Urteil des SozG Würzburg vom 30.04.2008

SozG Würzburg: telefon, versorgung, hörgerät, gebrauchsgegenstand, form, behinderung, verbreitung, verordnung, verfügung, krankenversicherung

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 30.04.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 4 KR 393/07
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Berufung wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten eines Telefons für Hörgeschädigte für die Klägerin zu
übernehmen hat.
Die 1931 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie hat dort eine Verordnung der HNO-
Gemeinschaftspraxis Dr. B. und Dr. R. vom 29.03.2006 für ein Spezialtelefon für Hörgeschädigte eingereicht.
Beigefügt war eine Kostenaufstellung der Firma J. & G. für ein "Humantechnik flashtel telefon" im Preis von 183 Euro.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 04.04.2006 eine Kostenübernahme ab, da die Kostenübernahme in der
Krankenversicherung auf die Übernahme von Festbeträgen für Hörgeräte begrenzt sei und eine zusätzliche
Kostenübernahme für ein Telefon nicht möglich sei.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 19.04.2006 am 20.04.2006 Widerspruch ein und führte aus, dass das
Telefonieren über ihren Festnetzanschluss zu ihren Grundbedürfnissen gehöre, um die sozialen Kontakte
aufrechtzuerhalten. Dies sei aufgrund ihrer Hörbehinderung ohne ein entsprechendes Hilfsmittel nicht mehr möglich.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2006 den Widerspruch zurück. Sie wies darauf hin, dass sie
am 21.10.2003 die Kosten für Hörgeräte beidseits übernommen habe. Spezialtelefone für Hörgeschädigte bzw.
Telefonverstärker seien im Hilfsmittelverzeichnis nicht aufgeführt; dort werde dargelegt, dass ein Hörverstärker
zusätzlich zu einem Hörgerät das Maß des Notwendigen überschreite. Außerdem seien Telefone
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und es gebe sie auch als hörgerätetaugliche Fabrikate.
Hiergegen erhob die Klägerin am 08.06.2006 Klage zum Sozialgericht Würzburg. Ihr sei es früher noch bedingt
möglich gewesen, ein normales Telefon zu verwenden, wozu sie jedoch den Lautsprecher des Hörgerätes auf volle
Lautstärke habe aufdrehen müssen, was häufig zu Pfeiftönen geführt habe. Nunmehr brauche sie ein Spezialtelefon,
das bestimmte Frequenzen besonders verstärke und zudem über einen zweiten Lautsprecher verfüge. Sie verwies auf
eine Entscheidung des Sozialgerichts Dresden vom 28.07.2005 (Az.: S 18 KR 398/02).
In einem Erörterungstermin gab die Klägerin an, dass sie ein derartiges Telefon zur Probe benutzt habe und dann
auch erworben habe. Sie legt hierzu eine Rechnung vom 05.04.2006 sowie eine Bestätigung über die Zahlung vom
10.04.2006 vor. Aus den bei der Klägerin vorhandenen Unterlagen ist ersichtlich, dass es sich hierbei nicht um den
Typ handelte, der dem ursprünglichen Kostenvoranschlag von 183 Euro zur Grunde lag, sondern um den Typ "flashtel
eco". Er enthält eine Hoch-/Tieftonregelung und eine Hörverstärkung sowie eine induktive Direktübertragung an
Hörgeräte und Anschlussbuchsen für handelsübliche Hör- und Sprechgarnituren.
Nachdem in dem von der Klägerin in Bezug genommenen Vergleichsfall beim Sozialgericht Dresden noch keine
rechtskräftige Entscheidung vorlag, wurde im Folgenden ein Ruhen des Verfahrens angeordnet. Nach der Fortführung
des Verfahrens hat das Gericht beim Sächsischen Landessozialgericht ermittelt, dass dort das Berufungsverfahren
bezüglich der Entscheidung des Sozialgerichts Dresden auf richterlichen Hinweis zurückgenommen wurde. Bei
ausreichender Versorgung mit einem Hörgerät, das die mündliche, nicht unbedingt die fernmündliche, Kommunikation
ermögliche, bestehe kein weitergehender Anspruch auf ein Telefon, das den Schall mittels Knochenleitung übertrage.
Anders möge der Fall liegen, wenn Vereinsamung drohe. Die Beklagte verweist zudem auf ein Urteil des Sächsischen
Landessozialgerichts vom 17.10.2007 (L 1 KR 18/06) zur fehlenden Hilfsmitteleigenschaft eines Bildtelefons.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid vom 04.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2006 aufzuheben und die Kosten
eines Telefons für Hörgeschädigte gemäß der Rechnung vom 05.04.2006 der Klägerin zu erstatten. 2.
Außergerichtliche Kosten sind zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben
(§§ 51, 54, 57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist jedoch zur Überzeugung des Gerichts nicht begründet, da die Beklagte die beantragten Kosten nicht zu
übernehmen hat.
Da die Klägerin bei der Beklagten krankenversichert ist, hat die Beklagte diese nach § 33 Abs. 1 Satz 1 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) mit den erforderlichen Hilfsmitteln zu versorgen.
Eine Kostenübernahme ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte die Leistungen, zu denen auch die
Versorgung mit Hilfsmitteln gehört (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 33 SGB V) regelmäßig als Sachleistungen kostenfrei
zur Verfügung stellt. Hier käme nämlich die Ausnahme des § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht, wonach eine Erstattung
der Kosten für ein selbstbeschafftes Hilfsmittel erfolgt, wenn die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit diesem
Hilfsmittel zu Unrecht abgelehnt hätte. Für das Gericht hat sich ergeben, dass die Klägerin zwar das beantragte
Hilfsmittel bereits vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten in Gebrauch gehabt hatte, dass es sich hierbei
aber nur um eine probeweise Benutzung handelte und die Kaufentscheidung und die Bezahlung des Hilfsmittels erst
nach dem Termin der ablehnenden Entscheidung endgültig getroffen wurde. Das Sachleistungsprinzip würde daher
einer Kostenerstattung in diesem Fall nicht im Wege stehen.
Von den in Frage kommenden Leistungsvoraussetzungen für die Gewährung eines Hilfsmittels, wäre im Fall der
Klägerin ausschließlich die dritte Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als Anspruchsgrundlage in Betracht
gekommen. Für das Gericht hat sich jedoch ergeben, dass die Beklagte nicht verpflichtet war, das beantragte bzw.
das beschaffte Hilfsmittel im Rahmen dieser Vorschrift zur Verfügung zu stellen. Versicherte habe demnach Anspruch
auf Versorgung mit Hörhilfen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung
auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen
sind.
Im Fall der Klägerin liegt eine Hörbehinderung vor, weshalb die Beklagte der Klägerin als Hörhilfe ein entsprechendes
Hörgerät bewilligt hat. Das Gericht folgt den Darlegungen der Klägerseite insoweit, als das beschaffte Telefon (auch)
dem Behinderungsausgleich dient, weil die Klägerin bei der Benutzung ihres vorher vorhandenen Telefons wegen
Störungen und fehlender Verständlichkeit nicht in der Lage gewesen sei, Ferngespräche zu führen. Hierfür spricht
auch die Verordnung des HNO-Arztes.
Ein Telefon ist aus Sicht des Gerichtes als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen. Somit wären auf
jeden Fall von den Kosten des angeschafften Telefons, die Kosten für ein handelsübliches Telefon in Abzug zu
bringen. Das Gericht ist jedoch dar-über hinaus zu der Auffassung gelangt, dass es sich bei dem beschafften Telefon
selbst – trotz gewisser Hilfsmittelfunktionen – insgesamt um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens
handelt. Derartige Telefone wurden für die Benutzung – nicht nur von hör-behinderten - Senioren entwickelt und
vereinen eine Reihe von Nutzungserleichterungen. Sie sind – wie auch das von der Beklagten in Bezug genommene
Modell der Deutschen Telekom – nicht ausschließlich über den Hörgeräteakustikfachhandel zu beziehen. Eine
spezielle Anpassung ist nicht erforderlich. Die Hilfsmittelfunktion tritt gegenüber den anderen Nutzungserleichterungen
so weit in den Hintergrund, dass hiervon keine wesentliche Prägung ausgeht. Ein Telefon – wie es sich die Klägerin
beschafft hat – ist im Personen-kreis der älteren Telefonnutzer als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens
einzuordnen. Eine Kostenübernahmepflicht der Beklagten scheidet schon aus diesem Grund aus.
Insofern kam es auch nicht mehr darauf an, dass die Klägerin sich ein anderes als das verordnete Telefon beschafft
hatte. Nachdem es sich hierbei aber um die Basisversion des verordneten Gerätes gehandelt hatte und die von der
Klägerin in den Vordergrund gestellten Hörhilfefunktionen dort in gleicher Weise vorhanden waren, wäre dies aus Sicht
des Gerichtes ansonsten kein Hinderungsgrund für die Erstattung gewesen.
Darüber hinaus wäre nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die Ausführungen in der Entscheidung des
Sächsischen Landessozialgerichts vom 17.10.2007, Az.: L 1 KR 18/06, zitiert nach juris) auch nicht davon
auszugehen gewesen, dass es sich um einen von der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldeten
Basisausgleich der Behinderung selbst in Form eines Aufschließens zu einem Gesunden, nicht aber im Sinne des
voll-ständigen Gleichziehens gehandelt hätte. Zum Basisausgleich würde demnach nur das zählen, worauf ein
Behinderter dringend angewiesen ist, nicht jedoch bereits das, was im täglichen Leben verbreitet ist. Die
Argumentation des Sozialgerichts Dresden in seiner Entscheidung vom 01.08.2006 (Az.: S 25 KR 157/05), wonach
mittlerweile eine Verbreitung des Telefons in allen Haushalten gegeben sei und deshalb die Fernkommunikation kein
besonderes Bedürfnis mehr darstelle, sondern zu den kommunikativen Grundbedürfnissen zähle, wird in dieser
Darlegung nicht geteilt. Dies gilt ebenso für die Vorüberlegungen des SG Chemnitz in seiner Entscheidung vom
10.01.2006 (Az.: S 10 KR 534/04).
Da nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei der Frage der Mobilität auch nicht auf die
Verbreitung von Kraftfahrzeugen abgestellt werde, sondern nur auf die Erschließung eines gewissen körperlichen
Freiraumes im Nahbereich der Wohnung, könne es auch bei der Telekommunikation nur darauf ankommen, ob hier ein
dringliches Angewiesensein auf dieses Kommunikationsmittel bestehe. Dies ist nach der Auffassung im oben
genannten Urteil des Landessozialgerichts Sachsen nur dann der Fall, wenn ansonsten eine Vereinsamung drohe, d.h.
wenn eine körperliche Einschränkung das Ausüben von direkter Kommunikation verhindere. Ein derartiger Fall liegt im
Fall der Klägerin nicht vor, wovon sich das Gericht auch in den Verhandlungsterminen überzeugen konnte.
Soweit die Klägerseite geltend macht, dass die Nutzung des Telefons notwendig sei um im Notfall Hilfe herbeirufen zu
können, ist für einen derartigen Notruf eine ausführliche Kommunikation mit entsprechendem Gegenverständnis nicht
erforderlich, sondern würde im Extremfall das Vorhandensein einer Sprechmöglichkeit ausreichen, um auf die beste-
hende Notlage aufmerksam zu machen.
Dementsprechend war aus Sicht des Gerichtes die angefochtene Entscheidung der Be-klagten im Ergebnis nicht zu
beanstanden und die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Das Gericht sah auch keinen Anlass dafür, eine Berufung zuzulassen, da zu der zugrunde liegenden Rechtsfrage
bereits obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt und – abgesehen von nicht rechtskräftig gewordenen
erstinstanzlichen Entscheidungen – auch keine divergierende Rechtsprechung besteht. Der Wert des
Beschwerdegegenstandes erreicht nicht die Berufungssumme von 500 bzw. aktuell 750 Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 SGG a.F. und n.F.).