Urteil des SozG Würzburg vom 14.10.2008

SozG Würzburg: krankenkasse, abgabe von hilfsmitteln, verordnung, kostenvoranschlag, gebrauchsgegenstand, krankenversicherung, versorgung, behinderung, sachleistung, behinderter

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 14.10.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 6 KR 111/07
I. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin von den Kosten für die Beschaffung des Winterschlupfsacks und des
Sonnen-/Regendachs gemäß dem Kostenvoranschlag der Beigeladenen vom 22. November 2006 in Höhe von
weiteren 357,68 Euro freizustellen. II. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. März 2007 wird aufgehoben, soweit er dem entgegen steht. III. Im Übrigen wird die
Klage abgewiesen. IV. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die 1996 geborene Klägerin begehrt die Freistellung von der durch die Anschaffung eines Winterschlupfsacks und
eines Sonnen-/Regendachs entstandenen Kosten.
1. Unter der Diagnose Mukopolysaccharidose wurde der Klägerin ein Winterschlupfsack und ein Sonnen- und
Regendach für den vorhandenen Reha-Buggy verordnet. Die Beigeladene erstellte einen Kostenvoranschlag, wonach
für den Winterschlupfsack und das Sonnendach inklusive Regenschutz einschließlich 16% Mehrwertsteuer Kosten in
Höhe von 508,08 Euro entstehen. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2006 erklärte die Beklagte, dass sie sich an den
Kosten des Hilfsmittels mit einem Festbetrag von 125 Euro beteiligen werde. Mehrkosten dürften von ihr nicht
übernommen werden. Der Bescheid enthielt kei-ne Rechtsbehelfsbelehrung. Gegen den Bescheid wurde mit am 19.
Januar 2007 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch eingelegt. Mit der ärztlichen Verordnung habe
der Vertragsarzt festgestellt, dass die Klägerin mit den beantragten Hilfsmitteln versorgt werden müsse. Der
Winterschlupfsack als auch Sonnen- und Regendach würden die Anforderungen des § 33 SGB V erfüllen. Mit
Widerspruchsbescheid vom 22. März 2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Das Sonnen- und Regendach
diene nicht dem Ausgleich einer Behinderung und stelle daher einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar.
Schlupfsäcke würden die Funktion von (Winter-) Kleidung übernehmen. Die Leistungspflicht der Krankenkassen sei
auf den behinderungsbedingten Mehraufwand beschränkt. Anstelle einer vollen Kostenübernahme sei daher ein
Zuschuss der Krankenkassen für den behinderungsbedingten Mehraufwand gerechtfertigt. Die Spitzenverbände der
Krankenkassen gäben gemeinsame Empfehlungen zur Höhe des Zuschusses ab. Diese Regelung überlasse es dem
Versicherten, die Ausführung und die weitere Beschaffenheit des Schlupfsackes frei zu wählen. Nach dem zentralen
Rundschreiben des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen vom 17. Februar 2000 solle auf dieser Grundlage
der Zuschuss für Winterschlupfsäcke den Betrag von 125 Euro nicht überstei-gen.
2. Dagegen ließ die Klägerin am 2. April 2007 Klage erheben. Winterschlupfsack und Son-nen-/Regendach seien keine
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Darunter würden nur Gegenstände fallen, die allgemein im täglichen
Leben verwendet werden. Ein Ausschluss eines Hilfsmittels aus der Leistungspflicht der Krankenkasse ergebe sich
auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichniss. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des
Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte un-verbindliche Auslegungshilfe zu schaffen.
Die Klägerin lässt zuletzt beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22. März 2007 zu verurteilen, die Klägerin von den Kosten für ein Winterschlupfsack und für ein Sonnen-
/Regendach für den vorhandenen Reha-Buggy gemäß dem Kostenvoranschlag vom 22. November 2006 unter Abzug
des gewährten Zuschusses in Höhe von 125 Euro freizustellen.
3. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
4. Auf die ausdrückliche Anforderung des Gerichts hin wurde mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2007 von der Klägerin
eine Rechnung vom 4. Oktober 2007 vorgelegt. Am 30. Mai 2008 erging der Beiladungsbeschluss. In der mündlichen
Verhandlung am 14. Oktober 2008 wurde die Mutter der Klägerin und der Geschäftsführer der Beigeladenen zu den
Umständen der Leistungsbeschaffung angehört.
5. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die vorgelegte Behördenakten und die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist zum Teil begründet. Die Klägerin hat einen
Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die Beschaffung eines Winterschlupfsacks und des Sonnen-
/Regendachs gemäß dem Kostenvoranschlag der Beigeladenen vom 22. November 2006 in Höhe von weiteren 357,68
Euro. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22. März 2007 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist daher insoweit aufzuheben. Im
Übrigen ist die Klage unbegründet, weil die Klägerin keinen weitergehenden Anspruch auf Freistellung hat.
1. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt und sind Versicherten dadurch für die selbst-beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese
nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung
notwendig war. Diese auf die Erstattung vom Versicherten bereits gezahlter Kosten zugeschnittene Bestimmung ist
bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprechend anzuwenden, wenn die Verpflichtung bereits entstanden
ist, der Versicherte aber noch nicht gezahlt hat. Statt einer Erstattung kann er dann die Bezahlung seiner Schuld
durch den Versicherungsträger verlangen (BSG, Urteil vom 10.02.2000 - B 3 KR 26/99 R - zitiert nach juris).
Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer an-schließt, aus, wenn sich der Versicherte die
Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten (BSG, Urteil vom
14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R - und Urteil vom 02.11.2007 - B 1 KR 14/07 R - zitiert nach juris, m.w.N). § 13 Abs. 3
SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete
notwendige Leistung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder
Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und Zweck der
Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und
dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse
vor Inanspruchnahme der Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde (BSG, a.a.O.). Eine vorherige
Entscheidung der Krankenkasse ist auch dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leis-tungsbegehrens - etwa
auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststeht. Mit dem Einwand eines vermeintlichen
"Formalismus" hat sich das Bundessozialgericht schon wiederholt befasst und klargestellt, dass Gesetzeswortlaut
und -zweck eine dahingehende Ausnahme nicht (mehr) zulassen und der Wortlaut des § 13 Abs. 3 SGB V, der
unmissverständlich einen Ursachenzusammenhang zwischen rechtswidriger Ablehnung und Kostenlast verlangt, einer
früheren anderslautenden Rechtsprechung die Grundlage entzogen hat (BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R -
zitiert nach juris).
Der Kostenerstattungsanspruch bzw. der Freistellungsanspruch setzt ferner voraus, dass der Versicherte tatsächlich
einer Forderung ausgesetzt ist. Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen dem Versicherten und seiner
Krankenkasse über den Leistungsanspruch sind nur in zwei Konstellationen denkbar: Entweder der Versicherte klagt
auf Gewährung einer noch ausstehenden Behandlung als Sachleistung oder er hat sich die Behandlung zunächst
privat auf eigene Rechnung beschafft und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten bzw. deren
Freistellung. Konnte er hingegen im Zeitpunkt der Erbringung der Leistung davon ausgehen, er erhalte die Leistungen
als Kassenpatient zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung, so kann eine eigene
Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer nicht entstehen. Es fehlt dann an einer vertraglichen oder
gesetzlichen Anspruchsgrundlage, aus der sich eine solche Verbindlichkeit ergeben könnte (BSG, Urteil vom
09.10.2001 - B 1 KR 6/01 R - zitiert nach juris, m.w.N.; LSG Brandenburg vom 12.03.2004 - L 4 KR 7/03 - zitiert nach
juris).
Schließlich reicht der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch nicht weiter als ein entsprechender
Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche
die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom
7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - zitiert nach juris, m.w.N.).
2. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Klägerin zunächst ihre Krankenkasse eingeschaltet, deren
Entscheidung abgewartet und sich erst danach die Leistung selbst beschafft hat. In der mündlichen Verhandlung hat
die Mutter der Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie mit der Verordnung die Beigeladene aufgesucht habe und dort die
Gegenstände erst bestellt werden mussten. Die Lieferung habe länger gedauert. Der Kostenvoranschlag wurde
ausweislich des aufgeführten Datums am 22. November 2006 erstellt, der Bescheid der Beklagten datiert vom 11.
Dezember 2006. Vor diesem zeitlichen Hintergrund steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin die
Gegenstände erst nach der Entscheidung der Beklagten erhalten hat.
3. Zur Überzeugung des Gerichts steht ferner fest, dass die Klägerin tatsächlich einer recht-lich wirksamen Forderung
ausgesetzt ist. Glaubhaft hat die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass ihr von der
Beigeladenen mitgeteilt worden sei, dass der Winterschlupfsack und das Sonnen- und Regendach zur Ausstattung
eines Re-ha-Buggys gehören und daher von der Beklagten übernommen werden "müssten". Dies deckt sich mit den
glaubhaften Angaben des Geschäftsführers der Beigeladenen, der dargelegt hat, dass er in Fällen, in denen ihm die -
vorrausichtlich negative - Entscheidung der Krankenkasse bekannt sei, die Betroffenen darauf hinweise, dass diese
ggf. die Kosten selbst zu tragen hätten. Daher konnte die Klägerin im Zeitpunkt der Erbringung der Leistung nicht
davon ausgehen, sie erhalte die Leistungen als Kassenpatient zu den Bedingungen der gesetzlichen
Krankenversicherung. Vielmehr musste sie damit rechnen, dass ggf. auf sie Kosten zukämen. Die Klägerin ist
demnach einer rechtlich wirksamen Forderung ausgesetzt.
4. Die Versorgung mit einem Winterschlupfsack und einem Sonnen- und Regendach gehört zu den Leistungen, welche
die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben.
4.1 Der Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Winterschlupfsack und einem Son-nen- und Regendach kann
nicht schon aus der vertragsärztlichen Verordnung ihrer behandelnden Ärztin folgen. Denn der vertragsärztlichen
Verordnung kommt keine die Leistungsverpflichtung der Beklagten verbindlich regelnde Wirkung zu. Dies folgt zum
einen daraus, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V die Krankenkassen unwirtschaftliche Leistungen nicht bewilligen
dürfen und nach § 275 Abs. 3 Nr. 1 SGB V die Krankenkassen vor Bewilligung eines Hilfsmittels in geeigneten Fällen
durch den Medizinischen Dienst prüfen lassen können, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Hiermit steht zum anderen in
Einklang, dass nach den die Verordnungstätigkeit regelnden Bundesmantelverträgen (§ 30 Abs. 8 Satz 1
Bundesmantelvertrag-Ärzte; ebenso § 16 Abs. 8 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen) die Abgabe von
Hilfsmitteln einer Genehmigung durch die Krankenkasse bedarf, soweit in ihren Bestimmungen - wie hier - nichts
anderes vorgesehen ist (BSG, Urteil vom 03.11.1999 - B 3 KR 16/99 R - zitiert nach juris). Daher folgt eine
Leistungspflicht der Beklagten nicht bereits aus der ärztlichen Verordnung.
4.2 Der Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit einem Winterschlupfsack und einem Son-nen- und Regendach
folgt aus § 33 SGB V.
4.2.1 Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall
erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen
Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Allerdings müssen - wie in allen anderen
Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch - die Leistungen nach § 33 SGB V
ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die
Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V).
4.2.2 Zwischen den Beteiligten ist unstreitig und bedarf angesichts der Erkrankung der Klägerin keiner weiteren
Ausführungen, dass die Klägerin im Bereich Mobilität auf ein Hilfsmittel, vorliegend auf den Reha-Buggy, angewiesen
ist. Aufgrund dessen ist die Klägerin zum Ausgleich ihrer Behinderung auf einen Winterschlupfsack und ein Sonnen-
und Regen-dach angewiesen, weshalb die Beklagte nach § 33 SGB V zur Sachleistung verpflichtet ist.
4.2.2.1 Winterschlupfsack und Sonnen- und Regendach für einen Reha-Buggy sind Hilfsmittel.
Die von der Leistungspflicht der GKV umfassten Hilfsmittel sind nach § 139 SGB V in ei-nem von dem
Spitzenverband Bund der Krankenkassen erstellten systematisch strukturierten Hilfsmittelverzeichnis aufzuführen,
was als reine Auslegungs- und Orientierungshil-fen für die medizinische Praxis zu verstehen ist. Es verkörpert keine
abschließende, die Leistungspflicht der Krankenkassen im Sinne einer "Positivliste" beschränkende Regelung (BSG,
Urteil vom 15.11.2007 - B 3 A 1/07 R - zitiert nach juris, m.w.N.). Daher ist es vor-liegend unschädlich, dass im
Hilfsmittelverzeichnis das Sonnen- und Regendach über-haupt nicht erwähnt und in Bezug auf den Schlupfsack auf
den in leistungsrechtlichen Hinweisen genannten Zuschuss verwiesen wird.
Hilfsmittel sind vielmehr alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder Folgen von
Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und
andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung, Instandhaltung und Ersatzbeschaffung sowie der
Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 16/07 R - zitiert nach juris, m.w.N.).
Winterschlupfsack und Sonnen- und Regendach sind in dem Sinne Hilfsmittel. Aufgrund ihrer Erkrankung ist die
Klägerin im Bereich Mobilität auf einen Reha-Buggy angewiesen. Im Rahmen der üblichen Nutzung des Reha-Buggys
ist sie Witterungseinflüssen ausgesetzt, die die Benutzung eines Winterschlupfsacks und eines Son-nen- und
Regendachs erfordern. Daher mildern Winterschlupfsack und Sonnen- und Regendach Folgen von
Gesundheitsschäden, weshalb sie - als ärztlich verordnete Gegenstände - Hilfsmittel darstellen.
4.2.2.2 Bei einem Winterschlupfsack und einem Sonnen- und Regendach für einen Reha-Buggy handelt es sich nicht
um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Für die Abgrenzung zwischen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens und Hilfsmitteln ist maßgeblich auf die
Zweckbestimmung des Gegenstands abzustellen, die einer-seits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der
Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist: Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter
Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz über-wiegend auch von diesem
Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen;
das gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind (z.B. Brillen, Hörgeräte). Umgekehrt ist ein Gegenstand
trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand
des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte
gedacht ist. Maßgeblich für die Abgrenzung sind ausschließlich Funktion und Gestaltung des Gegenstands, wie er
konkret beansprucht wird und beschaffen ist. Handelt es sich hingegen um einen Gegenstand, der zwar allgemein als
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens angesehen wird, in sei-ner konkret zu beurteilenden Funktion und
Gestaltung aber so erheblich von diesem ab-weicht, weil er für die Zwecke behinderter Menschen weiter entwickelt
oder umgewandelt und deshalb nicht mehr ebenso nutzbar ist wie im Alltag nicht behinderter Menschen, dann ist es
ein Hilfsmittel (BSG, Urteil vom 15.11.2007 - B 3 P 9/06 R - zitiert nach juris, m.w.N.).
Winterschlupfsäcke und Sonnen- und Regendächer werden von gesunden Menschen jedenfalls ab dem 3. Lebensjahr
nicht mehr benutzt. Sie sind grundsätzlich auch nicht mit der Funktion von entsprechender Kleidung vergleichbar. Ein
Winterschlupfsack über-nimmt nicht die Funktion von Winterkleidung eines Gehfähigen. Denn auch ein Säugling oder
Kleinkind, für die ein Winterschlupfsack ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist, wird im Winter nicht in
einem Kinderwagen ohne Winterhose und Winterjacke oder Schneeanzug oder dergleichen an der frischen Luft
spazieren gefahren. Auch der Säugling oder das Kleinkind wird entsprechend der Witterungseinflüsse gekleidet. Der
Winterschlupfsack in dem Kinderwagen dient allein dem Ausgleich des Wärmedefizits, das dadurch entsteht, dass
sich der Säugling oder das Kleinkind anders als die Mutter, der Vater oder eine andere Begleitperson nicht bewegt,
sondern im Kinderwagen sitzt bzw. liegt. Vergleichbares gilt im vorliegenden Fall. Die Klägerin wird entsprechend den
herrschenden Temperaturen gekleidet. Der Winterschlupfsack ist einzig und allein des-wegen erforderlich, weil sich
die Klägerin an der frischen Luft nicht (selber) bewegen kann, sondern sitzend im Reha-Buggy geschoben wird. Trotz
eines Winterschlupfsackes wird sie die übliche Winterbekleidung haben. Diese allein reicht aber nicht aus, um den
Witterungseinflüssen, denen sie in sitzender Lage ausgesetzt ist, gerecht zu werden. Zusätzlich benötigt sie den
Winterschlupfsack. Entsprechendes gilt für ein Sonnen- und Regendach. "Normale" Bekleidung, wie beispielsweise
ein Sonnenhut oder ein Regenhut, reicht nicht aus, um den Witterungseinflüssen, denen sie in sitzender Lage
ausgesetzt ist, gerecht zu werden. Neben einem Sonn- und Regenhut benötigt sie zusätzlich ein Son-nen- und
Regendach. Daher handelt es sich bei einem Winterschlupfsack und einem Sonnen- und Regendach für einen Reha-
Buggy nicht um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.
4.2.2.3 Der Anspruch ist auch nicht nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen, weil Winterschlupfsack und Sonnen-
und Regendach nicht in der Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem
Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 13. Dezember 1989 (BGBl I S. 2237), zuletzt geändert
durch Verordnung vom 17. Januar 1995 (BGBl I S. 44), genannt sind.
4.2.2.4 Die Versorgung mit einem Winterschlupfsack und einem Sonnen- und Regendach ist auch erforderlich, sie ist
ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich und überschreitet das Maß des Notwendigen nicht. Der Witterungsschutz
kann insbesondere mit anderen bereits vorhandenen oder noch zu beschaffenden, kostengünstigeren Hilfsmittel oder
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens nicht erreicht werden. Insbesondere reicht eine Decke und ähnliches
nicht aus, um den spezifischen Witterungseinflüssen, denen die Klägerin sitzend im Reha-Buggy ausgesetzt ist,
gerecht zu werden. Auch ist das Verwenden einer Decke nicht praktikabel.
4.3 Demnach hat die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch auf Ausstattung mit einem Winterschlupfsack und einem
Sonnen- und Regendach.
5. Allerdings kann von der Klägerin ein Eigenanteil in Höhe von 5% der Kosten unter dem Gesichtspunkt ersparter
Aufwendungen verlangt werden. Winterschlupfsack und Sonnen- und Regendach stellen grundsätzlich keine
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens dar. Sie machen allerdings einen optimalen Wetterschutz für sämtliche
sich im Lauf eines Jahres ergebenden Wetterlagen entbehrlich. Auch kann die Kombination "normale" Frühjahrs-,
Sommer-, Herbst- und Winterkleidung mit Winterschlupfsack bzw. Sonnen- und Regendach in einigen wenigen
Bereichen die Anschaffung "normaler" Kleidung entbehrlich machen. Insoweit erspart sich die Klägerin Aufwendungen.
Bei Ansatz der Höhe der ersparten Aufwendungen hielt es die Kammer für angemessen, es bei einem prozentualen
Ansatz zu belassen. Die Höhe des Prozentsatzes hat sich daran orientiert, dass derartige Synergieeffekte nur in
einigen wenigen Bereichen entstehen, so dass der Kammer ein Ansatz von 5% angemessen erschien.
6. Demnach hat die Klägerin Anspruch auf Freistellung von den entstanden Kosten abzüglich des Eigenanteils von
5%. Als entstandene Kosten war der Kostenvoranschlag von 22. November 2006 in Höhe von einem Gesamtbetrag
von 508,08 Euro zugrundezulegen. Da die Lieferung noch im Jahr 2006 erfolgt ist, können Kostenpreissteigerungen,
insbesondere die Listenpreise für 2007, und die ab 2007 geltende höhere Mehrwertsteuer nicht in Ansatz gebracht
werden, woran die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr festhielt. Der Eigenanteil beträgt
demnach 25,40 Euro. Da die Beklagte bereits 125 Euro bezahlt hat, ergibt sich daraus ein Betrag von 357,68 Euro.
Von diesen ist die Klägerin freizustellen.
Somit hat die Klägerin einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die Beschaffung eines Winterschlupfsacks
und des Sonnen-/Regendachs gemäß dem Kostenvoranschlag der Beigeladenen vom 22. November 2006 in Höhe
von weiteren 357,68 Euro. In-soweit ist der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. März 2007 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist daher
insoweit aufzuheben. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, weil die Klägerin keinen weitergehenden Anspruch auf
Freistellung hat.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf der Erwägung, dass die Klage - ausgehend von dem in der mündlichen
Verhandlung gestellten Antrag - überwiegend Erfolg hat und die Klägerin letztlich nur mit einem Anteil von 5%, der
nicht weiter ins Gewicht fällt, unterliegt. Es ist daher sachgerecht, dass die Beklagte der Klägerin die
außergerichtlichen Kosten erstattet.
8. Da der Wert des Beschwerdegegenstandes bei diesem Verfahren, das eine Geldleistung betrifft, 750 Euro nicht
übersteigt, bedarf die Berufung der Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). Nach Ansicht der Kammer ist die Berufung
nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Streitsache eine bisher nicht geklärten Rechtsfrage aufgeworfen
hat, deren Klärung im Allgemeininteresse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des
Rechts zu fördern.