Urteil des SozG Würzburg vom 07.09.2009

SozG Würzburg: wohnsitz im ausland, reformatio in peius, bayern, familie, aufwand, durchschnitt, akteneinsicht, burg, gebühr, behandlung

Sozialgericht Würzburg
Kostenbeschluss vom 07.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 2 SF 14/09 E
Die Erinnerung vom 27.03.2009 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.03.2009 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Streitig sind die Höhe der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr für das Berufungsverfahren.
Der Ast (Ast) hat den Kläger in dem Verfahren S 3 SB 109/03 vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) und in dem
Rechtsstreit L 18 SB 156/06 vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch
das Zentrum Bayern Familie und Soziales – Landesversorgungsamt - vertreten. Das SG hatte die Klage auf die
Feststellung eines höheren Grades der Behinderung als 20 als unzulässig abgewiesen, da mit dem Umzug des
Klägers zum 01.01.2004 in die Türkei sein Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei. Während des Berufungsverfahrens
nahm der Kläger, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, erneut seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik
Deutschland in Würzburg. Am 12.04.2007 stellte er einen Neufeststellungsantrag beim Zentrum Bayern, Familie und
Soziales Region Unterfranken. Er bat, den Antrag auf Verschlimmerung vorrangig vor der anhängigen Berufung beim
Landessozialgericht zu bearbeiten.
Mit Beschluss vom 11.07.2007 gewährte das LSG dem Kläger Prozesskostenhilfe und ordnete den Ast dem Kläger
bei.
Auf den Neufestellungsantrag stellte das Zentrum Bayern, Familie und Soziales mit Änderungsbescheid vom
18.10.2007 ab 12.04.2007 einen GdB von 100 fest und erkannte die Merkzeichen "G", "aG", "B", "H" und "RF" ab
diesem Zeitpunkt zu. Der Ast teilte am 07.02.2008 dem LSG mit, das Verfahren habe sich ab 12.04.2007 durch den
Änderungsbescheid vom 18.10.2007 erledigt. Für den Zeitraum bis zum 12.04.2007 verfolge der Kläger sein Begehren
fort. Mit Schreiben vom 06.03.2008 erklärte der Ast das Verfahren in der Hauptsache für erledigt und beantragte, dem
Beklagten die dem Kläger entstandenen außergerichtliche Kosten aufzuerlegen. Mit Beschluss vom 06.06.2008
verwarf das LSG den Antrag auf Kostenfestsetzung für das Berufungsverfahren als unzulässig. Außergerichtliche
Kosten für das sozialgerichtliche Verfahren seien nicht zu erstatten. Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 11.08.2008
beantragte der Ast, die Kosten gegen den Verfahrensgegner gemäß §§ 103 ff. ZPO wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr für Verfahren vor Landessozialgericht § 49, Nr. 3204 VVRVG 570,00 EUR Terminsgebühr im
Verfahren vor Landessozialgericht § 49, Nr. 3205 VV RVG 200,00 EUR Einigungsgebühr, Berufung/Revision in
sozialrechtlichen Angelegenheiten § 49 RVG Nr. 1007, 1005 VV RVG 250,00 EUR Zwischensumme der
Gebührenpositionen 1.020,00EUR Pauschale für Post und Telekommunikation NR. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Dokumentenpauschale für Ablichtungen Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG - Ablichtungen/Fax aus Behörden- und Gerichtsakten
Nr. 7000 Nr. 1 a VV RVG (185 Seiten) - 45,25 EUR Zwischensumme netto 1.085,25 EUR 19 % Mehrwertsteuer Nr.
7008 VV RVG 206,20 EUR Gesamtbetrag 1.291,45 EUR
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.03.2009 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des SG die dem
Ast gegen die Staatskasse zustehenden Kosten in Höhe von 970,15 Euro wie folgt fest.
Verfahrensgebühr §§ 3, 14 iVm der Anlage zu § 2 Abs. 2 RVG – VV Nr. 3204 400,00 EUR Terminsgebühr §§ 3, 14
iVm der Anlage zu § 2 Abs. 2 RVG – VV 3205 RVG 100,00 EUR Einigungsgebühr §§ 3, 14 iVm der Anlage zu § 2
Abs. 2 RVG – VV 1007 250,00 EUR Auslagenpauschale – VV Nr. 7002 20,00 EUR Fotokopiekosten – VV Nr. 7000 50
Seite (n) à 0,50 EUR 25,00 EUR 135 Seite (n) à 0,15 EUR 20,25 EUR 815,25 EUR 19 % Mehrwertsteuer – VV Nr.
7008 154,90 EUR insgesamt 970,15 EUR Gesamtbetrag 970,15 EUR
Die getroffene Gebührenbestimmung durch den Ast sei hinsichtlich der Höhe der Verfahrensgebühr sowie der
Geltendmachung der Termins- und Erledigungsgebühr als unbillig anzusehen. Nach § 3 Nr. 3204 VV RVG betrage die
Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Landessozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstünden 50,00
bis 570,00 Euro. Die Mittelgebühr betrage hiermit 310,00 Euro. Die vom Ast geltend gemachte Höchstgebühr sei
unbillig. Es treffe zwar zu, dass wegen der mit der Anerkennung der Schwerbehinderung einhergehenden Vorteile im
Zusammenhang mit der Gewährung der Altersrente und wegen des Charakters einer Dauerleistung durchaus von einer
über-durchschnittlichen Bedeutung des Rechtsstreites für den Berufungsführer auszugehen sei. Im gegenständlichen
Rechtsstreit sei insoweit etwas über dem Durchschnitt liegenden Umfang und einer durchschnittlichen Schwierigkeit
der Angelegenheit auszugehen. Die objektiv erkennbare Tätigkeit habe aus der Einreichung der Berufungsschrift und
Übersendung dreier verfahrensverwandter Schriftsätze sowie der Annahme des Anerkenntnis-ses bestanden. Eine
Würdigung von Befundberichten oder Sachverständigengutachten habe nicht stattgefunden. Wäge man die
überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit mit dem etwas über den Durchschnitt liegenden Umfang und der
unterdurchschnittlichen Schwierigkeit sowie den unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen des
Berufungsführers ab, so rechtfertige dies allenfalls eine Zuerkennung einer etwas über der Mittelgebühr liegenden
Verfahrensgebühr. Da der Rechtsstreit durch Annahme eines Anerkenntnisses beendet worden sei, stehe eine fiktive
Terminsgebühr nach Nr. 3205 VV RVG zu. Da ein Termin nicht stattgefunden habe, sei auf den hypothetischen
Aufwand abzustellen, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Fall voraussichtlich entstanden sein würde.
Im Termin hätte es lediglich der Annahme des Anerkenntnisses bedurft. Ein solcher Termin wäre insoweit mit keinem
besonderen Aufwand verbunden gewesen. Gegen diesen Festsetzungsbeschluss erhob der Ast am 27.03.2009
Erinnerung, soweit dem Kostenfestsetzungsantrag keine Folge geleistet worden sei. Die Kostenfestsetzung habe die
tatsächlichen Schwierigkeiten in der Sache, die weit überdurchschnittlich gewesen seien, nicht beachtet. Er habe sich
nach erfolgter Akteneinsicht mit den in den Akten befindlichen Gutachten, ärztlichen Bulletins, Stellungnahmen u. ä.
beschäftigt. Auch die rechtlichen Fragen seien weit überdurchschnittlich gewesen. Während des laufenden Verfahrens
seien zwei Grundsatzentscheidungen des Bundessozialgerichts zu einer bislang ungeklärten und heftig umstrittenen
Rechtsfrage (Personen mit Wohnsitz im Ausland) ergangen. Auch der Umfang sei überdurchschnittlich gewesen. Die
ursprüngliche Mandatierung bzw. Informationsbeschaffung mit dem Kläger, der zunächst noch seinen Wohnsitz in
Istanbul unterhalten habe, sei weit überdurchschnittlich schwierig gewesen. Diese sei durch Verwandte und Bekannte
des Klägers erfolgt, die hierzu eigens wiederholt aus Istanbul nach Schweinfurt gereist seien, wobei in sehr langen wie
schwierigen Informationsgesprächen jeweils zur Verständigung Dolmetscher hätten in Anspruch genommen werden
müssen. Bei der Kürzung der Terminsgebühr sei nicht beachtet worden, dass langwierige und inhaltlich schwierige
Telefonate zu dem erreichten Anerkenntnis geführt hätten. Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen
und diese der zuständigen 2. Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Klageakte des Sozialgerichts Würz-burg S 3 SB 109/03, der
Berufungsakte des Bayer. Landessozialgerichts L 18 SB 146/06 und auf den Inhalt der Klageakte Bezug genommen.
II. Die Erinnerung des Ast ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Bereits der Kostenfestsetzungsantrag vom 11.08.2008, in welchem beantragt wurde, die Kosten gegen den
Verfahrensgegner gemäß § 103 ff. ZPO festzusetzen, war unzulässig, da das Bayer. Landessozialgericht mit
Beschluss vom 06.06.2008 ausgeführt hatte, dass außergerichtliche Kosten für das sozialgerichtliche Verfahren nicht
zu erstatten sind. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Würzburg hat den eindeutigen und nicht
auslegungsfähigen Antrag unzulässigerweise umgedeutet in einen Antrag auf Festsetzung der Gebühren des Ast
gegen die Staatskasse des Freistaates Bayern und einen seiner Festsetzung entsprechenden Betrag aus der
Staatskasse erstattet.
Davon ausgehend, dass ein Anerkenntnis zustande gekommen sei, hat er sowohl eine Terminsgebühr als auch eine
Einigungsgebühr dem Ast zugesprochen. Wenn ein Anerkenntnis vorliegt, steht dem Ast zwar eine Terminsgebühr
nach Nr. 3205 i. V. m. 3106 VV RVG zu, jedoch keine Einigungsgebühr. Denn bei einem Anerkenntnis ist nicht von
einer Einigung im Sinne der Nr. 1005 VV RVG auszugehen.
Nimmt man an, dass der Änderungsbescheid des Beklagten vom 18.10.2007 lediglich ein Vergleichsangebot darstellt,
weil die Feststellung des höheren GdB und die Zuerkennung der Merkzeichen erst ab 12.04.2007 und nicht bereits ab
Antragstellung 2002 zugesprochen wurden, steht keine Terminsgebühr nach Nr. 3205 VV RVG zu. Diese Vorschrift
verweist auf Nr. 3106 VV RVG. Danach entsteht eine "fiktive" Terminsgebühr nur nach einer gerichtlichen
Entscheidung oder nach einem Anerkenntnis, nicht jedoch nach einem Vergleich.
Da der Beklagte dem Neufeststellungsantrag vom 12.04.2007 in vollem Umfang abgeholfen hat, geht die Kammer wie
der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle von einem Anerkenntnis aus. Dies bewirkt jedoch, dass eine Einigungsgebühr
nach Nr. 1007 VV RVG in Höhe von 250,00 Euro dem Ast nicht zusteht. Die Ausführungen des Urkundsbeamten
entsprechen insoweit der ständigen Rechtsprechung der 2. Kammer des Sozialgerichts Würzburg, wonach bei der
Bestimmung der "fiktiven" Terminsgebühr davon auszugehen ist, wie ein Termin stattgefunden hätte. Überein-
stimmend mit dem Urkundsbeamten ist die Kammer der Auffassung, dass in diesem Ter-min lediglich die Annahme
des Anerkenntnisses erfolgt wäre und insoweit Umfang und Schwierigkeit des Termins unterdurchschnittlich gewesen
wären. Die Terminsgebühr in Höhe von 100,00 Euro ist deshalb nicht zu beanstanden.
Bei der Festlegung der Verfahrensgebühr können lediglich Tätigkeiten ab der Stellung des Antrags auf PKH bzw. ab
dem Zeitpunkt, in dem alle Voraussetzungen zur Bewilligung vorliegen, berücksichtigt werden. Der Antrag ist am
03.04.2007 beim LSG eingegangen. Im darauf folgenden Schriftsatz vom 26.06.2007 hat der Ast dem LSG mitgeteilt,
dass die Behandlung des Verschlimmerungsantrages vorrangig behandelt werden solle. Das bedeutet, dass lediglich
dieser Schriftsatz und die Annahme des Anerkenntnisses als erkennbar anrechnungsfähige Tätigkeit anrechenbar
sind. Die vom Ast angeführten Verhandlungen mit Verwandten und Bekannten des Klägers lagen vor dem
maßgebenden Zeitpunkt. Für die anrechenbare Tätigkeit des Ast ist eine Gebühr unterhalb der Mittelgebühr
angemessen. Die vom Ast beantragte Höchstgebühr ist deshalb unbillig.
Selbst wenn man die Höchstgebühr, wie vom Ast geltend gemacht, bei der Verfahrensgebühr der Berechnung
zugrunde legen würde, ergäbe sich im Hinblick auf die dem Ast zu Unrecht zugebilligte Einigungsgebühr insgesamt
ein geringerer Betrag, als der im Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzte Betrag von 970,15 Euro.
Da der Ast gegen den Beklagten keine Kosten geltend machen kann und auch der vom Urkundsbeamten festgestellte
Betrag den dem Ast zustehenden Betrag überschreitet, war die Erinnerung zurückzuweisen. Eine Verböserung
(reformatio in peius) findet nicht statt. Denn grundsätzlich ist eine im Rechtsbehelfverfahren vorgenommene
Veränderung einer gerichtlichen Entscheidung zu Ungunsten des Rechtsbehelfsführers unzulässig (vgl. SG Leipzig
vom 20.12.2005, S 8 KR 178/01). Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Ein Rechtsmittel ist nicht zulässig (§ 197 Abs. 2 Halbsatz 2 SGG).