Urteil des StGH Hessen vom 13.03.2017

StGH Hessen: einstweilige verfügung, grundsatz der gleichbehandlung, schutz der menschenwürde, allgemeiner rechtsgrundsatz, hessen, freilassung, urkundenfälschung, form, armenrecht, hauptsache

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 811
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 19 GG, Art 1 Verf HE, Art
131 Verf HE, § 23 GVGEG,
StVollzG 1976
Leitsatz
1. Zur Frage der Zulässigkeit der Grundrechtsklage gegen einen negativen Gnadenakt
nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 1975 (MDR 1976, 170
= NJW 1976, 305).
2. Das Fehlen einer Begründung bei der Ablehnung eines Gnadenerweises stellt keine
Grundrechtsverletzung dar.
3. § 48 Abs. 3 StGHG gilt für die Gnadenbeschwerde des § 31 GnO entsprechend.
4. Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung; keine Vorwegnahme der
Entscheidung in der Hauptsache.
Tenor
Die Verfahren P.St. 811 und 822 werden miteinander verbunden.
Die Anträge werden auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf 150,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller verbüßt seit dem... in der Justizvollzugsanstalt.. eine
Restfreiheitsstrafe von 546 Tagen von ursprünglich zwei Jahren und drei Monaten
aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts... - 1. Große Strafkammer - vom
6. November 1973 - ... wegen fortgesetzter gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung
in Tateinheit mit einem Vergehen gegen das Opium-Gesetz, wegen
Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug und wegen fortgesetzter
gemeinschaftlicher gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung in Tateinheit mit
fortgesetzter Urkundenfälschung. Strafende wird am... sein.
II.
Mit seiner am 14. Januar 1976 beim Staatsgerichtshof eingegangenen, als "Klage"
bezeichneten Eingabe vom 10. Januar 1976, die unter dem Aktenzeichen P.St. 811
geführt wird, wendet sich der Antragsteller gegen den Bescheid des Hessischen
Ministers der Justiz vom 16. Dezember 1975 - ... -, der die gnadenweise
Gewährung eines Sozialurlaubs ablehnte. Gleichzeitig beantragt er, ihm für seinen
Antrag das Armenrecht zu bewilligen. Er trägt vor, der ablehnende
Gnadenbescheid verletze den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Menschen,
auch der Strafgefangenen, die Vorschriften über die gnadenweise Gewährung von
Sozialurlaub sowie den Gedanken der Resozialisierung.
Gegen den der ablehnenden Gnadenentscheidung des Hessischen Ministers der
Justiz vom 16. Dezember 1975 vor ausgegangenen Bescheid des Leiters der
Justizvollzugsanstalt... vom 30. Oktober 1975 hatte der Antragsteller am 10.
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Justizvollzugsanstalt... vom 30. Oktober 1975 hatte der Antragsteller am 10.
November 1975 Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG
gestellt, den der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch
Beschluß vom 6. Januar 1976 - ... als unzulässig verworfen hat.
Mit einem weiteren als "Klage" bezeichneten Schreiben vom 18. März 1976, beim
Staatsgerichtshof eingegangen am 22. März 1976 und unter dem Aktenzeichen
P.St. 822 geführt, wendet sich der Antragsteller gegen den Bescheid des Leiters
der Justizvollzugsanstalt... vom 23. Februar 1976 - ... -, der einen erneuten Antrag
auf Gewährung eines Sozialurlaubs im Gnadenwege vom 1. Februar 1976
ablehnte. Gleichzeitig begehrt der Antragsteller, den Beschluß des Landgerichts...
- 1. Strafvollstreckungskammer - vom 16. Februar 1976 - ... (1 StVK...) - für
unzulässig zu erklären. Durch diesen Beschluß ist das erneute Gesuch des
Antragstellers vom 9. Dezember 1975, die Vollstreckung des Restes der
Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts... vom 6. November 1973 zur
Bewährung auszusetzen, zurückgewiesen worden. Schließlich beantragt der
Antragsteller, "durch Eilbeschluß seine sofortige Freilassung bis zur endgültigen
Entscheidung des Hohen Gerichts über seinen heutigen Antrag anzuordnen und
seine mündliche Anhörung zur Sache zu veranlassen."
Zur Begründung führt er aus, in sämtlichen Entscheidungen würden "rechtsnorme
Gepflogenheiten der Gnadenbehörden ihm gegenüber benachteiligend nicht
eingehalten". Es sei im Lande Hessen allgemeiner Rechtsgrundsatz, Straftäter
nach Verbüßung von zwei Dritteln der Gesamt strafe bedingt zu entlassen. Seine
Zukunftsprognose sei unwiderlegbar positiv. Er habe sich aufrichtig bemüht, seine
familiären Bindungen zu erhalten und nach seiner Entlassung eine seinem Beruf
entsprechende Tätigkeit zu finden. Durch die angegriffenen Entscheidungen werde
Art. 1 HV verletzt.
III.
Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit des Antrages auf Erlaß einer einstweiligen
Verfügung in der Sache P.St. 822 hat der Staatsgerichtshof davon abgesehen,
Stellungnahmen des Hessischen Ministers der Justiz und des Landesanwalts
einzuholen, zumal deren Rechtsansichten zu den hier entscheidungserheblichen
Fragen aus anderen Verfahren dem Staatsgerichtshof bekannt sind. Er hat jedoch
die Gnadenakten des Hessischen Ministers der Justiz betr. den Antragsteller -
Blatthülle... - beigezogen.
IV.
Die als "Klage" bezeichneten Eingaben des Antragstellers vom 10. Januar 1976 -
P.St. 811 - und vom 18. März 1976 - P.St. 822 - sind miteinander zur gleichzeitigen
Entscheidung zu verbinden, weil es sachdienlich ist. Die Anträge können jedoch
keinen Erfolg haben.
V.
Die Anträge in der Sache P.St. 811 sind unzulässig bzw. unbegründet.
1. Soweit der Antragsteller beantragt, die gesetzliche Unzulässigkeit der durch den
Hessischen Minister der Justiz getroffenen ablehnenden Gnadenentscheidung vom
16. Dezember 1975 und die zur Verwehrung des beantragten Sozialurlaubs
führenden Gründe festzustellen und zu prüfen sowie ihm die Ablehnungsgründe
mitzuteilen, ist sein Antrag zwar zulässig, aber nicht begründet. Eine
Grundrechtsverletzung, wie sie unter Beachtung des Wesens der Gnade nach der
Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs (vgl. Urteil vom 28. November 1973 - P.St.
653 -, StAnz. 1973, 2322 = ESVGH 24, 1 = DÖV 1974, 128 m. Anm. Evers = NJW
1974, 791) seiner Entscheidungskompetenz unterworfen wäre, liegt nicht vor.
a) Eine Grundrechtsklage gegen den ablehnenden Gnadenbescheid des
Hessischen Ministers der Justiz vom 16. Dezember 1975 ist nicht allein deshalb
unzulässig, weil es sich bei jener Entscheidung um einen Bescheid in einer
Gnadensache handelt. Im Urteil vom 28. November 1973 - P.St. 653 - (a.a.O.) hat
der Staatsgerichtshof es für zulässig angesehen, daß gegen einen ablehnenden
Gnadenbescheid unmittelbar der Staatsgerichtshof angerufen werde, weil dem
Bürger die Erschöpfung des allgemeinen Rechtsweges nicht zuzumuten sei,
solange die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit von negativen Gnadenakten
im Schrifttum und in der Rechtsprechung umstritten sei.
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Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 10. Oktober 1975
(MDR 1976, 170 = NJW 1976, 305) inzwischen entschieden, daß nach § 23 EGGVG
der Strafsenat des örtlich zuständigen Oberlandesgerichts sachlich zuständig ist,
über die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit ablehnender Gnadenbescheide zu
entscheiden.
Es kann in diesem Verfahren jedoch dahingestellt bleiben, ob es dem einzelnen
zuzumuten ist, in Gnadenangelegenheiten zunächst einen Antrag auf gerichtliche
Entscheidung nach § 23 EGGVG zu stellen, denn der Antragsteller hat diesen
Rechtsweg ohne Erfolg beschritten. Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main hält sich in seinem Beschluß vom 6. Januar 1976 nach wie vor
an die tragenden Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
23. April 1969 (BVerfGE 25, 352 ff., 358) gebunden, nach der die
Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz nicht für ablehnende
Gnadenentscheidungen gilt. Der Sozialurlaub ist aber nach Ansicht des
Oberlandesgerichts materiell Erlaß eines Teils der Strafe und kann, solange eine
gesetzliche Grundlage - wie das inzwischen verkündete, aber noch nicht in Kraft
getretene Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976, BGBl. I S. 581 - für ihn nicht
besteht, nur im Gnadenwege gewährt werden. Indessen ist der Staatsgerichtshof
an diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht gebunden, weil es
sich insoweit um einen anderen Streitgegenstand als den vorliegenden handelt (so
StGH, Urteil vom 28. November 1973 - P.St. 653 -, a.a.O.).
Die Erschöpfung des Rechtsweges nach § 23 EGGVG könnte jedoch einem
Antragsteller bis zum Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes am 1. Januar 1977
auch in Zukunft nicht zuzumuten sein, wenn im Hinblick auf die gefestigte jüngere
und einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung auch im konkreten Einzelfall
kein von dieser Rechtsprechung abweichendes Erkenntnis zu erwarten ist (vgl.
dazu StGH, Urteil vom 6. Januar 1971 - P.St. 589 -, StAnz. 1971, 205 = ESVGH 21,
113 = DÖV 1972, 354 = Gemeindetag 1971, 107 = NJW 1971, 697). Die
Entscheidung dieser Frage kann der Staatsgerichtshof - wie ausgeführt - in diesem
Verfahren aber offenlassen, weil der Antragsteller den Rechtsweg nach § 23
EGGVG erschöpft hat.
Der Zulässigkeit der Grundrechtsklage gegen den ablehnenden Gnadenbescheid
des Hessischen Ministers der Justiz vom 16. Dezember 1975 steht auch nicht
entgegen, daß das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die allgemeine rechtliche
Überprüfbarkeit von Gnadenentscheidungen in einem bundesgesetzlich
geregelten Verfahren verneint hat, das mit Rücksicht darauf dem
Staatsgerichtshof als einem Landesverfassungsgericht jegliche
Prüfungskompetenz entzöge (ständige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs,
zuletzt im Beschluß vom 28. Januar 1976 - P.St. 805 -).
Jedoch geht es hier nicht um die Frage der allgemeinen Justitiabilität von
Gnadenentscheidungen und nicht um die Wirkungsbreite der allgemeinen
Rechtsweggarantie nach Bundesrecht (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) und nach
Landesrecht (Art. 2 Abs. 3 der Verfassung des Landes Hessen [HV]), sondern
allein um die Zulässigkeit einer Grundrechtsklage nach hessischem
Verfassungsrecht. Art. 131 Abs. 3 HV und §§ 45 ff. des Gesetzes über den
Staatsgerichtshof (StGHG) eröffnen hier ein universelles Zugangsrecht, das im
Bundesrecht ohne Parallele ist und allenfalls in Bayern (vgl. BayVerfGH 18, 140,
146) noch deutlicheren Ausdruck gefunden hat (so StGH, Urteil vom 28.
November 1973 - P.St. 653 -, a.a.O.).
b) Das Fehlen einer Begründung bei der Ablehnung eines Gnadenerweises stellt
keine Grundrechtsverletzung dar. Jedermann, auch der Straffällige erkennt, daß
die Gnadenentscheidung stets von einer Vorausschau abhängt, und jedermann
weiß, daß solche Vorhersagen stets mit Unsicherheiten behaftet sind, wenn sie
sich auf menschliches Verhalten beziehen. Damit hängt es eng zusammen, daß
jede Gnadenentscheidung, mag sie positiv oder negativ sein, von vielschichtigen
Erwägungen abhängt, die in all ihren Verästelungen nie vollständig dargestellt
werden können. Das hat zur Folge, daß jede Benennung von Gründen zwangsläufig
unvollständig sein muß, ja, daß sogar die Gewichte der einzelnen Teilgründe
sogleich unzulässig verschoben würden, wenn nur ein Teil dieser Gründe dargelegt,
ein anderer Teil aber nicht genannt werden würde.
Der Staatsgerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung vom 28. November 1973
- P.St. 653 - (a.a.O.) zum Ausdruck gebracht, daß es mißlich wäre, wenn infolge
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- P.St. 653 - (a.a.O.) zum Ausdruck gebracht, daß es mißlich wäre, wenn infolge
übertriebener Anforderungen an die gerichtliche Überprüfbarkeit negativer
Gnadenakte Wirkungen eintreten würden, die mit dem Zweck des Strafvollzugs
unvereinbar wären. Hätte im Einzelfall die Gnadenbehörde wegen konkreter
Tatsachen Grund zu der Annahme, der Sozialisationsvorgang habe beim
Straffälligen noch nicht eingesetzt, oder er sei noch nicht hinreichend
fortgeschritten, so wäre es unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten äußerst
unerwünscht, wenn die Gnadenbehörde genötigt wäre, ihre diesbezüglichen
Bedenken unverblümt zu äußern, weil dies die Wirkung haben könnte, die
Außenseiterstellung des Straffälligen zu befestigen oder - was nicht weniger
schädlich wäre - bei dem Straffälligen die Überzeugung entstehen zu lassen, er
müsse sich in der Verschleierung seine wahren Einstellung zur menschlichen
Gesellschaft in Zukunft geschickter verhalten. Da sichergestellt ist, daß auch ein
nicht näher begründeter ablehnender Gnadenakt verfassungsgerichtlich und unter
Einsicht in die Gnadenakten nachgeprüft werden kann, ist zugleich vorsorglich zum
Schutz der Menschenwürde und der Grundrechte auf Freiheit und Gleichheit alles
unternommen worden, was unter Beachtung des Wesens der Gnade als eines
Phänomens am Rande des Rechts und zugleich unter Wahrung des
Vollzugszwecks geschehen konnte.
c) Die Annahme des Antragstellers, die in seinem Gnadengesuch vorgetragenen
Sachverhalte und Tatsachenabläufe seien von der Gnadenbehörde nicht richtig
gewürdigt und unter Verletzung des Art. 1 HV und der Bestimmungen über die
gnadenweise Gewährung von Sozialurlaub beurteilt worden, geht fehl. Das
Gnadenverfahren ist in der Hessischen Gnadenordnung vom 3. Dezember 1974
(GVBl. I S. 587) - GnO - in seinem äußeren Ablauf unter Festlegung der
Zuständigkeiten sowie der behördlichen Aufgaben und Pflichten geregelt. Aus den
Gnadenakten des Hessischen Ministers der Justiz ergibt sich, daß die notwendigen
Ermittlungen unverzüglich vorgenommen, die tatsächlichen Angaben im
Gnadengesuch überprüft und Ermittlungen über die persönlichen Verhältnisse des
Antragstellers durchgeführt worden sind, und zwar in einer Weise, wie dies durch §
9 Abs. 2 GnO vorgeschrieben ist. Inhalt und Form der Berichterstattung
entsprechen den Vorschriften der §§ 12 und 13 GnO; auch sie läßt eine
Grundrechtsverletzung nicht erkennen. Der der Entscheidung des Hessischen
Ministers der Justiz zugrunde liegende zusammenfassende Aktenvermerk läßt
deutlich erkennen, daß die zugunsten des Antragstellers sprechenden
Ermittlungsergebnisse abgewogen worden sind gegenüber Erwägungen, die einem
gnadenweise gewährten Sozialurlaub entgegenstanden. Daß hierbei auch
Überlegungen der Sühne, der Spezial- und der Generalprävention geboten sind,
entspricht dem Standort des Strafrechts in unserer Gesellschaft und widerspricht
nicht der Hessischen Verfassung.
2. Da die Anträge des Antragstellers keinen Erfolg haben, konnte ihm auch nicht
das Armenrecht bewilligt werden.
VI.
Die Anträge in der Sache P.St. 822 können ebenfalls keinen Erfolg haben.
1. Soweit sich der Antragsteller gegen die Ablehnung seines Antrages auf
Gewährung gnadenweisen Sozialurlaubs vom 1. Februar 1976 durch den Bescheid
des Leiters der Justizvollzugsanstalt... vom 23. Februar 1976 - ... - wendet, ist sein
Antrag unzulässig. Gegen diesen Bescheid steht dem Antragsteller zunächst die
Gnadenbeschwerde an den Hessischen Minister der Justiz nach § 31 GnO zu,
worüber er auch in dem angegriffenen Bescheid belehrt worden ist. Daß der
Antragsteller die Beschwerde erhoben hätte, trägt er selbst nicht vor. Jedenfalls
hat der Hessische Minister der Justiz über das Sozialurlaubsgesuch des
Antragstellers vom 1. Februar 1976 noch nicht entschieden. Das gilt auch für das
Gesuch des Antragstellers vom 1. Februar 1976 und weitere Eingaben unmittelbar
an den Hessischen Minister der Justiz, wie sich aus dessen Schreiben an den
Antragsteller vom 6. Februar 1976 ergibt. Gegenstand einer zulässigen
Grundrechtsklage gegen einen negativen Gnadenakt kann aber nur der Bescheid
der höchsten Gnadeninstanz sein, im Falle des Antragstellers ein Bescheid des
Hessische Ministers der Justiz. Insoweit gilt die Vorschrift des § 48 Abs. 3 StGHG
über das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung für die Gnadenbeschwerde nach §
31 GnO entsprechend.
2. Der Antrag, den Beschluß des Landgerichts... - 1. Strafvollstreckungskammer -
vom 16. Februar 1976 - ... stA ... (1. StVK...) für unzulässig zu erklären, erweist sich
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vom 16. Februar 1976 - ... stA ... (1. StVK...) für unzulässig zu erklären, erweist sich
aus mehreren Gründen als unzulässig.
Zwar kann jedermann den Staatsgerichtshof anrufen, der geltend macht, daß ein
ihm von der Verfassung gewährtes Grundrecht verletzt sei, Art. 131 Abs. 1 HV in
Verbindung mit §§ 45 ff. StGHG. Doch findet nach § 48 Abs. 3 StGHG ein Verfahren
vor dem Staatsgerichts hof wegen Verletzung eines Grundrechts nur statt, wenn
der Antragsteller eine Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen
Gerichts herbeigeführt hat und innerhalb eines Monats seit Zustellung dieser
Entscheidung den Staatsgerichtshof anruft. Schon diese Voraussetzung hat der
Antragsteller nicht erfüllt. Gegen den Beschluß des Landgerichts... vom 16.
Februar 1976 hätte der Antragsteller sofortige Beschwerde an das
Oberlandesgericht in Frankfurt am Main einlegen können, wie sich aus der
Rechtsmittelbelehrung zu diesem Beschluß ergibt. Aus dem Vorbringen des
Antragstellers ist jedoch nicht zu entnehmen, daß er den Rechtsweg durch
Einlegung der sofortigen Beschwerde erschöpft hat.
Darüber hinaus beruht die Entscheidung des Landgerichts... auf Bundesrecht,
nämlich dem Strafgesetzbuch und der Strafprozeßordnung. Bundesrecht geht
aber dem Landesrecht, auch dem Landesverfassungsrecht, nach Art. 31
Grundgesetz im Range vor, so daß es dem Staatsgerichtshof als
Landesverfassungsgericht versagt ist, gerichtliche Entscheidungen, in denen
Bundesrecht angewandt wird, auf etwaige Verletzungen von Grundrechten der
Hessischen Verfassung hin zu überprüfen (ständige Rechtsprechung des
Staatsgerichtshofs, zuletzt im Beschluß vom 28. Januar 1976 - P.St. 805 -).
3. Der Antrag des Antragstellers, durch Eilbeschluß seine sofortige Freilassung
anzuordnen, ist ebenfalls unzulässig.
Der Staatsgerichtshof kann nach § 22 Abs. 1 StGHG eine einstweilige Verfügung
erlassen, um im Streitfall einen Zustand für eine drei Monate nicht
überschreitende Frist vorläufig zu regeln, wenn es zur Abwendung wesentlicher
Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen
wichtigen Grunde im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Die Zulässigkeit
eines entsprechenden Antrages hängt zwar nicht davon ab, daß bereits ein
Verfahren anhängig ist, welches den Streit selbst zum Gegenstand hat (vgl. u.a.
StGH im Beschluß vom 12. September 1973 - P.St. 723 -), doch darf der Inhalt
einer einstweiligen Verfügung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht
vorwegnehmen (vgl. u.a. StGH im Beschluß vom 5. November 1975 - P.St. 782 -).
Mit dem Begehren nach sofortiger Freilassung geht der Antragsteller aber über die
gnadenweise Gewährung von Sozialurlaub hinaus, eine entsprechende einstweilige
Verfügung würde praktisch seine endgültige Begnadigung beinhalten. Der
Staatsgerichtshof kann aber nicht selbst das Gnadenrecht ausüben, hierfür sind
vielmehr die Gnadenbehörden zuständig.
4. Der Antrag, die mündliche Anhörung des Antragstellers zur Sache zu
veranlassen, kann nur dahin gedeutet werden, daß er eine Hauptverhandlung vor
dem Staatsgerichtshof begehrt. Indessen kann der Staatsgerichtshof nach § 21
Abs. 1 StGHG Anträge, die der Form nicht entsprechen oder offenbar unbegründet
sind, durch Beschluß zurückweisen. Da die Anträge des Antragstellers aus den
aufgezeigten Gründen entweder unzulässig oder unbegründet sind, bedurfte es
einer Hauptverhandlung nicht.
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.