Urteil des StGH Hessen vom 13.09.2000

StGH Hessen: rechtliches gehör, persönliche anhörung, freiheit der person, anerkennung, hessen, abschiebung, politische verfolgung, rechtsschutz, stadt, ausreise

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1553
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 3 Verf HE, Art 3 Verf
HE, Art 7 Abs 2 Verf HE, § 45
Abs 1 StGHG , § 44 Abs 1
StGHG
Tenor
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
A
I.
Die Antragsteller wenden sich mit der Grundrechtsklage gegen
verwaltungsgerichtliche Eilentscheidungen in ihren Asyl(folge)streitverfahren sowie
gegen eine ihnen drohende Abschiebung.
Die Antragsteller sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit.
Die Antragstellerin zu 1 ist die Mutter der Antragsteller zu 2 bis 9 und die
Großmutter des Antragstellers zu 10. Der Antragsteller zu 2 ist der Vater des
Antragstellers zu 10. Die 1995 gestellten Anträge der Antragsteller zu 1 bis 9 auf
Anerkennung als Asylberechtigte sind rechtskräftig abgelehnt. Das Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat auf Asylfolgeanträge der
Antragsteller zu 1 bis 9 hin die Durchführung von weiteren Asylverfahren
abgelehnt. Der Antrag des Antragstellers zu 10 auf Anerkennung als
Asylberechtigter wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die hiergegen
gerichteten Klagen der Antragsteller sind seit 1999 beim Verwaltungsgericht
Wiesbaden anhängig.
Die Antragstellerin zu 1 stellte im Hinblick auf die Abschiebungsandrohung im
Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
21. April 1999 über ihren Folgeantrag einen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5
der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, den das Verwaltungsgericht Wiesbaden
mit Beschluss vom 27. Mai 1999 - 7 G 30500/99.A (V) - ablehnte. Zur Begründung
führte das Verwaltungsgericht Wiesbaden im Wesentlichen aus, die Familie der
Antragsteller habe seit 1996 insgesamt - bei Zählung der Einzelpersonen - 25
Gerichtsverfahren beim Verwaltungsgericht Wiesbaden anhängig gemacht, um zu
versuchen, für die Dauer von anhängigen Verfahren in Deutschland bleiben zu
können, obwohl ein Aufenthaltsrecht nicht bestehe. Auch im vorliegenden
Verfahren sei offensichtlich, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen
des Verfahrens nicht erfüllt seien. Zweieinhalb Monate nach unanfechtbarem
Abschluss des ersten Verfahrens habe die Antragstellerin zu 1 einen Folgeantrag
gestellt, dessen wesentlicher Inhalt in der Benennung von Zeugen bestehe. Das
Gericht teile die Auffassung des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid, dass
die Antragstellerin zu 1 sich entgegenhalten lassen müsse, dass sie es grob
verschuldet habe, diese Zeugen nicht schon im vorher abgeschlossenen
Verfahren benannt zu haben. Überdies könne nicht dargelegt werden, dass die
Aussagen dieser Zeugen zu einer günstigeren Entscheidung für die Antragstellerin
zu 1 geführt hätten. Denn im rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts
Wiesbaden vom 24. April 1997 - 4 E 40086/96.A (1) - sei festgestellt worden, dass
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Wiesbaden vom 24. April 1997 - 4 E 40086/96.A (1) - sei festgestellt worden, dass
die Antragstellerin zu 1 in ihrem Heimatland keinen konkreten Verfolgungen
ausgesetzt gewesen sei und in den letzten Monaten ihrer Ausreise in Q gelebt
habe, wo sie eine inländische Fluchtalternative gefunden hätte. Es sei menschlich
verständlich, dass sie ihrem Ehemann und ihren Kindern nach Deutschland habe
folgen wollen. Daraus folge aber kein Rechtstitel. Ebenso wenig stelle die
Teilnahme an einem öffentlichen Hungerstreik nunmehr eine Maßnahme dar, die
in irgendeiner Weise eine Gefährdung der Antragstellerin zu 1 darstellen würde.
Denn sie sei nicht in besonderer Weise als Anführerin oder gar Rädelsführerin einer
oppositionellen Gruppe in einer solchen Weise hervorgetreten, dass ernsthaft zu
befürchten wäre, dass der türkische Geheimdienst sich für ihre Person
interessiere.
Mit Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO vom 3. April 2000 machte die
Antragstellerin zu 1 erstmalig geltend, vor ihrer Ausreise aus der Türkei von
dortigen Sicherheitskräften misshandelt und vergewaltigt worden zu sein. Hierzu
legte sie ein Gutachten der Diplom-Psychologin T - … - vom 27. März 2000 vor.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden lehnte den Abänderungsantrag mit Beschluss
vom 27. April 2000 - 7 G 854/00.A (V) - ab. Zur Begründung führte es aus,
veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend
gemachte Umstände, die eine andere Beurteilung der Sache rechtfertigen
könnten, lägen nicht vor. Dies gelte insbesondere deshalb, weil nach dem Vortrag
der Antragstellerin zu 1 nunmehr der gesamte bisherige Asylvortrag
ausgewechselt worden sei. Denn ausschlaggebendes Fluchtmotiv solle vor
viereinhalb Jahren immer schon nur eine - jetzt erstmals vorgetragene -
Vergewaltigung gewesen sein. Damit könne die Antragstellerin zu 1 aber nach
langen Verwaltungs-, Gerichts- und einem Petitionsverfahren nicht mehr gehört
werden. Sie habe es rechtlich zu vertreten, diese behauptete Vergewaltigung nicht
schon früher geltend gemacht zu haben, wenn dies denn ihr zentrales Fluchtmotiv
gewesen sein sollte. Dabei treffe es nicht zu, wie die Antragstellerin zu 1
gegenüber der Psychologin angegeben habe, dass der Dolmetscher und der
Richter Männer gewesen seien, so dass sie das ihr Widerfahrene vor Gericht nicht
habe vortragen können. Denn im früheren Gerichtsverfahren 4 E 40086/96.A (1)
sei am 24. April 1997 100 Minuten lang vor einer Richterin verhandelt worden,
ohne dass die Antragstellerin zu 1 ihr angeblich zentrales Fluchtmotiv
angesprochen habe. Das Gericht gehe daher davon aus, dass keine Flucht,
sondern eine geplante Einwanderung einer ganzen Familie vorliege, bei der der
Vater zwei Jahre früher ausgewandert sei. Überdies leide das vorgelegte
Gutachten, das sich tief in die Psyche einer Patientin begeben habe, an dem
erkennbaren Mangel, dass keine - namentlich benannte - vereidigte Dolmetscherin
bei der Untersuchung eingesetzt worden sei. Es sei eine Sprachmittlerin
eingesetzt worden, die immer Sprachverständigungsschwierigkeiten gehabt habe.
Damit bleibe z. B. auch offen, ob die kurdische Sprache, in der die Anamnese
erhoben worden sei, den Hauptdialekten kurmanci oder zaza zuzurechnen sei.
Nehme man die diagnostizierte kaum vorhandene Fähigkeit der Antragstellerin zu
1 zur Abstraktion, ihre geringen Gedächtnisleistungen und die Notwendigkeit
hinzu, dass wegen der Sprachverständigungsschwierigkeiten die Fragen mehrmals
hätten abgewandelt und neu formuliert werden müssen, zumal die Patientin aus
eigenem Antrieb keine Erlebnisse und Gegebenheiten berichtet habe, werde das
Gutachten auch inhaltlich praktisch wertlos. Darüber helfe auch die Annahme der
Psychologin nicht hinweg, dass es denkbar sei, dass die anamnestischen Ausfälle
durch die extremen Erlebnisse, wie sie die Patientin angegeben habe, verstärkt
werden könnten. Es komme hinzu, dass standardisierte Verfahren bei der
Exploration, deren Ergebnisse dann vielleicht leichter nachzuvollziehen gewesen
wären, nicht zur Anwendung gekommen seien, sondern vielmehr ein
halbstrukturiertes Interviewverfahren, ohne dass diese Begriffe im Gutachten
erklärt worden seien.
Die Antragstellerin zu 1 stellte mit Schreiben vom 5. Juni 2000 einen weiteren
Abänderungsantrag, mit dem sie insbesondere Verletzungen ihres rechtlichen
Gehörs durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April
2000 - 7 G 854/00.A (V) - geltend machte. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden wies
den Abänderungsantrag der Antragstellerin zu 1 mit Beschluss vom 13. Juni 2000 -
7 G 1372/00.A (V) - ab. Der Abänderungsantrag sei unbegründet, weil der
gesamte neue Vortrag nicht entscheidungserheblich sei. Schon deshalb scheide
eine angebliche Versagung rechtlichen Gehörs durch den Beschluss des
Verwaltungsgerichts vom 27. April 2000 aus. Nach wie vor bestünden keine
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beabsichtigten
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Selbst wenn die Familie in ihrer
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aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Selbst wenn die Familie in ihrer
Heimatregion - die seit Oktober 1997 nicht mehr unter Notstandsrecht stehe - von
lokalen Behörden drangsaliert worden sein sollte, hätte sie noch vor ihrer Ausreise
in einer ruhigeren Region der Türkei außerhalb der kurdischen Gebiete eine so
genannte inländische Fluchtalternative finden können, beispielsweise in einer
westlichen Großstadt der Türkei, wo sie unbehelligt hätten leben und ein
bescheidenes Auskommen hätten finden können. Dies sei bereits mit Beschluss 6
UZ 2236/97.A des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Mai 1998 im
Erstverfahren rechtskräftig festgestellt worden. Zu dieser Frage würde eine im
Eilverfahren ohnehin unübliche mündliche Verhandlung nichts Neues erbringen,
nachdem für die jetzt im Kirchenasyl befindlichen Mitglieder der Familie von 1993
bis 1998 insgesamt fünf mündliche Anhörungen von weisungsfreien
Einzelentscheidern des Bundesamtes und von 1993 bis 1999 insgesamt sechs
mündliche Verhandlungen vor den Verwaltungsgerichten Gießen und Wiesbaden
durchgeführt worden seien. Zur weiteren Begründung werde auf den früheren
Beschluss 7 G 854/00.A (V) vom 27. April 2000 Bezug genommen.
Der Antragsteller zu 2 stellte gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21. April 1999
über seinen Folgeantrag einen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den
das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Beschluss vom 27. Mai 1999 - 7 G
30528/99.A (V) - ablehnte. Mit Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO vom 2.
April 2000 machte er erstmals geltend, vor seiner Ausreise aus der Türkei von
dortigen Sicherheitskräften sexuell misshandelt worden zu sein. Hierzu legte er ein
Gutachten der Diplom-Psychologin T - … - vom 27. März 2000 vor. Das
Verwaltungsgericht Wiesbaden lehnte den Abänderungsantrag mit Beschluss vom
27. April 2000 - 7 G 856/00.A (V) - ab. Veränderte oder im ursprünglichen
Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände als
Voraussetzungen einer Abänderungsentscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO
lägen nicht vor. Mit dem psychologischen Gutachten vom 27. März 2000 werde
nichts Neues im Sinne eines geänderten Sachverhaltes vorgetragen. Das Gericht
teile die Ansicht der Bundesrepublik Deutschland als Antragsgegnerin, dass dieses
Gutachten rechtlich gesehen weder einen neuen noch überhaupt einen politischen
Verfolgungstatbestand beinhalte, der den Rückschluss darauf zuließe, dass der
Antragsteller zu 2, vor seiner angeblichen Flucht aus der Türkei in einer landesweit
aussichtslosen Situation gestanden hätte. Vielmehr wäre es ihm und seiner
Familie auch damals schon zuzumuten gewesen, aus der türkischen Provinz E, die
seit 1996 nicht mehr unter Notstandsrecht stehe, auszureisen und sich in den
Westen der Türkei zu begeben. Denn wenn einem Flüchtling die Situation in
seinem türkischen Heimatdorf unerträglich erscheine, habe er nur dann einen
Anspruch auf rechtlichen Schutz im fernen Deutschland, wenn er in seiner Heimat
landesweit eine politische Verfolgung zu befürchten habe. Jedenfalls davon könne
im Fall des Antragstellers zu 2 und seiner Familie aber nicht ausgegangen werden.
Der im Gutachten vorgetragene Sachverhalt einer angeblichen Vergewaltigung sei
im Übrigen verbraucht und könne nicht mehr geltend gemacht werden, weil dies
bereits im Erstverfahren vom November 1995 hätte vorgetragen werden müssen.
Der Antragsteller zu 2 habe diesem Sachverhalt auch selbst keine Dimension
einer politischen Verfolgung beigemessen. Denn anders sei es nicht zu erklären,
dass er nunmehr nach jahrelangen Verfahren, nach Beratung durch zwei Anwälte
für Asylrecht und durch Flüchtlingsorganisationen und nach einem langen
Petitionsverfahren vor dem Hessischen Landtag viereinhalb Jahre nach seiner
Einreise erstmals eine Vergewaltigung schon vor der damaligen Ausreise aus der
Türkei vortrage und behaupte. Hinsichtlich der Frage, warum der Antragsteller zu 2
die angebliche Vergewaltigung erst in einem Gerichtsverfahren nach § 80 Abs. 7
VwGO - und überdies bereits im Folgeverfahren stehend - vortrage, erschöpfe sich
das psychologische Gutachten in dem Hinweis auf die Religionszugehörigkeit des
Antragstellers zu 2. Damit könne die gesetzliche Pflicht eines Asylsuchenden (vgl.
§ 25 Abs. 1 AsylVfG), von sich aus alle erforderlichen Angaben zur Begründung
einer behaupteten Verfolgung zu machen, auch im vorliegenden Falle nicht
umgangen werden. Der Antragsteller zu 2 stellte mit Schreiben vom 5. Juni 2000
einen weiteren Abänderungsantrag, in dem er insbesondere Verletzungen seines
Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April 2000 geltend machte. Das
Verwaltungsgericht Wiesbaden wies den Abänderungsantrag mit Beschluss vom
13. Juni 2000 - 7 G 1374/00.A (V) - zurück. Die Begründung des Beschlusses vom
13. Juni 2000 ist im Wesentlichen mit der Begründung des die Antragstellerin zu 1
betreffenden Beschlusses vom selben Tag wortgleich.
Die Antragsteller zu 3 bis 9 suchten gegen die Bescheide des Bundesamtes für die
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Die Antragsteller zu 3 bis 9 suchten gegen die Bescheide des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, mit denen ihre Anträge auf Durchführung
eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt wurden, um vorläufigen
verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nach. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden
lehnte diese Anträge mit Beschlüssen vom 27. April 2000 - 7 G 849/00.A (V)
(Antragsteller zu 3), 7 G 848/00.A (V) (Antragsteller zu 4), 7 G 847/00.A (V)
(Antragsteller zu 5 bis 9) - ab. Die Abänderungsanträge der Antragsteller zu 3 bis
9 vom 5. Juni 2000, zu deren Begründung sie sich sämtlich auf das Vorbringen des
Antragstellers zu 2 in dessen Abänderungsantrag vom selben Tag beriefen, die
Antragstellerin zu 4 zudem auf ihre Nierenerkrankung, wurden vom
Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Beschlüssen vom 13. Juni 2000
zurückgewiesen.
Den Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO des Antragstellers zu 10 gegen
die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 8. Juni 1999 wies das Verwaltungsgericht Wiesbaden
mit Beschluss vom 29. Juni 1999 - 7 G 40173/99.A (V) - zurück. Einen ersten
Abänderungsantrag des Antragstellers zu 10 nach § 80 Abs. 7 VwGO lehnte das
Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Beschluss vom 27. April 2000 - 7 G 855/00.A
(V) - ab, einen zweiten Abänderungsantrag mit Beschluss vom 13. Juni 2000 - 7 G
1373/00.A (V) -. Die Begründung des Beschlusses vom 13. Juni 2000 ist im
Wesentlichen wortgleich mit den Begründungen der die Antragsteller zu 1 und 2
betreffenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom selben Tag.
Bei der Ausländerbehörde der Stadt R beantragten die Antragsteller mit Schreiben
vom 30. Juni 2000 die Erteilung von Duldungen nach § 55 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 des
Ausländergesetzes.
Das Bundesverfassungsgericht nahm mit Beschluss vom 30. Mai 2000 - 2 BvR
748/00 - eine Verfassungsbeschwerde der Antragsteller zu 1. bis 10. gegen die
Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April 2000 - 7 G 854/00.A
(V), 7 G 856/00.A (V), 7 G 849/00.A (V), 7 G 848/00.A (V), 7 G 847/00.A (V), 7 G
855/00.A (V) - nicht zur Entscheidung an. Mit Beschluss vom 22. August 2000 - 2
BvR 1207/00 - wurde eine weitere Verfassungsbeschwerde der Antragsteller zu 1 -
10, die auch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000
- 7 G 1372/00.A (V), 7 G 1374/00.A (V), 7 G 1371/00.A (V), 7 G 1370/00.A (V), 7 G
1369/00.A (V), 7 G 1373/00.A (V) - umfasste, nicht zur Entscheidung
angenommen.
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April 2000 wurden
den Antragstellern am 28. April 2000 (Antragsteller zu 2.), 3. Mai 2000
(Antragstellerin zu 1) und am 4. Mai 2000 (Antragsteller zu 3 bis 10) schriftlich
bekannt gegeben. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13.
Juni 2000 wurden den Antragstellern zu 1 bis 9 am 15. Juni 2000, dem Antragsteller
zu 10 am 12. Juli 2000 schriftlich bekannt gegeben.
Am Montag, den 17. Juli 2000, haben die Antragsteller, (…), Grundrechtsklage
beim Staatsgerichtshof erhoben.
Sie rügen Verletzungen von Art. 1, Art. 2, Art. 3, Art. 4, Art. 5, Art. 6, Art. 7 Satz 2,
Art. 9, Art. 67 und Art. 69 Abs. 2 der Verfassung des Landes Hessen (kurz:
Hessische Verfassung - HV -) durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts
Wiesbaden vom 27. April 2000 und vom 13. Juni 2000 sowie bevorstehende
Grundrechtsverletzungen durch die ihnen drohende Abschiebung. Der in der
Hessischen Verfassung verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs
sei zunächst verletzt, weil das Verwaltungsgericht Wiesbaden weder vor dem
Erlass der Beschlüsse vom 27. April 2000 noch vor dem Erlass der Beschlüsse
vom 13. Juni 2000 die beantragte persönliche Anhörung der Antragsteller
vorgenommen habe. Diese sei wegen der gegenüber den ersten Asylverfahren
veränderten Prozesssituation - Bekanntwerden des sexuellen Missbrauchs der
Antragsteller zu 1 und 2, Schicksal des Ehemannes der Antragstellerin zu 1 nach
dessen Abschiebung, neue Zeugen - zwingend geboten gewesen. Eine weitere
Verletzung des Gehörsrechts der Antragsteller liege darin, dass das
Verwaltungsgericht Wiesbaden in den Beschlüssen vom 27. April 2000 und vom
13. Juni 2000 eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den beiden vorgelegten
psychologischen Gutachten verweigert bzw. mit unhaltbaren und nicht
nachvollziehbaren Überlegungen den Wert des die Antragstellerin zu 1
betreffenden Gutachtens in Frage gestellt habe. Der Anspruch der Antragsteller zu
2 und 3 auf rechtliches Gehör sei zudem verletzt, weil das Gericht in den
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2 und 3 auf rechtliches Gehör sei zudem verletzt, weil das Gericht in den
angegriffenen Beschlüssen den Vortrag zu deren Gefährdung bei Rückkehr wegen
Einberufung zum türkischen Militär nicht zur Kenntnis genommen habe.
Gehörsverletzungen sämtlicher Antragsteller lägen schließlich darin, dass das
Verwaltungsgericht Wiesbaden keine Erkenntnismittel durch Versenden einer
Erkenntnisliste in die Verfahren eingeführt habe und von den Antragstellern
eingebrachte neuere Erkenntnisse - insbesondere im Hinblick auf das
Nichtbestehen einer inländischen Fluchtalternative für sie - als nicht
entscheidungserheblich erachtet habe sowie Beweisanträgen nicht
nachgekommen sei. Die fehlende Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts
Wiesbaden mit ihrem Vorbringen in den Beschlüssen vom 27. April 2000 und 13.
Juni 2000 verletze darüber hinaus auch das durch Art. 2 Abs. 3 HV in gleicher
Weise wie durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG - gewährte Grundrecht auf
effektiven Rechtsschutz. Die Versagung von Abschiebungsschutz verletze Art. 2
Abs. 3 HV, da sie ihre Abschiebung in die Türkei ermögliche und ihnen faktisch die
Möglichkeit nehme, das Hauptsacheverfahren zu betreiben.
Wegen der Grundrechtsrügen der Antragsteller im Einzelnen wird auf ihre
Antragsschrift vom 17. Juli 2000 Bezug genommen.
Die Antragsteller beantragen,
1. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April 2000 und
13. Juni 2000 aufzuheben und für nichtig oder für unvereinbar mit der Hessischen
Verfassung zu erklären,
2. die geplante Vollstreckung der Abschiebung der Antragsteller in die Türkei
durch den Oberbürgermeister der Stadt R - Ausländerbehörde - für nichtig oder
unvereinbar mit der Hessischen Verfassung zu erklären.
II.
Die Landesregierung hält die Grundrechtsklage für unzulässig. Soweit sich die
Antragsteller gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27.
April 2000 wendeten, hätten sie die Frist zur Erhebung der Grundrechtsklage
versäumt. Im Hinblick auf die beabsichtigte Durchführung der Abschiebung durch
die Ausländerbehörde folge die Unzulässigkeit der Grundrechtsklage daraus, dass
die Antragsteller den Rechtsweg nicht erschöpft hätten. In Bezug auf die
Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000 hätten die
Antragsteller die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten der Hessischen
Verfassung nicht nachvollziehbar dargelegt. Materielle Grundrechte der
Hessischen Verfassung beanspruchten für die Entscheidungen des Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und damit auch für die
fachgerichtliche Bestätigung dieser Entscheidungen keine Geltung. Verstöße
gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör durch die Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000 hätten die Antragsteller nicht
plausibel vorgetragen. Die Möglichkeit einer Verletzung der Rechtsweggarantie des
Art. 2 Abs. 3 HV scheide aus, da der Umstand, dass die Antragsteller im Falle ihrer
Abschiebung das Hauptsacheverfahren vom Heimatland aus betreiben müssten,
der bundesgesetzlichen Regelung des Asylverfahrensgesetzes entspreche.
Anhaltspunkte dafür, dass das Verwaltungsgericht Wiesbaden durch seine
Beschlüsse vom 13. Juni 2000 den durch Art. 2 Abs. 3 HV gewährten Anspruch auf
effektiven Rechtsschutz verletzt habe, hätten die Antragsteller nicht aufgezeigt.
III.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Landesanwaltschaft haben nicht Stellung
genommen, die Stadt R ist der Grundrechtsklage entgegengetreten.
B
I.
Die Grundrechtsklage ist unzulässig.
Soweit sich die Antragsteller gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts
Wiesbaden vom 27. April 2000 - 7 G 854/00.A (V), 7 G 856/00.A (V), 7 G 849/00.A
(V), 7 G 848/00.A (V), 7 G 847/00.A (V), 7 G 855/00.A (V) - wenden, wahrt ihre
Grundrechtsklage nicht die Frist des § 45 Abs. 1 des Gesetzes über den
Staatsgerichtshof - StGHG -. Die Grundrechtsklage ist innerhalb eines Monats
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Staatsgerichtshof - StGHG -. Die Grundrechtsklage ist innerhalb eines Monats
einzureichen, § 45 Abs. 1 Satz 1 StGHG. Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG beginnt
die Frist mit der schriftlichen Bekanntgabe der vollständigen Entscheidung des
höchsten in der Sache zuständigen Gerichts des Landes Hessen an die
antragstellende Person. Das höchste in der Sache zuständige Gericht des Landes
Hessen in diesem Sinne ist das Gericht, mit dessen Entscheidung der Rechtsweg
erschöpft ist. Dies folgt aus dem Regelungszusammenhang mit § 44 Abs. 1 Sätze
1, 2 und 3 StGHG. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StGHG kann die Grundrechtsklage,
wenn für ihren Gegenstand der Rechtsweg zulässig ist, nämlich erst erhoben
werden, wenn der Rechtsweg erschöpft ist. Der Staatsgerichtshof prüft demgemäß
nur, ob die Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts (des
Landes Hessen) auf der Verletzung eines von der Verfassung des Landes Hessen
gewährten Grundrechts beruht, § 44 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGHG.
Für die von den Antragstellern mit der Grundrechtsklage angegriffenen
asylrechtlichen Eilentscheidungen vom 27. April 2000 war das Verwaltungsgericht
Wiesbaden das höchste in der Sache zuständige Gericht. Denn nach § 80 des
Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - können Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten
nach diesem Gesetz vorbehaltlich des - hier nicht einschlägigen - § 133 Abs. 1
VwGO (Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision) nicht mit der
Beschwerde angefochten werden. Damit ist gegen sie ein Rechtsweg, d. h. eine
gesetzlich normierte Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts (StGH, Beschluss
vom 14.06.2000 - P.St. 1351 -, StAnz. 2000, S. 2281; Urteil vom 03.05.1999 - P.St.
1296 -, StAnz. 1999, S. 1790 [1794]), nicht gegeben.
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April 2000 wurden
dem Antragsteller zu 2 am 28. April 2000, der Antragstellerin zu 1 am 3. Mai 2000
und den Antragstellern zu 3 bis 10 am 4. Mai 2000 schriftlich bekannt gegeben.
Die Monatsfrist zur Erhebung der Grundrechtsklage endete daher im Falle des
Antragstellers zu 2 mit Ablauf des 29. Mai 2000, da der 28. Mai 2000 ein Sonntag
war, im Falle der übrigen Antragsteller mit Ablauf von Montag, dem 5. Juni 2000, da
der 3. und der 4. Juni 2000 Sonnabend bzw. Sonntag waren. Die Grundrechtsklage
der Antragsteller ging beim Staatsgerichtshof erst am 17. Juli 2000 und damit
nach Fristablauf ein.
Die Frist zur Erhebung der Grundrechtsklage wurde auch nicht durch die von den
Antragstellern im Hinblick auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden
vom 27. April 2000 gestellten Abänderungsanträge vom 5. Juni 2000, mit denen
sie Verletzung ihres rechtlichen Gehörs durch diese Beschlüsse geltend machten,
offen gehalten. Der hessische Gesetzgeber hat in § 45 Abs. 1 StGHG den Lauf der
Klagefrist allein an die schriftliche Bekanntgabe der Entscheidung des höchsten in
der Sache zuständigen hessischen Gerichts an die antragstellende Person und
damit an die Erschöpfung des Rechtswegs geknüpft. Eine Beeinflussung des Laufs
dieser Frist durch das Stellen von Abänderungsanträgen nach § 80 Abs. 7 VwGO
scheidet damit aus, und zwar auch dann, wenn dies wegen des Grundsatzes der
Subsidiarität geboten sein sollte (vgl. StGH, Beschluss vom 14.06.2000 - P.St.
1351 -, StAnz. 2000, S. 2281).
Soweit sich die Antragsteller gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts
Wiesbaden vom 13. Juni 2000 - 7 G 1372/00.A (V), 7 G 1374/00.A (V), 7 G
1371/00.A (V), 7 G 1373/00.A (V), 7 G 1369/00.A (V), 7 G 1373/00.A (V) - wenden,
genügt ihre Grundrechtsklage nicht den Zulässigkeitsanforderungen des § 43 Abs.
1 und 2 StGHG. Nach dieser Vorschrift erfordert die Zulässigkeit einer gegen eine
gerichtliche Entscheidung gerichteten Grundrechtsklage, dass der Antragsteller
substantiiert einen Sachverhalt schildert, aus dem sich - seine Richtigkeit
unterstellt - plausibel die Möglichkeit einer Verletzung der von ihm benannten
Grundrechte der Hessischen Verfassung durch die angegriffene Entscheidung
ergibt (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. etwa Beschluss vom 07.12.1999 -
P.St. 1318 -, NVwZ 2000, 911). Sämtliche von den Antragstellern erhobenen
Rügen der Verletzung von Grundrechten durch die Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000 werden diesem
Zulässigkeitserfordernis nicht gerecht.
Zunächst scheidet die Möglichkeit einer Verletzung des Asylrechts des Art. 7 Satz
2 HV von vornherein aus, das die Antragsteller mit der Begründung für sich in
Anspruch nehmen, sie würden in der Türkei Verletzungen des Gleichheitssatzes
(Art. 1 HV), der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 HV), des Lebens und
der Gesundheit, der Ehre und der Würde des Menschen (Art. 3 HV), der Ehe und
Familie (Art. 4 HV), der Freiheit der Person (Art. 8 HV), der Freizügigkeit (Art. 6
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Familie (Art. 4 HV), der Freiheit der Person (Art. 8 HV), der Freizügigkeit (Art. 6
HV), der Gewissensfreiheit (Art. 9 HV), des über Art. 67 HV geltenden
Folterverbots und des Verbots der Einbeziehung in einen völkerrechtswidrigen
Krieg (Art. 69 Abs. 2 HV) ausgesetzt.
Nach Art. 7 Satz 2 HV genießen Fremde den Schutz vor Auslieferung und
Ausweisung, wenn sie unter Verletzung der in der Hessischen Verfassung
niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach Hessen
geflohen sind. Ob diese landesverfassungsrechtliche Grundrechtsgewährleistung
im Hinblick auf Art. 31 GG, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht, und die
bestehenden bundesrechtlichen Regelungen des Asyl- und Ausländerrechts
fortgilt, mag dahinstehen. Denn jedenfalls in den Fällen, in denen sich Antragsteller
- wie hier - gegen Entscheidungen der Fachgerichte wenden, deren Gegenstand
Bescheide einer Bundesbehörde sind, kann Art. 7 Satz 2 HV keine Geltung
beanspruchen. Die vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden im Eilverfahren
angegriffenen Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge wurden allein auf der Grundlage von Bundesrecht
getroffen. Das Landesverfassungsrecht, das alle Landesstaatsgewalt verpflichtet,
bindet Bundesbehörden bei ihren Entscheidungen nicht. Demgemäß beschränkt
sich die fachgerichtliche Kontrolle der bundesbehördlichen Anwendung von
Bundesrecht - auch wenn die Überprüfung durch Gerichte eines Bundeslandes
erfolgt - auf das von der Behörde angewendete Bundesrecht (vgl. StGH, Beschluss
vom 07.12.1999 - P.St. 1318 -, NVwZ 2000, 911). Landesverfassungsrecht ist kein
Maßstab für die inhaltliche Überprüfung bundesbehördlicher Entscheidungen durch
Fachgerichte der Bundesländer. Unter Berufung auf das Asylrecht des Art. 7 Satz
2 HV oder andere materielle Grundrechte der Hessischen Verfassung können
Grundrechtsklagen gegen Entscheidungen hessischer Verwaltungsgerichte, die
Bescheide des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
bestätigen, mithin zulässig nicht erhoben werden.
Auch eine unmittelbare Verletzung der von den Antragstellern im Zusammenhang
mit Art. 7 Satz 2 HV benannten materiellen Grundrechte der Hessischen
Verfassung und der Art. 67, 69 Abs. 2 HV durch die Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000 ist damit von vornherein
auszuschließen.
Auf der Grundlage des Vorbringens der Antragsteller fehlt es auch an der
plausiblen Möglichkeit einer Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen
Gehörs durch die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts
Wiesbaden vom 13. Juni 2000. Das durch Art. 3 HV i.V.m. dem der Hessischen
Verfassung innewohnenden Rechtsstaatsprinzip in gleicher Weise wie durch Art.
103 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf rechtliches Gehör verpflichtet die
Fachgerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre
Erwägung einzubeziehen (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. etwa Beschluss
vom 20.10.1999 - P.St. 1356 -, ZMR 2000, 277). Dabei ist grundsätzlich davon
auszugehen, dass die Gerichte den Vortrag der Beteiligten kennen und würdigen.
Sie sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen ausdrücklich zu erwähnen, inhaltlich zu
bescheiden und damit die Tatsache der Gehörsgewährung nachweisbar zu
dokumentieren. Namentlich gewährt Art. 3 HV keinen Schutz dagegen, dass die
Gerichte das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder
materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen. Ein Verstoß gegen
das rechtliche Gehör kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn sich aus
besonderen Umständen des Einzelfalles konkret eine Verletzung der genannten
Verpflichtung ergibt (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. etwa Beschluss vom
20.10.1999 - P.St. 1356 -, a.a.O.). Derartige Umstände sind von den Antragstellern
im Hinblick auf die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Wiesbaden
vom 13. Juni 2000 nicht plausibel dargetan.
Soweit die Antragsteller rügen, dass eine von ihnen beantragte persönliche
Anhörung im Abänderungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden
unterblieben ist, scheidet eine Verletzung rechtlichen Gehörs bereits deshalb aus,
weil aus der Garantie rechtlichen Gehörs kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf
mündliche Verhandlung oder Anhörung folgt (vgl. StGH, Beschluss vom
09.12.1992 - P.St. 1139 -, StAnz. 1993, S. 143; Beschluss vom 02.11.1998 - P.St.
1328 -, NVwZ-RR 1999, 482). Die von den Antragstellern beanstandete fehlende
Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden mit den die Antragsteller
zu 1 und 2 betreffenden psychologischen Gutachten vermag gleichfalls von
vornherein keine Verletzung des Gehörsrechts zu begründen. Nach dem insofern
maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts Wiesbaden war der
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maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts Wiesbaden war der
Inhalt dieser Gutachten, die sich vornehmlich mit einem von den Antragstellern
vorgetragenen Schicksal in ihrer Heimatregion befassen, nicht
entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden ging nämlich, wie aus
den der Grundrechtsklage beigefügten Beschlüssen vom 13. Juni 2000 - 7 G
1372/00.A (V), 7 G 1374/00.A (V), 7 G 1373/00.A (V) - ersichtlich ist, davon aus,
dass die Antragsteller schon vor ihrer Ausreise in einer ruhigeren Region der Türkei
außerhalb der kurdischen Gebiete eine sogenannte inländische Fluchtalternative
hätten finden können, beispielsweise in einer westlichen Großstadt der Türkei
hätten unbehelligt leben und ein bescheidenes Auskommen finden können. Ein
Eingehen auf ein nach dem Rechtsstandpunkt des Fachgerichts unerhebliches
Vorbringen einer Partei aber wird von der Garantie rechtlichen Gehörs nicht
gefordert (vgl. StGH, Beschluss vom 20.10.1999 - P.St. 1356 -, ZMR 2000, 277).
Auch der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch eine
Nichtberücksichtigung des Vortrages der Antragsteller zu 2 und 3 zu deren
Gefährdung bei Rückkehr wegen Einberufung zum türkischen Militär fehlt die nach
§ 43 Abs. 1 und 2 StGHG notwendige Plausibilität. Mit dem Gesichtspunkt der
Einberufung zum Wehrdienst hat sich das Verwaltungsgericht Wiesbaden im Falle
des Antragstellers zu 2 bereits auf S. 11 des Beschlusses vom 27. April 2000 - 7 G
856/00.A (V) - ausdrücklich befasst, auf den im Beschluss vom 13. Juni 2000 - 7 G
1374/00.A (V) - Bezug genommen wird. Auf den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April 2000 - 7 G 856/00.A (V) - in der
Sache des Antragstellers zu 2 verweist auch der den Antragsteller zu 3
betreffende Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April 2000 - 7
G 849/00.A (V) -. Der den Antragsteller zu 3 betreffende Beschluss des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000 ist der Grundrechtsklage weder
beigefügt noch seinem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt worden, so dass
insofern bereits dem Begründungserfordernis des § 43 Abs. 1 und 2 StGHG in
tatsächlicher Hinsicht (Substantiierungspflicht) nicht genügt ist.
Schließlich sind auch Verletzungen des rechtlichen Gehörs der Antragsteller durch
das Nichteinführen von Erkenntnismitteln sowie die Nichtberücksichtigung
eingebrachter neuerer Erkenntnisse (”Von Deutschland in den türkischen
Folterkeller” - Dokumentation zur Rückkehrgefährdung von Kurdinnen und Kurden -
Zwischenbericht 3 vom Mai 2000) und von Beweisanträgen, worauf die Beschlüsse
des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000 beruhen sollen, nicht mit
der nach § 43 Abs. 1 und 2 StGHG erforderlichen Nachvollziehbarkeit dargelegt
worden. Im Hinblick auf die die Antragsteller zu 3 bis 9 betreffenden Beschlüsse
des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000 - 7 G 1371/00.A (V), 7 G
1373/00.A (V), 7 G 1369/00.A (V) - ergibt sich dies bereits daraus, dass diese
fachgerichtlichen Entscheidungen der Grundrechtsklage weder beigefügt noch
ihrem wesentlichen Inhalt nach dargelegt worden sind. Für die Antragsteller zu 1
und 2 sowie den Antragsteller zu 10 folgt dies daraus, dass das Verwaltungsgericht
Wiesbaden deren Vorbringen in den Abänderungsanträgen vom 5. Juni 2000 für
seine nach § 80 Abs. 7 VwGO zu treffenden Beschlüsse für
entscheidungsunerheblich erachtete und zusätzlich auf die Begründungen seiner
Beschlüsse vom 27. April 2000 über die früheren Abänderungsanträge der
Antragsteller Bezug nahm. Die verfassungsrechtliche Garantie rechtlichen Gehörs
gebot nicht, dass das Verwaltungsgericht Wiesbaden sein Festhalten an seiner
bereits den Beschlüssen vom 27. April 2000 zugrunde liegenden Rechtsauffassung
in Auseinandersetzung mit den von den Antragstellern eingebrachten
Dokumenten und Anträgen weiter begründete und hierzu Erkenntnislisten in das
zweite Abänderungsverfahren einführte.
Die Antragsteller haben auch eine plausible Möglichkeit der Verletzung der
Rechtsweggarantie des Art. 2 Abs. 3 HV durch die Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000 nicht hinreichend dargetan. Art.
2 Abs. 3 HV ist verletzt, wenn der Zugang zu den Gerichten ausgeschlossen oder
in unzumutbarer Weise erschwert wird (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl.
etwa Beschluss vom 07.12.1999 - P.St. 1318 -, a.a.O.). Darüber hinaus garantiert
Art. 2 Abs. 3 HV einen effektiven Rechtsschutz, d. h. eine wirksame Kontrolle der
Maßnahmen der Exekutive durch die Gerichte in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. Beschluss vom 07.12.1999 -
P.St. 1318 -, a.a.O.). Die Ausgestaltung des Rechtswegs ist Sache des einfachen
Gesetzgebers. Der Rechtsschutz wird daher im Rahmen der jeweiligen
Prozessordnung gewährleistet. Eine Verletzung des Art. 2 Abs. 3 HV durch das
gerichtliche Verfahren, d. h. durch die Anwendung und Auslegung des
einfachgesetzlichen Prozessrechts, kann nur angenommen werden, wenn das
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einfachgesetzlichen Prozessrechts, kann nur angenommen werden, wenn das
Fachgericht die dargelegte Bedeutung dieses Grundrechts eindeutig verkannt hat
(ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. Beschluss vom 07.12.1999 - P.St. 1318 -
, a.a.O.). Nach diesem Maßstab ist auf der Grundlage des Vorbringens der
Antragsteller eine Verletzung der Rechtsweggarantie durch die Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 2000, denen eine Anwendung der
maßgeblichen bundesrechtlichen Verfahrensnorm des § 80 Abs. 7 VwGO zugrunde
liegt, nicht erkennbar. Die Möglichkeit der Abschiebung vor rechtskräftiger
gerichtlicher Entscheidung bei Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich
unbegründet sowie bei Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens
folgt aus den mit dem Grundgesetz vereinbaren Regelungen des
Asylverfahrensgesetzes (vgl. BVerfGE 94, 166 [189 ff.]).
Soweit die Antragsteller mit der Grundrechtsklage gegenüber dem
Oberbürgermeister der Stadt R vorbeugenden Rechtsschutz gegen eine ihnen
drohende Abschiebung begehren, folgt die Unzulässigkeit der Grundrechtsklage
daraus, dass die Antragsteller den Rechtsweg gegenüber der Ausländerbehörde
nicht erschöpft haben und für eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs vor
Erschöpfung des Rechtswegs kein Anlass besteht.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.