Urteil des SozG Würzburg vom 26.02.2008

SozG Würzburg: reformatio in peius, widerspruchsverfahren, gebühr, post, vergleich, durchschnitt, angemessenheit, aufwand, mittelwert, gerichtsverfahren

Sozialgericht Würzburg
Kostenbeschluss vom 26.02.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 2 SF 4/08.Ko
Die Erinnerung vom 09.01.2008 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.12.2007 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) zu erstattenden außergerichtlichen
Kosten eines Rechtsanwalts im Widerspruchs- und Klageverfahren.
Der Klägerbevollmächtigte hat den Kläger gegen die Beklagte im Widerspruchsverfahren, Klageverfahren (S 5 U
107/03) vor dem Sozialgericht Würzburg und im Berufungsverfahren (L 18 U 271/03) am Bayerischen
Landessozialgericht vertreten. Die Verfahren wurden am 26.06.2007 in nichtöffentlicher Sitzung am Bayerischen
Landessozialgericht durch einen Vergleich dahingehend erledigt, dass sich die Beklagte bereit erklärte, hinsichtlich
der Folgen des Arbeitsunfalles vom 10.09.1999 eine MdE von 10 v.H. für die Zeit ab 09.12.1999 bis 31.03.2000 als
Stützrente anzuerkennen und 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen zu
übernehmen.
Am 29.06.2007 beantragte der Klägerbevollmächtigte eine Kostenerstattung wie folgt:
1. Widerspruchsverfahren:
Widerspruchsgebühr 280,00 Eur Pauschale für Post- und Telekom.dienste § 26 20,00 Eur --- Zwischensumme netto
300,00 Eur Mehrwertsteuer 16,00 % 48,00 Eur --- Rechnungsendbetrag 348,00 Eur
hiervon 1/4 87,00 Eur
2. Klageverfahren:
Verfahren vor Sozialgericht § 116(1)1 520,00 Eur Pauschale für Post- und Telekom.dienste § 26 20,00 Eur ---
Zwischensumme netto 540,00 Eur Mehrwertsteuer 16,00 % 84,60 Eur --- Rechnungsendbetrag 626,40 Eur
hiervon 1/4 156,60 Eur
3. Berufungsverfahren:
Verfahren vor Landessozialgericht § 116(1)2 780,00 Eur Pauschale für Post- und Telekom.dienste § 26 15,00 Eur ---
Zwischensumme netto 795,00 Eur Mehrwertsteuer 19,00 % 151,05 Eur --- Rechnungsendbetrag 946,05 Eur
hiervon 1/4 236,51 Eur
Gleichzeitig beantragte er den zu erstattenden Betrag mit 5 %-Punkten seit Antragstellung zu verzinsen.
Die Beklagte teilte mit, in Fällen mit durchschnittlichem Zeit- und Arbeitsaufwand und durchschnittlicher Schwierigkeit
sei ein Mittelwert angemessen. Für das Berufungsverfahren habe der Klägervertreter überhaupt keine Begründung für
die angesetzte Höchstgebühr genannt. Für das Klageverfahren könne die Angabe "schwierig und sehr umfangreich"
nicht nachvollzogen werden, denn von der Klageerhebung bis zum Gerichtsbescheid habe das Verfahren weniger als
ein halbes Jahr gedauert und es sei keine zusätzliche medizinische Beweiserhebung erfolgt. Somit habe sich der
Klägervertreter nur mit den aus dem Widerspruchsverfahren bereits bekannten Unterlagen auseinandersetzen
müssen. Für das Widerspruchsverfahren errechne sich ein Betrag von 74,44 Eur (1/4 von 297,74 Eur), für das
Klageverfahren ein Betrag von 108,75 Eur (1/4 von 435,00 Eur) und für das Berufungsverfahren ein Betrag von 187,43
Eur (1/4 von 749,70 Eur). Insgesamt bestehe daher ein Anspruch auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 370,62 Eur.
Diesen Betrag habe die Beklagte auf das Konto des Klägervertreters überwiesen.
Der Klägerbevollmächtigte wendete sich gegen die von der Beklagten vorgenommene Berechnung. Das Verfahren
habe im Jahre 2001 begonnen. Die Tätigkeit des Unterfertigten habe sich über sechs Jahre erstreckt. Es sei ein
enormer Aufwand erforderlich gewesen. Es sei für den Kläger um wichtige wirtschaftliche Fragen gegangen. Es habe
auch ein erhebliches Haftungsrisiko gegeben. Deshalb sei die Mittelgebühr unangebracht.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Sozialgerichts setzte die zu erstattenden Kosten mit Beschluss vom
07.12.2007 auf 419,70 Eur fest. Dieser Festsetzung legte er folgende Beträge zugrunde:
I. Widerspruchsverfahren:
Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts gem. § 116 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO 236,67 Eur Auslagenpauschale
gem. § 26 BRAGO 20,00 Eur 16 % Mehrwertsteuer gem. § 25 Abs. 2 BRAGO 41,07 Eur --- insgesamt 297,74 Eur
II. Klageverfahren:
Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts gem. § 116 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO 355,00 Eur Auslagenpauschale
gem. § 26 BRAGO 20,00 Eur 16 % Mehrwertsteuer gem. § 25 ABs. 2 BRAGO 60,00 Eur --- insgesamt 435,00 Eur
III. Berufungsverfahren:
Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts gem. § 116 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO 780,00 Eur Auslagenpauschale
gem. § 26 BRAGO 15,00 Eur 19 % Mehrwertsteuer gem. § 25 Abs. 2 BRAGO 151,05 Eur --- insgesamt 946,05 Eur
Summe aus I., II. und III. 1.678,79 Eur davon 1/4 laut Vergleich vom 26.06.2007 419,70 Eur von der Beklagten
bereits erstattet 370,62 Eur von der Beklagten noch zu erstatten (zzgl. Zinsen) 49,08 Eur
Die Herabsetzung der Gebühren im Widerspruchs- und Klageverfahren begründete der Urkundsbeamte damit, dass die
vom Klägerbevollmächtigten beantragten Gebühren unbillig seien. Die Tätigkeiten des Klägerbevollmächtigten im
Widerspruchsverfahren seien unterdurchschnittlich gewesen. Sie hätten sich auf die Einlegung des Widerspruchs
beschränkt. Im Gerichtsverfahren habe er neben der Klagebegründung einen kurzen Schriftsatz verfasst. Mangels
Einholung von Gutachten und medizinischer Unterlagen und wegen der kurzen Verfahrensdauer von sechs Monaten
sei die Angelegenheit unterdurchschnittlich aufwändig gewesen. Die streitige Gewährung einer Stützrente für die
Folgen eines Arbeitsunfalles seien angesichts der Höhe und Dauer der Stützrente als durchschnittlich bedeutsam
einzustufen. Das Verfahren sei durchschnittlich schwierig gewesen, die Beschäftigung mit medizinischen Fragen sei
auf dem Gebiet des Unfallrechts alltäglich.
Dagegen legte der Klägerbevollmächtigte am 09.01.2008 Erinnerung ein mit der Begründung, dass im
Widerspruchsverfahren bereits die Bagatellgrenze von 20 % unterschritten sei. Generell seien BG-Verfahren in
extremer Weise umkämpft und deshalb nicht mit Mittelgebühren abzuhandeln. Diese Verfahren seien generell von
erheblicher existenzieller Bedeutung, weil sie in aller Regel bis zum Lebensende zu bezahlen seien. Damit sei auch
ein enormes Haftungsrisiko verbunden. Hinzu komme, dass sich der Kläger in guten finanziellen Verhältnissen
befinde.
Der Urkundsbeamte half der Erinnerung nicht ab. Unabhängig davon, ob der Toleranzrahmen des RVG von 20 % in
der BRAGO Anwendung finde, sei diese Anwendung bei einem eindeutigen Fall der Mittelgebühr nicht zulässig.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Erinnerung des Klägers ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Urkundsbeamte hat für das Klageverfahren die Gebühren eher zu hoch als zu niedrig festgesetzt. Für das
Widerspruchsverfahren hätten dem Kläger überhaupt keine Gebühren zugestanden, da diese nicht im Vergleich vom
26.06.2007 vereinbart wurden. Eine Verböserung (reformatio in peius) in Rechtsmittelverfahren, in denen nur der
Kläger ein Rechtsmittel einlegt, findet ihm gegenüber jedoch nicht statt (vgl. SG Leipzig vom 20.12.2005, S 8 KR
178/01). Da der dem Kläger zustehende Betrag niedriger ist als der vom Urkundsbeamten errechnete, verbleibt es bei
dem vom Urkundsbeamten festgestellten Betrag. Die Kammer nimmt im Hinblick auf die Festsetzung im
Klageverfahren Bezug auf die Ausführungen im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.12.2007.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Annahme der Mittelgebühr für das Klageverfahren als großzügig
angesehen werden kann. Denn sowohl die Bedeutung für den Kläger, der sich in guten finanziellen Verhältnissen
befindet, als auch der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit lagen im Klageverfahren unter dem
Durchschnitt. Nach einer Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12.09.2006, L 1 B
320/05 SF SK, läuft das normale sozialgerichtliche Verfahren so ab, dass der Kläger durch seinen Anwalt eine
Klageschrift einreicht und sich dann ein Schriftwechsel zwischen den Beteiligten entwickelt. Sehr häufig erfolgen
gerichtliche Ermittlungen, zu denen die Beteiligten Stellung beziehen können.
In dem vorliegenden Verfahren ist ein Teil dieser Arbeit für den Klägerbevollmächtigten nicht angefallen. Es wurden
weder Ermittlungen durchgeführt, noch waren medizinische Gutachten zu würdigen. Außer der Klageeinreichung mit
Begründung hat der Klägerbevollmächtigte nur zur Frage eines Gerichtsbescheides kurz Stellung genommen.
Lediglich die Vermögensverhältnisse des Auftraggebers waren überdurchschnittlich. Dies allein führt jedoch bei
unterdurchschnittlicher Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit nicht zur Angemessenheit der Mittelgebühr. Das
Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Ein Rechtsmittel ist nicht zulässig (§
197 Abs. 2 Halbsatz 2 Sozialgerichtsgesetz).