerichtshof verweisen müssen. Das Recht der Antragsteller zur
unmittelbaren Anrufung des Staatsgerichtshofs folgt aus Art. 131 Abs. 3 HV in
Verbindung mit § 45 Abs. 2 StGHG. Danach kann in Hessen jedermann, der sich in
seinen verfassungsrechtlich gewährten Grundrechten verletzt fühlt,
Grundrechtsklage erheben, also auch, wenn er durch eine verfassungswidrige
Rechtsnorm verletzt wird. Voraussetzung für eine solche gegen ein Gesetz
gerichtete Grundrechtsklage ist nur, daß der Antragsteller tatsächlich selbst,
gegenwärtig und unmittelbar rechtlich betroffen wird.
3. Die Grundrechtsklagen sind auch rechtzeitig erhoben. Eine Vorschrift wie § 93
Abs. 2 BVerfGG, wonach die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz nur
binnen eines Jahres seit seinem Inkrafttreten erhoben werden kann, enthält
das Gesetz über den Staatsgerichtshof nicht. Im Urteil vom 7. Januar 1970 – P.
St. 539 – hat der Staatsgerichtshof offen lassen können, ob es für
Grundrechtsklagen, die sich gegen ein Gesetz richten, mangels gesetzlicher
Regelung überhaupt eine Frist gibt, weil in jenem Fall der Antragsteller seine
Grundrechtsklage zu dem denkbar frühesten Zeitpunkt erhoben hatte.
Der Antragsteller zu 1. hat mit der Einreichung seiner Grundrechtsklage 6 1/2
Wochen, der Antragsteller zu 4. hat 9 Wochen nach dem Inkrafttreten des
Gesetzes zugewartet. Dieser Zeitraum kann jedoch selbst dann nicht als zu lang
angesehen werden, wenn man, was beim Fehlen einer Fristvorschrift wegen der
Tragweite eines solchen Eingriffs aus Gründen der Rechtssicherheit naheliegt,
davon ausgeht, daß jede Rechtsausübung, also auch das Recht auf Einleitung
eines Verfahrens, den Grundsätzen von Treu und Glauben unterliegt und
insbesondere verwirkt werden kann (vgl. Baumgärtel in ZZP 67, 423). Jede
Verwirkung setzt in erster Linie den Ablauf eines längeren Zeitraumes voraus.
Dieser Zeitraum wird in Anbetracht der für das Verfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht gesetzlich geregelten Jahresfrist (§ 93 Abs. 2 BVerfGG),
nicht weniger als ein Jahr betragen dürfen. Jeder kürzere Zeitraum liefe auf eine
verfassungsrechtlich bedenkliche Beschneidung des durch die Hessische
Verfassung gewährten Grundrechtsschutzes hinaus.
II.
Die Grundrechtsklagen sind auch begründet.
1. Gemäß Art. 1 HV sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich, ohne Unterschied
des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und politischen
Überzeugung. Dieser Verfassungssatz ist inhaltsgleich mit Art. 3 GG, so daß
die Erkenntnisse zu Art. 3 GG ohne weiteres auch für die Beurteilung dieses
Falles herangezogen werden können.
Der allgemeine Gleichheitssatz bindet auch den Gesetzgeber. Allerdings bietet er
dem Verfassungsgericht keine Möglichkeit, ein Gesetz unter dem Gesichtspunkt
"allgemeiner Gerechtigkeit" nachzuprüfen und damit seine Auffassung von
Gerechtigkeit an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen. Diesem läßt
der Gleichheitssatz vielmehr einen weiten Bereich des Ermessens offen (BVerfGE
3, 182); er zieht dem Gesetzgeber nur äußerste Grenzen (BVerfGE 11, 123). Ob
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3, 182); er zieht dem Gesetzgeber nur äußerste Grenzen (BVerfGE 11, 123). Ob
diese äußerste Grenze überschritten ist oder nicht, kann allerdings beim Vorliegen
differenzierender Regeln nur daran gemessen werden, ob für diese Differenzierung
"sachlich einleuchtende Gründe bestehen, die dem Gerechtigkeitsgefühl
entsprechen und keine Willkür erkennen lassen" (BVerfGE 15, 343). Eine
differenzierende Regelung muß dann als willkürlich bezeichnet werden, wenn sich
ein vernünftiger, aus der Natur der Saché sich ergebender oder sonstwie
einleuchtender Grund für die Differenzierung nicht finden läßt (BVerfGE 12, 348).
Eine willkürlich ungleiche Behandlung im wesentlichen gleicher Sachverhalte
untersagt der Gleichheitssatz (BVerfGE 11, 287). Ob die Ungleichbehandlung mit
Nachteilen verbunden ist, ist gleichgültig; es genügt die Ungleichbehandlung
(BVerfGE 18, 46).
2. Die Änderung der Amtsbezeichnungen der Antragsteller stellt sich in doppelter
Hinsicht als eine differenzierende Regelung dar. Zum einen hat das
Besoldungsänderungsgesetz gleiche Amtsbezeichnungen für Beamte in
unterschiedlicher Funktion teils übernommen, teils für weitere Fälle eingeführt;
zum anderen hat es Beamten in gleicher oder zumindest vergleichbarer
Funktion ungleiche Amtsbezeichnungen verliehen. Jeder dieser beiden
Tatbestände ist gesondert zu prüfen. Denn der Gleichheitssatz kann sowohl
durch die Gleichbehandlung ungleicher Fälle wie auch durch die
Ungleichbehandlung gleicher Fälle verletzt werden, wenn es für die
Gleichbehandlung im ersten und für die Ungleichbehandlung im zweiten Fall an
verständlichen, vernünftigen, einleuchtenden, aus der Natur der Sache sich
ergebenden Gründen fehlt.
a) Was zunächst den Umstand betrifft, daß der Antragsteller zu 1. die
Amtsbezeichnung "Medizinaldirektor" führen muß, obgleich diese
Amtsbezeichnung nach dem Gesetz auch für Beamte in den
Besoldungsgruppen A 15 (Art. 2 Nr. 20), B 2 und B 3 verwendet wird, so kann
hierin eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht erblickt werden. Denn für
eine solche vereinheitlichte Amtsbezeichnung für Ämter unterschiedlichen
Inhaltes und – demgemäß – unterschiedlicher Besoldung gibt es
einleuchtende und verständliche Gründe. Wenn der Gesetzgeber gezwungen
wäre, für jedes der vier Beförderungsämter eine gesonderte Amtsbezeichnung
zu verwenden, sähe er sich vor eine schon sprachlich kaum lösbare Aufgabe
gestellt. Zutreffend verweist sodann der Hessische Ministerpräsident auf den
Umstand, daß sich ein Auffassungswandel dahin vollzieht, daß die
Amtsbezeichnung nicht mehr im gleichen Umfang wie noch vor wenigen
Jahrzehnten eine Bedeutung als Statussymbol besitzt. Diese Entwicklung
entspricht auch dem fortschreitenden Vollzug des Gleichheitssatzes. Der
Gesetzgeber hatte nämlich in der jüngsten Vergangenheit ohne zwingenden
Grund Amtsbezeichnungen eingeführt, die innerhalb der Beförderungsämter
vielfältige Differenzierungen brachten. Diese entsprachen weder den
herkömmlichen Grundsätzen des Beamtenrechts, noch waren sie
funktionsnotwendig. Wenn nun der Gesetzgeber solche Amtsbezeichnungen
einebnet, so kann er daran nicht durch das im Gleichheitssatz enthaltene
Differenzierungsgebot gehindert werden. Vielmehr liegt es in seinem
Ermessen, eine als fehlsam erkannte Entwicklung dadurch rückgängig zu
machen, daß er für benachbarte Besoldungsgruppen, die ihrerseits innerhalb
der Gruppe der Beförderungsämter liegen, eine einheitliche Amtsbezeichnung
wählt, die hinreichend erkennen läßt, daß der Amtsinhaber Träger eines Amtes
mit Leitungsfunktionen ist.
Entsprechendes gilt für die Antragsteller zu 2. bis 4. Zwar ist die Amtsbezeichnung
"Baudirektor" nach dem Gesetz nur für Beamte in den Besoldungsgruppen A 15
und A 16 vorgesehen, so daß sich der Gesetzgeber nicht – wie im Falle des
Antragstellers zu 1. – vor schon sprachlich kaum lösbaren Aufgaben sah. Jedoch
rechtfertigen die geschilderten Entwicklungstendenzen die gesetzliche Angleichung
der Amtsbezeichnungen von Stelleninhabern benachbarter Besoldungsgruppen
mit Leitungsfunktionen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
Beschluß vom 16. April 1970 – 2 BvR 152/70 – ausdrücklich – wenn auch ohne
nähere Begründung – ausgesprochen. Dem schließt sich der Staatsgerichtshof an,
ohne daß er auf entgegenstehende Rechtsprechung eingehen müßte.
b) Im Gegensatz hierzu werden jedoch die Antragsteller in ihrem Grundrecht auf
Gleichheit vor dem Gesetz dadurch verletzt, daß der Gesetzgeber zwar die
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Gleichheit vor dem Gesetz dadurch verletzt, daß der Gesetzgeber zwar die
Amtsbezeichnungen der Antragsteller, nicht jedoch auch die
Amtsbezeichnungen "Oberbranddirektor", "Oberlandforstmeister",
"Obermagistratsdirektor" und "Oberverwaltungsdirektor bei der
Landesversicherungsanstalt" dahin geändert hat, daß der Zusatz "Ober..."
entfällt. Diese vier letztgenannten Amtsbezeichnungen beziehen sich auf die
leitenden Beamten der Feuerlöschpolizei, des Magistrats, der Forstverwaltung
und der Verwaltung der Landesversicherungsanstalt. Verständliche,
vernünftige, einleuchtende, aus der Natur der Sache sich ergebende Gründe,
warum das Besoldungsänderungsgesetz jene leitenden Beamten, die
ebenfalls wie die Antragsteller in die Besoldungsgruppe A 16 eingruppiert sind,
anders behandelt als die leitenden Beamten des Gesundheits- und des
Bauwesens, sind nicht ersichtlich.
Aus den Materialien des Gesetzes sind solche Gründe nicht erkennbar. Daß der
Vorsitzende und der Berichterstatter des Landtagsausschusses sich nicht
geäußert haben, läßt zwar nicht unbedingt den Schluß zu, es habe an Gründen für
eine solche Differenzierung gefehlt, spricht jedoch eher gegen als für das
Vorhandensein solcher Gründe. Aus der Natur der Sache, etwa aus dem
Amtsinhalt oder der Funktion der ungleich behandelten Amtsträger, ergeben sich
ebenfalls keine einleuchtenden Gründe für die unterschiedliche Behandlung.
Unterschiede der Laufbahn zwischen den leitenden Beamten des Gesundheits-
und Bauwesens einerseits und den leitenden Beamten des Verwaltungs-,
Feuerlösch- und Forstwesens andererseits geben keinen verständlichen Grund
dafür her, warum die Vereinfachung und Bereinigung der Amtsbezeichnungen nur
die einen betreffen, die anderen dagegen nicht betreffen sollen. Daß nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Beamte seine Stellung nur
mit der anderer Beamter innerhalb der eigenen Laufbahn soll vergleichen können
(BVerfGE 13, 363), trifft zwar für die Frage der richtigen Einstufung in die
Besoldungsgruppen zu, gilt aber nicht für eine quer durch alle Laufbahnen
reichende Bereinigung der Amtsbezeichnungen, wenn die Beamten der gleichen
Besoldungsgruppe und demgemäß vergleichbarer Funktion teils in die Bereinigung
einbezogen, teils nicht einbezogen werden. Die Funktionellen Gemeinsamkeiten
zwischen dem leitenden Beamten eines städtischen Gesundheitsamtes, eines
Stadtplanungsamtes, eines Stadtreinigungsamtes und eines
Stadtentwässerungsamtes einerseits, dem leitenden Beamten der städtischen
Feuerlöschpolizei und dem leitenden Beamten der Magistratsverwaltung
andererseits sind größer als die Unterschiede. Das gleiche gilt hinsichtlich der
leitenden Beamten im staatlichen Bereich, z. B. des Forstwesens, des
Gesundheitswesens, der Verwaltung der Landesversicherungsanstalt.
Gerade das Beispiel der vier Antragsteller zeigt, daß bei der Bereinigung der
Amtsbezeichnungen auf Unterschiede der verschiedenen Laufbahnen keine
Rücksicht genommen wurde, denn Beamte des Bauwesens und des
Gesundheitswesens gehören ebenfalls verschiedenen Laufbahnen an.
Andererseits sind gerade auch diejenigen Laufbahnen in die Bereinigung der
Amtsbezeichnungen einbezogen worden, die der Ministerpräsident als hiervon
verschont darstellen möchte:
a) Der "Oberbranddirektor" gehört der gleichen Laufbahn, nämlich der höheren
Polizeilaufbahn, an wie der "Polizeidirektor" alten Rechts. Nach neuem Recht
nennt er sich nunmehr "Direktor der Schutzpolizei". Der "Leitende
Kriminaldirektor" trägt nunmehr die Amtsbezeichnung "Kriminaldirektor,
Direktor des Landeskriminalamtes".
b) Der "Oberlandforstmeister" gehört der gleichen Laufbahn, nämlich der
höheren Forstlaufbahn, an wie der "Städtische Forstdirektor" alten Rechts.
Nach neuem Recht trägt er die Amtsbezeichnung "Forstdirektor".
Auch kann man nicht sagen, daß typische Einzelämter aus der Bereinigung der
Amtsbezeichnungen herausgenommen worden seien; denn beispielsweise trägt
der "Verwaltungsdirektor bei den Stadtwerken ..." nunmehr die Amtsbezeichnung
"Direktor bei den Stadtwerken ...".
Schließlich kann auch nicht gesagt werden, daß der Gesetzgeber den Wortteil
"Ober-" im wesentlichen beseitigen wollte, denn aus der alten Amtsbezeichnung
"Schulpsychologe und Oberstudienrat bei Gymnasien und berufsbildenden
Schulen" ist – bei gleichbleibender Besoldungsgruppe – die neue Amtsbezeichnung
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Schulen" ist – bei gleichbleibender Besoldungsgruppe – die neue Amtsbezeichnung
"Schuloberpsychologe" geworden.
Vielmehr kann nur angenommen werden, daß dem Gesetzgeber hier ein Versehen
unterlaufen ist: Er hat die Oberdirektoren des Magistrats, der Verwaltung der
Landesversicherungsanstalt und den leitenden Feuerlöschbeamten einfach bei der
Titelbereinigung vergessen. So erklärt sich auch die Stellungnahme des
Ministerpräsidenten, das Besoldungsänderungsgesetz stelle nur einen ersten
Schritt zur Beseitigung überkommener Ungereimtheiten dar und es würden
weitere Schritte folgen. Das Vorhandensein von "Ungereimtheiten" in bezug auf
die Amtsbezeichnungen wird demnach zugegeben und es wird in Aussicht gestellt,
diese Ungereimtheiten zu beseitigen. Indes ist eine solche Absicht dem Gesetz
nicht zu entnehmen. Für die Frage, ob dieses Gesetz so, wie es vorliegt, den
Gleichheitssatz verletzt, ist eine Absichtserklärung des Ministerpräsidenten ohne
Bedeutung. Nur insofern ist dem Ministerpräsidenten zu folgen, daß durch die
Einführung der Amtsbezeichnung "Oberbergamtsdirektor" der Gleichheitssatz zu
Lasten der Antragsteller nicht verletzt ist, weil die Behörde "Oberbergamt" heißt.
Ein weiteres Argument dafür, daß es sich insoweit um ein Versehen des
Gesetzgebers handelt, ergibt sich aus dem Umstand, daß im Zeitpunkt der
Hauptverhandlung im vorliegenden Verfahren dem Hessischen Landtag ein von
allen Landtagsfraktionen eingebrachter Entwurf eines Ersten Gesetzes zur
Anpassung an das Erste Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des
Besoldungsrechts in Bund und Ländern (Landtagsdrucksache 7/322) zur
Behandlung vorlag, welcher vorsieht, gerade jene vier Amtsbezeichnungen
"Oberbranddirektor", "Oberlandforstmeister", "Obermagistratsdirektor" und
"Oberverwaltungsdirektor bei der Landesversicherungsanstalt" nunmehr des
Zusatzes "Ober-" zu entkleiden. Offensichtlich ist der Gesetzgeber bemüht, sein
Versehen, das ihm beim Besoldungsänderungsgesetz unterlaufen ist, jetzt
auszugleichen.
Indes bestand für den Staatsgerichtshof keine Veranlassung, dieses Verfahren
auszusetzen. Da die Antragsteller sich nicht in der Lage sahen, allein die Existenz
eines Gesetzentwurfes zum Anlaß zu nehmen, ihre Grundrechtsklagen für erledigt
zu erklären, und da sie in diesem Verfahren nicht nur ihre Ungleichbehandlung
gegenüber den Trägern jener vier Amtsbezeichnungen, sondern daneben auch die
Schädigung ihres Ansehens, die in der Streichung des Zusatzes "Ober-" liegen soll,
als Grundrechtsverletzung rügen, kann von einer Erledigung der
Grundrechtsklagen weder zum – allein maßgeblichen – Zeitpunkt der
Hauptverhandlung noch zum Zeitpunkt der Verkündung dieser Entscheidung
gesprochen werden. Es kommt hinzu, daß selbst dann, wenn – wie hier – eine
Grundrechtsklage sich gegen ein Gesetz richtet, nicht dieses Gesetz isolierter
Gegenstand der Entscheidung des Staatsgerichtshofs ist wie bei einem
Normenkontrollverfahren. Ob bei einem Normenkontrollverfahren noch Raum für
eine Entscheidung besteht, wenn das Gesetz, um dessen Gültigkeit es geht, im
Zeitpunkt der Verkündung durch ein änderndes Gesetz aufgehoben ist, braucht
hier nicht entschieden zu werden. Bei einer Grundrechtsklage dagegen geht es nur
um die Feststellung, ob das Gesetz die Grundrechte eines Antragstellers im
Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch gegenwärtig und unmittelbar verletzt.
Das ist hier der Fall. Zwar verletzt das Besoldungsänderungsgesetz das
Grundrecht der Antragsteller auf Gleichheit vor dem Gesetz nicht durch die
Bereinigung und Vereinfachung der Amtsbezeichnungen und auch nicht allein
durch die Streichung des Zusatzes "Ober-" in der Amtsbezeichnung der
Antragsteller, sondern es verletzt dieses Grundrecht der Antragsteller nur durch
die sachfremde Differenzierung bei der Verfolgung des gesetzgeberischen Zieles,
indem der Gesetzgeber es unterlassen hat, die Bereinigung und Vereinfachung
der Amtsbezeichnungen auch auf jene leitenden Beamten auszudehnen, die mit
den vier Antragstellern in der gleichen Besoldungsgruppe geführt werden und in
vergleichbaren Funktionen tätig sind.
Es liegt also ein Fall der Verletzung des Gleichheitssatzes durch sog. teilweises
Unterlassen des Gesetzgebers (vgl. Leibholz-Rink, Kommentar zum Grundgesetz,
3. Aufl., Anm. 16 zu Art. 3 GG) vor. In einem solchen Fall kann das
Verfassungsgericht die notwendige Ergänzung des Gesetzes weder selbst
vornehmen noch durch seinen Beschluß anordnen (BVerfGE 15, 76). Vielmehr
muß es sich auf die Feststellung beschränken, daß die Begünstigung besonderer
Gruppen oder die Nichtberücksichtigung einzelner Gruppen verfassungswidrig ist;
dann bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, in welcher Weise er durch eine
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dann bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, in welcher Weise er durch eine
Neuregelung dem Gleichheitssatz Rechnung tragen will. Im hier vorliegenden Falle
heißt das: Dem Gesetzgeber bleibt es überlassen, ob er die Titelbereinigung bei
den Oberbau- und Obermedizinaldirektoren rückgängig machen will (in diesem Fall
würde nicht eine neue Ungleichheit entstehen, denn es gibt keine weiteren
"Ober...direktoren"), oder ob er auch die Amtsbezeichnungen "Oberbranddirektor"
in "Branddirektor", "Oberlandforstmeister" in "Landforstmeister",
"Obermagistratsdirektor" in "Magistratsdirektor" und "Oberverwaltungsdirektor bei
der Landesversicherungsanstalt" in "Verwaltungsdirektor" ändern will.
3. Die Antragsteller rügen mit erkennbarer, wenn auch nicht ausdrücklicher
Bezugnahme auf Art. 3 HV, die vom Besoldungsänderungsgesetz
angeordnete Streichung des Zusatzes "Ober-" verletze ihre Menschenwürde,
indem diese Streichung in den Augen Außenstehender den Eindruck einer
Disziplinarmaßnahme hervorrufe.
Dieser Auffassung kann der Staatsgerichtshof nicht folgen. Indem Art. 3 HV Ehre
und Würde des Menschen für unantastbar erklärt, begründet diese Vorschrift ein
Grundrecht auf Achtung der Eigensphäre (Maunz-Dürig, Komm. z. GG, Bd. 1 Art. 2
Abs. 1 Rand-Nr. 40). Art. 3 HV stimmt inhaltlich mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG überein und gilt daher gemäß Art. 142 GG als Landesgrundrecht fort
(Zinn-Stein, Komm. z. HV, 1954, Art. 3 Anm. 1). Die Interpretation des
Würdebegriffes macht eine Analyse der herrschenden rechtsethischen
Vorstellungen erforderlich. Maßgeblich sind hierbei nicht nur die Vorstellungen, die
bei der Schaffung der Verfassung obwalteten, sondern es sind auch die inzwischen
eingetretenen Konkretisierungen, Differenzierungen und Wandlungen dieser
Vorstellungen zu berücksichtigen (Bonner Komm. z. GG, Anm. 2 a zu Art. 1).
Bei aller Unschärfe des Würdebegriffes und der daraus resultierenden
Schwierigkeit der Interpretation kann doch mit hinreichender Sicherheit festgestellt
werden, daß die Würde des Menschen nicht in erster Linie in seiner Geltung nach
außen, sondern mehr und mehr im sittlichen Eigenwert, der dem Menschen um
seiner selbst und nicht um anderer Güter und Zwecke willen zukommt, zu finden
ist. Im Verfolg dieser Entwicklung läßt sich aus Art. 3 HV kaum mehr etwas zur
Aufrechterhaltung überkommener Prestige-Vorstellungen herleiten.
Hiermit stimmt es überein, wenn die Antragsteller selbst erklären, sie legten
innerdienstlich auf den Gebrauch ihrer Amtsbezeichnung keinen Wert.
Im dienstlichen und außerdienstlichen Verkehr Dritten gegenüber können jedoch
die Antragsteller ohnehin nicht auf dem Gebrauch der Amtsbezeichnung
bestehen. Das Ansehen der Antragsteller beruht vielmehr entscheidend auf ihrer
Funktion. Wer in ... ... das Gesundheitsamt, das Stadtplanungsamt, das
Stadtentwässerungsamt oder das Stadtreinigungsamt leitet und auf diese
Funktion unverändert verweisen kann, ist der gesellschaftlichen Schätzung in
gleicher Weise gewiß wie jeder Mensch, der an verantwortlicher Stelle steht und
seine Aufgabe erfüllt.
Es mag zutreffen, daß die Änderung der Amtsbezeichnung dann, wenn die
Antragsteller bisher sich im Verkehr mit Dritten dieser Amtsbezeichnung bedient
haben, den Eindruck einer disziplinarischen Dienstgradherabsetzung erwecken
kann, solange der Gedanke einer Bereinigung und Vereinfachung der
Amtsbezeichnungen nicht auch in anderen Bundesländern zu konkreten
Regelungen geführt hat. Indes erleiden die Antragsteller, wenn sie diesen Eindruck
vermeiden wollen, keine Einbuße ihrer Menschenwürde, sondern haben nur die
Unbequemlichkeit in Kauf zu nehmen, auf die in Hessen praktizierte
Titelbereinigung hinweisen zu müssen.
Jedenfalls sieht sich der Staatsgerichtshof nicht genötigt, insoweit von dem
Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. April 1970 – 2 BvR 152/70 –
abzuweichen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Jener
Beschluß hat, wie bereits hervorgehoben, die Vereinfachung umständlicher
Amtsbezeichnungen und die Verminderung des Unterschiedes zwischen
benachbarten Besoldungsgruppen durch Festlegung gleicher Amtsbezeichnungen
für verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet. Zwar hat der Beschluß
ausdrücklich nur den Gleichheitssatz des Art. 3 GG erwähnt, jedoch kann nicht
angenommen werden, daß das Bundesverfassungsgericht hierbei das Grundrecht
der Menschenwürde aus dem Auge verloren hat, zumal es in jenem Fall darum
ging, daß sechs hessische Beamte, die sich nach altem Recht "Leitender
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ging, daß sechs hessische Beamte, die sich nach altem Recht "Leitender
Regierungsdirektor" nennen durften, nach dem Inkrafttreten des
Besoldungsänderungsgesetzes die Amtsbezeichnung "Regierungsdirektor" zu
führen hatten, wobei naturgemäß die Problematik einer Würdeverletzung in
gleicher Weise gegeben war.
III.
Unbeschadet des Umstandes, daß das Besoldungsänderungsgesetz das
Grundrecht der Antragsteller auf Gleichheit vor dem Gesetz nicht durch die
Streichung des Zusatzes "Ober-", sondern nur durch das gleichzeitige Unterlassen
dieser Streichung bei vergleichbaren Beamten der gleichen Besoldungsgruppe
verletzt hat, war im Tenor auszusprechen, daß diese Streichung das Grundrecht
der Antragsteller verletzt, weil der Urteilsausspruch für einen dies klarstellenden
Zusatz keinen Raum gibt.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.