Urteil des StGH Hessen vom 27.04.1994

StGH Hessen: einstweilige verfügung, hauptsache, hessen, erlass, bewährung, aussetzung, vergleich, strafgericht, fehlerhaftigkeit, dokumentation

1
2
3
Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1195 e.V.
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 1 Verf HE, Art 2 Verf HE ,
Art 21 Abs 1 Verf HE , § 21
Abs 1 StGHG , § 22 Abs 1
StGHG
Leitsatz
1. Eine einstweilige Verfügung darf nicht ergehen, wenn die in der Hauptsache erhobene
Grundrechtsklage unzulässig ist. Der Beschluß im Eilverfahren ist in solchen Fällen
abschließend, d.h. ein Antrag nach § 22 Abs. 3 Satz 1 StGHG nicht möglich, weil auch in
der Hauptsache ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß nach § 21 Abs. 1 StGHG
entschieden werden könnte.
2. Verletzungen von Grundrechten durch die Versagung des Gnadenerweises sind nur
in Extremfällen denkbar und möglich, etwa wenn die Gnadenbehörde offensichtlich
bedeutsame Sachverhalte unbeachtet gelassen, sachfremde Erwägungen angestellt
oder im Vergleich zu anderen Begnadigungsfällen sachwidrig anders gehandelt hat. Im
Gnadenverfahren sind deshalb an die Darlegungspflicht besondere Anforderungen zu
stellen.
3. Eine Grundrechtsklage gegen eine Gnadenentscheidung kann nicht mit Angriffen
gegen rechtskräftige Gerichtsentscheidungen begründet werden.
Tenor
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten erstattet.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich mit seiner Grundrechtsklage im Verfahren P.St.
1189 gegen eine ablehnende Gnadenentscheidung der Hessischen Ministerin für
Justiz vom 9. Dezember 1993, mit der die Aussetzung der Vollstreckung einer
Freiheitsstrafe von 18 Monaten - deren Aussetzung zur Bewährung vom
Strafgericht widerrufen worden war - abgelehnt wird. Im vorliegenden Eilverfahren
begehrt der Antragsteller den Erlass einstweiligen Verfügung, durch die die ab 2.
Mai 1994 vorgesehene Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe aus dem Urteil des
Amtsgerichts … vom 28. März 1988 (Az.: …) für drei Monate beziehungsweise bis
zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs in der Hauptsache ausgesetzt werden
soll.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat keinen Erfolg. Die in der
Hauptsache erhobene Grundrechtsklage erweist sich bereits bei summarischer
Prüfung des Begehrens als unzulässig. In einem solchen Fall darf nach der
ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs eine einstweilige Verfügung
nicht ergehen, weil keine Veranlassung für eine vorläufige Regelung besteht (vgl.
StGH, Beschluss vom 29. Januar 1993 - P.St. 1158 e.V. -, StAnz. S. 654 m.w.N.).
Der Vortrag des Antragstellers im Hauptsachverfahren erfüllt nicht die
Anforderungen des § 46 Abs. 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG
-; die Grundrechtsklage wird deshalb erfolglos bleiben. Nach dieser Vorschrift muss
der jeweilige Antragsteller innerhalb der Monatsfrist des § 48 Abs. 3 Satz 1 StGHG
die als verletzt gerügten Grundrechte benennen und unter Angabe von
4
5
6
7
die als verletzt gerügten Grundrechte benennen und unter Angabe von
Beweismitteln schlüssig die Tatsachen darlegen, aus denen sich die
Grundrechtsverletzung ergeben soll (vgl. StGH, Beschluss vom 23. Juni 1993 -
P.St. 1160 -, StAnz. S. 1871). Im Grundrechtsklageverfahren wegen Ablehnung
eines Gnadenerweises sind an die Darlegung von Tatsachen, die eine
Grundrechtsverletzung gerade im Gnadenverfahren begründen sollen, besondere
Anforderungen zu stellen. Nach der Natur der Gnade als eines außerordentlichen
Verzichts auf Strafvollzug sind Verletzungen von Grundrechten durch die
Versagung des Gnadenerweises nur in Extremfällen denkbar und möglich, etwa
wenn der Träger des Gnadenrechts offensichtlich bedeutsame Sachverhalte
unbeachtet geachtet gelassen hat, sich von sachfremden Erwägungen hat leiten
lassen oder im Vergleich zu anderen Begnadigungsfällen - wobei der
Vergleichbarkeit ohnehin enge Grenzen gesetzt sind - der Antragsteller ohne
vertretbare Gründe anders behandelt hat (vgl. dazu StGH, Beschluss vom 15.
August 1986 - P.St. 1017 - und vom 13. Mai 1992 - P.St. 1099 -, StAnz. S. 1380).
Der Antragsteller hat zwar die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 und Art. 2
der Verfassung des Landes Hessen - kurz: Hessische Verfassung (HV) - gerügt
und hat dabei auch die Vorgeschichte der Verurteilungen und seine derzeitige
Lebenssituation geschildert. Er hat damit aber keine Tatsachen nachvollziehbar
dargelegt, aus denen sich die Verletzung des Gleichheitssatzes und des
Willkürverbots einerseits und seines allgemeinen Freiheitsrechts andererseits
gerade im Gnadenverfahren ergeben sollen. Der Antragsteller wendet sich in
erster Linie gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung durch das
Amtsgericht … und die sich daran anschließende Behandlung und Bescheidung
seiner Rechtsbehelfe, die aus seiner Sicht fehlerhaft waren, weil sie im Widerspruch
zur Aussetzungsentscheidung im Urteil des Amtsgerichts … vom 10. Mai 1993
stünden. Eine Grundrechtsklage gegen eine Gnadenentscheidung kann aber
gerade nicht mit Angriffen gegen rechtskräftige Gerichtsentscheidungen
begründet werden (vgl. StGH, Beschlüsse vom 15. August 1986 und 13. Mai 1992,
a.a.O.). Dafür, dass die Gnadenbehörde zulasten des Antragstellers von einem
sachlich unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wäre oder sich von sachfremden
Erwägungen hätte leiten lassen, sind keine Anhaltspunkte vorgetragen. Wenn der
Antragsteller rügt, die Gnadenbehörde würdige tatsächliche Umstände anders als
die nach seiner Auffassung geschehen müsse, wendet er sich gegen deren
Ermessenserwägungen, trägt aber gerade keine Anhaltspunkte für eine willkürliche
Sachbehandlung vor. Der Antragsteller verkennt, dass die Gnadenbehörde nicht
die Aufgabe hat, allgemein die Richtigkeit rechtskräftiger Entscheidungen zu
überprüfen und eigene Erwägungen an die Stelle derer des Gerichts zu setzen. Der
Antragsteller verkennt weiter, dass § 18 der Hessischen Gnadenordnung die
Gnadenbehörde gerade nicht verpflichtet, bei positiver Zukunftsprognose einen
Gnadenerweis zu erteilen; vielmehr ist diese Feststellung Voraussetzung für die
Befugnis der Behörde, von ihrem Gnadenrecht Gebrauch zu machen.
Für eine Verletzung seiner Freiheitsrechte aus Art. 2 HV durch die ablehnende
Gnadenentscheidung benennt der Antragsteller keinerlei konkrete Umstände.
Dass die Einschränkung dieses Rechts aufgrund rechtskräftiger strafgerichtlicher
Verurteilung verfassungsrechtlich zulässig ist, belegt Art. 21 Abs. 1 HV. Die
persönlichen und wirtschaftlichen Einbußen des Antragstellers durch die
Strafvollstreckung wurden bei der Gnadenentscheidung berücksichtigt und
gewertet; nachvollziehbare Gründe für eine Fehlerhaftigkeit dieser Wertung, durch
die seine Freiheitsrechte in verfassungswidriger Weise beschnitten würden, sind
nicht vorgetragen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 22 StGHG ist durch
Beschluss zurückzuweisen. Die Entscheidung ist für das vorliegende Eilverfahren
abschließend. Da in der Hauptsache ohne mündliche Verhandlung nach § 21 Abs.
1 StGHG entschieden werden könnte, muss dies erst recht für den Eilantrag
gelten, der deshalb zurückgewiesen wird, weil die in der Hauptsache erhobene
Grundrechtsklage nach summarischer Prüfung des Begehrens unzulässig (§ 21
Abs. 1 S. 1 StGHG) erscheint. Der Antragsteller ist insofern im Eilverfahren nicht
besser gestellt als im Hauptsacheverfahren (so StGH, Beschluss vom 29. Januar
1993, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.