Urteil des SozG Wiesbaden vom 24.04.2006

SozG Wiesbaden: leistungsanspruch, lebensgemeinschaft, hauptsache, glaubhaftmachung, erwerbstätigkeit, käufer, handel, alter, zubehör, rechtsnatur

Sozialgericht Wiesbaden
Beschluss vom 24.04.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 16 AS 79/06 ER
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Der am 1. März 2006 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Antrag, den Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab sofort laufende Leistungen nach dem SGB II in der
gesetzlich zustehenden Höhe zu gewähren.
ist als Antrag nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, indes unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG – der hier allein in Betracht kommt – kann das Gericht auf Antrag auch schon vor
Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die
tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs bzw. des Rechtsverhältnisses und der Grund für
eine notwendige vorläufige Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. mit § 86
b Abs. 2 Satz 4 SGG). Die Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG an die Glaubhaftmachung einerseits und die
gerichtliche Amtsermittlung andererseits wurden vom Bundesverfassungsgericht näher konkretisiert (Beschluss vom
12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05): "(1) Die Gerichte müssen ( ), wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der
Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl.
BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 1236 (1237); 1. Kammer des Zweiten Senats, NVwZ 2004, S.
95 (96)). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des
Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten
droht (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, NVwZ-RR 1999, S. 217 (218)). Entschließen sich die Gerichte zu
einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den
Antragsteller des Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu
orientieren, das der Beschwerdeführer mit seinen Begehren verfolgt (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats,
NVwZ 2004, S. 95 (96)). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die
Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 1997, S.
479 (480)). (2) Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht
möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NVwZ-RR
2001, S. 694 (695)). Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die
Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen
(vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 1236 (1237)). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die
Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie
nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen
Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen
Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen
(vgl. SG Düsseldorf, NJW 2005, S. 845 (847))." ( )
Ein Anordnungsanspruch nach §§ 7 ff., 19 ff. Sozialgesetzbuch, Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende
– (SGB II), der hier allein in Betracht kommt, wurde nicht glaubhaft gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Es
bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln sichern kann (§ 9 Abs. 1. § 11 SGB II). Seine Einkommens- und Vermögenslage ist
insoweit nicht schlüssig dargelegt bzw. offengelegt. Das Gericht sieht am Maßstab des Eilverfahrens über die
Hinweis- und Auflagenverfügung vom 12. April 2006 hinaus keinen weiteren Anlass zur Amtsermittlung. Die
Einkommensverhältnisse des Antragstellers sind daher unklar, ein eventueller Leistungsanspruch ist nicht bezifferbar
und damit nicht gegeben.
Anlässlich seines Neuantrages vom 5. Dezember 2005 verwies der Antragsteller auf seine Angaben zum Einkommen
im Erstantrag vom 13. Oktober 2005. Seinerzeit gab er kein Einkommen an. Im Rahmen der Erklärung zum Vermögen
benannte er ein Girokontosaldo von –2.772,45 EUR und machte Angaben zu seinem Kfz. Der Antragsteller legte
weiterhin Kontoauszüge für den Zeitraum vom 26. Juli 2005 bis 27. Oktober 2005 vor. Hieraus sind erhebliche
Umsätze aus Internetversteigerungen bzw. –verkäufen ("ebay") zu ersehen. Der Antragsgegner ermittelte folgende
Einnahmen: August 2005: 2051,76 EUR September 2005: 1853,56 EUR Oktober 2005 (1.-27.): 1749,15 EUR Im
ablehnenden Bescheid vom 2. Februar 2006 wies der Antragsgegner darauf hin, dass davon auszugehen sei, dass der
Antragsteller in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebe. Eine Einnahmen- und Ausgabenermittlung bezüglich der
Umsätze aus Internetauktionen ("ebay") sei nicht möglich. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Bescheides wird auf
Bl. 121 ff. d. Verwaltungsakte verwiesen.
Einnahmen in Geld aus Internetauktionen kommen grundsätzlich als zu berücksichtigendes Einkommen nach § 11
SGB II in Betracht (vgl. auch SG Wiesbaden, Beschluss vom 6. September 2005, Az.: S 15 AS 100/05 ER). Bei der
für Einnahmen in Geld typischen Änderung im Vermögensbestand ist grundsätzlich nicht nach der Qualität der
Gegenleistung – hier: Verkaufserlös – oder der Herkunft des Zuflusses zu differenzieren (vgl. zu diesem Kriterium
Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rdnr. 38). Im Falle einer Gewinnerzielungsabsicht und einer hieraus
ableitbaren selbständigen Händlertätigkeit wäre aber nach Maßgabe des § 2a Alg II-VO in der seit 1. Oktober 2005
geltenden Fassung grundsätzlich der aus diesen Verkäufen erzielte Gewinn zu ermitteln (Arbeitseinkommen i. S. d. §
15 Sozialgesetzbuch, 4. Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV)). Maßgeblich hierfür
sind nach § 2a Abs. 3 Alg II-VO auch die vorangegangenen Betriebsergebnisse. Ist ein Arbeitseinkommen nicht zu
ermitteln, ist von den Bruttoeinnahmen eine Betriebskostenpauschale von 20 Prozent abzuziehen (§ 2a Abs. 1 Alg II-
VO).
Anhand der vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen ist allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit
nachzuvollziehen, im welchem Umfang der Antragsteller aus seinen "ebay"-Umsätzen Einkommen zu erzielt hat.
Hinsichtlich der Frage, ob es sich um Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit handelt, bestehen erhebliche
Zweifel an der Behauptung des Antragstellers, die "ebay"-Umsätze beruhten auf dem Verkauf alter Warenbestände,
da er vor 15 Jahren beabsichtigt habe, ein Militariageschäft zu eröffnen. Zunächst fehlt es an Anknüpfungstatsachen,
die eine Prüfung ermöglichten, ob es sich – wie behauptet – um Schonvermögen handelt. Bei seiner Antragstellung
gab er diese Vermögenswerte im Formular unter "sonstiges Vermögen" nicht an. Im Rahmen der Ermittlungen des
Gerichts (Ausdrucke von Internetseiten unter http://cgi3.ebay.de/( ...) - Bl. 46 bis 62 d. A.) wurde weiterhin
festgestellt, dass der Antragsteller unter dem Namen "Z" eine eigene Verkaufsseite (sog. "Michseite") bei "ebay"
unterhält. Auf dieser wird sein Handel insbesondere mit Bundeswehr- und Polizeiartikeln beworben. Er erhielt seit 7.
Januar 2003 1140 Käuferbewertungen (Stand 12. April 2006). Allein in den letzten sechs Monaten erfolgten 431
Bewertungen (Käufer und Verkäufer), was auf eine entsprechende Anzahl von Umsätzen schließen lässt. Gegenwärtig
(Stand: 12. April 2006) bietet der Antragsteller unter dem Namen "Z" zwar keine Waren an. Die beispielhaft vom
Gericht aus der "ebay"-Bewertungsliste ausgewählten Geschäfte aus den Monaten Januar bis März 2006, zu denen
die Beteiligten zur Stellungnahme aufgefordert worden sind, sind indes erhebliche Indizien dafür, dass der
Antragsteller bis in die jüngste Zeit hinein Waren angekauft hat, die dem Sortiment der von ihm verkauften Waren
entsprechen (z. B. Scheinwerfer, "Maglite"-Zubehör), offenbar zum Zweck des Weiterverkaufs. Auch wurden Waren
verkauft, die nach der Art der Werbung nicht aus Jahre zurückliegenden Militariaankäufen stammen können
(mindestens zwei "nagelneue" Bosch-Rundumleuchten für Bundeswehrfahrzeuge).
Die hierzu erfolgte Stellungnahme des Antragstellers vom 21. April 2006, in der er auf sein Sammlerhobby bezüglich
Suchscheinwerfern und "Maglite"-Lampen verweist, vermag die erhebliche Anzahl der Umsätze nicht zu relativieren,
die für sich genommen ein Maß an hobbybezogenen Umsätzen weit übersteigt. Darüber hinaus handelt es sich um
nicht nachprüfbare Behauptungen, deren Glaubhaftigkeit die Sachnähe der An- und Verkäufe zu den sonstigen
Umsätzen (z. B. Lampen und Scheinwerfer) sowie das Auftreten des Antragstellers mit einer eigenen Anbieterseite
entgegenstehen. Die Glaubhaftigkeit wird ferner dadurch gemindert, dass der Antragsteller nunmehr erstmals nicht
näher bezifferte Zahlungen seiner Eltern an ihn erwähnt, aus denen er die Einkäufe getätigt haben will. Die Angaben
bleiben vage, zumal zu prüfen wäre, ob es sich hierbei – je nach Rechtsnatur und Verfügbarkeit – um Einkommen im
Sinne des § 11 SGB II handelt.
Da aufgrund der ermittelten Umsätze davon auszugehen ist, dass dem Antragsteller mindestens bis in den März 2006
hinein verschwiegene Einnahmen in Geld aus Internetauktionen zugeflossen sind, die Einkommensverhältnisse aber
nicht glaubhaft gemacht wurden, ist auch ein etwaiger Leistungsanspruch nicht bezifferbar. Die vom Antragsgegner
ermittelten Umsätze aus August bis Oktober 2005 sind insoweit am Maßstab des § 2a Alg II-VO nicht hinreichend;
selbst wenn man hiervon ausginge, führte die Einkommensberechnung nach § 2a Abs.1 Alg II-VO bei
zwanzigprozentigem Abzug von den Verkaufserlösen zu einem weit über der Bedürftigkeitsschwelle liegenden
Einkommen.
Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft lebt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.