Urteil des SozG Würzburg vom 25.10.2005

SozG Würzburg: berufliche tätigkeit, klinik, berufliche wiedereingliederung, behandlung, rente, depression, psychiatrie, erwerbsunfähigkeit, arbeitsmarkt, arbeitsunfähigkeit

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 25.10.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 2 R 4067/03
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 26.03.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2003 wird
abgewiesen. II. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Klägerin aufgrund des Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung vom 17.02.2003 Rente wegen
voller Erwerbsminderung zu gewähren ist.
Die 1949 geborene Klägerin war seit 01.09.1979 als Heilpädagogische Förderlehrerin im Öffentlichen Dienst
beschäftigt. Von 1991 bis 31.08.1999 war sie aus Erziehungsgründen beurlaubt. Ab 01.09.1999 arbeitete sie erneut in
ihrem Beruf. Seit 09.01.2002 besteht Arbeitsunfähigkeit.
Am 17.02.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung des
Rentenantrages führte sie an, dass sie seit 09.01.2002 wegen starker/mittlerer Depression, starkem Kopfdruck,
Denkschwierigkeiten, Zittern, Angstzuständen und Unsicherheit sich für erwerbsgemindert halte. Die Beklagte legte
ihrem Beratenden Arzt Dr. L. den Entlassungsbericht der Klinik am H., B. (Rehabilitationsmaßnahme vom 12.11.2002
bis 10.12.2002), vor, in welchem eine mittelgradige depressive Episode und eine hypochondrische Störung festgestellt
worden war. Die Entlassung war aufgrund noch bestehender Beschwerden als weiterhin arbeitsunfähig erfolgt.
Grundsätzlich hatten die beurteilenden Ärzte die Klägerin für mehr als sechs Stunden leistungsfähig gehalten,
bezogen auf die letzte berufliche Tätigkeit und Verweisungsberufe. Dr. L. schloss sich am 03.03.2003 dieser
Beurteilung an. Er hielt eine Ausübung der letzten beruflichen Tätigkeit sechs Stunden und mehr für zumutbar.
Mit Bescheid vom 26.03.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Klägerin in der Lage sei, in ihrem
bisherigen Beruf als Heilpädagogin und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig zu sein. Sie sei daher weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, da es ihr infolge der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen
nicht mehr möglich sei, einer Tätigkeit von auch nur drei Stunden täglich nachzugehen. Zwar sei die festgestellte
depressive Störung nach der Rehabilitation für kurze Zeit stabilisiert gewesen, doch zwischenzeitlich wieder in voller
Stärke feststellbar.
Die Beklagte zog Befundberichte der Diplompsychologin S. vom 03.06.2003, des Allgemeinarztes Dr. W. vom
30.05.2003 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 27.05.2003 bei. Frau S. führte an, dass seit
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im Januar 2002 die Klägerin bei ihr sich wöchentlich bis zweiwöchentlich in Behandlung
befinde. Eine Befundänderung in den letzten zwölf Monaten sei nicht eingetreten. Auch Dr. W. verneinte eine
Befundänderung in den letzten zwölf Monaten. Dr. B. teilte mit, dass sich die Klägerin seit dem 28.06.2002 wegen
einer ausgeprägten Angststörung und somatisierten Depressionen mit Kopfschmerzsymptomatik in nervenärztlicher
Behandlung befinde. Während des bisherigen Behandlungsverlaufes habe trotz Anwendung verschiedener
Psychopharmaka keine Besserung erreicht werden können. Die Klägerin leide noch erheblich, sei weiterhin
arbeitsunfähig und könne ihre Tätigkeit als heilpädagogische Förderlehrerin nicht ausführen, obwohl sie sich fast
verzweifelt danach sehne, wieder zu beginnen. Am 10.06.2003 hat Dr. Buller in einem weiteren Befundbericht
ausgeführt, dass bei der Klägerin trotz Anwendung verschiedener Psychopharmaka keine Besserung der
Symptomatik eingetreten sei. Die Klägerin erscheine keinesfalls, wie von den Kollegen in der Psychosomatischen
Klinik B. angenommen, zur Zeit in der Lage, mehr als sechs Stunden leistungsfähig tätig zu sein.
In seinen Stellungnahme für die Beklagte vom 03.07.2003 und 11.08.2003 führte der Arzt für Neurologie und
Psychiatrie Dr. S. aus, dass aufgrund der im Widerspruch vorliegenden Befundberichte insbesondere von Dr. B. eine
überdauernde Leistungsminderung ab Januar 2002 zu sehen sei. Eine Verschiebung des Leistungsfalles auf
September 2002 oder einen späteren Zeitpunkt sei nicht gerechtfertigt. Eher müsse diskutiert werden, ob nicht der
Leistungsfall schon im Oktober 2001 eingetreten sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück, weil die Klägerin
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung am 09.01.2002 (Zeitraum vom 09.01.1997 bis 08.01.2002)
nur 29 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt habe. § 43 Abs. 1 und 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches -
SGB VI - verlange mindestens drei Jahre (= 36 Kalendermonate) Pflichtbeiträge in diesem maßgeblichen Zeitraum.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei auch nicht aufgrund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die allgemeine
Wartezeit vorzeitig erfüllt sei. Deshalb seien die Voraussetzungen für eine Rentengewährung wegen
Erwerbsminderung nicht erfüllt.
Dagegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.10.2003 Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Sie macht
geltend, dass der Leistungsfall der Erwerbsminderung erst ab Antragstellung am 17.02.2003 eingetreten sei. Zur
Begründung legte sie Atteste des Allgemeinarztes Dr. W. vom 23.02.2004 und des Neurologen und Psychiaters Dr. B.
vom 26.04.2004 vor und bezog sich auf den Entlassungsbericht der Klinik am H. vom 02.01.2003, wonach bei der
Entlassung von einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit ausgegangen worden sei. Dr. W. hat ausgeführt, dass die
Klägerin zwar im Jahr 2002 erkrankt sei, aber noch nicht erwerbsunfähig gewesen sei. Es habe noch ein
Leistungsvermögen von täglich sechs Stunden für leichte Arbeit bestanden. Erst ab 17.02.2003 sei
Erwerbsunfähigkeit eingetreten, sodass Rentenantrag gestellt worden sei. Dr. B. hat dargelegt, dass die Beurteilung
des Eintritts einer allgemeinen Erwerbsunfähigkeit mit geminderter Belastbarkeit unter drei Stunden schwierig sei.
Nach einem Aufenthalt in der Psychosomatischen Klinik B. im November und Dezember 2002 hätten die
behandelnden Therapeuten und Ärzte die Klägerin grundsätzlich für mehr als sechs Stunden als leistungsfähig auf die
letzte berufliche Tätigkeit und Verweisungsberufe verwiesen. Die Klägerin sei an einer somatisierten Depression
erkrankt, die berufliche Wiedereingliederung in ihren Beruf als Heilpädagogin sei nicht gelungen. Erst mit zunehmender
Andauer der Erkrankung, mangelnder Heilungsaussicht durch Psychopharmaka, Reha-Maßnahmen und ambulanter
Psychotherapie habe sich eine zunehmende Hoffnungslosigkeit, Depressivität und Dysthymie gezeigt, sodass erst im
Laufe der Erkrankung klar geworden sei, dass die Klägerin aufgrund ihrer ausgeprägten Beschwerdesymptomatik nicht
einmal zwei bis drei Stunden täglich leichte Arbeiten durchführen könne. Deshalb liege der Eintritt der extrem
geminderten Belastbarkeit nach dem Aufenthalt in der Psychosomatischen Klinik B., also nach Dezember 2002.
Deshalb sei erst nach dem 17.02.2003 wegen Erwerbsunfähigkeit Rentenantrag gestellt worden.
Die erkennende Kammer hat zum Verfahren beigezogen: Die Akte der Beklagten, die Schwerbehindertenakte des
Versorgungsamtes Würzburg sowie Befundberichte und Unterlagen der Klinik am H., B., des Allgemeinarztes Dr. W.,
eine Arbeitgeberauskunft der Regierung von Unterfranken, Unterlagen der Bundesagentur für Arbeit (Arbeitsagentur
W.) und einen Befundbericht des Nervenarztes Dr. K.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens durch die Ärztin für Psychiatrie und Öffentliches
Gesundheitswesen Dr. B. Diese hat in ihrem Gutachten vom 16.07.2005 eine chronische schwer- bis mittelgradige
depressive Episode mit einer weniger als dreistündigen Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestätigt.
Sie hat die geminderte Erwerbsfähigkeit seit 17.01.2002 angenommen. An diesem Tag habe sich die Klägerin beim
Nervenarzt Dr. K. vorgestellt. Dieser habe in seinem Arztbrief eine schwere depressive Episode diagnostiziert. Eine
grundlegende Besserung sei bisher nicht eingetreten, es seien psychotische Symptome hinzugekommen. Zwar sei
die Klägerin im Dezember 2002 aus der Klinik H. arbeitsunfähig entlassen worden mit der Erwartung, dass nach
Umsetzung der begonnenen Maßnahmen eine Stabilisierung und somit Erlangen der Arbeitsfähigkeit zu erwarten sei.
Bei Eintreten der erwarteten Stabilisierung hätte man von einer vollschichtigen Arbeitsfähigkeit im erlernten Beruf und
auf dem freien Arbeitsmarkt ausgehen können. Die erwartete Stabilisierung sei leider nicht eingetreten, es habe sich
eine chronische Depression ent- wickelt, die seit Anfang 2002 unverändert weiterbestehe und sich seither
verschlechtert habe.
Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, dass sie im Jahre 2002 trotz ihrer Erkrankung noch nicht erwerbsgemindert
gewesen sei. Erst im Jahre 2003 sei bei der vorliegenden chronisch verlaufenden Erkrankung Erwerbsminderung
eingetreten, sodass erst zu diesem Zeitpunkt ein Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gestellt
worden sei. Dies werde auch durch den behandelnden Nervenarzt Dr. B. bestätigt und durch die Aussage des Reha-
Entlassungsberichtes der Klinik am H. untermauert. Außerdem spreche für diese Auffassung, dass Dr. K. sie im
Januar 2002 nur bis zum 22.02.2002 arbeitsunfähig geschrieben habe.
Die Klägerin stellt den Antrag: 1. Der Bescheid vom 26.03.2003 in der Fassung des Widerspruchs- bescheides vom
30.09.2003 wird abgeändert. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin aufgrund des Leistungsfalles der vollen
Erwerbsminderung vom 17.02.2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Der Vertreter der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf die Stellungnahmen des beratungsärztlichen Dienstes und des Gutachtens der Dr. B., die die im
Widerspruchsbescheid vom 30.09.2003 getroffenen Feststellungen bestätigten.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Schwerbehindertenakte und der Gerichtsakte Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat den
Rentenantrag der Klägerin zu Recht abgelehnt. Denn trotz der im Januar 2002 eingetretenen Erwerbsminderung ist
eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu gewähren, da die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI nicht
vorliegen.
Bezüglich der Entscheidungsgründe kann im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im
angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 30.09.2003 Bezug genommen werden. § 136 Abs. 3 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gibt dem Gericht die Möglichkeit, von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe abzusehen, soweit es der Begründung des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner
Entscheidung feststellt.
Ergänzend ist auszuführen, dass auch die Beweiserhebung durch die Einholung des gerichtsärztlichen
Sachverständigengutachtens der Dr. B. und die beigezogenen Unterlagen sowie die Ausführungen der behandelnden
Ärzte keine neuen entscheidungserhebliche Erkenntnisse gebracht haben.
Die Klägerin selbst hat in ihrem Rentenantrag vom 17.02.2003 vorgetragen, dass sie sich seit 09.01.2002 für
erwerbsgemindert hält. Auch die behandelnden Ärzte, die im Widerspruchsverfahren gehört wurden, haben eine
Befundänderung in den letzten zwölf Monaten verneint. Deshalb ist die Beklagte zu Recht ihrem Beratenden Arzt Dr.
S. gefolgt, der in Übereinstimmung mit den Befundberichten der behandelnden Ärzte eine überdauernde
Leistungsminderung ab Januar 2002 gesehen hat. Die Kammer folgt der schlüssigen Beurteilung der
Sachverständigen Dr. B., die aufgrund der vorliegenden Befunde festgestellt hat, dass die Klägerin seit Januar 2002
tief depressiv verstimmt ist, mit einem Gefühl der Gefühllosigkeit. Der Antrieb ist völlig aufgehoben bei gleichzeitiger
innerer Unruhe. Eine grundlegende Besserung ist seit Januar 2002 nicht eingetreten. Auch die psychosomatische
Rehabilitationsbehandlung von November bis Dezember 2002 in der Klinik am H., B., und regelmäßige nervenärztliche
Behandlung hat zu keiner entscheidenden Besserung geführt.
Auch wenn es gegenüber den Untersuchungsergebnissen des Reha-Entlassungsberichtes vom 02.01.2003 zu einer
weiteren Verschlechterung gekommen ist, ist dennoch seit 17.01.2002, der Feststellung einer schweren depressiven
Episode, durchgehend von einer Erwerbsminderung auszugehen, da auch nach Aussage der behandelnden Ärzte im
Widerspruchsverfahren eine Befundänderung in den letzten zwölf Monaten vor Juni 2003 nicht eingetreten ist.
Die Verschiebung des Leistungsfalles auf September 2002 oder den von der Klägerin beantragten Zeitpunkt
17.02.2003 lässt sich daher sachlich nicht begründen. Auch wenn im Entlassungsbericht der Klinik am Hainberg von
einer Leistungsfähigkeit von mehr als sechs Stunden ausgegangen wurde, weil eine Stabilisierung durch weitere
Behandlung erwartet worden war, ändert dies nichts an der Beurteilung. Denn diese Erwartung der Klinik am Hainberg
ist nicht eingetreten. Übereinstimmend mit den behandelnden Ärzten führt die Sachverständige aus, dass zu der
Depression psychotische Symptome hinzugekommen sind.
Die vom Gericht vorzunehmende Beweiswürdigung hat sich nach den Erkenntnissen, die jetzt bestehen, zu richten
und nicht Erwartungen, die sich nicht erfüllt haben, zugrundezulegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.