Urteil des SozG Würzburg vom 06.02.2009
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Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 06.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 4 EG 10/08
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf höheres Elterngeld hat.
Die 1972 geborene Klägerin ist die Mutter des 2007 geborenen Kindes T. Sie hat am 08.10.2007 einen Antrag auf
Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) gestellt, der am 17.10.2007 beim Zentrum
Bayern Familie und Soziales Region U. einging. Die Klägerin hat hierbei als Bezugszeitraum den ersten bis zwölften
Lebensmonat des Kindes benannt. Sie hat ferner angegeben, dass sie Dienstbezüge auch während der
Mutterschutzfrist bis zum 26.11.2007 erhalten hat. Zu ihrem Einkommen hat sie erklärt, dass sie in den letzten zwölf
Monaten vor der Geburt des Kindes einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und hat hierzu Bezügemitteilungen des
Landesamtes für Finanzen, Dienststelle W., Bezügestelle Besoldung vorgelegt.
Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 07.11.2007 Elterngeld in der nachfolgend beschriebenen Höhe. Hierzu hat
der Beklagte aus den mitgeteilten Bezügen zunächst die Einmalzahlungen herausgerechnet. Im Anschluss daran
wurden die Steuern und Werbungskosten in Abzug gebracht, wobei von der in den Bezügemitteilungen ausgewiesenen
Lohnsteuerklasse V ausgegangen wurde (§ 2 Abs. 7 S. 1 – 4 BEEG). Es ergab sich ein durchschnittliches
monatliches Nettoerwerbseinkommen im Bemessungszeitraum von 1.536,53 Euro. 67 % dieses Betrages wurden als
zustehendes Elterngeld errechnet (§ 2 Abs. 1 S. 1 BEEG). Auf den Bezug von Elterngeld wurden die im ersten,
zweiten und teilweise noch dritten Lebensmonat des Kindes auf Grund der Mutterschutzvorschriften bezogenen
Dienstbezüge angerechnet (§ 3 Abs. 1 S. 3 BEEG). Nachdem die Klägerin sich für die Auszahlungsvariante der
Zahlung eines halben Monatsbeitrages bei doppelter Laufzeit (§ 6 S. 2 BEEG) entschieden hatte, ergab sich für den 4.
bis 12. und den 14. bis 22. Lebensmonat des Kindes eine Zahlung von 514,74 Euro monatlich, für den 3. und 13.
Lebensmonat eine gekürzte Zahlung von jeweils 394,68 Euro. In den ersten beiden Lebensmonaten kam es auf Grund
der Anrechnung zu keiner Elterngeldzahlung.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 18.11.2007 am 23.11.2007 Widerspruch ein und begründete diesen
damit, dass die in ihrem Fall getroffene Steuerklassenwahl zwischen ihr und ihrem Ehemann hinsichtlich der
Anwendung der Steuerklassen III und V keinen Einfluss auf das als Grundlage für die Berechnung des Elterngelds
herangenommene Nettoeinkommen haben dürfe. Die steuerliche Behandlung von Ehegatten sei zum Zeitpunkt der
abschließenden Ermittlung in der Einkommensteuererklärung einheitlich, unabhängig davon, welche Steuerklassen
davor gewählt worden seien. Wenn der Staat zur Anpassung der Vorauszahlungen eine entsprechende
Steuerklassenwahl zulasse, so dürfe sich die Nutzung dieser Möglichkeit nicht negativ auf die Höhe des
festzusetzenden Elterngeldes auswirken. Plausibel wäre vielmehr ein Berechnen mit der "neutralen" Steuerklasse IV.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2008 – zur Post am 04.03.2008 – zurück.
Die Berechnung sei entsprechend den Vorschriften des BEEG erfolgt; eine fiktive Berechnung mit einer anderen
Steuerklasse sei nicht vorgesehen.
Hiergegen erhob die Klägerin mit einer am 07.04.2008 bei Gericht eingegangenen Klage-schrift Klage zum
Sozialgericht Würzburg.
Die Klägerin beantragt: Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 07.11.2007
und des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2008 höheres Elterngeld unter Berücksichtigung von Abzügen der
Lohnsteuerklasse IV zu gewähren und die Differenz zur bisherigen Leistung nachzuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezoge-nen Akte des Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie wurde fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozi-algericht erhoben (§§ 51, 54,
57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Tatsache, dass die Klageschrift ein offensichtlich unzutreffendes Datum trug und nicht mit einer handschriftlichen
Unterschrift versehen war, führt nicht zur Unzulässigkeit der Klage, da (auch) die Vorschrift des § 92 Abs. 1 S. 3 SGG
n.F. nur Sollvorschriften enthält (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 92 Rdnr. 13 mit
Hinweisen zum bisher geltenden Recht).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und Gewährung eines höheren Elterngeldes.
Der Beklagte hat die Berechnung des Elterngeldes entsprechend den gesetzlichen Vor-schriften vorgenommen. Auch
in dem zwischen den Beteiligten allein strittigen Punkt, welche steuerlichen Abzüge vom Bruttolohn vorzunehmen
sind, entspricht die Berechnung des Beklagten der gesetzlichen Vorschrift, weil § 2 Abs. 7 Satz 4 BEEG bestimmt,
dass Grundlage der Einkommensermittlung von abhängig Beschäftigten die entsprechenden monatlichen Lohn- und
Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers sind. Abzugsfähig sind damit die in den Bezügemitteilungen
ausgewiesenen Steuerbeträge – soweit sie sich nicht auf nicht berücksichtigungsfähige Einmalzahlungen beziehen.
Eine anderweitige steuerliche Berechnung ist nicht vorgesehen.
Das Gericht hat auch nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Vorschriften des BEEG gegen höherrangiges
Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz verstoßen würden. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn die
Leistungshöhe des Elterngeldes willkürlich festgesetzt würde oder unter Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG)
gleiche Sachverhalte ungleich behandelt würden.
Die Problematik, dass am Nettolohn orientierte Sozialleistungen von den steuerlichen Abzügen beeinflusst werden
und dass diese steuerlichen Abzüge ihrerseits im Falle von Ehe und Familie zwischen den aufgrund der
Steuerklassenwahl vorgenommenen Vorwegabzügen und der endgültigen Steuerzahlung im Rahmen der
gemeinsamen Veranlagung differieren können, besteht nicht nur beim Elterngeld. Dies ist Folge der als Ausfluss des
Art. 6 GG eingeführten steuerlichen Begünstigung von Ehe und Familie, des sogenannten Splitting-Tarifes (§ 32 a
Abs. 5 Einkommensteuergesetz – EStG).
Die Problematik taucht regelmäßig dann auf, wenn Steuerklassenwechsel vorgenommen werden und hierfür keine
speziellen gesetzlichen Regelungen über deren Zulässigkeit bzw. Berücksichtigungsfähigkeit existieren oder diese
Regelungen für fehlerhaft angesehen werden. In der Vergangenheit war diese Diskussion insbesondere im Zuge der
Gewährung von Leistungen nach dem SGB III geführt worden (vgl. die Vorschrift des § 133 Abs. 3 SGB III bzw. die
Vorgängervorschriften). In der Tendenz wird dabei die Auffas-sung vertreten, dass die Steuerklassen anhand der
Lohnverhältnisse der beiden Ehepartner objektiv zuordenbar seien und eine von dieser vernunftgeleiteten Zuordnung
abwei-chende Steuerklassenwahl nur im Hinblick auf ein ungerechtfertigtes Erlangen einer höheren Sozialleistung
angenommen werden könne und deshalb unbeachtlich sei (vgl. Brand in Niesel, Kommentar zum SGB III, § 133 Rdnr.
13 m.w.N.). Für den Elterngeldbezug wird teilweise jedoch vertreten, dass der Gesetzgeber es unterlassen habe,
hinreichend präzise Regelungen zu treffen, so dass auch ein "unzweckmäßiger" Steuerklassenwechsel zunächst
hinzunehmen sei (vgl. Fuchsloch/Scheiwe, Leitfaden Elterngeld, München 2007, S. 52 f.; Wiegand, Kommentar zum
BEEG, § 2 Rdnr. 28 unter Verweis auf die andere Ansicht des BMFSFJ). Hierzu sind derzeit bereits
Revisionsverfahren bei Obergerichten anhängig.
Es ist für das Gericht jedoch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber darüber hinausgehend generell regeln könnte
oder müsste, die Lohnsteuerklasse IV fiktiv in allen Fällen der Elterngeldberechnung aus Einkommen bei
nichtselbständiger Beschäftigung zu Grunde zu legen. In den Fällen, in denen sich nämlich – aus was für Gründen
auch immer – der bisherige Bezieher eines höheren Einkommens zur Inanspruchnahme von Elterngeld entschließen
würde, wäre nicht gewährleistet, dass der entsprechende Anteil seines bisherigen Nettoeinkommens ihm erhalten
bliebe. Umgekehrt ist es in Fällen wie dem der Klägerin durchaus so, dass dem Bezieher des Elterngeldes der
Prozentsatz seines bisherigen Nettoeinkommens nominal erhalten bleibt.
Der Unterschied besteht lediglich darin, dass unabhängig von der bisherigen Steuerklas-senwahl wegen der
Steuerfreiheit des Elterngeldbezuges normalerweise jeder der nunmehrigen "Einzelverdiener" in die für ihn
vorauszahlungsgünstige Steuerklasse III wechselt und auch insgesamt die steuerliche Behandlung weitgehend ohne
Berücksichtigung des Elterngeldes (ausgenommen Progressionsvorbehalt) erfolgt, so dass dem aufgrund der
unterschiedlichen Steuerklassen im Bemessungszeitraum unterschiedlichen Elterngeldbezug kein entsprechend
ausgleichender steuerlicher Faktor während des Bezugszeitraumes gegenüber steht.
Diese Detailkonstellationen sind jedoch nicht von solcher Auswirkung, dass der Gesetzgeber aufgrund
grundrechtlicher Vorgaben gehalten gewesen wäre, hierfür zwingend ei-nen Ausgleich vorzusehen, insbesondere da –
wie dargestellt – dies möglicherweise zu Härten bei anderen Personenkreisen führen würde. Die Steuerklassenwahl
(und ggf. die objektiv zutreffende Steuerklassenzuordnung) stellt damit einen hinreichenden Differenzierungsgrund dar.
Dementsprechend waren die Bescheide des Beklagten insgesamt nicht zu beanstanden und die Klage war
abzuweisen.
Aus der Klageabweisung ergibt sich, dass der Klägerin außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind (§ 193 SGG).