Urteil des SozG Würzburg vom 16.06.2009

SozG Würzburg: arbeitskraft, form, vergütung, fahrzeug, versicherungspflicht, akte, rechtswahl, unternehmer, abgrenzung, betriebsmittel

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 16.06.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 2 R 55/08 E
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 15.06.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2007 wird
abgewiesen. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. III. Der Streitwert wird auf 24.416,42 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist die Beitragsforderung für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis 31.12.2006 in Höhe von 24.416,42 EUR.
Die Klägerin ist Inhaberin eines Transportunternehmens, für das die Beigeladenen als Fahrer tätig waren. Im Rahmen
einer Betriebsprüfung am 21.03.2007 für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.12.2006 stellte die Beklagte fest, die
Beigeladenen seien nicht selbständig tätig, sondern bei der Klägerin abhängig beschäftigt.
Mit Bescheid vom 15.06.2007 forderte die Beklagte vom Kläger angesichts abhängiger sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigungsverhältnisse für Beiträge und Säumniszuschläge den Betrag von 24.416,42 EUR. Beide polnische
Beigeladene seien als Transportfahrer für die Klägerin tätig gewesen. In Abwägung der Kriterien für eine selbständige
Tätigkeit und einer abhängigen Beschäftigung sei vom Vorliegen von Beschäftigungsverhältnissen und damit von
einer Versicherungspflicht der Beigeladenen auszugehen.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. In beiden Fällen seien Verträge mit selbständigen Unternehmen
geschlossen worden. Eine abhängige Beschäftigung habe nicht vorgelegen. Außerdem werde die Höhe der
Zurechnung, die pauschal aus dem Lohnsteuerbericht übernommen worden sei, bestritten. Die ermittelten
Entgeltdifferenzen, insbesondere die AOK Bayern, seien in der angegebenen Höhe nicht nachvollziehbar.
Die mit dem Widerspruch beantragte Aussetzung der Vollziehung wurde von der Beklagten am 03.08.2007 abgelehnt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Durch das Hauptzollamt S.
sei die Beklagte am 13.03.2007 darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass bei der Klägerin selbständige polnische
Fahrer eingesetzt worden seien. Aus der Finanzbuchhaltung habe entnommen werden können, dass neben den durch
das Hauptzollamt ermittelten polnischen Fahrern ein weiterer Pole als Fahrer eingesetzt gewesen sei. Durch das
Finanzamt W. seien im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung im Juli/August 2005 Feststellungen über den Ersatz
von Geldbußen und Geldstrafen durch die Klägerin getroffen worden. Der Bescheid des Finanzamtes sei von dieser
anerkannt worden und die Nachforderungen seien durch sie beglichen worden. Die Klägerin habe offensichtlich für den
Zeitraum 2005 bis Ende 2006 weiterhin Geldstrafen und Geldbußen übernommen. Die Beiträge für die
Geldstrafen/Geldbußen seien im Rahmen der Quotierung aufgeteilt worden. Die Aufteilung der Beiträge auf die
verschiedenen Krankenkassen sei hierbei nach dem Verhältnis der Krankenkassenmitglieder erfolgt. Die Tätigkeit der
Kraftfahrer erfülle nicht die Voraussetzungen für eine selbständige Tätigkeit. Die unternehmerische Freiheit für die
Fahrer habe lediglich in der Entscheidung über die Annahme oder die Ablehnung eines entsprechenden Auftrages
bestanden. Für angenommene Aufträge seien die Fahrer zwar hinsichtlich ihrer Arbeitseinteilung frei, jedoch habe die
Klägerin zwangsläufig den äußeren Rahmen für die Tätigkeit gesetzt. Die Beigeladenen seien in den Planungen der
Klägerin mit aufgenommen und organisatorisch, wenn sie für diese tätig gewesen seien, in deren betrieblichen Ablauf
eingegliedert gewesen. Weiterhin habe für die Beigeladenen kein wirtschaftlich unternehmerisches Risiko bestanden.
Eigene finanzielle oder sonstige Betriebsmittel hätten sie nicht eingesetzt. Von wesentlicher Bedeutung sei der
Umstand, dass sie über kein eigenes Fahrzeug verfügt hätten. Die Beigeladenen hätten lediglich ihre Arbeitskraft
geschuldet. Beim Einsatz ihrer Arbeitskraft sei ihnen der Erfolg in Form der vereinbarten Vergütung gewiss gewesen.
Dass die Beigeladenen ein Gewerbe angemeldet und Mehrwertsteuer abgeführt hätten, sei für die Beurteilung ihres
versicherungsrechtlichen Status nicht aussagekräftig. Das Merkmal einer Gewerbeanmeldung sei allein
willensabhängig und damit nicht sicher objektivierbar. Eine Überprüfung durch das Gewerbeaufsichtsamt hinsichtlich
des Vorliegens einer Beschäftigung finde nicht statt. Die Sozialversicherungspflicht folge der Tatsache, dass die
Beigeladenen nicht selbständig gewesen seien.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2008, eingegangen am 30.01.2008, Klage zum Sozialgericht
Würzburg erhoben. Sie hat vorgetragen, dass die Beigeladenen in Polen rentenversichert und auch krankenversichert
seien. Sie seien auch dringend auf die Beträge angewiesen, die hier die Beklagte zu Unrecht abgezogen habe. Es
könne nicht möglich sein, dass doppelte Beiträge in EG-Ländern gezahlt würden. Außerdem könne der Auffassung
nicht zugestimmt werden, wonach gleichsam automatisch angenommen werden solle, dass Geschäftspartner, die
kein eigenes Fahrzeug besitzen, regelmäßig als Beschäftigte zu qualifizieren seien. Ein Unternehmer sei nicht
zwangsläufig gehalten, eigenes Kapital oder beispielsweise einen eigenen LKW einzusetzen. Sein Kapital könne auch
eine Leistung sowohl körperlicher, als auch geistiger Art sein. Zu denken sei hier beispielsweise an Freiberufler, wie
Künstler, Architekten, Rechtsanwälte u.a.
Die Klägerin stellt den Antrag: Der Bescheid vom 15.06.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
20.12.2007 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zu Recht sei festgestellt worden, dass die Beigeladenen nicht selbständig tätig, sondern abhängig beschäftigt
gewesen seien. Außerdem sei zu Recht festgestellt worden, dass die durch die Klägerin übernommenen
Bußgelder/Geldstrafen für diverse Arbeitnehmer Geldwerte Vorteile seien und die diesbezüglich vorgenommene
Verbeitragung ordnungsgemäß erfolgt sei.
Die erkennende Kammer hat zum Verfahren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Würzburg aus
einem früheren Verfahren der Klägerin gegen die Beklagte wegen Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen (S
6 RJ 483/00 E) beigezogen. Auch im dortigen Verfahren wurde Versicherungspflicht "selbständiger Kraftfahrer", die
über keinen eigenen LKW verfügten, festgestellt. Im gerichtlichen Vergleich vom 29.05.2006 hat die Klägerin die
Beitragsnachforderung für den im dortigen Verfahren Bei-geladenen zu 3) akzeptiert.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und auf den Inhalt der Sozialgerichtsakte
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat die Beklagte die Fahrertätigkeit der Beigeladenen für den Kläger als versicherungspflichtige
Beschäftigungen angesehen und die daraus resultierenden Beiträge für die ausgezahlten Löhne und
Bußgelder/Geldstrafen nachgefordert.
Bezüglich der Entscheidungsgründe kann im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in den
angefochtenen Bescheiden Bezug genommen werden. § 136 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gibt dem
Gericht die Möglichkeit, von ei-ner weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen, soweit es der
Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die erkennende Kammer in Übereinstimmung mit dem Bayerischen
Landessozialgericht in dessen Entscheidung vom 24.04.2007 (L 5 KR 233/05) der Auffassung ist, dass Fahrer ohne
eigene Transportfahrzeuge grundsätzlich als abhängig Beschäftigte zu qualifizieren sind (vgl. Urteil vom 27.05.2008,
S 2 R 656/07 E).
Auch das Bundesarbeitsgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 19.11.1997, 5 AZR 653/96) die
Ansicht, dass bei stärker eingeschränkter Tätigkeit des Transporteurs das Rechtsverhältnis als ein Arbeitsverhältnis
anzusehen ist. Zur Abgrenzung, ob ein Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist oder nicht, hat das
Bundesarbeitsgericht darauf abgestellt, inwieweit der Schuldner die Leistung persönlich zu erbringen hat. Die Pflicht,
die Leistung grundsätzlich persönlich zu erbringen, ist danach ein typisches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis.
Sowohl die Arbeitsgerichte als auch die Sozialgerichte haben in ständiger Rechtsprechung insbesondere darauf
abgestellt, inwieweit das Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer tatsächlich umgesetzt wird.
Im vorliegenden Verfahren haben die beiden beigeladenen Fahrer ausschließlich selbst die Fahraufträge angenommen
und sich nicht durch andere Personen vertreten lassen. Dadurch, dass die Beigeladenen lediglich die
Betriebsfahrzeuge der Klägerin benutzt haben, ist nicht erkennbar, worin das Unternehmerrisiko der Beigeladenen
bestanden haben soll. Somit finden sich seitens der Beigeladenen keine typischen Merkmale unternehmerischen
Handelns (vgl. Bundessozialgericht vom 22.06.2005, B 12 KR 28/93 R).
Das Hessische Landessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 19.10.2006 (L 8/14 KR 1188/03) ausgeführt,
Fahrer eines Paketdienstes seien keine selbständigen Unternehmer, sondern abhängig Beschäftigte. Sie unterlägen
der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung. Denn Transportfahrer seien jedenfalls dann abhängig beschäftigt,
wenn ihre Weisungsgebundenheit über das Maß an Weisungsunterworfenheit hinausgehe, dem Frachtführer nach §
418 Handelsgesetzbuch (HGB) unterlägen.
Das Sozialgericht Frankfurt hat in seiner Entscheidung vom 30.01.2006 (S 25 KR 678/02) eine Arbeitnehmertätigkeit
von freiberuflichen Kraftfahrern festgestellt, weil im Hinblick auf ihre Tätigkeit kein Unternehmerrisiko erkennbar
gewesen sei. Eigene finanzielle oder sonstige Betriebsmittel hätten sie nicht eingesetzt. Von wesentlicher Bedeutung
sei der Umstand, dass die Beigeladenen über kein eigenes Fahrzeug verfügten. In allen vom Bundesarbeitsgericht in
den letzten Jahren zur Abgrenzung Arbeitnehmer-Frachtführer gemachten Ausführungen hätten die Fahrer über eigene
Fahrzeuge verfügt. Da die Beigeladenen ihre Touren mit Fahrzeugen, die ihnen kostenlos zur Verfügung gestellt
worden seien, gemacht hätten, hätten sie lediglich ihre Arbeitskraft geschuldet. Beim Einsatz ihrer Arbeitskraft sei
ihnen der Erfolg in Form der vereinbarten Vergütung gewiss gewesen. Auch aus der Art ihrer Entlohnung könne ein
wirtschaftliches Risiko nicht hergeleitet wer-den. Da die Vergütung sich an der Anzahl der geleisteten Stunden
orientiert habe, sei dieser Umstand für die Arbeitnehmereigenschaft typisch.
Für das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und den Beigeladenen ist deutsches Recht anwendbar. Nach den
Vorschriften des internationalen Privatrechtes EGBGB 30 darf nach Abs. 1 bei Arbeitsverträgen und
Arbeitsverhältnissen die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen
wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das nach Abs. 2 mangels einer
Rechtswahl anzuwenden wäre. Danach unterliegen Arbeitsverhältnisse dem Recht des Staates, in dem der
Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder in dem s ich die Niederlassung
befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass
der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist. Da die
Vertragsverhältnisse der Klägerin mit den Beigeladenen in Deutschland begründet wurden und sich die gegenseitigen
Verpflichtungen auch auf Tätigkeiten im Inland bezo-gen, ist deutsches Recht anzuwenden.
Auch wenn in dem Rahmenvertrag zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) vom 05.07.2004 dieser Vertrag
dem polnischen Recht unterliegen soll, ist dieser Passus nicht anwendbar. Denn wie oben ausgeführt – ist bei einem
Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich auf das Land abzustellen, in welchem der Betriebssitz
des Arbeitgebers liegt und/bzw. die Leistungen erbracht werden. Auch aus der Bezahlung in EUR lässt sich der
Schluss ableiten, dass deutsches Recht anzuwenden ist.
Falls die Beigeladenen zu Unrecht Beiträge in Polen geleistet haben sollten, sind diese Beiträge auf entsprechendem
Antrag zu erstatten. Von einer Verpflichtung zur Doppelleis-tung kann daher nicht ausgegangen werden.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Denn nach § 197 a Abs. 1, Halbsatz 3 SGG sind die §§ 154 – 162
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bei der Entscheidung über die Kostentragung entsprechend anzuwenden.
Danach trägt grundsätzlich der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Der Streitwert wird auf 24.416,42 EUR festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1
Gerichtskostengesetz (GKG). Nach § 52 Abs. 3 GKG ist für eine bezifferte Geldleistung von deren Höhe auszugehen.
Im Bescheid vom 15.06.2007 werde ein Betrag von 24.416,42 EUR von der Klägerin gefordert. Dieser Betrag ist als
Gegenstands-wert zu berücksichtigen.